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Underdox: Münchens brandneues Filmfestival

  05.10.2006
 
 
Filme, die in keine Schublade passen: Dokufiktionen, Experimente und die Lust am Bruch der Sehgewohnheiten

INTERKOSMOS -
eine fiktionale Dokumentation
 
 
 
 

Christoph Gröner sprach mit artechock-Redakteurin Dunja Bialas, die das Festival zusammen mit Bernd Brehmer vom Werkstadtkino ins Leben rief.

Christoph Gröner: "Noch ein Filmfestival in München!" Das ist natürlich der erste Gedanke, der einem durch den Kopf schießt bei UNDERDOX. Was hat euch bewegt, eure Veranstaltung zu starten ?

Dunja Bialas: Der Gedanke, dass sich in München in der Filmlandschaft etwas ändern, erweitern muss, abseits der regulären Filmstarts und der etablierten Festivals, steht am Anfang dieses Festivals. Er existiert schon lange, seit der Zeit, in der ich regelmäßig auf europäische Festivals reise, im Rahmen meiner Tätigkeit für das Dok.Fest und verschiedener Jurytätigkeiten. Ich konnte auf diesen Festivals Filme sehen, die mich überraschten, weil sie meine bisherigen Sehgewohnheiten in Frage stellten durch ihre Neuheit und Andersartigkeit, die in Richtung Kunst, Experiment oder Genreüberschreitung gingen, und dabei mit großem Selbstbewußtsein in ein anspruchsvolles internationales Programm eingebettet waren, Preise gewannen. Dieses Selbstverständnis, nicht einzuordnende Filme zu zeigen und zu honorieren, hat mich beeindruckt.

In München galten dann diese Filme beim Dok.Fest, für das ich als Filmscout arbeite, als unprogrammierbar, eben weil sie nicht eine spezifische Themen-Zielgruppe ansprechen (und das Dok.Fest ein erklärtes Publikumsfestival ist). Ulla Rapp vom Filmfest München wollte INTERKOSMOS, der bei uns als Eröffnungsfilm läuft, für ihre Independents - und stieß auf Widerstand, weil dem Filmfest der Film zu experimentell erschien.

Interessanterweise waren wir vorher schon, auf dem Festival von Rotterdam, auf den Fim aufmerksam geworden und hatten schon Kontakt zu Jim Finn, dem Regisseur, aufgenommen. Die Tatsache, dass Ulla Rapp diesen Film wollte, ihn aber nicht zeigen konnte, hat uns noch mal bestärkt in der Idee, diesen und andere sehenswerte Filme nach München zu holen. Zusammen mit Bernd Brehmer vom Werkstattkino entstand dann der Entschluss, ein Forum oder Festival für diese Filme zu gründen, die bei den hiesigen gängigen Festivalformate durchs Raster fallen. UNDERDOX, das muss hervorgehoben werden, ist aber kein Gegenfestival zum Dok.Fest, sondern eine notwendige, eigenständige Ergänzung, und war von Anfang an als jährliches Kinoereignis gedacht.

Ihr zeigt das, was anderen Festivals zu abseitig ist?

UNDERDOX unterscheidet sich zu anderen Festivals durch seinen Mut zum Experiment. Wir zeigen Filme, die nicht über ihr Thema oder ihre Besetzung von vorneherein ein bestimmtes Publikum benennen können. Wir zeigen dafür Filme für Zuschauer mit dem Mut und der Lust für neue Entdeckungen.

Ganz wesentlich ist zudem, dass UNDERDOX bewusst Künstler-Videos (auch wenn sie heute alle auf DVD sind, heißen sie immer noch so) in den Kinosaal bringt. Wir beide, Bernd Brehmer und ich, haben unabhängig voneinander ein sehr großes Interesse an Videofilm als künstlerischer Ausdrucksform. Und uns beide hat immer schon die Rezeptionssituation von Installationen gestört (siehe die große Video-Ausstellung im Lenbachhaus vor einigen Monaten), in der man nicht wirklich sich auf das Video einlassen kann, weil er auf einem kleinen Monitor läuft, die Kopfhörer schlecht sind, und man rechts und links durch andere Videos auf anderen Monitoren abgelenkt ist. Wir wollen Künstler-Videos eine uneingeschränkte Aufmerksamkeit zukommen lassen, deshalb die Idee, sie im Kino zu zeigen.

In unserer Video-Sektion zeigen wir Arbeiten von Künstlern, die in München wohnen oder in München begonnen haben zu arbeiten, und wollen damit dezidiert der ortsansässigen Szene ein Forum bieten. Ähnlich macht dies das Dok.Fest mit den Übungsfilmen von der HFF. Die Künstler, die wir vorstellen, sind jedoch nicht an einen bestimmten Ausbildungsgrad gebunden. Wir zeigen Arbeiten der etablierten Installationskünstlerin Alexandra Ranner, vom Preisträger Oliver Pietsch und von den sogenannten Debütanten.

Wie seid ihr zu den Filmen gekommen?

Die Filme wurden von drei Kuratoren zusammengetragen (mir, Bernd Brehmer und Olaf Möller aus Köln, der für den amerikanischen "Film Comment" und den "Filmdienst" schreibt) und sind die Summe jahrelanger Sichtungen auf europäischen Festivals. Wir haben so viele Filme, die wir zeigen wollen, und die wir dieses Jahr alle gar nicht unterbringen konnten, dass das Programm vom nächsten Jahr schon zur Hälfte steht. Wir haben in den meisten Fällen die Filmemacher persönlich auf den Festivals kennengelernt und konnten über diesen Kontakt die Filme direkt von den Regisseuren beziehen. In anderen Fällen steht ein Verleih dahinter, die Freunde der Deutschen Kinemathek, die viele Forums-Filme in ihren Verleih aufnehmen, sie dann aber doch nicht regulär ins Kino bringen können, und Sixpack in Österreich. Aber auch da hatten wir persönlichen Kontakt zu Norbert Pfaffenbichler (NOTES ON FILM).

