»Ich bin ein Feminist!« |
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Isabelle Huppert in Merci pour le chocolat |
Merci pour le chocolat, auf deutsch Süßes Gift heißt der neueste Streich des französischen Regiemeisters Claude Chabrol. Der Regisseur, der im vergangenen Jahr seinen 70ten Geburtstag feierte, begann als Filmkritiker, und schrieb einst das erste intelligente Buch über Alfred Hitchcock. In seinen über 50 Spielfilmen (gelegentlich tritt Chabrol, der auch eine bahnbrechende historische Dokumentation über das Vichy-Regime während der deutschen Besatzung Frankreichs gedreht hat, auch als Schauspieler auf), widmet er sich mit Vorliebe den düsteren Abgründen des Bürgertums. Mit Chabrol sprach Rüdiger Suchsland.
Artechock: Mögen Sie eigentlich Schokolade?
Claude Chabrol: Oh ja, sehr gerne. Überhaupt esse ich gerne, ohne Essen läuft bei mir gar nichts.
Auch nicht in Ihren Filmen, fast immer kommen darin auch Mahlzeiten vor...
Chabrol: Das sind natürlich alles wahnsinnig intelligente Metaphern, sehr durchdacht, sehr clever... [Lacht]. Ich könnte Ihnen jetzt auch erzählen, dass ein Regisseur wie ein Koch ist, der viele Zutaten mischt, tolle Rezepte kennt, hier noch ein bisschen Zucker, dort noch etwas Pfeffer... Das ist ein beliebtes Stereotyp, aber natürlich ist da etwas dran.
Diesmal geht es aber tatsächlich auch um Nahrungsmittel...
Chabrol: Ja, Schokolade und Wasser vor allem. Das Essen als Ausdruck und als Mittel der Verirrungen der Figuren, ihrer geheimen Seiten. Da ist schon etwas dran. Das eigentliche Thema meines Films ist aber die Perversität.
Inwiefern?
Chabrol: Perversität bedeutet ja nicht Sexspiele mit der Peitsche. Pervers finde ich, wenn einer nur noch in einer selbst konstruierten Scheinwelt lebt, wie der Musiker im Film, oder wenn seine Gattin, die Isabelle Huppert spielt, den fürsorglichen Familienengel vorspielt. Aber unter ihrer netten Oberfläche brodelt das Böse. Solche zwischenmenschlichen Verhältnisse sind pervers, und produzieren weitere perverse Verhaltensweisen.
Die finden Sie diesmal nicht wie gewohnt in französischen Verhältnissen, sondern in der Schweiz. Das ist doch ein hübsches, liebenswertes Land. Warum dort?
Chabrol: Die Schweiz gilt als Bastion der Wohlanständigkeit. Es ist doch schön, wenn dieses Bild ein paar Risse bekommt. Im Land der glücklichen Kühe können die Menschen ganz schön unglücklich sein.
Warum erzählen Sie immer wieder »böse« Geschichten?
Chabrol: Ich bin ganz normal. Menschen, die ihr Gleichgewicht verlieren, erschrecken und faszinieren mich. Mich interessieren solche Charaktere mehr, als langweilige. Und außerdem gibt es das öfter, als man denkt
Sie lieben die Frauengestalten, Männer kommen meistens schlecht weg bei Ihnen, wirken schwach...
Chabrol: So ist das Leben. Ich fühle mich selber schwach, wenn auch im Vergleich zu anderen Männern etwas weniger schwach. Dass Frauen uns aushalten, ist mir ein Rätsel. Das von Männern errichtete Machtsystem entlarvt sich immer mehr als absurd. Frauen sind viel praktischer orientiert als Männer, ihnen gehört die Zukunft. Sie sehen, ich bin ein Feminist. Aber nicht militant!
Sie sind jetzt 70 Jahre alt, und drehen pro Jahr einen Film. Wie schaffen Sie dieses Pensum? Fühlen Sie sich nicht manchmal zu routiniert oder zu alt für bestimmte Themen?
Chabrol: Überhaupt nicht. Ich reduziere nur das Tempo. Früher habe ich drei Filme in zwei Jahren gedreht, jetzt zwei Filme alle drei Jahre. Das ist immer noch zu viel. Wenn ich keine Filme mache, wird mir schnell langweilig. Ich sitze dann in meinem Büro, aber was soll ich da eigentlich? Aber nach einigen Tagen packt mich die Unruhe, ohne Arbeit fühle ich mich nicht wohl.
Woran arbeiten Sie als nächstes?
Chabrol: Mit 70 überlegt man sich sorgfältig, was man als nächstes macht, noch mal 50 Filme wird schwierig nicht wahr? [Lacht] Mit anderen Worten: Ich arbeite nicht, sondern ich denke nach!
Worüber?
Chabrol: Nehmen Sie zum Beispiel ein Liebespaar auf der Straße. Sie küssen sich. Plötzlich klingelt sein Mobiltelefon. Das ist doch kurios.
Wie wäre es mit einem Film über die sozialen Folgen der Handy-Nutzung?
Chabrol: Nie und nimmer! Viel spannender fände ich einen Film über die Folgen des Internet. Eine tolle und demokratische Erfindung. Ohne Kontrolle kommt man überall auf der Welt an Informationen. Eine grenzenlose Freiheit und Möglichkeit für jeden. Doch wer kann überhaupt noch zwischen wahren und falschen Informationen unterscheiden? Da gibt es völlig unterschiedliche Vorstellungen von Wirklichkeit. Wobei wir wieder bei Merci pour le chocolat wären. Auch dort lebt jeder in seiner
eigenen Wirklichkeit.
Auf was konzentrieren Sie sich stärker – auf die Bilder oder die Geschichte?
Chabrol: Das Wichtigste sind natürlich die Bilder, sie helfen, die wahre Geschichte zu erzählen. Sie müssen auch Unausgesprochenes enthalten, Dinge, die man fühlt oder ahnt, die Geschichte hinter der Geschichte. Kino muss den Zuschauer zu dem führen, was er nicht sieht.