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BLACK AND WHITE ist eine Studie über schwarze und
weiße Kulturen in den USA; ein Reigen um Rapper, Gangster, Sportler
und weiße Kids der "upper middle class", die sich ihre Identitäten
nach schwarzen Vorbildern basteln. Die Improvisation der meisten
Darsteller ermöglicht einen sehr authentischen Blick auf soziale
Entwicklungen, die das Mainstreamkino ausblendet. Mitglieder des
Wu-Tang Clans, Mike Tyson und der Basketballspieler Alan Houston
spielen sich dabei (mehr oder weniger) selbst. BLACK AND
WHITE läuft diese Woche an, Thomas Willmann
sprach bereits auf dem diesjährigen Münchner Filmfest mit dem
Regisseur James Toback, u.a. auch Regisseur von FINGERS und
Oscarpreisträger für sein Drebuch zu BUGSY.
Artechock: Sie haben BLACK AND WHITE
ohne ein fertiges Drehbuch gedreht, die Dialoge und auch einen
Großteil der Handlung improvisieren lassen. Wie kam es dazu?
James Toback: Die erste und wichtigste Idee dabei war,
diesen Menschen zu erlauben, sich selbst durch die Rollen, die sie
spielten, auszudrücken. Entweder buchstäblich wie im Fall von Mike
Tyson, der tatsächlich Mike Tyson spielt, oder in anderen Fällen
auf eine metaphorische Art oder eine, die einen gewissen Teil von
ihnen zum Ausdruck brachte - Downey, der den schwulen Teil seiner
selbst spielt, Claudia Schiffer, die den Nietzscheanischen Teil
ihrer selbst spielt, Wu Tang, die eine andere Version von sich
selbst spielen. Und wenn man Leuten diese Chance gibt, sich durch
das, was sie spielen, zu eröffnen, anstatt etwas schauzuspielern,
das sie nicht sind, dann gibt es keinen Sinn, wenn man ihnen
vorschreibt, wie sie zu reden haben. Man kann ihnen vielleicht
einen Hinweis geben, was man möchte, ihnen eine Szene geben, eine
Absicht oder eine Rolle - aber ihnen zu sagen, ihre Sprache sollte
so oder so sein ist dumm, und im Fall von Wu Tang wäre es richtig
lächerlich gewesen. Es gab darum in SHAFT gerade eine große
Kontroverse - man hatte offensichtlich (den weissen Drehbuchautor -
die Red.) Richard Price angeheuert um Dialoge für Samuel Jackson zu
schreiben. Und eine Sache, bei der sich Samuel Jackson und
(Regisseur) John Singleton - der sich sonst mit Jackson nicht
verstand - einig waren war: "Wer verdammt nochmal ist Richard Price
(Who the fuck is Richard Price), UNS zu sagen wie WIR sprechen!?"
"Und warum sollte ich," sagte Samuel Jackson, "diese Dialogzeilen
rezitieren, die ich in einer Million Jahre nicht sagen würde."
Ich glaube, da ist was dran. Klar kann man sagen: Wir schreiben, da
solltest Du in der Lage sein für verschiedene Charaktere und
verschiedene Stimmen zu schreiben, das stimmt schon, aber es gibt
Fälle, wo man dem richtigen Klang niemals so nahe kommen wird wie
wenn man jemanden damit einfach loslegen lässt. Und wenn man erst
einmal eine Person loslegen lässt, muss man die anderen mitmachen
lassen, oder sonst sind alle aus dem Rhythmus. Drum muss man das
zur übergeordneten Herangehensweise machen, dass das der Stil ist,
in dem man arbeitet. Manche Leute wollten alles ausgeschrieben
haben - Ben Stiller, Claudia Schiffer und Alan Houston, und zum
Glück hatten die alle ihre Szenen miteinander. Deshalb schrieb ich
diese Szenen auf normale Weise, und die hielten sich ziemlich genau
an den Dialog. Ich glaube es gab hie und da ein bisschen
Improvisation, aber zu 90% wurde es so gespielt wie geschrieben.
Aber der ganze Rest wurde {völlig} frei erfunden.
Gab's da bei den Dreharbeiten nette oder böse
Überraschungen?
