Christoph Gröner sprach mit artechock-Redakteurin Dunja
Bialas, die das Festival zusammen mit Bernd Brehmer vom Werkstadtkino
ins Leben rief.
Christoph Gröner: "Noch ein Filmfestival
in München!" Das ist natürlich der erste Gedanke,
der einem durch den Kopf schießt bei UNDERDOX. Was hat
euch bewegt, eure Veranstaltung zu starten ?
Dunja Bialas: Der Gedanke, dass sich in München
in der Filmlandschaft etwas ändern, erweitern muss,
abseits der regulären Filmstarts und der etablierten
Festivals, steht am Anfang dieses Festivals. Er existiert
schon lange, seit der Zeit, in der ich regelmäßig
auf europäische Festivals reise, im Rahmen meiner Tätigkeit
für das Dok.Fest und verschiedener Jurytätigkeiten.
Ich konnte auf diesen Festivals Filme sehen, die mich überraschten,
weil sie meine bisherigen Sehgewohnheiten in Frage stellten
durch ihre Neuheit und Andersartigkeit, die in Richtung
Kunst, Experiment oder Genreüberschreitung gingen,
und dabei mit großem Selbstbewußtsein in ein
anspruchsvolles internationales Programm eingebettet waren,
Preise gewannen. Dieses Selbstverständnis, nicht einzuordnende
Filme zu zeigen und zu honorieren, hat mich beeindruckt.
In München galten dann diese Filme beim Dok.Fest,
für das ich als Filmscout arbeite, als unprogrammierbar,
eben weil sie nicht eine spezifische Themen-Zielgruppe ansprechen
(und das Dok.Fest ein erklärtes Publikumsfestival ist).
Ulla Rapp vom Filmfest München wollte INTERKOSMOS,
der bei uns als Eröffnungsfilm läuft, für
ihre Independents - und stieß auf Widerstand, weil
dem Filmfest der Film zu experimentell erschien.
Interessanterweise waren wir vorher schon, auf dem Festival
von Rotterdam, auf den Fim aufmerksam geworden und hatten
schon Kontakt zu Jim Finn, dem Regisseur, aufgenommen. Die
Tatsache, dass Ulla Rapp diesen Film wollte, ihn aber nicht
zeigen konnte, hat uns noch mal bestärkt in der Idee,
diesen und andere sehenswerte Filme nach München zu
holen. Zusammen mit Bernd Brehmer vom Werkstattkino entstand
dann der Entschluss, ein Forum oder Festival für diese
Filme zu gründen, die bei den hiesigen gängigen
Festivalformate durchs Raster fallen. UNDERDOX, das muss
hervorgehoben werden, ist aber kein Gegenfestival zum Dok.Fest,
sondern eine notwendige, eigenständige Ergänzung,
und war von Anfang an als jährliches Kinoereignis gedacht.
Ihr zeigt das, was anderen Festivals zu abseitig ist?
UNDERDOX unterscheidet sich zu anderen Festivals durch
seinen Mut zum Experiment. Wir zeigen Filme, die nicht über
ihr Thema oder ihre Besetzung von vorneherein ein bestimmtes
Publikum benennen können. Wir zeigen dafür Filme
für Zuschauer mit dem Mut und der Lust für neue
Entdeckungen.
Ganz wesentlich ist zudem, dass UNDERDOX bewusst Künstler-Videos
(auch wenn sie heute alle auf DVD sind, heißen sie
immer noch so) in den Kinosaal bringt. Wir beide, Bernd
Brehmer und ich, haben unabhängig voneinander ein sehr
großes Interesse an Videofilm als künstlerischer
Ausdrucksform. Und uns beide hat immer schon die Rezeptionssituation
von Installationen gestört (siehe die große Video-Ausstellung
im Lenbachhaus vor einigen Monaten), in der man nicht wirklich
sich auf das Video einlassen kann, weil er auf einem kleinen
Monitor läuft, die Kopfhörer schlecht sind, und
man rechts und links durch andere Videos auf anderen Monitoren
abgelenkt ist. Wir wollen Künstler-Videos eine uneingeschränkte
Aufmerksamkeit zukommen lassen, deshalb die Idee, sie im
Kino zu zeigen.
In unserer Video-Sektion zeigen wir Arbeiten von Künstlern,
die in München wohnen oder in München begonnen
haben zu arbeiten, und wollen damit dezidiert der ortsansässigen
Szene ein Forum bieten. Ähnlich macht dies das Dok.Fest
mit den Übungsfilmen von der HFF. Die Künstler,
die wir vorstellen, sind jedoch nicht an einen bestimmten
Ausbildungsgrad gebunden. Wir zeigen Arbeiten der etablierten
Installationskünstlerin Alexandra Ranner, vom Preisträger
Oliver Pietsch und von den sogenannten Debütanten.
Wie seid ihr zu den Filmen gekommen?
Die Filme wurden von drei Kuratoren zusammengetragen (mir,
Bernd Brehmer und Olaf Möller aus Köln, der für
den amerikanischen "Film Comment" und den "Filmdienst"
schreibt) und sind die Summe jahrelanger Sichtungen auf
europäischen Festivals. Wir haben so viele Filme, die
wir zeigen wollen, und die wir dieses Jahr alle gar nicht
unterbringen konnten, dass das Programm vom nächsten
Jahr schon zur Hälfte steht. Wir haben in den meisten
Fällen die Filmemacher persönlich auf den Festivals
kennengelernt und konnten über diesen Kontakt die Filme
direkt von den Regisseuren beziehen. In anderen Fällen
steht ein Verleih dahinter, die Freunde der Deutschen Kinemathek,
die viele Forums-Filme in ihren Verleih aufnehmen, sie dann
aber doch nicht regulär ins Kino bringen können,
und Sixpack in Österreich. Aber auch da hatten wir
persönlichen Kontakt zu Norbert Pfaffenbichler (NOTES
ON FILM).
