29.05.2014

Film Without Film

Subjektiv - Dokumentarfilm im 21. Jahrhundert
Dies ist nur das projizierte Bild einer bereits stattgefunden Performance

Das Rohtheater aus München beweist mit seinem Stück »Propa­ganda« beispiel­haft die Vitalität des »Expanded Cinema«

Von Dunja Bialas

Text­ma­te­rial, eine Stimme, durch einen Computer verzerrt, Mikro­skope, Hand­ka­meras, Minia­tur­fi­guren und -land­schaften, wie sie im Modell­ei­sen­bahn­be­darf gefunden werden, Pinzette, Schere und Pipette: Dies sind die Ingre­den­zien der neuesten Produk­tion des Münchner Rohthea­ters. Seit zwei Jahren erfor­schen Bülent Kullukcu, Schau­spieler, Musiker, Thea­ter­re­gis­seur, und – falls es diese Berufs­bez­eich­nung gibt – Compi­la­teur, Anton Kaun, Spezia­list für Live-Video und Noise-Perfor­mances, und Dominik Obalski, Dramaturg und Thea­ter­mu­siker, unter dem Grup­pen­namen »Rohtheater« die Möglich­keiten des von ihnen so genannten »post­hu­manen Theaters«. Posthuman: meint keines­falls ein unmensch­li­ches Theater, mehr zunächst ein Theater ohne Schau­spieler, die durch Modell­fi­guren ersetzt werden und durch Kame­ra­fahrten, die vor Ort passieren, »bewegt« und über­men­schen­groß auf raum­grei­fende Leinwände proji­ziert werden. Und dennoch: »posthuman« im Sinne von nach­mensch­lich, wenn nicht sogar in die Dimen­sionen des Unmensch­li­chen greifend, sind unter­schwellig auch die Themen, die sich das Rohtheater vornimmt, immer im freien Rückgriff auf Texte großer Gesell­schafts­kri­tiker, wie Karl Kraus’ »Die letzten Tage der Mensch­heit« oder Elias Canettis »Masse und Macht«.

Unter Einwir­kung des Rohthea­ters verzerren sich deren Texte zum Roh-Material compu­ter­ma­ni­pu­lierter und apoka­lyp­ti­scher Prophezei­ungen, ein lang­ge­zo­gener Sound­tep­pich, gesättigt mit elek­tro­ni­schen Klang­welten, der sich über Found Footage aus dem Internet legt. Auf den wand­großen Projek­tionen ergießen sich doku­men­ta­ri­sche Bewegt­bilder, mit Szenen von Krieg und Flucht oder auch ethno­gra­phi­scher Momente aus dem Leben der Völker, um die es geht. Dazu gibt es szenische, fiktio­nale Illus­tra­tionen, die aus den gebauten Settings einer Minia­tur­welt der Modell­ei­sen­bahnen entsteigen, Mikro­mo­mente, die eine gleichwie geartete narrative Ebene in den großen theo­re­ti­schen und medialen Rund­um­schlag einfließen lassen – durch das Kamera-Close-up vergrößert und als prä-filmi­sches, bewegtes Bild an die Wand proji­ziert.

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Hier geht's zum Trailer (!) des Stückes

»Aus Mangel an Geld haben wir begonnen, von dem Kleinen auszu­gehen und dies ganz einfach groß zu machen«, beschreibt Bülent Kullukcu den Rückgriff auf die Modell­welt für die animierten Instal­la­tionen des Rohthea­ters. In seinem neuen Stück, wie die Stücke zuvor ebenfalls mit einem ambi­tio­nierten Titel versehen, »Propa­ganda – Oder der geheim­nis­volle Fremde«, greifen sie wieder auf die Welt der Figuren zurück. Gebaute Sets sind diesmal ein Haus und eine Lichtung im Wald, in dem durch nerdige Details in der Ausstat­tung eine verspielte Art von thea­ter­hafter Reprä­sen­ta­tion erzeugt wird, als Bewegt­bild-Illusion an die Wand geworfen. Gleichz­eitig ertönt vom Band eine compu­ter­verz­errte, dadurch maschi­nen­hafte, »post­hu­mane« Stimme. Sie spricht Fragmente aus Edward Bernays' PR-Bibel »Propa­ganda« von 1928 und Auszüge aus Mark Twains »Der geheim­nis­volle Fremde«, um die Zehner­jahre des letzten Jahr­hun­derts herum entstanden, finstere Schrift seines Spät­werkes, geschrieben unter dem Eindruck der Krise der Jahr­hun­dert­wende und im zuneh­menden Hass gegen das Chris­tentum und die Kolo­ni­al­po­litik der Großmächte formu­liert.

In einem zweiten Teil der Wand­pro­jek­tion sehen wir großflächige Mikro­sko­pien von Geld­scheinen aus der histo­risch oder geogra­phisch entle­genen Welt, wie einen Kronen­schein aus der öster­rei­chi­schen K&K-Monarchie, oder Banknoten aus Indo­ne­sien, Kambo­dscha oder auch aus Jugo­sla­wien und dem Frank­reich zwischen den Welt­kriegen. Sie werden gleich­falls frag­men­ta­risch auf ihre Bild­mo­tive gezoomt, Kirchen sind zu sehen, Eisen­bahnen, bärtige Priester oder Mütter mit Kindern auf dem Arm, oftmals als papierne Cut-outs, in einem diffus-illus­trie­renden Verhältnis zum Text.