Ich hatte das Gefühl, ein großartiges Geschenk nach dem anderen
zu bekommen. Und normalerweise hasse ich das Schneiden, es ist so
langweilig. In diesem Fall aber habe ich mich enorm auf den Prozess
des Schneidens gefreut, weil ich ständig dachte "Es wird so viel
Spaß machen, dieses endlose Angebot an Möglichkeiten
zusammenzusetzen", denn es ging nicht einfach nur darum, den einen
Take statt dem anderen auszuwählen, oder zu sagen "Die Dialogzeile
ist da schöner gespielt als hier" oder "Schau Dir den
Gesichtsausdruck an" - es ging wirklich darum, den ganzen Film im
Schneideraum zu erfinden. Die Geschichte wurde zu einem großen
Teil im Schneideraum erfunden, die Persönlichkeiten der Charaktere
änderten sich und ihre Beziehungen zueinander, die Ballance, wie
groß die Rollen der einzelnen Leute waren... Ben Stiller war
SCHOCKIERT als er sah, wie groß sein Part war, weil er nur drei
Tage gedreht hatte. Er sagte: "Ich dachte, ich würde für ungefähr
zwei Minuten auf der Leinwand zu sehen sein." Er sagte immer
wieder: "Ich kann's nicht glauben, dass ich das alles gespielt
habe." Es war einfach so, dass das meiste, was er gespielt hatte,
gut funktionierte, und es war zentral wichtig für den Plot, der
sich ergeben hat. Genauso mit Tyson: Der hat auch nur drei Tage
gedreht. Und er ist 24 Minuten auf der Leinwand. Ich dachte
jeden Tag: "Das kann ich gebrauchen, und das kann ich gebrauchen,
und das...," während man normalerweise beim Dreh drüber nachdenkt:
"Nun, der Take ist ein bisschen besser als dieser Take; nehm' den
Moment aus diesem Take und mische ihn mit dem..." Und diese Art zu
denken kam mir immer konventionell und öde vor, ich dachte immer:
"Ich liebe das Filmemachen, aber das hier ist so eine langweilige
Art zu denken." Mein Verstand arbeitet einfach auf einem sehr
niedrigen Level wenn's das ist, was er gerade tut, und das fühlt
sich so ein bisschen nach "Das kann wirklich jeder..." an. Einfach
als Prozess schien mir das innerlich immer peinlich, dass mein
Verstand so arbeitete. Und dann dachte ich mir während BLACK AND
WHITE: "Das macht Spaß!" So ging's mir auch während THE BIG BANG,
aber das war eine Dokumentation, und da war's definitionsgemäß,
dass es so lief. Aber einen fiktionalen Film zu nehmen, Erzählkino,
und das fast wie eine Dokumentation zu behandeln war wirklich
aufregend.
Wie lange hat der Schneideprozess dann
gedauert?
Ich habe fünf Monate damit verbracht, auf so radikale Art mit
dem Film zu spielen, dass die vierstündige Version - die ich meine
Wagnerische Version nenne (Gelächter) und mit der ich anfing - fast
ein anderer Film ist. Sie ist nicht einfach ein längerer Film, es
ist ein anderer Film - den ich übrigens irgendwie mochte. Es gab
nur einen einzigen Freund von mir, der mit mir in der
Vier-Stunden-Version saß und auch sagte: "Das ist gut!" Alle
anderen sagten: "Jim! Das sind verdammte vier Stunden, bist Du
verrückt?" "Nun, macht Euch keine Sorgen, das ist nur ein
erster..." "Ja, aber er ist vier Stunden, Du hast da alles drin,
was soll das sein?" Aber ich mochte es irgendwie. Es hatte
keine erkennbare Story. Es mäanderte in jede nur erdenkliche Ecke.
Aber es machte Spaß, und Szene für Szene waren eine Menge der
besten Szenen in der vierstündigen Version und nicht im endgültigen
Film. Viele wirklich gute Szenen. Und gewisse Sachen, die ich
einfach nicht verwenden konnte, die ich aber wirklich liebte.
Während Brooke Shields Mike Tyson anmacht zum Beispiel, stand
Robert Downey da, in der Mitte des Zimmers, und wurde aufgeregt und
wütend, und während er anfängt zu masturbieren, sagt er zu Tyson:
"Du glaubst, Du kannst mich niedermachen, Du kannst mich lächerlich
machen? Dir zeig ich's! Ich werd ihn Dir reinstecken! Dich fick
ich!" Und er masturbiert dabei. Und ich fand das irgendwie witzig
und eigenartig. Downey liebte es, aber alle von Wu Tang sagten zu
mir: "Das kannst Du nicht drinnen lassen." Und ich fragte "Wieso?"
