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artechock: Nach dem großen Jubiläum im
Vorjahr wird 2002 wieder ein 'normales' Festival. Allgemein
hat die Feierstimmung ja ein bisschen nachgelassen. Was
ist dieses Jahr das Neue in Mannheim-Heidelberg?
Kötz: Ich will mal so sagen: Unsere Stärke
besteht darin Newcomer-Filme zu zeigen, und keine Kompromisse
zu machen. Darin sind wie einzigartig. Mir fällt kein
weiteres Festival ein, dass dies so konsequent betreibt, nicht
einmal weltweit. Sundance hat es versucht.
Wir zeigen nur Newcomer-Filme und vertrauen darauf, dass die
Qualität der Filme, die wir da entdecken auch schon die
ganze Qualität des Festivals ausmachen. Das ist genaugenommen
sehr riskant:
Also ein Festival für Entdeckungen...
Ja! Ein Festival für junge Regisseure, die kaum jemand
kennt. Wir haben damit keinen einzigen großen Namen
als Magnet. Weder für die Branche, noch fürs Publikum.
Alles hängt von der Qualität ab. Wir müssen
uns nach oben vergleichen, nicht nach unten. Also: Die Besucher
dürfen nicht sagen: Für Mannheim-Heidelberg ganz
nett, sondern sie müssen sagen: Das ist so hochkarätig,
dass man sich in Berlin und Cannes auch freuen würde,
wenn man diese Filme hätte. Das müssen wir bringen!
Ist Mannheim-Heidelberg also das europäische Sundance?
Ganz genau. Ich weiß nur nicht, ob ich Sundance so
weit loben würde... [Lacht] Mal ehrlich! Ich weiß,
es klingt ja arrogant. Aber außer Sundance fällt
mir tatsächlich kein weiteres ein. Natürlich sagen
sie alle, sie seien ein "Independent"-Showcase.
Sogar das Filmfest Hamburg. Natürlich zeigen sie alle
irgendwelche Newcomer, das ist auch klar. Aber niemals ausschließlich
und in dem sie sich wirklich darauf verlassen, dass das, was
sie da ausgebuddelt haben, trägt; das es wirklich so
gut ist, dass das Festival davon lebt und dass jeder der da
ist sagt: Es hat sich gelohnt, dahin zu fahren. Das Risiko
geht keiner sonst ein. Ich kenne keinen. Manche können
es sich auch nicht leisten, die würde man sofort rausschmeißen.
Thessaloniki oder San Sebastian oder Rotterdam müssen
eine andere Aufgabe erfüllen, dass sind die einzigen
internationalen Festivals ihrer Länder.
In dem Punkt hat es einen Vorteil, dass es in Deutschland
so viele Festivals gibt. Wir können uns diese Spezialisierung
leisten. Oberhausen zeigt nur Kurzfilme, Leipzig nur Dokumentationen
- und es funktioniert.
Die Abgrenzung zu den vielen anderes Festivals ist nicht nur
der Verzicht auf große Namen, sondern auch, dass es
sich um echte Premieren handelt. Das ist kein Snobismus...
Was heißt "echt"?
Am besten Weltpremieren, möglichst internationale,
in jedem Fall europäische Premieren. Das heißt,
es geht um Filme, die nicht schon woanders zu sehen waren.
Wir haben eine Ausschlußliste, die auch schon international
bekannt ist: Wir zeigen die Filme im Wettbewerb von Mannheim-Heidelberg,
möglichst auch in der Reihe "international discoveries"
nur, wenn sie auf keiner Sektion der großen Festivals
liefen. Wir spielen die Filme auch nicht, wenn sie auf einem
deutschen Festival liefen.
Leider ist die FIAP ein Schnarchverein, der sich weigert,
endlich Ordnung in das Festivalchaos zu bringen, darum machen
wir das halt selber. Das hat vor allem den Sinn, das es sich
wirklich in jedem Fall für die Profis - Einkäufer
für Film und TV-Anstalten, Verleiher, Journalisten -
lohnt, hierher zu fahren. Es gibt 600-700 Festivals und davon
mindestens 80 relevante - das ist Irrsinn! Kein Mensch kommt,
wenn es auch nur den Anschein besitzt, es sei unnötig,
dahin zu fahren. Es fährt schon keiner mehr 10 Tage nach
Cannes. Ich weiß auch, dass die nicht 10 Tage nach Mannheim-Heidelberg
fahren. Deswegen gehört es zu unserem Service jeden Film
zu jeder Zeit sehen zu können, möglichst im Kino,
aber notfalls auf VHS-Kassetten an besonderen Sichtplätzen.
Hauptsache, sie kommen überhaupt. Immerhin haben wir
Fachbesucher aus 30, 40 Ländern, und steigern das jedes
Jahr. Aber das hat auch den Hintergrund: Wenn die nicht kommen,
dann bekommen wir umgekehrt die guten Filme nicht mehr.
Das ist also der Grund. Das hat nichts mit Snobismus zu tun
oder dem falschen Ehrgeiz, ein kleines Cannes in Baden-Württemberg
veranstalten zu wollen. Sondern es ist eine Conditio sine
qua non für dieses Festival. Weil heute - so bedauerlich
das ist - niemand mehr Filme nur um der Kunst allein macht.
Sondern es hängt eine Kette von Geschäften daran.
Die Medienindustrie ist die neue Schwerindustrie, deswegen
kriegt man Premieren nur, wenn Folgegeschäfte im Hintergrund
laufen. Wenn davon nicht einiges läuft, spricht sich
das herum und das war's. Dann kann man hier in zwei Jahren
dichtmachen.
Ich habe zu Beginn meiner Laufbahn mal eine berühmte
Branchenfrau aus New York gefragt, was sie von Mannheim hält,
und sie hat geantwortet: "The industry is not there."
Damit war für sie klar: Das bringt's nicht. Und für
mich: Die muss kommen. Das mussten wir ändern.
So: Das ist der eine Grund.
Fürs Publikum wäre das egal. Dem Publikum ist es
absolut egal, ob der Film in Cannes war oder Venedig, weil
sie da nämlich nicht gewesen sind.
Für die Zuschauer meine ich mit "echten Premieren"
etwas anderes: Dass diese Film eine Authentizität haben,
dass sie einem nicht so vorkommen, als hätte man alles
schon 100 Mal gesehen. Sondern sie sollen Einzelstücke
sein, man soll das Gefühl haben, ein Autor... - wir reden
von Autorenfilm, es ist mir egal, ob dieser Begriff veraltet
ist, völlig zu Unrecht. Der Begriff müsste eigentlich
ganz modern sein, und jedes Jahr noch moderner werden. Es
ist ein völliger Unsinn, dass der in die Defensive geraten
ist. Das verdanken wir diesen Yuppie-80er und 90er-Jahren.
