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Am Donnerstag 23.2.2006 um 19:00 Uhr im Filmmuseum München: "Open Scene" zu Hans Albers und seinem berühmtesten Film, dem Ufa-Klassiker MÜNCHHAUSEN. Vorgestellt werden gemeinsam eine Albers-Biographie und die restaurierte Fassung des Films, die jetzt auch in einer glänzenden DVD erschienen ist. Ein Gespräch zwischen dem Filmjournalisten Peter W. Jansen, dem Albers-Biographen Matthias Wegner und Michaela Krützen von der HFF-München runden den Abend ab. Anlaß für ein paar Gedanken zum Thema.
Der Ritt auf der Kanonenkugel ist seine berühmteste Filmszene, und schon das ist eine Metapher, die über Hans Albers' Person weit hinausreicht; "Hoppla, jetzt komm ich" heißt eines seiner bekanntesten Lieder - ungeachtet aller Umbrüche, die Deutschland während seiner Lebenszeit zwischen 1891 und 1960 erlebte, ist der Schauspieler und Sänger Hans Albers auch wegen seiner persönlichen, burschikos-unbekümmerten Ausstrahlung und seinem Humor immer ein nationales Idol geblieben. Seine Lieder - von "Flieger, grüß mir die Sonne" (1932) über "La Paloma" (1945) bis "Nimm mich mit Kapitän auf die Reise" (1952) - waren Hits, seine Filme - von ersten Stummfilmen seit 1915 über DIE NACHT GEHÖRT UNS (1929), GROSSE FREIHEIT, NR.7 (1943) bis DER LETZTE MANN (1955) große Zuschauererfolge. Dabei war der "blonde Hans" keineswegs eine einfache Persönlichkeit: Als Schauspieler unerschöpflich, brillant und charismatisch, als Privatmann während der NS-Zeit standfester als viele, aber doch opportunistisch genug, sich zur Scheidung von seiner jüdischen Frau Hansi Burg zwingen zu lassen (mit der er dann weiter bis zu ihrer Emigration 1939 und nach ihrer Rückkehr 1945 zusammenlebte), und sich für einige der schlimmsten Propagandaschinken herzugeben - offen in CARL PETERS, HENKER, FRAUEN UND SOLDATEN (1935) oder TRENCK, DER PANDUR (1940), versteckter in DER MANN, DER SHERLOCK HOLMES WAR -, als Mensch Alkoholiker und Frauenheld, hatte Albers viele Facetten.
Am Theater arbeitete Albers mit so berühmten Theatermachern wie Max Reinhart und Bertolt Brecht. Im Kino hatte er erst mit dem Tonfilm Erfolg. Der Hamburger war fast 40, als seine große Karriere begann. Da hatte er sich auf der Bühne längst schon definiert, jenen "blonden Hans" erfunden, als der er berühmt wurde. Während des Nationalsozialismus war Albers weder für noch gegen die Machthaber. Nicht zufällig musste er nach dem Krieg ein Entnazifizierungsverfahren durchlaufen. "Hans Albers hatte einen einzigen Liebhaber, das war er selbst", sagte Margot Hielscher über ihren populären, Kollegen.
"Der blonde Hans"… - zeitlebens hatte Albers etwas Jungenhaftes. Wie Rühmann. Wie Willy Fritsch. Man müsste der Frage einmal nachgehen, wieso der große Junge, das Kind im Manne, der nicht ganz erwachsen gewordene Erwachsene das Männerideal jener Zeit war - jedenfalls in Deutschland. In anderen Ländern feierte das Kino eher den Gentleman, den Herren; in Deutschland war das, auch zur Zeit der Herrenmenschen, den Massen suspekt, vielleicht, weil "der Herr" etwas Bürgerliches, Gesittetes, Zivilisiertes ausstrahlte.
Die Rollen, die Albers so oft spielte, waren die Abenteurer, die großen Kinder. Die Welt war ihnen - "Flieger, grüß mir die Sonne" - ein Abenteuerspielplatz, und so ganz ernst nahmen sie das Leben und damit auch den Tod nie. Albers war der harte Kerl mit dem weichen Herzen, der Prototyp des "hemdsärmeligen Draufgängers", der nach dem Motto "Hoppla, jetzt komm' ich" alle Hürden beiseite fegte, jede Niederlage wegsteckte und alles andere als ein intellektueller Kopf war - ein prototypisches Idol auch für eine deutsche Gesellschaft, der Geist und Intellekt eher zur Last wurde und als "Zersetzung" erschien, die nach dem ersten Weltkrieg vor allem von Angst gepackt war, Angst in einer "seelenlosen" Moderne sich selbst zu verlieren. Albers war diese bedrohte Seele. "Auf der Reeperbahn nachts um halb Eins" wurde der harte Kerl weinerlich, konnte nach ein paar Schäpsen dann am Busen nicht mehr ganz jungen Frauen sogar ganz seelenvoll die eine oder andere Träne verdrücken; "Good Bye Johnny", und dann ab mit ihr aufs Zimmer, vergessen, vergessen, bitte alles vergessen im Suff und Rausch. Albers war der Dionysios des deutschen Spießers, das was dieser gerade so eben selbst unter der Repression der Blockwärte und Reserveoffiziere noch an Exzess zuließ.
