Steven Zaillian ist vor allem durch seine Drehbnücher bekanntgeworden.
Der Autor von SCHINDLERS
LIST und AMISTAD
schrieb auch das Drehbuch zu TWISTER
und war an Brian De Palmas MISSION
IMPOSSIBLE beteiligt. A
CIVIL ACTION, dessen Drehbuch auf einer wahren Geschichte
beruht, ist nach SEARCHING FOR BOBBY FISCHER (1993) Zaillians
zweite Regiearbeit. Das Interview führte Rüdiger Suchsland
Artechock: In Ihren Filmen und Drehbüchern geht es sehr
oft um Geschichten, die einen realen Hintergrund haben. Wie kommt
das? Sind Sie ein "Realitätsexperte"?
Zaillian: Oh, das entsteht zufällig. Ich habe es
sicher nicht angestrebt. Es ist mehr so: Man hat eine Sache gut
gemacht, und dann macht man noch etwas in der Art, und beim dritten
Mal muß man dann langsam anfangen aufzupassen. Ich denke sehr
bewußt darüber nach, beim nächsten Mal in jedem Fall etwas ganz
fiktionales zu machen. Für Schauspieler ist das Problem des
auf-etwas-fixiert-seins noch viel schlimmer.
Was mögen Sie denn an "wahren Geschichten"?
Sicher nicht, das sie wahr sind. Das macht
den Film ja kein bißchen besser.
Und was macht eine Story zu einer guten?
Vielleicht das sie offen ist? Es scheint mir, daß viele Ihrer
Geschichten bewußt offen gehalten sind: A CIVIL ACTION nicht
weniger als MISSION IMPOSSIBLE.
Was meinen Sie genau mit "offen"?
Nun, ich habe den Eindruck, daß Sie in Ihrem neuen
Film ganz bewußt dafür sorgen, das man nicht weiß, was wirklich
passiert. Man weiß, wer der "good guy" ist, klar, aber man weiß nie
ob er am Ende gewinnt oder verliert. Und so ist es dann auch: In
gewisser Weise verliert er, in gewisser Weise steht er als Sieger
da.
Ja, diese Art Storys mag ich. Und gerade
hier haben wir einen Typ, der scheinbar alles verloren hat, aber
tatsächlich gewinnt. Als Mensch. Das war für mich sicher als ich
anfing der allerwichtigste Bestandteil der Story. Alles andere war
austauschbar: Es hätte über einen anderen Fall sein können, der
Held hätte einen anderen Beruf haben können.
Wirklich?
Ja ! Aber ich denke, daß die Grundidee
entscheidend ist - daß ein Mann sich zuerst durch das definiert,
was er hat, was er besitzt, anzieht, darstellt, und am Ende nichts
mehr von alldem hat, aber allen ins Gesicht sagt: Es war es
wert.
Ich hatte an den Preminger-Film ANATOMY OF A
MURDER gedacht. Dort wird in ähnlicher Weise jene Gerechtigkeit in
Frage gestellt, die vor Gericht entsteht.
Oh wirklich? Ich habe den Film nie gesehen.
Ich habe davon natürlich gehört. Aber ich habe viele
Court-Room-Dramas nicht gesehen - der einzige, an den ich mich
erinern kann, ist THE VERDICT. Aber RAINMAKER habe ich nicht
gesehen, und die anderen Grisham-Filme auch nicht.
Es hat Sie also nicht interessiert, einen
Court-Room-Movie zu drehen?
Nein, überhaupt nicht. Ich meine: Ein paar
Details schon. Wie man einen Fall angeht. Was Anwälte wirklich tun,
im Vergleich zu dem, was sie zu tun vorgeben. Ich mag die Tatsache,
daß das, was wirklich zählt, das ist, was außerhalb der Verhandlung
passiert: Die Zeugengespräche, die Untersuchungen. Das Gericht
ist nur wie die Bühne, auf der man seinen Auftritt hat. Es geht
nicht darum, den Dingen wirklich auf den Grund zu gehen. Man
präsentiert nur seine Version der Wahrheit, und hofft, daß sie für
andere zwingend ist.