Weil manche Leute damals glaubten: Damit kann man keine Kohle
machen.
Und schon haben sich alle angepasst, leider auch eine Menge
sogenannter Intellektueller, die es überhaupt nicht nötig
gehabt hätten.
Also mit anderen Worten: Ich liebe den Autorenfilm. Aber nicht,
weil ich ein alter 68er-Mohikaner bin, der nichts mit Geld
zu tun haben will. Ich habe gar nichts gegen Umsätze.
Aber ich habe was gegen Umsätze durch dummes Zeug. Und
ich habe was dagegen, dass Menschen für dumm verkauft
werden - ich bin immer noch ein politischer Mensch. Autorenfilm
hat zudem eine Riesenspanne von fast-nur-kommerziell bis Fast-versteht-uns-keiner-mehr.
Ich möchte, dass das Publikum nicht abgespeist wird mit
Filmen, mit denen einer nur Geld machen will, also stattdessen
auch Würstchen produzieren könnte. Ich mag aber
auch keine schlechten Würstchen.
Wie haben sich die Zuschauerzahlen in Mannheim-Heidelberg
entwickelt?
Wir haben vor 10 Jahren bei ungefähr 10. bis 12.000
angefangen, und sind jetzt bei 60.000 Eintritten. Also drei
bis viermal soviel. Am Anfang waren die Kinos abends nur selten
voll, jetzt immer. Am Anfang war sogar das Stadthaus in Mannheim
schlecht besucht. Aber was sollen Zahlen?
Sie sagen etwas aus. Immerhin hat Mannheim-Heidelberg
mehr Zuschauer als etwa Hamburg, obwohl dort die Stadt größer
ist, und das Publikum - denkt man - sich eher für ein
Filmfestival begeistern müsste. Das ist erstaunlich...
Die machen da was falsch - das ist meine Antwort. Wobei
ich gar nicht gegen Hamburg stänkern will...
Stänker ruhig gegen Hamburg...
Nein. Lass uns doch mal unspezifisch sagen, generell zu
Festivals: Ich habe viel gelernt in meinem Job. Ich war ja
davor Journalist, Filmkritiker. Und habe natürlich anfangs
gedacht: klar weiß ich, was ein guter Film ist. Und
das kann man ja auch privat wissen und man kann es auch in
der Zeitung verbrezeln, nur ein gutes Programm kann man so
nicht machen. Da muss Mitstreiter suchen, die mit aussuchen,
entscheiden, und einen notfalls auch mal überstimmen.
Denn man hat zum Beispiel persönliche Aversionen gegen
dies und jenes. Soll man deshalb dem Publikum vorenthalten?
Was ich vor allen Dingen begriffen habe: Man muss das lieben,
was man macht. Sonst kann man das alles vergessen. Ich bin
sozusagen eine Art Triebtäter. Wenn das fehlt, setzt
man keine Kräfte frei. Und es gibt offensichtlich viele
Kollegen, die lieben das nicht wirklich, was sie machen. Die
lieben eher ihr Gehalt dabei, oder das sie einmal im Jahr
groß rauskommen und auf der Bühne stehen - was
ich auch nicht schlecht finde. Ich mag das sogar ganz gerne.
Aber das ist nicht der Grund. Ich nehme das mit, aber es reicht
nicht aus als Motivation. Und nur, wenn man das mag, was man
da tut, wird ein Filmfestival auch gut, das ist leider so.
Sonst fängt man an zu kalkulieren und zu berechnen, und
die Zuschauer merken das. Ein Festival braucht das Vertrauen
der Zuschauer.
Jetzt machen wir immer Umfragen, und stellen fest: mindestens
ein Drittel der Zuschauer kommt blanko. Die kommen einfach.
Weil sie uns vertrauen. Das ist genial. Und deswegen sind
die Kinos voll.
Das zweite: Es gibt ja in Deutschland 40, 50 Festivals. Da
sind Leute dabei, die fast ehrenamtlich, mit sehr wenig Geld
ein wunderbares Programm machen. Natürlich haben die
nicht wie wir lauter Premieren, das schaffen die gar nicht,
aber sie machen eine tolle Arbeit - und wären für
manches grössere Festival die bessere Besetzung. Weil
sie nämlich auch lieben, was sie tun. Aber sie haben
einen schweren Stand: Sie machen Programmkino in konzentrierter
Form und werden von den Sales-Agents und Verleihern abkassiert
- und aus deren Sicht auch mit Recht und Notwendigkeit. Während
manche größeren wie Hamburg oder München eigentlich
wenig Originelles machen, aber dauernd in der Presse vorkommen.
Ich meine nicht, dass das nicht nette Menschen sind und dass
sie sich nicht auch Mühe geben. Aber sie nutzen die Stärke,
die sie hätten, gar nicht aus. Sie wagen nichts, sondern
machen so eine bequeme Tour. Man kann es auch polemisch sagen:
Sie geben jede Menge Steuergelder aus, um heimliche Verleihsubvention
zu betreiben, bezahlen mit Steuergeldern die Hotelsuite und
den Hairdresser, damit irgendwas im "Stern" drinsteht,
dass der Star xy auf diesem Filmfest war, weil er das Filmfest
so toll fand. In Wirklichkeit war das der PR-Start und der
Verleiher hat das Filmfest benutzt, um sich diese Kosten schon
mal zu sparen. Ich weiß nicht, warum das sein muss...
In DM gerechnet hat das Filmfest München einen offiziellen
Etat von knapp 6 Millionen...
Ich möchte wissen, wie die das ausgeben! Das ist mir
ein Rätsel. Ich habe 1,2 Millionen EURO für zwei
Tage mehr, und bei nur einem deutschen Film, also lauter hohen
Reisekosten. Alle Regisseure kommen und wohnen natürlich
auch im Hotel. Wenn ich das Dreifache hätte, da könnte
man sich schöne Sachen einfallen lassen... Unser Konkurrent,
das Festival in Locarno, das immer ein Festival für Newcomer
war, es jetzt aber nicht mehr ist, hat sechs Millionen Euro
zur Verfügung und leistet auch nicht mehr. Wir drehen
jeden Euro sieben Mal um, bevor wir ihn ausgeben. Das Festival
müsste, um jetzt mal eine realistische Zahl zu sagen,
einen Etat von 3,5 Millionen Euro haben, dann könnte
man auch ein paar Leute an stellen und nicht immer nur auf
Zeitvertragsbasis mitarbeiten lassen.