Und sie sagten: "Weil Du hier versuchst, einen Film zu machen, der
in der Realität spielt, und die Realität ist, dass wir hingehen
würden, in unserem Appartment, wenn er da steht und sich einen
runterholt, und ihn aus dem Fenster schmeissen. Drum musst Du
entweder noch eine Szene nachdrehen, in der wir ihn aus dem Fenster
schmeissen, oder Du musst das rausnehmen!" (Gelächter)
BLACK AND WHITE war der letzte Film, den
Downey drehte, bevor er ins Gefängnis musste, oder? Haben Sie
Kontakt zu ihm?
Er ruft mich zweimal die Woche als R-Gespräch aus Corcoran State
Penitentary an, wo alle 30 Sekunden eine Stimme ertönt: "Ihr
Gespräch wird von der Aufsicht des Corcoran Staatsgefängnis in
Corcoran, Kalifornien, überwacht. Sie haben für dieses Gespräch
noch 5 Minuten und 30 Sekunden." Und nach 30 Sekunden wiederholt
sich das. Und Downey - der immer noch zum Brüllen ist, selbst im
Gefängnis - sagt manchmal zu mir, direkt nachdem sie diesen
Überwachungs-Satz haben laufen lassen: "Übrigens, hab ich Dir schon
erzählt wie HINREISSEND die Wächter in diesem Gefängnis sind? Hab'
ich Dir gesagt, was für eine phänomenale Gruppe von Leuten sie
sind, und was für eine wunderbare Behandlung sie mir angedeihen
lassen? Ich weiß gar nicht, warum ich hier raus wollen sollte, das
ist ein sensationeller Ort hier!" (Gelächter) Er hält sich
besser, als ich mir selbst vorstellen könnte, mich dort zu halten.
Ich würde nie auch nur in so einen Ort reingehen. Ich weiß nicht,
wie er das überlebt. Er war neun Monate im L.A. County Jail, und
ich weiß nicht mal, wie er das überlebt hat, und nun ist er an
einem viel schlimmeren Ort, und das schon für ein Jahr, und er wird
da noch für weitere sechs Monate drin sein. Ich würde buchstäblich
einfach NICHT REINGEHEN. Ich würde einfach abhauen und irgendwo
funktionieren, wo immer ich funktionieren könnte, aber ich würde
nicht in's Gefängnis. Ich weiß nicht, wie er das macht. Ich
glaube, er hat sich entschlossen, klarzukommen mit was immer ihm
das Leben auch austeilt, und er passt sich einfach an. Er hat eine
Art seltsam alles annehmende Philosophie. Ich weiß dass er es
hasst, dort zu sein, und ich weiß, dass er sauer ist, dort zu sein,
und ich weiß, dass er denkt, dass es vollkommen unfair ist, aber
nicht auf die Weise, wie das jeder andere würde. Jeder andere würde
den Verstand verlieren! Ich meine... er ist im Gefängnis, weil ein
Drogentest positiv ausgefallen ist, während niemand anderes... Wenn
in Hollywood jeder in's Gefängnis müsste, der positiv nach Drogen
getestet wird, wären da ungefähr noch neun Leute übrig.