Aber das, der offenkundige Verdrängungscharakter der Albers-Figuren, deren sture Jugendlichkeit - "beim ersten Mal, da tuts noch weh" - immerhin Irritationen wie Fronterlebnis und Holocaust zu verarbeiten hatte, ist nur die eine Seite. Im großen Kind steckte nämlich auch immer etwas Väterliches, Beschützendes. Diesen Wesenszug betonte Albers in seiner Rolle in Josef von Bakys MÜNCHHAUSEN (1943). Jetzt hat Matthias Wegner eine Biographie des Hamburger Schauspielers geschrieben, die dieses interessante, vielfältige Leben differenziert und distanziert, nie eindimensional darstellt. Darin erfährt man zum Beispiel, dass das vermeintliche Hamburger Idol über sein halbes Leben am Starnberger See in Garatshausen bei Tutzing lebte. Das Buch enthält eine Audio-CD mit 18 der bekanntesten Albers-Lieder. An diesem Donnerstag wird es im Münchner Filmmuseum in der "Open Scene" vorgestellt.
Dazu wird Albers wohl größter Kino-Erfolg gezeigt: Josef von Bakys MÜNCHHAUSEN (1943), mit Albers in der Rolle des Lügenbarons in der 2005 von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung restaurierten Fassung. Diese ist jetzt auch in einer hervorragenden, um viele Extras erweiterten DVD-Edition erschienen. Noch heute fasziniert der Film durch seine herausragende Farb- und Tricktechnik, durch Witz, Dynamik und opulente Bilder, durch eine schnelle, dabei immer selbstironische Erzählweise.
Dazu gehört, wie erwähnt, der Ritt auf der Kanonenkugel. Ein toller Special Effect, weltbekannt. Er stammt von Konstantin Irmen-Tschet - leider heißt man so heute nicht mehr -, der das gleiche bereits für Fritz Lang's METROPOLIS gemacht hatte: Albers guckt uns Zuschauer an, zieht den Hut. Dann fliegen wir gleich selber. Fast wie die heutigen Kameras, die auf den hypermodernen "intelligent missiles" mit Uniabschluß befestigt sind. Mit ihm flog auch 1943 die deutsche Gesellschaft. Endlich raus aus der Burg, in der man festsaß. Normalerweise kannte man, im Frühling nach Stalingrad, die Bomben bereits nur noch aus der anderen Perspektive, der des Einschlagsziels. MÜNCHHAUSEN war, kleine - pardon - Ironie am Rand, der letzte Film, der im Ufa-Palast am Zoo, dem Vorgänger des heutigen Zoo-Palasts Premiere hatte (5.3.1943), bevor dieser wenige Tage danach von feindlichen Bomben dem Erdboden gleichgemacht wurde.
Auch der Film selbst erzählte den Deutschen von dem, was ihnen bevorstand: Unter der Oberfläche der Märchenhandlung, die von Short-Story zu Short-Story hüpft, geht es auch um das Scheitern einer imperialen Vision. Münchhausen erobert die russische Zarin Katherina die Große und den Sultan on Konstantinopel, besetzt Venedig und landet - ein Tribut an den über dem ganzen Film schwebenden Geist von Georges Méliès? - sogar auf dem Mond.
Schon damals verstand das Publikum manche Szenen auch doppeldeutig: "Sie wollen herrschen. Ich will leben. Abenteuer, Krieg, ferne Länder, schöne Frauen - Ich brauche das alles, Sie missbrauchen es." Und wenn Münchhausen auf den Mann im Mond trifft wundert der sich: "Entweder die Uhr ist kaputt oder die Zeit selber", nickt Münchhausen wissend: "Die Zeit ist kaputt."
Das Drehbuch zum Film schrieb Erich Kästner. So heißen durfte er freilich nicht, denn Kästner hatte seit 1934 Berufsverbot. Also nannte er sich im Vorspann "Berthold Bürger", was man nicht notwendig nur als Anspielung auf Gottfried August Bürger, den Autor des Lügenbarons, deuten muss. Schon zur Premiere war Kästner nicht mehr geladen. Die Sondergenehmigung für diesen Film hatte ihm Goebbels persönlich beschafft. Denn MÜNCHHAUSEN sollte Großes werden. Zum 25jährigen Jubiläum der Ufa, die im Ersten Weltkrieg als Frontpropagandainstrument gegründet worden war, wollte Goebbels Propagandaministerium das Unternehmen endgültig wieder an diese Ursprünge heranführen, und zugleich einen Kino-Gegenentwurf zu den Hollywood-Erfolgen der Disney-Zeichentrickfilme und Musicals, zu Filmen wie THE WIZARD OF OZ und THE THIEF OF BAGDAD schaffen. Bald folgte KOLBERG, gewiss noch eine ganz andere Kategorie, als Gegenentwurf zu VOM WINDE VERWEHT. Trotz aller Kriegs-Einschränkungen wurden tausend Statisten in barocke Kostüme gesteckt. Acht Monate dauerten die Dreharbeiten in Babelsberg, die Rettung für viele Ufa-Angestellte vor der Front. Mit 6,6 Millionen Reichsmark war MÜNCHHAUSEN der teuerste deutsche Film bis dahin.
Im Anschluss an die Filmvorführung moderiert der Filmjournalist Peter W. Jansen ein Gespräch mit Wegner und Prof. Michaela Krützen von der HFF-München.
Rüdiger Suchsland |