Aber was schon umgekehrt auch eine Frage ist: Hat man
es nicht in einer Stadt wie Mannheim leichter, so ein unabhängiges
Festival aufzuziehen, wie in München oder Hamburg?
Da hast Du recht! Die haben es bestimmt schwerer. Meine
Vorgänger und ich haben hier einen ungeheuren Spielraum:
Die Städte Mannheim und Heidelberg geben das Geld aus
reinem Idealismus. Das Land Baden-Württemberg auch, obwohl
die natürlich - was ja auch ok ist - ein bisschen Regionalpolitik
betreiben - wenn auch nicht so krass wie NRW. Es ist nahezu
Idealismus. Denn das Festival hat in den Städten keine
Branchenlobby zu bedienen. Die machen das aus Überzeugung,
eine wichtige kulturelle Sache zu subventionieren. Man hat
andererseits dauernd das Problem, dass man die Städte
auch überzeugen muss, dass sie bei knappen Kassen immer
noch idealistisch bleiben. Das fällt denen gelegentlich
schwer - was wiederum verständlich ist. Das ist aber
dann auch der Job.
Auf der anderen Seite: In München, Hamburg, Berlin, Köln
hat man vor Ort eine Lobby. Das Geld ist einfacher zu beschaffen.
Andererseits gibt es dann auch die ganze Wucht der Trägheiten
und Dummheiten, die in der Branche so vorhanden sind.
Alexander Kluge hat mal gesagt: Er hat nichts gegen Kaufleute,
aber er hat etwas gegen dumme Kaufleute. Das ist auch mein
Problem; in jedem Bereich, aber besonders bei Filmkaufleuten.
Denn die bilden sich auch noch ein, dass sie wissen, was die
Menschen wollen. Und sie wissen's selten. Die denken immer,
dass alle so denken wie sie und im Grunde einen genauso schlechten
Geschmack haben. Wie soll denn einer Kunstfilme verleihen
und im Kino zeigen, der nie freiwillig selber einen anschauen
würde.? Das wird aber nie ausgesprochen. Und das gibt's
nur im Filmbereich! Man stelle sich mal einen Opernhaus-Intendanten
vor, der keine komplexen Opern mag. Das gibt's nicht. Aber
im Kinobereich gibt's jede Menge Leute, die überhaupt
nicht wissen, was sie mit, sagen wir, Godard anfangen sollen.
Die wissen vielleicht auch gar nicht, wer das ist. Natürlich
zeigen die den nicht! Es sei denn, irgendein Verleiher mit
viel Werbeaufwand sagt denen: Das bringt zwei Millionen Zuschauer.
Dann machen sie's vielleicht. Aber sie gehen selber nicht
rein, um zu gucken, was sie da zeigen. Besser nicht. Weil
sie's nicht verstehen würden. Und das erklärt eigentlich
sehr viel. Aber es sagt kaum jemand in dieser Branche ...
Manche Kritiker vielleicht...
Ja, Kritiker, die aber in der Branche nicht ernst genommen
werden. Was dieser Filmbranche fehlt, was aber in anderen
Branchen völlig selbstverständlich ist, ist, dass
Leute mit einem gewissen Geist und Sachkenntnis und auch Branchenwissen
mal ein paar Wahrheiten sagen. Die schonen sich alle, weil
sie sich sagen: wenn ich jetzt sowas sage, dann werden die
nie meine Filme spielen. Diese Dummheit zeigt sich auch beim
Thema Filmförderung: Da wird es dann ernst, denn das
sind wirklich Steuergelder. Aber das wäre ein anderes
Thema.
Da können wir aber gleich anschließen. Denn
manche Leute im Land sind ja der Ansicht, dass das Festival
Mannheim-Heidelberg etwas gegen deutsche Filme hat. Lange
Zeit gab es gar keinen Film. In diesem Jahr immerhin einen.
Aber bei rund 50 Filmen ist der deutsche Film nicht gerade
überrepräsentiert...
Die Frage ist schnell beantwortet: Mannheim-Heidelberg hat
nichts gegen deutsche Filme, aber die deutschen Filmproduzenten
haben etwas gegen Mannheim-Heidelberg. Jedenfalls in der Mehrheit.
Offensichtlich.
Dafür gibt es einen historischen Grund: In den 80ern,
als alle anfingen - Stichwort Yuppie-Zeitalter - endlich mit
diesen "Problemfilmen" aufhören zu wollen,
weil man damit nicht genug Umsatz macht, als der Rausch der
großen Umsatzzahlen anfing, der ja gerade triumphal
baden geht, da hat meine Vorgängerin starr nichts mit
Geld zu tun haben wollen. Damit war sie zwar tapfer, es war
aber trotzdem falsch. Man muss natürlich erst recht etwas
mit Geld zu tun haben wollen, wo es um intelligente Kino geht.
Mannheim war nicht der Ort für die Beziehungsfilmchen
und ähnliches jener Zeit. Und Mannheim ist auch nicht,
wie etwa Hof dafür bekannt, dass man dort irgendwelchen
netten Nächte verbringen kann - was ja auch noch eine
Rolle spielt. Und dann liegt es auch nicht, wie Locarno an
einem netten See mit Palmen, sondern ist auch eine Industriestadt.
Das zusammen war alles relativ tödlich für das genießende
Yuppie-Zeitalter. Das war der historische Grund.
Hinzukommt: In der Branche ist Michael Kötz nicht dafür
bekannt, dass er jetzt freiwillig besonders gern über
ein Filmfestival ein Motto schreiben würde "Das
Schönste am Film sind die Frauen" - wie das 'mal
in München hieß. Weil ich mir dabei so blöd
vorkäme... Und das zusammen war einfach schlecht.
Aber jetzt kommen bessere Zeiten: Wir bekamen einen Anruf
von einem jungen Regisseur aus den neuen Bundesländern,
der fand: Mannheim ist doch ein renommiertes Festival, die
nehmen die Sache ernst, da will ich meinen Film hinbringen.
Der kam von sich aus: Ein sehr begabter Regisseur, der bisher
Theater gemacht hat. Der Film ist nicht perfekt, aber ein
hohes Talent. Und damit haben wir plötzlich bei uns im
Land einen Effekt, an den wir international völlig gewöhnt
sind.