Die Kamera-Animation der Modell­welten sowie die Mikro­skopie der Geld­scheine geschehen direkt vor der Leinwand und für alle Zuschauer sichtbar, wie als Perfor­mance von Magiern, die im Besitz entspre­chender Instru­mente sind, um kleine Welten ganz groß zu machen. – Nichts anderes war einst das Prinzip der Laterna magica, die mittels ausge­schnit­tener Figuren und Schat­ten­pro­jek­tion ganze Geschichten zu erzählen vermochte, eine Phase des Illu­sio­nie­rens in der Entwick­lung der Kine­ma­to­gra­phie, dem bewegten Bild und dem Kino.

Das Statt­finden von Film im realen Raum des Licht­spiel­thea­ters – eine Bezeich­nung für das Kino, die noch seinen Ursprüngen gerecht wird – wurde auch in der späteren Entwick­lung immer wieder aufge­griffen. Zu Stumm­filmz­eiten gab es den »Kino-Erzähler«, der vor Ort zum Filmbild den Zuschauern die Handlung erzählte. Die Situa­tio­nisten entspannen Live-Happe­nings im Kinosaal, Walter Gropius und Erwin Piscators »Totales Theater« kombi­nierten Film­pro­jek­tionen mit Theater. Sie nahmen das Expanded Cinema vorweg, das in den USA der 60er und 70er Jahren proji­ziertes Bild sowie live und im Raum statt­finde Perfor­mances inter­agie­rend, in einem heterogen erzeugten aber medial eins werdenden Raum aufführten, wie zum Beispiel im legen­dären Movie Drome Stan Vander­beeks, den Mehr­fach­pro­jek­tionen Andy Warhols oder die Film-Perfor­mances von Carolee Schnee­mann, um drei Postionen des ameri­ka­ni­schen Expanded Cinema aufzu­rufen.

Die mulit-medialen Thea­ter­welten des Rohthea­ters können durchaus in dieser Tradition gesehen werden, die gerade in der Cineasten-Szene eine Wieder­ent­de­ckung erlebt. Die Kurz­film­tage in Ober­hausen feierten soeben im Mai »Films without film«, »Filme« also, die sich ohne (belich­tetes) Film­ma­te­rial ergeben, wie eben eine ausge­klü­gelte Laterna-magica-Perfor­mance, Leinwand-Happe­nings, bei denen die Zuschauer in den Schein der einge­schal­teten Projek­to­ren­lampe selbst­ge­fal­tete Papier­flieger segeln ließen, oder die Projek­tion des Dias »A Casing Shelved« von Michael Snow, das ein voll­ge­stopftes Regal zeigt, dazu von Tonband seine Stimme, die fast archi­va­risch die Gegen­s­tände benennt, die zu entdecken sind.

»Film without film«, das kann im Kontext der Erneue­rung des Expanded Cinema auch für die Theater-Install­tion des Rohthea­ters gelten. Mecha­nisch erzeugte und in einer Live-Perfor­mance durch­ge­führte Montage-Momente werden in direkter Projek­tion erlebbar gemacht, und dabei ist das proji­zierte Bild erstaun­lich filmisch, an die Montage-Filme der Avant­garde erinnernd. Auch die Modell­fi­guren fanden schon ihre Aufnahme in die Welt der Kine­ma­to­gra­phie: Man erinnere nur an den ameri­ka­ni­schen Doku­men­tar­film Marwencol von Jeff Malmberg von 2010, der die starre Modell-Welten des Künstlers und Foto­grafen Mark Hogancamp mit seiner Kamera derart illu­so­risch zu animieren wusste, dass die gebauten Miniatur-Szenen einen Effekt des Realen erhielten.

Presents

Bade­ver­gnügen in der Fantasie-Welt Marwencol

Voraus­ge­setzt, dass man, auch wenn es nicht die Intention des Autors ist, Zuschrei­bungen tätigen, etwas in einem vorge­führten Werk entdecken und es sogar brutal seinem einge­schrie­benen Kontext entreißen darf, bleibt fest­zu­stellen:

»Propa­ganda« ist so nicht nur Film ohne Film, sondern ebenso Theater ohne Theater. Die Sparten-Implosion von Film und Theater und das Nieder­reißen der Grenzen zwischen Repro­duk­tion und Reprä­sen­ta­tion müssen hier ohne Vorbe­halte als gemein­samer Aufbruch der verschie­denen medialen Welten begrüßt werden. Es lebe das Expanded Cinema.

Weitere Aufüh­rungen am Do. 29.05., Fr. 30.05. und Di. 03.06.2014 jeweils um 20:30 Uhr in der Galerie Kullukcu & Gregorian, Schil­ler­straße 23, 3. Stock, München
Mehr Infor­ma­tionen gibt es unter Galerie Kullukcu.

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