(Gelächter) Es wäre eine Sache, wenn er jemanden überfahren
hätte während er high war, oder wenn er jemandem den Schädel
eingeschlagen hätte, während er high war. Aber er hat nichts
gemacht, es ist einfach nur der Test positiv ausgefallen, es wusste
nicht mal irgendwer, dass er high war. Er hat sogar die Richterin
angerufen und gesagt: "Ich gestehe freiwillig ein, dass ich mich
heute meinem angeordneten Urintest nicht unterzogen habe, weil ich
weiß, dass der positiv ausgefallen wäre, und ich hoffe, dass sie
gnädig mit mir sein werden, weil ich ihnen das gesagt habe." Was
sie nicht war und ihn trotzdem zu drei Jahren verurteilt hat. Er
hat sich nicht mal auf eine Art benommen, dass irgend jemand
gedacht hätte, das was los wäre, und trotzdem kommt er für drei
Jahre in dieses Hochsicherheitsgefängnis. Das ist eine völlig
sadistische, abgefuckte Sache. Und ich weiß nicht, dass er da nicht
wahnsinnig verbittert ist... Erstens würde ich nicht mal leben
wollen in einem Land - egal wie toll das Land in jeder anderen
Hinsicht wäre - das mich für egal was einsperren will, Mord
eingeschlossen. Wenn ich wen erschiessen würde, hätte ich das
Gefühl, die sollten für mich eine Ausnahme machen und mich nicht
einsperren. (Gelächter) Aber wenn bei mir verdammt nochmal ein
Drogentest positiv ausfällt, und ich wäre der einzige, der für
sowas eingesperrt wird, würd ich dann dortsitzen und sagen: "Ich
bleib gerne hier drin"? Ich weiß nicht wie... Es muss eine Art
philosophische Zurückgezogenheit sein, in der er ist, weil... Für
jemanden der so komplett nicht für's Gefängnis gemacht ist wie er,
der ein völlig freier Geist ist, keine Reglementierung! Man kann's
ja noch irgendwie einsehen bei einem, der sagen wir vier Jahre in
der Armee war, wo man sagt: "Okay, ich sehe ein wie der sich an's
Gefängnis anpasst, weil es Gemeinsamkeiten gibt zwischen der
Reglementierung im Militär und dem Im-Gefängnis-Sein. Es ist kein
Spaß, aber wenigstens hat der gezeigt, dass er sich an sowas
anpassen kann. Aber hier geht's um einen Typen, von dem man sich
nicht mal vorstellen könnte, dass der 15 Minuten im Gefängnis
verbringt, und jetzt war er da schon für insgesamt fast 2 1/2 Jahre
drin.
Hatten Sie vor BLACK AND WHITE schon mit der
Hip Hop-Kultur zu tun?
Ich habe schon immer gerne Musik gemocht. Aber so richtig bin
ich da nicht eingestiegen, bevor ich zum Wu Tang-Hörer wurde. Ich
habe darüber recherchiert, und Wu Tang waren DAS echte, hardcore
Hip Hop Phänomen in Amerika, und ich bin mit ihnen gleich prima
klar gekommen, und ich habe auch gemerkt, dass ich Power in der
Hauptrolle verwenden könnte. Also dachte ich: "Tu diese zwei Dinge
zusammen, und das ergibt..." Und dann habe ich von ihnen gelernt,
Ihre Haltung war sehr wählerisch. Das ging: "Der Typ ist echt, der
ist Scheiß, die ist voller Mist." Die hatten eine ganze Hierarchie
des Urteils innerhalb der Welt des Hip Hop. So habe ich von Anfang
an meine Ausbildung auf eine sehr spezifische Weise bekommen...
Die New Yorker Weise...
Ja, genau! (Gelächter)
Es ist ja heute schwer genug, eine Film
finanziert zu bekommen, dessen Drehbuch sich nicht auf einen
hi-concept-Satz reduzieren lässt. Wie bekommt man das Geld
zusammen, wenn man noch nicht mal ein Drehbuch HAT?