Denn um es klar zu sagen: Wenn wir einen Film wollen, den
Hamburg auch will, dann hat Hamburg ganz schlechte Karten.
Es ist international völlig umgekehrt: Ein absurdes Verhältnis
zwischen der Wahrnehmung Mannheim-Heidelbergs im Ausland und
aus der Perspektive München-Hamburg. Schon ab der Schweiz
sind wir sehr anerkannt. Es ist absurd, aber ich kann es auch
nicht ändern. Obwohl es einen schon wurmt. Wir fühlen
uns eindeutig ungerecht behandelt.
Gibt es keine Pläne, das zu ändern?
Es gab einen wunderbaren Plan. Vor zwei Jahren meldeten
sich die deutschen Arthouse-Verleiher, um eine Art deutsche
Arthouse-Messe zu veranstalten. Die hatten die Schnauze voll,
dass ihnen die Großen immer die Schau stehlen. Und fanden
Mannheim-Heidelberg wäre doch ein toller Ort dafür.
Womit sie völlig recht hatten. Wir haben uns auch sofort
ins Zeug gelegt. Ja und dann kam ein Kinobesitzer - mir ist
wirklich grade der Name entfallen, sonst würde ich ihn
auch nennen-, der hat dann ein Interview herumgereicht, wo
ich darüber geklagt hatte, dass die Programmkinobetreiber
keine richtige Programmhoheit mehr haben, nicht mehr zeigen
können, was sie zeigen wollen. Das hat er als Beleg dafür
genommen, dass ich gegen die Programmkinoleute sei. Der doppelte
intellektuelle Rittberger bei beschränktem IQ.
Aber der hat die so lange belabert, bis er sich durchgesetzt
hatte. Sonst hätten wir diesen Schauplatz für die
deutsche Verleihszene intelligenterer Filme gemacht.
Ich kenne ja auch gute deutsche Filme, die noch nirgendwo
gelaufen sind. Mannheim wäre doch der beste Ort, ein
Gegenbild zu setzen: Es gibt auch anderes deutsche Kino.
Hof kann das nicht leisten, München ist zu branchenhörig,
zu fixiert auf die finanzierenden TV-Sender.
Natürlich gibt es gute deutsche Filme. Aber die nehmen
sich dann auch oft das Forum der Berlinale und Holighaus'
neue Reihe in Berlin oder Saarbrücken. Da gibt es Konkurrenz,
da kommen wir immer zu spät. Aber strategisch versuchen
wir dieses Vorurteil gegen Mannheim-Heidelberg innerhalb der
Branche sozusagen von hinten aufzurollen. Es gibt nämlich
andererseits, trotz aller Vorurteile kaum einen deutschen
Filmproduzenten, der nicht schon von den "Mannheim Meetings"
gehört hätte mit ihren wunderbaren Geschäftsmöglichkeiten,
und der dann nicht angefangen hätte, sich zu sagen: Hof
ist vielleicht netter, aber Mannheim ist effektiver ...
Das letzte Jahr war ja sehr erfolgreich: Insgesamt fünf
Filme, also knapp 20 Prozent der Wettbewerbs-Filme haben
einen deutschen Verleih bekommen, dazu kommen internationale
Verkäufe. ELLING hatte großen Erfolg, KIRA wurde
nicht nur zum besten Film des Jahres von der FIPRESCI (der
internationalen Filmkritikervereinigung) ernannt, der Film
hat auch einen Verleih bekommen. Ist das typisch, oder gibt
es hier auch steigende Tendenzen?
Das ist schon seit ein paar Jahren so. Und dass nicht mehr
Filme ins Kino kommen, liegt leider daran, dass nicht mehr
gewagt wird von Verleiherseite her. Es liegt leider auch am
Publikum. Das ist ein Kapitel, das wäre mehrere Promotionsarbeiten
wert: Warum wir so viele Zuschauer haben, die in solche Filme
gehen, und warum sie das den Rest des Jahres über das
nicht tun. Jedenfalls faktisch nicht. Aber vielleicht würden
sie es, wenn man sich andere Dinge einfallen ließe.
Gibt es in Mannheim eigentlich Programmkinos?
Ja, das "Atlantis" und das "Odeon" in
denen wir auch spielen. Aber das sind ganz typische Programmkinos
der Gegenwart, die werden immer kommerzieller. Das ist ganz
merkwürdig. Irgendwas läuft da schief.
Kinobetreiber beklagen rückläufige Zuschauerzahlen.
Die Ufa-Kette, immerhin die drittgrösste Kinokette
Deutschlands, meldet Insolvenz an. Steckt das Kino in der
Krise, wollen die Menschen keine Filme mehr sehen?
Dem Kino geht es ganz gut in Deutschland. Es gibt genügend
Zuschauer, aber eine schleichende Krise ist dennoch feststellbar.
Ich will jetzt aber nicht über den Mainstream reden,
Ufa-Kinos zeigen ja Mainstream, und der läuft schon ganz
gut, hat auch eigene Marketing-Strategien, mit denen man auf
Probleme effektiv reagieren kann. Mir geht es um den Kunstfilm,
den sogenannten Arthaus-Filmbereich, um die Autorenfilme.
Hier ist, jedenfalls in Deutschland, viel falsch gemacht worden.
Die Zuschauer haben das Vertrauen in Arthaus-Filme verloren,
in die Kinos, die Programmkinos zum Beispiel. Wenn die Programmkinos
nicht mitspielen, können die Verleiher auch die schönsten
Filme nicht unterbringen. Es gibt viele, die sagen, es liege
an den Zuschauern, die keine komplizierten Filme mehr sehen
wollten. Allerdings haben wir ja beim Festival immer die Kinos
voll, wie Sie wissen, obwohl unsere Filme durchaus auch kompliziert
sein können. Aber es sind immer Filme von Autoren mit
einer persönlichen Handschrift - es sind eben genau die
Filme, von denen es heißt, sie laufen im Kino nicht
richtig. Das ist doch ein Widerspruch. Die Standardantwort
auf diesen Widerspruch lautet: Das ist der Eventcharakter
des Festivals, da läuft das, im Alltag nicht. Ich will
jetzt nicht schwören, dass diese Antwort falsch ist,
aber vielleicht könnte man mal Überlegen, welche
Gründe es noch geben könnte.
Und welche kämen in Frage?
