Film Without Film |
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Dies ist nur das projizierte Bild einer bereits stattgefunden Performance |
Von Dunja Bialas
Textmaterial, eine Stimme, durch einen Computer verzerrt, Mikroskope, Handkameras, Miniaturfiguren und -landschaften, wie sie im Modelleisenbahnbedarf gefunden werden, Pinzette, Schere und Pipette: Dies sind die Ingredenzien der neuesten Produktion des Münchner Rohtheaters. Seit zwei Jahren erforschen Bülent Kullukcu, Schauspieler, Musiker, Theaterregisseur, und – falls es diese Berufsbezeichnung gibt – Compilateur, Anton Kaun, Spezialist für Live-Video und Noise-Performances, und Dominik Obalski, Dramaturg und Theatermusiker, unter dem Gruppennamen »Rohtheater« die Möglichkeiten des von ihnen so genannten »posthumanen Theaters«. Posthuman: meint keinesfalls ein unmenschliches Theater, mehr zunächst ein Theater ohne Schauspieler, die durch Modellfiguren ersetzt werden und durch Kamerafahrten, die vor Ort passieren, »bewegt« und übermenschengroß auf raumgreifende Leinwände projiziert werden. Und dennoch: »posthuman« im Sinne von nachmenschlich, wenn nicht sogar in die Dimensionen des Unmenschlichen greifend, sind unterschwellig auch die Themen, die sich das Rohtheater vornimmt, immer im freien Rückgriff auf Texte großer Gesellschaftskritiker, wie Karl Kraus’ »Die letzten Tage der Menschheit« oder Elias Canettis »Masse und Macht«.
Unter Einwirkung des Rohtheaters verzerren sich deren Texte zum Roh-Material computermanipulierter und apokalyptischer Prophezeiungen, ein langgezogener Soundteppich, gesättigt mit elektronischen Klangwelten, der sich über Found Footage aus dem Internet legt. Auf den wandgroßen Projektionen ergießen sich dokumentarische Bewegtbilder, mit Szenen von Krieg und Flucht oder auch ethnographischer Momente aus dem Leben der Völker, um die es geht. Dazu gibt es szenische, fiktionale Illustrationen, die aus den gebauten Settings einer Miniaturwelt der Modelleisenbahnen entsteigen, Mikromomente, die eine gleichwie geartete narrative Ebene in den großen theoretischen und medialen Rundumschlag einfließen lassen – durch das Kamera-Close-up vergrößert und als prä-filmisches, bewegtes Bild an die Wand projiziert.
Hier geht's zum Trailer (!) des Stückes
»Aus Mangel an Geld haben wir begonnen, von dem Kleinen auszugehen und dies ganz einfach groß zu machen«, beschreibt Bülent Kullukcu den Rückgriff auf die Modellwelt für die animierten Installationen des Rohtheaters. In seinem neuen Stück, wie die Stücke zuvor ebenfalls mit einem ambitionierten Titel versehen, »Propaganda – Oder der geheimnisvolle Fremde«, greifen sie wieder auf die Welt der Figuren zurück. Gebaute Sets sind diesmal ein Haus und eine Lichtung im Wald, in dem durch nerdige Details in der Ausstattung eine verspielte Art von theaterhafter Repräsentation erzeugt wird, als Bewegtbild-Illusion an die Wand geworfen. Gleichzeitig ertönt vom Band eine computerverzerrte, dadurch maschinenhafte, »posthumane« Stimme. Sie spricht Fragmente aus Edward Bernays' PR-Bibel »Propaganda« von 1928 und Auszüge aus Mark Twains »Der geheimnisvolle Fremde«, um die Zehnerjahre des letzten Jahrhunderts herum entstanden, finstere Schrift seines Spätwerkes, geschrieben unter dem Eindruck der Krise der Jahrhundertwende und im zunehmenden Hass gegen das Christentum und die Kolonialpolitik der Großmächte formuliert.
In einem zweiten Teil der Wandprojektion sehen wir großflächige Mikroskopien von Geldscheinen aus der historisch oder geographisch entlegenen Welt, wie einen Kronenschein aus der österreichischen K&K-Monarchie, oder Banknoten aus Indonesien, Kambodscha oder auch aus Jugoslawien und dem Frankreich zwischen den Weltkriegen. Sie werden gleichfalls fragmentarisch auf ihre Bildmotive gezoomt, Kirchen sind zu sehen, Eisenbahnen, bärtige Priester oder Mütter mit Kindern auf dem Arm, oftmals als papierne Cut-outs, in einem diffus-illustrierenden Verhältnis zum Text.