Das war schon das zweite Mal, dass ich das gemacht habe. Ich
habe das mit THE BIG BANG gemacht, und ich habe mich im Film in
gewisser Weise drüber lustig gemacht, wo ich mit dem Besitzer der
Bank of Florida spreche und ihm erzähle, dass ich kein Drehbuch
habe. Die einzige Weise, wie es mir gelingt, zu funktionieren,
ist, indem ich die Kosten sehr weit unten halte. Der
durchschnittliche Studio-Film kostet mittlerweile $27 Mio. Mein
durchschnittliches Budget sind 4 oder 5 Millionen Dollar. Und da
haben Sie schon gleich einen RIESEN Unterschied. Um $10 Mio. würden
diese Filme nicht gemacht werden können, um $8 Mio. würden sie
nicht gemacht. Wenn man Filme um 5, 5 1/2 oder drunter macht,
passiert folgendes: Wenn man irgendeine akzeptable Besetzung
abliefert, und irgendeinen Film, der ein paar gute Kritiken kriegen
wird, kann man nicht verlieren. Da muss man Geld verlieren wollen,
um Geld zu verlieren. Es gibt einfach zu viele Wege, sein Geld
zurück zu bekommen. Und darauf reduziert es sich letzlich. Das
heißt dann quasi: "Okay, Du hast bewiesen, dass Du eine gewisse Art
Film machen kannst." Was daran ungewöhnlich ist und warum andere
Leute das nicht machen ist, dass Leute, die so lange wie ich im
Geschäft sind und viele Filme gedreht haben einen Film gar nicht so
schnell machen wollen. Sie werden alt, und man sagt sich dann "Ach,
verdammt, ich mache keinen Film in 20, 22 Tagen." Für Martin
Scorcese ist sowas die Zeit zur unmittelbaren
Produktionsvorbereitung. Solche Leute wollen sowas nicht machen, es
stimmt dafür einfach die Chemie nicht mehr. Aber für mich ist
es die einzige Art, weil ich das nicht machen kann, was die
Alternative wäre. Was hieße Filme auf diese Art zu machen... nun,
auf eine Zeile reduziert ist eine gute Art, es auszudrücken, aber
einfach: innerhalb des Systems rationaler Beschränkungen, wo es
praktisch ein Bewusstsein gibt zu sagen: Wir sind uns alle über
gewisse grundlegende Prinzipien einig, und auch wenn wir sie nicht
lehren müssen, sie predigen, oder auch nur (an)erkennen, gibt es
eine Annahme über das Leben in diesem Film. Und das kann in einer
dummen Komödie sein oder einem ernsten Film, der Punkt ist: Man
geht in diesen Film, und die Parameter dieser grundlegenden Annahme
über das Leben werden eingehalten, was immer das Genre sein mag.
Und ich mache Filme, in denen es diese nicht gibt. Die Parameter
werden völlig zerrissen. Und das ist nur möglich weil Leute sagen:
"Ich werde mein Geld zurück kriegen, und vielleicht kommt was
Interessantes dabei raus."
In BLACK AND WHITE geht es um die Stimmen, die
man normalerweise nicht zu hören bekommt. Glauben Sie, dass das
dominante System - bewusst oder unbewusst - so aufgebaut ist, dass
man diese Stimmen möglichst nicht zu Gehör bekommt?
Ich glaube die Sache derzeit ist, diese Stimmen zu ko-optieren.
Weniger sie zu unterdrücken als sie zu ko-optieren, und ich muss
sagen, die meisten der Leute, denen diese Stimmen gehören, sind
begierig darauf, ko-optiert zu werden, solange man sie bezahlt.
Selbst die radikalsten Stimmen sind zum Verkauf, weil es da immer
dieses Gefühl gibt von: "Ich bin trotzdem immer noch, wer ich bin,
scheiss drauf." Das geht alles: "Scheiss drauf, ich kann das
trotzdem machen, ich kann Geld nehmen UND machen was ich machen
will." Und manchmal können sie's, und manchmal machen sie sich da
selbst was vor. Aber ich glaube insgesamt herrscht momentan das
Gefühl, dass es da diesen riesigen Massen-Schirm gibt, und jeder,
der für mich Geld machen kann, kann da ein Teil davon sein. Nichts
ist zu subversiv, solange ich daraus etwas Profit schlagen kann.
Das fing an mit Gerald Levin, als vor drei, vier, fünf Jahren (das
Plattenlabel - Die Red.) Interscope dieses Riesending um die
Rap-Texte hatte. Da gab es diese Protestgruppen, schwarze und
weisse, die sagten die Texte riefen zum Polizistenmord auf, wären
frauenfeindlich, und sie fragten: "Wie könnt ihr, Time Warner, das
absegnen?" Aber die machten Geld damit, und Gerald Levin fing an
von wegen "Na ja, Meinungsfreiheit". Vor dem Protest hat er davon
wahrscheinlich noch gar nichts mitbekommen, aber es war "Hmm, die
Abteilung läuft ziemlich gut für uns, warum sollten wir sie
loswerden wollen?" Außerdem hat jetzt jede Familie, oder fast
jede Familie, ein Kind, das auf irgendeine Weise auf der anderen
Seite steht. In unserer Kultur wurde so die Allgemeinheit dieser
ganzen Bandbreite ausgesetzt, drum gehört das alles unter den
Schirm. Das ist wie mit diesem ganzen schwulen Verhalten, Sex
zwischen Menschen verschiedener Rassen, Drogen - jeder hat da
selbst schon was damit zu tun gehabt oder ist mit jemandem
verwandt, der damit zu tun hat. Da erreicht man einen Punkt, wo man
seine eigene Familie ablehnen muss, um etwas abzulehnen, das noch
vor einer Generation problemlos abzulehnen gewesen wäre. Jetzt geht
das nicht mehr so einfach. Wie mit (dem amerikanischen,
ultrakonservativen Politiker - die Red.) Newt Gingrich, der der
konservativste Sprecher des Abgeordnetenhauses war, und sich dann
seine Schwester nicht nur als lesbisch herausgestellt hat, sondern
als vehement und politisch engagiert lesbisch. Wie will der weiter
von traditioneller Moral erzählen. Entweder sagt er "Meine
Schwester ist eine Psychopathin und ich muss sie loswerden," oder
er muss seinen Horizont öffnen.