Vielleicht liegt es daran, daß sie nicht viele
Court-Room-Dramas gesehen haben, daß sich bei Ihnen so viel
außerhalb des Gerichts ereignet. Wie haben Sie die Buchvorlage zu
Ihrem Film bearbeitet? Haben Sie sie gekürzt und einen Großteil
der Gerichtsszenen weggelassen oder ...
Ja, der Prozeß nimmt schätzungsweise ein
Drittel des Buches in Anspruch. Aber daß ich das wegließ, lag
daran, daß ich immer am Abend dachte: Eigentlich ist überhaupt
nichts passiert. Man liest das, und glaubt: Mann, da geht eine
ganze Menge ab. Und dann überlegt man, blickt zurück und
realisiert: Nichts ist passiert, was man nicht schon vorher wußte.
Und als ich das merkte, dachte ich: Wenn ich den Schwerpunkt
auf den Prozeß lege, wird es ganz schön langweilig. Abgesehen
davon, wenn die Anwälte ihren großen Auftritt vor der Jury haben.
Das ist natürlich interessant. Das meiste habe ich allerdings
herausgeschnitten, nachdem wir gedreht haben.
Glauben sie eigentlich daran, daß vor Gericht so
etwas wie Wahrheit gefunden wird?
Es ist schwer, daran zu glauben, sehr
schwer. Wir Amerikaner haben ein ziemlich klares Bild davon
bekommen, wie es zugeht, als der O.J.Simpson-Prozeß stattfand.
Fragen Sie irgendwenn auf der Straße, ob er es getan hat - jeder
wird sagen: Klar hat er's gemacht. Aber die Jury hat gesagt: Nein.
Wir wissen zwar alle, daß die Jury eigentlich nicht sagen wollte:
Er war's oder er war's nicht, sondern: Es gibt noch wichtigeres als
diese Frage. Ich glaube nicht daß irgendjemand ernsthaft meint,
O.J. wäre unschuldig.
Glauben Sie in das US-Justizsystem?
Nicht, wenn es so läuft. Manchmal
funktioniert's, manchmal nicht. Ich hätte aber jedenfalls ziemlich
viel Angst, meine Zukunft in die Hände von 12 Leuten zu legen, die
ich nicht kenne. In einem System, in dem technische Fragen ein
enorm große Rolle spielen - Ich weiß nicht. Schwer zu sagen. Ich
glaube, daß ich die Grundidee richtig finde. Aber wir haben zu oft
erlebt, daß es falsch läuft. Aber ich kenne keine Alternative. Ich
weiß nicht, ob es ein besseres System gibt.
Mögen Sie Anwälte?
Als Gruppe? Ich mag bestimmte Anwälte. Und
ich kann auch nicht sagen, daß ich etwas gegen sie habe, als
Klasse. Aber ich kann mir nicht vorstellen, selber einer zu sein.
Dieses ganze Ding: jemanden verteidigen, von dem man weiß, daß er
schuldig ist, das kann ich mir nicht vorstellen.
Als Regisseur sind Sie ja auch so eine Art Anwalt.
Sie verteidigen Ihre Helden, Sie klagen an, plädieren, erzählen
Ihre Version dessen, was Wahrheit ist...
Ja. Das stimmt. Ich weiß allerdings nicht,
ob meine Helden Verbrechen begangen haben. Aber wenn wir von
Anwälten reden: Die haben normalerweise schon irgendwelche
moralischen Dinge auf dem Kerbholz: eben jemanden zu verteidigen,
um dessen Schuld man weiß. Die wirklich schwere Verbrechen begangen
haben. Aber in gewissem Sinn haben Sie recht - ich habe daran
noch nie gedacht.