Das ergibt dann auch ein sehr vielfältiges, heterogenes
Programm. Gibt es dennoch Verbindungen zwischen den Filmen?
Das Programm verbindet, dass alle Filme ungewöhnliche
(Dokumentar-)Filme sind. Ungewöhnliche (Dokumentar-)Filme
heißt, dass bei ihnen zur dokumentarischen Aussage
etwas hinzukommt, ein künstlerischer Aspekt, wie z.B.
eine fotografische Kamera (TIME IS WORKING AROUND ROTTERDAM),
die bewußte Entscheidung für ein Filmmaterial
wie Super 8 (OLIVA OLIVA) oder 16 mm (TAIMAGURA BACHAAN),
oder ein experimenteller (Dokumentationsmaterial kehrt im
Film als Loop wieder, SCHUSS und NOTES ON FILM). Oder es
sind Filme, die eine Wirklichkeitssuggestion aufbauen, dabei
aber gefakte Dokumentarfilme sind (TOP SPOT oder INTERKOSMOS).
Wichtig ist: die Filme benügen sich nicht damit, Themen
in Form von Dokumentationen an den Zuschauer weiterzugeben,
bzw. ist der Dokumentationsaspekt oftmals eher Nebensache.
Die Form ist ihnen ebenso wichtig, und Themen werden bei
ihnen zu Dingen der Wirklichkeit, werden physisch. Deshalb
sprechen wir auch gerne bei den UNDERDOX-Filmen von Filmen,
die Kino als Form zeitgenössischer Kunst wieder ins
Bewusstsein rückt. Denn das ist für uns vor allem
Kino, septième art.
Was ist als Rahmenprogramm vorgesehen?
Der Eröffnungsabend findet ab 22 Uhr in der KULISSE
statt (über dem Werkstattkino, Wirtschaft des "Theater
im Fraunhofer"), mit "Underdox"-Musik, die
ein Freund von uns zusammengestellt hat.
Die "Finissage" findet in der TRINKHALLE statt
(Baaderstr. 68), die ein Abschiedsgetränk an alle ausgeben.
(Ebenfalls 22 Uhr)
Und dann gibt es noch am Sonntag ab 23 Uhr die Lav-Diaz-Mitternachtsparty
im Anschluss an den 10stündigen EVOLUTION OF A FILIPINO
FAMILY. Anstrengung muss belohnt werden! Den Ort geben wir
deshalb auch erst in der letzten Filmpause an die Zuschauer
bekannt. Wobei, das muss dazugesagt werden, wir natürlich
nicht so streng sind, und die Zuschauer in den Pausen die
Möglichkeit haben, aus dem Film auszusteigen und später
wiederzukommen oder eben erst in den Pausen in den Film
einzusteigen (Pausen um 14:45, 18:00, 20:45)
Seid ihr auf euch allein gestellt oder gibt es schon Förderer?
Wir haben kurzfristig noch eine Förderung durch das
Kulturreferat der Stadt erhalten können. Sie ist relativ
gering, entspricht aber in etwa dem, was ich als Defizit
errechnet hatte. Da wir keine Gäste zum Festival einladen
konnten, ist unser angenommenes Etat in einem noch bescheidenen
Rahmen. Für nächstes Jahr wollen wir versuchen,
eine breitere Förderung zu erhalten und Sponsoren zu
aquirieren, um auch Gäste einladen zu können.
Zusätzlich zur städtischen Förderung haben
wir in einer last-minute-Aktion Anzeigen für den Katalog
aquiriert.
Wie lang hat die Planung gedauert?
Der Entschluss, dieses Festival zu machen, entstand dieses
Jahr im Februar während der Berlinale. Jetzt ist es
ein halbes Jahr später, und das Festival findet statt!
Was war das Motiv, das so kurzfristig aus dem Boden zu stampfen?
Lust, Laune und Leidenschaft! (Das war übrigens unser
Arbeitsmotto.) Da wir die Filme, die wir zeigen, teilweise
schon seit Jahren mit uns herumtragen, wollten wir nicht
noch ein Jahr warten, um sie dann endlich zu zeigen. Auch
waren wir bestärkt durch die Reaktionen unseres Umfeldes:
Alle fanden unsere Idee sehr gut und haben uns, auch durch
konkrete Arbeitsleistung, unterstützt. Und um etwas
Neues zu machen, sollte man nicht zu lange damit warten
und zu lange herumüberlegen. Wir sind von unserer Idee
und unserem Festival zu hundert Prozent überzeugt.
Und deshalb haben wir es gewagt, auch ohne größere
finanzielle Absicherung (die Förderung der Stadt kam
auch erst in der Endphase hinzu), haben dabei aber trotzdem
den Anspruch, professionelle Arbeit hinzulegen. Wir hoffen
natürlich, dass unser Mut, Anspruch und unsere Leidenschaftlichkeit,
die uns in diesem Jahr dazu brachten, das Festival in Eigenverantwortung
zu machen, im nächsten Jahr helfen wird, eine größere
finanzielle Unterstützung zu finden.
Was sind die Erwartungen an das erste Festival?
Zu erwarten ist, dass neben den normalen Kinobesuchern
verstärkt die Kunstszene zu unseren Filmen kommt.
Zu hoffen ist, dass sich die Zuschauer sich von unseren
Filmen begeistern lassen, und UNDERDOX begreifen als Ort,
an dem man unterhaltsame, aufregende, schöne, bisweilen
auch anstrengende, aber immer Entdeckungen machen kann.
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