Ihr Film hat den Mut, wohlweislich keine
fertigen Antworten zu präsentieren sondern dem Thema seine
unlösbare Komplexität zu belassen. Würden Sie zustimmen, dass es
dennoch ein didaktischer Film ist?
Ich glaube, dass er nicht auf konventionelle Weise didaktisch
ist, sondern in dem Sinne, dass er per Implikation sagt, dass es
eine interessantere Art und Weise gibt, über das Leben und das
Filmemachen nachzudenken, als Sie oder ich das bisher getan haben.
Es gibt da deshalb fast eine Art vorwitzige Arroganz die sagt: "Ich
weiss besser, wie man einen wirklich interessanten Film macht, als
es irgendwer von uns vorher wusste. Ich mache jetzt was
Interessanteres als was Sie bisher gemacht haben oder ich gemacht
habe." Und ich sage das nicht {wirklich}, aber andererseits sage
ich es dennoch, denn einen Film einfach auf diese Weise zu machen
impliziert dass es, wenn nicht DER Weg ist, so doch EIN gangbarer
Weg, der alle Prinzipien des Filmemachens verletzt. Es gibt nicht
ein unangetastetes Grundprinzip des Filmemachens, eingeschlossen
schnitttechnisch, kameratechnisch, gewiss in Hinblick auf Drehbuch,
narratives Konzept, thematisches Konzept, Besetzung - der Film sagt
im Grunde einfach "Gebt mir eine Liste mit allem, was ein Film tun
soll" und verletzt dann jede einzelne Konvention und
Grundannahme. Auf dieser Ebene also, wenn er schon nicht
didaktisch ist, so positioniert er sich doch als etwas, mit dem man
rechnen muss. Und das Interessante ist, dass es in Amerika eine
Menge großartiger Kritiken gab, die ich gerne gelesen habe, aber
niemand hat wirklich dieses Argument gebracht, dass der Film an und
für sich eine ganz neue Art präsentiert, einen Film zu machen. Viel
radikaler, finde ich, als diese Dogma-Bewegung, die in Wirklichkeit
gar nicht so verschieden ist von der Art, wie viele Leute schon
immer Filme gemacht haben, und diese nur kodifiziert - und obwohl
sie kodifiziert ist, gibt es bei jedem einzelnen Ausnahmen, wie er
gemacht ist. Und mit meinem nächsten Film HARVARD MAN stecke
ich jetzt etwas komisch in der Bredouille, weil ich HARVARD MAN
eigentlich genau auf die selbe Art machen würde, aber weil ich das
Drehbuch schon habe, das es seit sieben Jahren gibt, und dieses zu
einem großen Teil der Film IST, möchte ich es nicht einfach
wegwerfen, und es gibt eine Menge in ihm, was ich wirklich mag.
Aber ich weiß nicht genau, was ich behalten soll und was
rausschmeissen in manchen Passagen, und ich weiß nicht, welchen
Schauspielern ich total freie Bahn geben soll und welche
kontrollieren. Ich muss diese Entscheidungen sehr schnell fällen,
weil ich in weniger als einer Woche zu drehen beginne, und ich mir
immer noch nicht recht darüber im Klaren bin. Das ist eine
eigenartige Sache. Außerdem kenne ich die Schauspieler nicht so
persönlich, wie ich die in BLACK AND WHITE kannte, weshalb ich
nicht so sicher bin, welche am besten mit Willensfreiheit und
Imrpovisation zu Rande kommen werden. Bei BLACK AND WHITE wusste
ich in jedem einzelnen Fall ziemlich genau, was sie konnten und was
nicht. Und sie haben mir durchaus sehr vehement zu verstehen
gegeben, was sie tun wollten. Das jetzt ist eine deutlich weniger
aggressiv gewürzte Besetzung.