Zunächst der angesprochene Vertrauensschwund. Die Programmkinos
haben aufgehört, konsequent interessante und gute Filme
zu zeigen. Sie haben sie durchmischt mit halb guten Filmen,
von denen man sich aber kommerziell mehr versprochen hat,
so dass heute der Zuschauer nicht mehr damit rechnen kann,
dass ihm wirklich Filme geboten werden, die es sich lohnt
anzuschauen. Auf unserem Festival glauben es die Zuschauer
aber, und wenn man das aufs Kino überträgt, müsste
man versuchen zu erreichen, dass der Zuschauer das dort wieder
glauben kann.
Welche Rolle spielt dabei die Konkurrenz des Fernsehens?
Der Regisseur und Produzent Nico Hofmann meint, die deutschen
TV-Filme seien geradewegs Weltklasse. Nur was fürs
Kino produziert werde, sei nicht mehr so berauschend. Ist
das ein stärkeres Problem geworden?
Fernsehen und Kino laufen parallel zueinander. Es gibt schon
auf der Herstellungsebene enge Zusammenhänge, es entstehen
keine Arthouse-Filme ohne Fernsehgeld, und alle laufen irgendwann
auch im Fernsehen. Das ist die gängige Verwertungsschiene.
Auf der Rezeptionsebene aber, also was den Zuschauer betrifft,
laufen sie völlig unabhängig. Man kann einen Film
im Fernsehen zeigen und danach ins Kino bringen, das haben
schon viele Verleiher festgestellt, es ist erstaunlich. Nico
Hofmann hat Recht, unsere Fernsehproduktionen - jedenfalls
die von ARD und ZDF - sind großartig. Sie haben nach
wie vor hohes Niveau. Wir haben das beste Fernsehen der Welt,
das muss man klar und deutlich sagen - wegen ARD und ZDF,
nicht so sehr wegen der Privaten, da haben wir ein durchschnittliches.
Aber es ist eben was anderes als das Kino, und das meine ich
mit verlorenem Vertrauen. Der Zuschauer hat ein gewisses Vertrauen
in die Reihe "Tatort". Er weiß, da kommt etwas,
das immer ein gewisses Niveau hat. Man hat ein Vertrauen hergestellt
zu dieser Art von Fernsehen, und das Kino hat dieses Vertrauen
verloren.
Wie wäre das Vertrauen zurückzugewinnen, mit
welchen Filmen?
Ich glaube, entgegen dem Trend, entgegen dem, was als Trend
behauptet wird, im Gegenteil dazu also, glaube ich, dass man
Vertrauen gewinnt, indem man den Zuschauer ernst nimmt und
von ihm annimmt, dass er hochkarätige Sachen sehen will,
auch komplizierte Sachen, auch Sachen wo er schluchzend nach
Hause geht, die nicht einfach nur lustig sind und die nicht
nach 08/15-Muster gestrickt sind.
Man muss das vom Zuschauer annehmen, und das traut sich keiner
mehr. Filme müssen sinnlich-klug sein, sonst sind sie
nicht interessant. Sie müssen eine hohe Sinnlichkeit
haben, und sie können dabei intelligent sein, mit Tiefe.
Wir stellen beim Festival durch unsere rigorose Auswahl sicher,
dass solche Filme laufen.
So ginge das Festival mit gutem Beispiel voran...
Absolut richtig, wir schaffen etwas, das doch auch in größerem
Masstab zu schaffen sein müsste. Und zwar für das
Publikum als auch für die Filmwirtschaft... Denn auch
die Filmwirtschaft ist darauf angewiesen, dass diese Qualitätsfilme
funktionieren. Es gibt sehr viele, die davon leben, dass sie
hergestellt und verliehen und vertrieben werden, und die warten
natürlich auch nur darauf, dass das Kino endlich wieder
frei wird für diese besseren Filme. Es gibt keine Programmkinos
mehr im Grunde genommen, das ist Mainstream auf einer etwas
intellektuelleren Ebene, aber es ist kein Programmkino mehr.
Dabei war die Idee ja gerade gewesen, vertrauensbildende Maßnahmen
durch Programm zu erzielen, also durch gedankliche, programmatische
Arbeit der Kinoleute, nicht einfach durch Abspielen aktueller
Hits. Und nun kommt das Zweite, was man machen muss in diesem
Reich des intelligenten Kinos. Man muss aufhören, auf
Eventkultur, Hypes und Marketingtricks und sonstige Vermarktungslügen
zu setzen.
Die Leute haben es satt, da bin ich ganz sicher. Das gehört
auch zum Vertrauen, sicher zu sein, dass man hier nicht betrogen
wird und mit irgendwelchen falschen Argumenten ins Kino gelockt
wird.
Ihr schafft es bei Euerm Festival, dass fast alle Regisseure
kommen. Bei 34 Newcomern plus Kurzfilmern kommen rund 40
Regisseure. Kommen die wegen des Marktes, oder weil es auch
ein Publikumsfestival ist?
Die Regisseure kommen, weil sie dabei sein wollen, wenn
ihr Film uraufgeführt wird. Für jeden Künstler
ist es mehr wert, 400 begeisterte Leute im Kino zu haben,
als 400.000, die es im Fernsehen einschalten. Das eine ist
das Konkrete, das andere ist abstrakt. Man bekommt einen Bogen
mit den Einschaltquoten - so what? Dann rufst Du Deine Freunde
an, ob die's auch gerne gesehen haben, wenn nicht, war's ein
Flop.
Die Regisseure lieben Mannheim-Heidelberg. Manchmal sind sie
sogar richtig verknallt. Wir haben kaum einen gehabt, der
davon enttäuscht war. Und diese Mund-zu-Mund-Propaganda
ist unser größtes Kapital. Die merken, wie wir
das machen, dass der Direktor keine Vorzimmerdame hat, dass
hier notfalls jeder selbst Hand anlegt.
Sie fühlen sich hier wie auf einer Party, bei der sie
im Mittelpunkt stehen, weil sie gerade Geburtstag haben...
In diesem Jahr gibt es erstmals einen "Distribution
Market". Was hat es denn mit diesem neuen Markt auf
sich?
Wir machen die "Mannheim Meetings" für Produzenten
schon ein paar Jahre. Es ist so, dass ein Produzent, der noch
einen Koproduzenten sucht, weil er sein Projekt noch nicht
voll finanziert hat, hier fündig werden kann. Natürlich
schaffen die das im Prinzip auch ohne die "Mannheim Meetings".
Der Punkt ist nur, dass wir es ihnen sehr einfach machen.
Sie müssen nur noch ankreuzen, wen sie treffen wollen.
