Liegt München an der Spree? Der Bayerische Filmpreis als Kino-Barometer
"Die Zukunft war auch schon mal besser." - An Karl Valentin musste man denken, als am vergangenen Freitag die Bayerischen Filmpreise, zum letzten Mal unter Edmund Stoiber, vergeben wurden. Und zu dem Berg der Aufgaben, die vor Stoibers Nachfolger liegen, dürfte es auch gehören, die bayerische Position in der deutschen Filmlandschaft wieder zu verbessern. Denn ungeachtet des bei solchen Veranstaltungen üblichen wechselseitigen Schulterklopfens der Film-Amigos, ging in den letzten Jahren mehr und mehr Boden für den Freistaat verloren, vor allem an das immer stärkere - sprich kulturell wie wirtschaftlich attraktivere - Berlin. Und die richtige Antwort darauf haben die in Bayern Zuständigen noch nicht gefunden - auch das symbolisierte die gestrige Preisverleihung gut. Schon recht: Der Bayerische Filmpreis ist die zweihöchstdotierte deutsche Kinoauszeichnung, nach dem in Berlin von der Filmakademie verliehenen, vom deutschen Steuerzahler finanzierten Deutschen Filmpreis. Viel bayerisches Steuergeld wird da unter kräftiger Mitsprache der Staatskanzlei verteilt, und nicht ganz unberechtigt lästern manche über "verkappte Filmförderung". Denn der hochdotierte, aber in der Branche nicht über Gebühr ernst genommene Preis dient vor allem als Bonusscheck für Markterfolge und als versteckte Zusatz-Förderung für Filme, die bereits mit überwiegend bayerischen Geldern finanziert wurden - allen Beteuerungen zum Trotz ein reiner Wirtschaftspreis, Standort- nicht Kulturförderung.
Aber so funktioniert einstweilen das deutsche Fördersystem, dass sich neben dem "Kulturauftrag", den gerade die Staatsregierung gern in blumigen Worten beschwört, auch offen regionale Standortpolitik auf die Fahnen geschrieben hat. Diese beiden Säulen gerieten schon in den letzten Jahren aus dem Gleichgewicht. Doch auch als reiner Wirtschaftspreis funktioniert der Bayerische Filmpreis offenbar nach dem Gießkannenprinzip und - von Ausnahmejahren abgesehen - nach immer denselben Prinzipien eines selbstverständlichen Freunderl-Finanzierungs-Netzwerk aus Filmförderung, BR, und Münchner Weltvertrieben das im für die Öffentlichkeit weitgehend Verborgenen verankert ist: Jeder darf mal ran, und einige sind immer dabei, etwa Eichingers Constantin - als ob ausgerechnet die einzigen bayerischen Produzenten auf internationalem Niveau das nötig hätten. Wenn Vilsmeier einen Film gemacht hat, bekommt der auch irgendeinen Preis, ebenso wie ein Film von Kloibers Firma Concorde (diesmal DIE WOLKE) - so ist das seit Jahren, so berechenbar wie langweilig. Ganz offensichtlich gibt es in Bayerns Filmindustrie zu wenig Konkurrenz und Wettbewerb, um dieses realsozialistische Suppenküchenprinzip einmal ernsthaft in Frage zu stellen.