In HARVARD MAN wird es um Ihre
Jugend-Erlebnisse mit Drogen gehen...
Ich hatte eine eigenartige Beziehung zu Drogen. Ich habe Drogen
sieben jahre lang geliebt, habe von 12 bis 19 Gras geraucht und war
die ganze Zeit high. Dann bin ich auf LSD ausgeflippt, was das
entscheidende Erlebnis in meinem Leben war - und das ist es, worum
es in HARVARD MAN geht - und danach habe ich nie wieder eine Droge
genommen. Das hat meine Drogen-Karriere beendet - es hat fast mein
Leben beendet. Ich bin für acht Tage verrückt geworden. Darum habe
ich ein zwiespältiges Verhältnis zu Drogen. Ich glaube, dass sie
sehr hilfreich für Menschen sein können und ihr Bewusstsein öffnen.
Aber wenn man die Grenze übertritt... Der einzige Grund warum
ich zurück gefunden habe, der einzige Grund, warum ich nicht mit 19
gestorben bin, war, dass ich diesen Doktor gefunden habe - einen
deutschen Doktor, der einer der beiden Typen war, die 1938 in der
Schweiz LSD synthetisiert haben Max Rinkel. Hofmann & Rinkel
haben in den Labors von Sandoz in der Schweiz erstmals LSD
synthetisiert. Hofmann lebte noch, in Deutschland, Rinkel war in
Brooklyn, Massachusetts, sechs Meilen entfernt von wo ich mich
befand. Er war 80 Jahre alt. Wäre er nicht zu diesem Zeitpunkt in
Brooklyn, Massachusetts gewesen, wäre ich innerhalb von ein oder
zwei Tagen tot gewesen. Ich lief acht Tage lang mit einer geladenen
.38er an meinem Kopf rum und dachte: "Wenn mir jemand garantieren
könnte, dass ich damit diese Qualen beenden könnte, würde ich mir
auf der Stelle das Gehirn rauspusten." Ich hatte einfach nur Angst,
sie würden trotzdem weiterdauern. Und er gab mir eine Spritze, die
mich eigentlich hätte umbringen müssen. Er sagte tatsächlich dass
die Chancen ziemlich gut standen, dass sie mich umbringen würde.
Aber er hatte eine Menge Mut, weil er wusste, dass es der einzige
Weg war, mich zu retten. Obwohl er übel dagestanden hätte, wenn ich
gestorben wäre - denn wie will er erklären, dass da so ein
19-jähriger Harvard-Junge reinkommt in einem verzweifelten, von
Drogen ausgelösten Zustand, und seine Reaktion ist, ihn mit einem
Gegengift umzubringen. Aber er wusste, dass es der einzige Weg war,
und so gab er mir dieses Gegenmittel, und ich war... es war nicht
so, dass ich okay gewesen wäre, sondern ich gewöhnte mich an eine
andere Art, die Welt zu sehen. Ich würde niemals irgendwem dazu
RATEN sowas zu tun. Ich würde sogar sagen: Jeder, der viel Drogen
nimmt, riskiert früher oder später, ziemlich abgefuckt zu werden.
Hie und da sihet man Leute, die durch ein ganzes Leben gehen,
regelmäßig Drogen nehmen, und das auf die Reihe kriegen. Aber der
überwiegende Teil brennt aus, macht sich fertig, es beschädigt sie,
schränkt sie ein, es zerstört sie. Es ist hart, ein ganzes Leben
lang Drogen zu nehmen. Ich hatte sieben Jahre - was eine lange Zeit
war - in denen ich damit gut funktionierte. Und dann (klatscht laut
in die Hände) - aus.
In BLACK AND WHITE geht es allerorten um die
Suche nach Identität. Glauben sie, die sieht für junge Leute heute
anders aus als früher?