Wir veranstalten rund 400 one-to-one-meetings a 30 Minuten.
Dann sind sie zwei, drei Tage hier, und treffen 35, 40 Leute.
Sie wissen ganz schnell, ob das was wird. Man muss ja Vertrauen
haben, sich kennenlernen, sonst nutzt der beste Vertrag nichts.
So etwas ähnliches gibt es zwar auch in Rotterdam, aber
der entscheidende Unterschied ist, dass wir auch den Kleinen
eine Chance geben, nicht so von großen Namen beeindruckt
sind.
Letztes Jahr habe ich mir überlegt, das Modell auf den
Bereich Verleih und Verkauf zu übertragen. Weil natürlich
jeder Sales-Agent eine Kundendatei hat, aber nicht immer ist
die wirklich gut, beziehungsweise auf dem neuesten Stand.
Weil der Agent natürlich nicht immer wirklich weiß,
ob es in Bulgarien nicht vielleicht auch schon einen neuen
Arthouse-Verleih gibt. Wir kriegen das aber raus. Wir können
die anschreiben, und Interessen vorsondieren. Und dann bieten
wir an: Wir organisieren für Euch ein Gespräch.
Ihr könnt auch Filme angucken. Wir machen es den Leuten
also einfacher, wir ersparen Weltreisen und Recherchen, wir
geben zusätzliche Anregungen.
Wie wir das bei Produzenten machen, machen wir es jetzt auch
für Filmrechtehändler, Einkäufer und Verleiher.
Sogar das ZDF hat sich schon angemeldet. Obwohl man bei denen
denkt: Die können doch warten, bis sie alle vorbeikommen.
Aber da ist einer neugierig und sagt sich: Die kommen vielleicht
doch nicht alle vorbei. Und da hat er auch recht.
Das ist alles! Es ist eigentlich ein ganz simples Modell.
Aber dieser "Distribution Market" ist weltweit etwas
Neues. Das hat noch gar keiner gemacht. Und dafür habe
ich dann auch gleich EU-Fördergeld in Brüssel bekommen.
Ohne das geht es nicht, einen Teil müssen wir aber aus
unserem allgemeinen Etat bezahlen.
Unter was läuft diese Förderung?
Das MEDIA II - Programm, Promotion-Distribution. Die fördern
uns mit fast 120.000 EURO.
Das ist ja wie eine Messe. Ist es so, dass die Teilnehmer
dann auch Euch Geld bezahlen, zumindest im Fall eines erfolgreichen
Vertrages, oder ist das eine naive Vorstellung?
Wenn es richtig gut läuft, fange ich damit an. Aber
das ist nicht so einfach, denn die kleineren Verleiher sind
nicht gerade sehr finanzstark. Bei den "Mannheim Meetings"
haben wir am Anfang die Flüge bezahlt, die Hotelzimmer
- jetzt tun wir das nicht mehr. Beim "Distribution Market"
werden sie jetzt alle eingeladen. Immer am Anfang. Das muss
sich rumsprechen, wenn es sich nicht rumspricht, funktioniert
es nicht. Und die ersten, die gleich kommen, ohne das es das
schon mal gab, sind einfach auch die Mutigsten. Die werden
belohnt für den Mut. Das muss einfach ins Rollen kommen.
Und fürs MEDIA-Programm der EU machen wir perfekt das,
was das MEDIA-Programm machen will. Deswegen bekommen wir
Geld. Denn der "Distribution Market" ist europäisch,
während die "Mannheim Meetings" weltweit sind,
wenn auch naturgemäß viele Europäer kommen.
Dieses MEDIA-Programm ist übrigens ein sehr intelligenter
Verein, richtig abgefuchst. Die prüfen sehr sorgfältig.
Jeder der glaubt, dass er die mit irgendwelchen Bluffs reinkommen
kann, hat sich tief geschnitten. Die wissen mindestens das,
was der Antragsteller weiß, meistens mehr. Und sie arbeiten
richtig, halten sich nicht lange mit irgendwelchen Repräsentationssachen
auf. Wenn man da hinkommt und einen Kaffee will, dann muss
man sich den unten am Automaten holen, da kommt keine Sekretärin
und serviert ihn im Vorzimmer. Es sieht nach wirklicher Arbeit
aus.
Wo soll es in einigen Jahren mit diesen Einrichtungen
hingehen?
Ich glaube dass der "Distribution Market" eine
echte Bedarfslücke füllt. Ob das auch alle merken,
weiß ich nicht. Es ist ein Experiment. Wir haben schon
positives Feedback bekommen. Wenn wir Glück haben, spricht
es sich schnell herum, dass es sich lohnt, dahin zu gehen.
Aber leider ist die Branche sehr kurzlebig. Und ein Sales-Agent,
der umsonst hier war, der kommt erst mal drei Jahre nicht.
Jetzt in der Vorbereitung habe ich auch begriffen, warum das
bisher kein anderer gemacht hat. Weil es gefährlich ist.
Kommen wir mal zum diesjährigen Programm. Man hört,
Dein Lieblingsfilm sei dieser japanische Selbstmörder-Film
GROWING, GLOWING?
[Lacht] Nein, kein Lieblingsfilm. Das ist ein schauriges
Teil. Aber es ist einfach ein intelligenter Film. Was ich
ihm vorwerfe, ist, dass er am Schluß noch mal diesen
Selbstmord zeigt. Aber es ist gar kein Film über Internet-arrangierten
Massenselbstmord, sondern über die seltsame pubertäre
Lebensmüdigkeit. Das Werther-Syndrom. Aber gleichzeitig
ein Film über japanische Kultur. Also so weit ich es
verstehe. Aber ich ahne es. Ich habe neulich Japaner gefragt,
warum die Filme, die wir sehen, immer so bizarr sind, wenn
es um Erotik geht. Die Antwort war, dass Sex und Liebe nichts
miteinander zu tun haben in Japan. Man kann sich dann auch
nicht schämen, Das ist die Abwesenheit des christlichen
Denkens und seines enormen Einflusses. Das kann man in diesem
Film wahrnehmen. Deswegen hat er philosophische Bedeutung.
Zugleich hat er psychologische Bedeutung in der Schilderung
dieses Zustandes, und er hat eine hohe Erlebnisqualität.
Ein interessanter Trip in eine andere Kultur. Bei uns würde
so etwas vielleicht auf den Index kommen, aber es würde
gar keiner schreiben, das würde an der Selbstzensur scheitern.
Und er stammt von einem ganz jungen Regisseur...