Neben aller Selbstfeier des Filmwirtschafts-Standorts Bayern gibt die alljährliche Preisverleihung, die erste Auszeichnung des Filmjahrs immer ein recht gutes Barometer fürs kommende Kinojahr, und liefert natürlich auch eine kulturelle Botschaft, die einerseits die Gegenwart spiegelt, und in die Zukunft weist. Gegenwartslage spiegelt, andererseits in die Zukunft weist. Einstweilen geht es Bayern wirtschaftlich nicht schlecht, auch weil das Filmjahr 2006 in ganz Deutschland wirtschaftlich außerordentlich erfolgreich war - wenn auch nur künstlerisches Mittelmaß wie SIEBEN ZWERGE, DAS PARFUM oder DEUTSCHLAND EIN SOMMERMÄRCHEN diese Ernte einfuhr. Zu verdanken ist der hohe Marktanteil auch der großen Zahl deutscher Filme. Es wird schwer sein, 2007 diese Erfolge zu wiederholen. Vor allem aber sollte es für die Förderer zwingend sein, über Kasseneinnahmen ihren Kulturauftrag nicht völlig zu vergessen. Und hier hat Bayern besonders großen Nachholbedarf. Während die Filmstiftung in Nordrhein-Westfalen und das Medienboard in Berlin-Brandenburg auch schwierigere deutsche Filme und Internationales von Lars von Trier, Ken Loach und Jim Jarmusch gefördert werden, sucht man dergleichen Glanz und Wagemutiges in Bayern vergebens. Hier herrschen Mainstream und biederer Geschmack vor.
Auch an den gestrigen Preisen war das zu sehen. Der Lichtblick in diesem Jahr ist VIER MINUTEN von Chris Kraus, der mit vier Preisen die meisten Auszeichnungen bekam - eine "sichere Wahl", die kaum Anstoß erregt, aber auch von fehlender Risikobereitschaft der Preisstifter in der Bayerischen Staatskanzlei zeugt, aber zugleich eine originelle, spannende, von den Hauptdarstellerinnen Monika Bleibtreu und Hannah Herzsprung herausragend gespielte Story; ein Film, dem man einen ähnlichen Publikumserfolg wünscht, wie ihn Florian Henkel von Donnersmarcks Stasi-Schmonzette DAS LEBEN DER ANDEREN erreichte, der im letzten Jahr vier Preise bekam. Der kleine feine Unterschied in diesem Jahr ist freilich, dass der wichtigste, weil höchstdotierte Produzentenpreis 2007 nicht an Kraus' Film ging, sondern an die Produzenten von WER FRÜHER STIRBT, IST LÄNGER TOT. Mit den zwei Preisen für Marcus H. Rosenmüllers altbackenen Retro-Heimatfilm beweisen die Populisten im Auswahlgremium zwar ihren Instinkt fürs Publikum, aber nicht ihren guten Geschmack.
Zugleich fällt auf, dass Bayern als Schauplatz für Geschichten gerade für jüngere Filmemacher zunehmend uninteressant wird. Für das neue Berliner "Hartz IV-Kino" ist der Freistaat zu reich und viel zu saturiert, für Dramen zu langweilig, und als Produktionsort zu teuer. Nur auf das Geld der reichen Sender und Förderer kann man kaum verzichten. Fast alle der Preisträger leben heute in Berlin. Und die Preise sind nur ein weiteres, überdeutliches Indiz dafür, wie sehr Berlin inzwischen München den Rang abgelaufen hat - auch in punkto Glamour.
Noch verräterischer ist, wer nichts bekam: Der gesamte Nachwuchs, der ein wenig unkonventionellere, anspruchsvollere Filme macht, als Rosenmüllers Wiederbelebung von "Opas Kino". Entweder sie wurden längst von den kunstfeindlichen Bedingungen verjagt, wie zum Beispiel die Münchner Nachwuchsregisseure Benjamin Heisenberg und Christoph Hochhäusler, die jetzt zur Gruppe der "Berliner Schule" gehören, oder sie versuchen es als Einzelkämpfer weiter, wie Hans Steinbichler, für dessen Film WINTERREISE, auch ein Heimatfilm, aber einer mit Anspruch und Distanz zum Thema, offenbar am bayerischen Familientisch auch kein Platz ist. Dass sogar solche Filme - urbayrisch, anarchisch, sturköpfig - unverständlicherweise ignoriert werden, lässt für Bayerns Filmzukunft nichts Gutes ahnen.
Rüdiger Suchsland |