Ich glaube, dass es wahrscheinlich heute schwieriger geworden
ist als früher, weil es keine akkzeptierten Pfade mehr gibt. Es
lief einst so, dass man entweder einen relativ priviligierten
Status hatte und man seinen Weg entlang gearbeitet hat durch ein
Schulsystem, das eine Hochschulqualifikation garantierte und meist
auch einen Hochschulabschluss, und dann in einen so genannten Beruf
führte. Oder man hatte eher Wurzeln in der Arbeiterklasse, wo man
zur Highschool ging, wahrscheinlich sich nicht die Mühe machte,
auf's College zu gehen, und einen Beruf ergriff, in dem man
ausgebildet wurde, und das war dann Deine Arbeit. Und es war so
ziemlich immer eine von den beiden Sachen. Und dann gab's gewisse
Vorbilder innerhalb dieser beiden Kategorien, jeweils
verschiedene. Und jetzt ist das alles chaotisch. Du kannst
nicht auf's College gehen - egal was Dein Background ist - und den
Weg einschlagen, Du kannst Dich durchs College durchwurschteln,
auch wenn die Chancen gegen Dich stehen, und den entgegengesetzten
Weg einschlagen, Du nimmst Elemente aus einer anderen Kultur und
versuchst, sie zu ko-optieren. Alles wurde auf den Kopf gestellt.
Alle mussten schon immer eine Identität für sich selbst
zusammenzimmern, aber in unserer Ära gibt es eine viel offenere
Spannbreite der Möglichkeiten. Und darauf will der Film hinaus,
er zeigt einem diese ganze Arena, in der die Leute experimentieren.
Und einerseits ist es schwieriger, eine Identität zu finden, weil
die Wahlmöglichkeiten so viel radikaler und seltsamer sind, und
andererseits ist es einfacher und besser, weil man wirklich eine
Wahl hat und man nicht mehr so eingeschränkt ist wie früher,
historisch, familiär, sozial, ökonomisch und besonders in Hinblick
auf Rasse. Die Beschränkungen wurden ausgelöscht. Es scheint fast
so, als könnten jetzt alle alles machen. Und mit unserer Art der
elektronischen Öffnung der Welt, wo alle dadurch verbunden sind,
dass sie den Medien ausgesetzt sind, und wo das Internet alle
verbindet, ist es schwer, irgendwen von irgendetwas auszuschließen.
Wie in einer Abwandlung von Andy Warhols berühmtem Spruch, dass
jeder für 15 Minuten Ruhm haben wird - jetzt hat jeder potentiell
überhaupt keinen Ruhm oder permanenten Ruhm. Oder überhaupt keinen
Erfolg oder unbegrenzten Erfolg. Alle könne überall sein. Auf jeder
Ebene. Und jeder kann jeden anderen besitzen. Dieser französiche
takeover von Universal ist Teil dieses Phänomens. Da kommt dieser
Wasser-Verarbeitungs-Konzern oder sowas, und besitzt plötzlich den
größten Spirituosen-Konzern, Unterhaötung-Konzern... Warum? "Nun,
wir haben es einfach getan, wir haben uns entschlossen, das zu
tun." So verrückt die Idee scheint, sie funktioniert.
Sind die Grenzen zwischen schwarz und weiß im
Verschwinden? Gibt es da eine große Umwälzung in Amerika?
Ja, wegen Sex. Jeder fickt jeden. Und wenn erstmal jeder jeden
fickt, kann man nicht mehr so leicht ausschließen. Es ist die
größte Veränderung der amerikanischen Geschichte, weil es in zwei
Generationen sowas wie "weiss" nicht mehr geben wird. Es ist das,
was Claudia Schiffer im Film sagt: Rassen-Identität ist die letzte
wichtige Schranke, die fällt, Amerika verändert sich, denn
historisch gesehen war es immer eine Gesellschaft, die schwarz und
weiss war, Besitzer und Besessener. Und obwohl es seit den 1860ern
keine Sklaven mehr gibt, war das Land immer aufgebaut auf Leuten,
die etwas besitzen, und Leuten, die für die Leute arbeiten, die
etwas besitzen. Und das ist derzeit alles im Aufruhr.
Bleibt die Frage, die im Film auch gestellt
wird: Wer sind dann die Sklaven von heute?
Genau: Wer sind die Sklaven von heute...
Herr Toback, wir danken Ihnen für das
Gespräch.
Anm. d. Red.: Robert Downey Jr. wurde letzte
Woche frühzeitig aus dem Gefängnis entlassen - siehe dazu die Internet Movie
Database.
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