Ja, der ist knalljung und wahrscheinlich voll betroffen.
Aber statt sich umzubringen, hat er doch einen Film gemacht.
Welche anderen Filme sind wichtig? Ihr setzt auch politische
Schwerpunkte...
Ja, das "Cinema Attac" ist ein Spiel mit dem Publikum.
Der Name ist ein Witz, aber wie immer auch toternst. Globalisierung
im Kino kennen wir alle. Was der Autorenfilm mal war, brauchen
wir wieder: Ästhetisch unverschämte Filme, interessante
Grenzfilme. Auch international findet man das aber kaum. Darum
greifen wir in die Kiste der älteren Filme, um zu erinnern,
was es mal gab, dass es diese Attac-Qualität mal gab.
Es gibt einen Polen-Schwerpunkt...
Ja, der ist toll. Polnisches Kino war ja schon früher
sehr gut. Dann kam ein Bruch, und jetzt knüpfen junge
Regisseure an diese Tradition von Wajda, Zanussi, Holland
an. Aber es ist ein frisches Kino, dass etwas eigenes hat,
neu ist und trotzdem an die alten Filme erinnert.
Spürt man Zeitgeist in den Filmen ?
Zeitgeist finde ich eine wichtige Kategorie. Ich glaube,
dass es ihn gibt, und dass man ihn an Filmen ablesen kann.
Mehrere Filme haben etwas mit Selbstmord zu tun. Politik spielt
auch eine Rolle, als Gegenstand und als Schauplatz. Ansonsten
haben wir ein unglaubliches Spektrum: Spanien, Brasilien,
Finnland, Griechenland... Aber Lieblingsfilme möchte
ich nicht verraten
Warum gibt es keinen Dokumentarfilmpreis mehr? Damit hat
Mannheim schließlich einmal angefangen... Ist das
die endgültige Versenkung der Tradition?
Ja, das ist schon tragisch. Aber wir können ja nicht
als Newcomer-Festival so lange warten, bis der letzte begriffen
hat, dass es klassische Dokumentarfilme heute nicht mehr gibt.
Durch die neuen Techniken kann ich den Bundeskanzler sagen
lassen, was er nie gesagt hat - und keiner merkt es. Wir brauchen
einen neuen Begriff von Authentizität und von Realität.
Viele unserer Filme spielen damit, dass es ein Dokumentarfilm
sein könnte. In einem Film, L'ENFANT D'AMOUR sagt ein
Kind einmal: "Mutter, wunder' Dich nicht, aber das Kamerateam
ist gerade da." Das ist ein interessanter, erfrischender
Umgang mit dem Problem.
Es wird oft mit Dokumentation und Essay und Fiktion gespielt,
etwa in dem Stadtfilm TOKIO NOISE. Oder SEVEN DAYS IN TEHERAN:
Ein Spielfilm, der so tut, als würde er dokumentarisch
ein Filmteam begleiten, dass im Iran eine Reportage dreht.
Alles echt, nichts gebaut, trotzdem ist es fiktiv.
Also immer wieder die Imitation von Authentizität,
künstliche Authentizität?
Ja. Ein wichtiges Thema, das durch die neuen Techniken kommt,
und durch die Präsenz von Medien. Wir greifen das auf,
zeigen Filme, die spannend sind, und schaffen das klassische
Genre des Dokumentarfilms ab, bevor es die Spatzen von den
Dächern pfeifen. Jeder unserer Filme ist ein Dokumentarfilm.
Und "Dokument" ist eine Funktion.
Dann gibt es die erste richtige Werkschau von Zhang Yimou...
Bei uns hat die Hommage die Funktion, den jungen Regisseuren
einen Meister gegenüberzustellen. Es geht natürlich
auch um die intensive Wirkung, die es hat, die Filme eines
Autors zusammen zu sehen - eine Aufgabe, die eigentlich die
kommunalen Kinos erledigen müssten. Das tun sie aber
nicht.
Mannheim ist ein wichtiges Festival in Deutschland, aber
gewiß das Wichtigste in Baden-Württemberg. Jetzt
gibt es in Ludwigsburg fast zeitgleich plötzlich auch
ein Festival...
Professionell gesehen bedeutet es gar nichts. Nur regionalpolitisch
ist das vielleicht ein Problem. Denn manche Regionalpolitiker
halten etwas offenbar automatisch für bedeutend, wenn
es näher an Stuttgart liegt. Weil sie die internationale
Perspektive gar nicht draufhaben.
Aber ich verstehe nicht, warum die etwas machen, was keiner
braucht. Trotz 200.000 Mark Preisgeld hat den Preis immer
ein Film bekommen, der schon auf 17 Festivals lief. Das ist
nur peinlich. Die Branche ist nicht so blöd. Und ich
fürchte, man hat Christel Drawer nur mit ins Boot genommen,
damit jemand schuld ist, wenn es nicht hinhaut.
Welche Bedeutung kommt eigentlich bei alldem der Filmförderung
zu, die ja die bisherigen Kulturstaatsminister alle reformieren
wollten?
Natürlich eine entscheidende. Ich halte sie für
falsch, auch wenn sie noch so üblich geworden ist - diese
furchtbare Vermischung von Kommerz und künstlerischer
Qualität im Filmbereich. So als wären das dicke
Freunde. Wir hätten gar keine Kunst im Bereich der Musik
oder Literatur, wenn es nicht schon seit ewigen Zeiten einen
unauflöslichen Gegensatz gegeben hätte zwischen
Ökonomie und Qualitätsanspruch der Kunst. Ich kann
die Kunst nicht danach beurteilen, wie viel Leute sie anschauen
oder konsumieren wollen. Das ist Unsinn. Warum sollte nicht
ein Land nur Qualität fördern und aufhören,
die Halbqualität und die kunstgewerblichen Filme auch
noch zu fördern?
Wobei man trotzdem noch sagen kann, dass der Film sowohl
Kunst als auch Unterhaltungsmedium ist...
Kunst muss sowieso unterhalten. Basta. Wenn man dem künstlerisch
anspruchsvollen Film sagt, er soll aber auch unterhaltend
sein, dann fängt das Unglück an. Sagen wir ihm einfach,
er soll gut sein. Holen Sie sich Fachleute, die sagen können,
wann ein Film gut sein wird. Und dann wird das unterhaltsam
sein. Es muss Schluss sein mit dieser Vermischung. Die hat
uns ins Elend geritten in Deutschland, und es endete mit diesen
ganzen Börsengängen. Als dann der Blödsinn
zusammenbrach, habe ich gedacht: Jetzt werden sie es begreifen.