Das ergibt dann auch ein sehr vielfältiges, heterogenes Programm. Gibt es dennoch Verbindungen zwischen den Filmen?
Das Programm verbindet, dass alle Filme ungewöhnliche (Dokumentar-)Filme sind. Ungewöhnliche (Dokumentar-)Filme heißt, dass bei ihnen zur dokumentarischen Aussage etwas hinzukommt, ein künstlerischer Aspekt, wie z.B. eine fotografische Kamera (TIME IS WORKING AROUND ROTTERDAM), die bewußte Entscheidung für ein Filmmaterial wie Super 8 (OLIVA OLIVA) oder 16 mm (TAIMAGURA BACHAAN), oder ein experimenteller (Dokumentationsmaterial kehrt im Film als Loop wieder, SCHUSS und NOTES ON FILM). Oder es sind Filme, die eine Wirklichkeitssuggestion aufbauen, dabei aber gefakte Dokumentarfilme sind (TOP SPOT oder INTERKOSMOS). Wichtig ist: die Filme benügen sich nicht damit, Themen in Form von Dokumentationen an den Zuschauer weiterzugeben, bzw. ist der Dokumentationsaspekt oftmals eher Nebensache. Die Form ist ihnen ebenso wichtig, und Themen werden bei ihnen zu Dingen der Wirklichkeit, werden physisch. Deshalb sprechen wir auch gerne bei den UNDERDOX-Filmen von Filmen, die Kino als Form zeitgenössischer Kunst wieder ins Bewusstsein rückt. Denn das ist für uns vor allem Kino, septième art.

Was ist als Rahmenprogramm vorgesehen?

Der Eröffnungsabend findet ab 22 Uhr in der KULISSE statt (über dem Werkstattkino, Wirtschaft des "Theater im Fraunhofer"), mit "Underdox"-Musik, die ein Freund von uns zusammengestellt hat.

Die "Finissage" findet in der TRINKHALLE statt (Baaderstr. 68), die ein Abschiedsgetränk an alle ausgeben. (Ebenfalls 22 Uhr)

Und dann gibt es noch am Sonntag ab 23 Uhr die Lav-Diaz-Mitternachtsparty im Anschluss an den 10stündigen EVOLUTION OF A FILIPINO FAMILY. Anstrengung muss belohnt werden! Den Ort geben wir deshalb auch erst in der letzten Filmpause an die Zuschauer bekannt. Wobei, das muss dazugesagt werden, wir natürlich nicht so streng sind, und die Zuschauer in den Pausen die Möglichkeit haben, aus dem Film auszusteigen und später wiederzukommen oder eben erst in den Pausen in den Film einzusteigen (Pausen um 14:45, 18:00, 20:45)

Seid ihr auf euch allein gestellt oder gibt es schon Förderer?

Wir haben kurzfristig noch eine Förderung durch das Kulturreferat der Stadt erhalten können. Sie ist relativ gering, entspricht aber in etwa dem, was ich als Defizit errechnet hatte. Da wir keine Gäste zum Festival einladen konnten, ist unser angenommenes Etat in einem noch bescheidenen Rahmen. Für nächstes Jahr wollen wir versuchen, eine breitere Förderung zu erhalten und Sponsoren zu aquirieren, um auch Gäste einladen zu können. Zusätzlich zur städtischen Förderung haben wir in einer last-minute-Aktion Anzeigen für den Katalog aquiriert.

Wie lang hat die Planung gedauert?

Der Entschluss, dieses Festival zu machen, entstand dieses Jahr im Februar während der Berlinale. Jetzt ist es ein halbes Jahr später, und das Festival findet statt!

Was war das Motiv, das so kurzfristig aus dem Boden zu stampfen?

Lust, Laune und Leidenschaft! (Das war übrigens unser Arbeitsmotto.) Da wir die Filme, die wir zeigen, teilweise schon seit Jahren mit uns herumtragen, wollten wir nicht noch ein Jahr warten, um sie dann endlich zu zeigen. Auch waren wir bestärkt durch die Reaktionen unseres Umfeldes: Alle fanden unsere Idee sehr gut und haben uns, auch durch konkrete Arbeitsleistung, unterstützt. Und um etwas Neues zu machen, sollte man nicht zu lange damit warten und zu lange herumüberlegen. Wir sind von unserer Idee und unserem Festival zu hundert Prozent überzeugt. Und deshalb haben wir es gewagt, auch ohne größere finanzielle Absicherung (die Förderung der Stadt kam auch erst in der Endphase hinzu), haben dabei aber trotzdem den Anspruch, professionelle Arbeit hinzulegen. Wir hoffen natürlich, dass unser Mut, Anspruch und unsere Leidenschaftlichkeit, die uns in diesem Jahr dazu brachten, das Festival in Eigenverantwortung zu machen, im nächsten Jahr helfen wird, eine größere finanzielle Unterstützung zu finden.


Was sind die Erwartungen an das erste Festival?

Zu erwarten ist, dass neben den normalen Kinobesuchern verstärkt die Kunstszene zu unseren Filmen kommt.

Zu hoffen ist, dass sich die Zuschauer sich von unseren Filmen begeistern lassen, und UNDERDOX begreifen als Ort, an dem man unterhaltsame, aufregende, schöne, bisweilen auch anstrengende, aber immer Entdeckungen machen kann.

 

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