Die Kamera-Animation der Modellwelten sowie die Mikroskopie der Geldscheine geschehen direkt vor der Leinwand und für alle Zuschauer sichtbar, wie als Performance von Magiern, die im Besitz entsprechender Instrumente sind, um kleine Welten ganz groß zu machen. – Nichts anderes war einst das Prinzip der Laterna magica, die mittels ausgeschnittener Figuren und Schattenprojektion ganze Geschichten zu erzählen vermochte, eine Phase des Illusionierens in der Entwicklung der Kinematographie, dem bewegten Bild und dem Kino.
Das Stattfinden von Film im realen Raum des Lichtspieltheaters – eine Bezeichnung für das Kino, die noch seinen Ursprüngen gerecht wird – wurde auch in der späteren Entwicklung immer wieder aufgegriffen. Zu Stummfilmzeiten gab es den »Kino-Erzähler«, der vor Ort zum Filmbild den Zuschauern die Handlung erzählte. Die Situationisten entspannen Live-Happenings im Kinosaal, Walter Gropius und Erwin Piscators »Totales Theater« kombinierten Filmprojektionen mit Theater. Sie nahmen das Expanded Cinema vorweg, das in den USA der 60er und 70er Jahren projiziertes Bild sowie live und im Raum stattfinde Performances interagierend, in einem heterogen erzeugten aber medial eins werdenden Raum aufführten, wie zum Beispiel im legendären Movie Drome Stan Vanderbeeks, den Mehrfachprojektionen Andy Warhols oder die Film-Performances von Carolee Schneemann, um drei Postionen des amerikanischen Expanded Cinema aufzurufen.
Die mulit-medialen Theaterwelten des Rohtheaters können durchaus in dieser Tradition gesehen werden, die gerade in der Cineasten-Szene eine Wiederentdeckung erlebt. Die Kurzfilmtage in Oberhausen feierten soeben im Mai »Films without film«, »Filme« also, die sich ohne (belichtetes) Filmmaterial ergeben, wie eben eine ausgeklügelte Laterna-magica-Performance, Leinwand-Happenings, bei denen die Zuschauer in den Schein der eingeschalteten Projektorenlampe selbstgefaltete Papierflieger segeln ließen, oder die Projektion des Dias »A Casing Shelved« von Michael Snow, das ein vollgestopftes Regal zeigt, dazu von Tonband seine Stimme, die fast archivarisch die Gegenstände benennt, die zu entdecken sind.
»Film without film«, das kann im Kontext der Erneuerung des Expanded Cinema auch für die Theater-Installtion des Rohtheaters gelten. Mechanisch erzeugte und in einer Live-Performance durchgeführte Montage-Momente werden in direkter Projektion erlebbar gemacht, und dabei ist das projizierte Bild erstaunlich filmisch, an die Montage-Filme der Avantgarde erinnernd. Auch die Modellfiguren fanden schon ihre Aufnahme in die Welt der Kinematographie: Man erinnere nur an den amerikanischen Dokumentarfilm Marwencol von Jeff Malmberg von 2010, der die starre Modell-Welten des Künstlers und Fotografen Mark Hogancamp mit seiner Kamera derart illusorisch zu animieren wusste, dass die gebauten Miniatur-Szenen einen Effekt des Realen erhielten.
Badevergnügen in der Fantasie-Welt Marwencol
Vorausgesetzt, dass man, auch wenn es nicht die Intention des Autors ist, Zuschreibungen tätigen, etwas in einem vorgeführten Werk entdecken und es sogar brutal seinem eingeschriebenen Kontext entreißen darf, bleibt festzustellen:
»Propaganda« ist so nicht nur Film ohne Film, sondern ebenso Theater ohne Theater. Die Sparten-Implosion von Film und Theater und das Niederreißen der Grenzen zwischen Reproduktion und Repräsentation müssen hier ohne Vorbehalte als gemeinsamer Aufbruch der verschiedenen medialen Welten begrüßt werden. Es lebe das Expanded Cinema.
Weitere Auführungen am Do. 29.05., Fr. 30.05. und Di. 03.06.2014 jeweils um 20:30 Uhr in der Galerie Kullukcu & Gregorian, Schillerstraße 23, 3. Stock, München
Mehr Informationen gibt es unter Galerie Kullukcu.