Nichts tun sie bislang.
Welche Anforderungen sollte man denn an einen guten Film
stellen dürfen?
Ich bin ja nicht Teil einer Lobby, ich denke einfach über
die Sache nach auf der Basis unserer Erfahrungen mit dem Festival.
Aber ich frage mich: Warum gibt es nicht eine Art Label für
den guten Film? Und ein Gremium, das Qualitätsfilme von
Schrott unterscheidet? Wenn das geschähe, könnte
man dem Film einfach nur Punkte geben, einen Stern, zwei Sterne,
drei Sterne. Wer drei Sterne hat, der kriegt die höchste
Förderungssumme, wer zwei hat, die halbe, wer einen Stern
hat nur noch ein bisschen was, und wer gar keinen hat, kriegt
kein Geld, weder für die Produktion, noch für den
Verleih, noch wenn er den Film im Kino zeigt. Ist doch simpel,
oder? Wir brauchen ein Erkennungszeichen, das wäre auch
für den Zuschauer gut.
Es gibt ja beispielsweise die evangelische Filmbewertung,
die Prädikate vergibt, was wäre dazu der wesentliche
Unterschied?
Das wären keine ideellen Prädikate, wie die der
Kirchen. Es geht bei dieser Label- oder Markenidee darum,
fürs kaufmännische Umgehen mit Film ein handfestes
Zeichen zu schaffen. Das sind sozusagen Wertgutscheine für
den Handel. Ich weiß, wenn ich diesen Film produziere
und ich bekomme dafür diese drei Sterne, dann werde ich
100 Prozent der möglichen Förderung kriegen, um
ihn zu verleihen, und ich werde, wenn ich Kino mache und diesen
Film zeige, 100 Prozent der möglichen Förderung
kriegen. Und wenn ich nur einen Stern habe, werde ich eben
nur dreißig Prozent kriegen, wenn ich gar keinen habe,
nichts. Das weiß ich vorher. In ein solches am besten
bei der Filmförderung selbst installiertes Gremium müssen
allerdings keine Lobby-Experten sitzen, die Interessen vertreten,
keine Lobbyisten, sondern solche, die ins Kino verliebt sind,
wirkliche Experten, die unbedingt auch große Erfahrungen
haben müssen mit solchen Beurteilungen.
Man müsste sich ja erst mal drauf verständigen
können, dass dem Film und der Filmförderung eben
eine besondere Bedeutung zuzumessen ist, eine gesellschaftlich
funktionale. Wie würdest Du diesen Zusammenhang oder
diese Funktion des Films definieren?
In Deutschland wird immer noch mindestens 300 Mal so viel
Steuergeld aus gegeben für Theater und Oper wie für
Film. Alle Filmförderungen zusammengenommen sind ein
300-stel dessen, diese Relation ist komplett absurd. Film
kann Kunst sein, das Zelluloid hat die selben Potenziale wie
die Bühne oder ein Orchestergraben, mindestens dieselben.
Wenn ich das begreife, kann ich nicht sagen: Ich schließe
das vom Auftrag eines Staates, sich um die Kunst zu kümmern
und sie zu pflegen und zu schützen, aus. Also braucht
man Förderung und hat sie legitimiert. Nur muss diese
Förderung aufhören, halbseidene Sachen, im Grunde
kommerzielle Sachen zu fördern. Noch ein paar Zusatzkopien
bezahlt für den SCHUH DES MANITU mit Steuergeldern -
da wird einem doch schlecht. Konsalik bekam ja auch keine
Steuergelder für einen neuen Roman...
Bislang ist es ja leider so, dass man auf Festivals Filme
mit viel Interesse sieht, die aber viel zu selten einen
Verleih finden. Wie sieht die Erfolgsbilanz des Festivals
Mannheim-Heidelberg aus?
Wir haben jedes Jahr immerhin drei, vier Filme, die ins
Kino kommen. Das kommen sie manchmal mit bescheidenem Erfolg
und manchmal mit größerem Erfolg, aber dass er
bescheiden ist, heißt nicht, dass der Film nicht sehr
gut war. Der Verleiher hat einfach nicht mehr wirtschaftliches
Potenzial. Und einen Film mit drei Kopien zu starten ist angesichts
der drei- oder fünfhundert Kopien eines mittleren Mainstream-Films
sehr bescheiden, oft wirkungslos. Da braucht man eben Hilfe...
Sind mit dem Selbstverständnis, dem Konzept, mit
dem Mannheim in der Vergangenheit erfolgreich war, auch
die Weichen für künftigen Erfolg gestellt?
Unsere Konzentration auf Newcomer, die noch auf keinem großen
Festival liefen, auch nicht in Cannes oder einem Nebenprogramm
der Berlinale, funktioniert. Wir haben jedes Jahr mehr gute
Filme zur Verfügung, als wir zeigen können. Wir
haben nicht den leisesten Anflug einer Krise.
Wäre es nicht trotzdem denkbar, als Aushängeschild
einen hoch dotierten Hauptpreis zu etablieren? In Mannheim-Heidelberg
wurde ja stattdessen erst einmal das Preisgeld eingespart...
Wir haben nicht einen Film weniger angeboten bekommen, weil
die Preise nicht mehr dotiert sind. Es hat auch nie in den
letzten fünf Jahren einer gefragt, ob die Preise dotiert
sind und wieviel man gewinnen kann. Das interessiert die Filmemacher
nicht. Man geht auf ein Festival, wenn es eine große
und hohe Reputation hat, weil das förderlich ist, um
ins Fernsehen zu kommen, Einkäufer oder Verleiher auf
sich aufmerksam zu machen oder Geld für den nächsten
Film zu bekommen.
Dennoch: Für das, was wir machen, was wir dem Land geben,
was wir auch der Bundesregierung geben, ist unser Etat sehr
niedrig, ist das alles sehr wenig Geld - auch wenn wir in
den letzten zehn Jahren den Etat verdreifacht haben. Dafür
machen wir nun mal auch sehr viel. Und wir sind eben das einzige
internationale Kulturereignis der Region. Ich sage nicht,
das Mannheimer Nationaltheater sei unbedeutend. Es interessiert
aber in Frankreich niemanden, uns dagegen findet man auch
in Brasilien interessant. Wenn Sie nach Rio fliegen und jemanden
vom Fernsehen treffen, dann kennt der von Mannheim wirklich
nur unser Filmfestival.
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