Hier haben Sie also Ihren Helden
Schlichtmann/Travolta verteidigt. So wie in SCHINDLERS LIST den
Schindler.
Ja - ich mag die Vorstellung, daß sie
verteidige, aber ich denke, daß ich es auf faire Art tue. Ich
versuche keine Spielchen zu spielen, nicht zu manipulieren, nicht
zu viele Tricks zu benutzen, wie sie einem Drehbuchautor zur
Verfügung stehen. Ich versuche, beide Seiten zu zeigen, die gute
und die schlechte, und die Leute zu akzeptieren für das, was sie
sind. Es liegt oft nicht an Ihrer Stärke, daß sie zu Helden werden,
es ist mehr eine Art Schwäche, irgendetwas das über sie kommt.
Und manchmal wissen sie es gar nicht, bis sie merken was sie getan
haben. Dann blicken sie zurück und denken: Ja stimmt, das habe ich
gemacht. Einmal habe ich etwas Gutes gemacht. Ich glaube in dem
Moment an dem man es tut, weiß man gar nicht, ob etwas gut oder
schlecht ist.
Das heißt: Man sollte schwach genug sein, das Gute
zu tun?
Ja - Nein. Was ich sagen will: Niemand ist
ganz und gar gut oder schlecht. Man trägt beides in sich.
Hoffentlich hat man am Ende seines Lebens mehr Gutes als Schlechtes
gemacht. Ich glaube nicht, daß Jan Schlichtmann nachts aufgewacht
ist und ernsthaft darüber nachgedacht hat, was er machen soll.
Anscheinend hat er aber das Richtige gemacht. Das Richtige in
diesem Fall war, sich faktisch selbst zu opfern.
Und er hat eine Menge Druck ausgehalten.
Enormen Druck. Auch auf seinen Partnern und
Klienten. Das war keine leichte Sache. Es ist keine leichte Sache,
alles aufzugeben, jeden Dollar.
Der echte Jan Schlichtmann muß ein ziemlich
charismatischer Mensch sein. Haben Sie ihn getroffen?
Ja, direkt als das Script fertig war.
Schlichtmann war der Leader in der Kanzlei. Darum sind sie ihm
gefolgt. Was macht man mit seinen Leadern? Folgt man Ihnen auch
auf dem Abstieg. Gibt man sie auf halbem Weg auf? Das war die
Frage, die die sich stellen mußten. Schließlich entschieden sie
sich, ihm ganz nach unten zu folgen. Vielleicht hatten sie tief im
Innersten keine Wahl. Heute ist der echte Jan Schlichtmann
etwas anders. Er lebt ein eher einfaches Leben. Er glaubt nicht,
daß er all das wirklich braucht, was er früher gebraucht hat.
Aber seine Persönlichkeit ist die gleiche: Er ist immer noch der
Showman, er geht gern in Bars, mit Freunden, er redet immer noch am
Lautesten. Er kauft sich zwar keine sauteuren Anzüge mehr, aber er
kümmert sich immer noch darum, wie er aussieht, wie er wirkt. Er
hört sich gern reden, und er hat viel zu sagen. Aber wie er
sein Leben führt, das ist anders. Er muß nicht mehr Partner in
einer Kanzlei sein. Er hat's nicht mehr nötig, zu beweisen, daß er
besser ist als diese Harvard-Jungs. Er sieht sich als Mittler. Er
will die Parteien zusammenbringen. Ich glaube nicht, daß ER
noch dem Justiz-System vertraut. Er will nicht mehr spielen, nicht
alles auf eine Karte setzen. Er sieht das als undurchschaubare
Sache an und will lieber am runden Tisch sitzen und diskutieren.
Sie sind ein hochbezahlter Drehbuchautor. Würden
Sie je einen Film drehen, zu dem sie nicht selbst das Script
geschrieben haben?
Ich glaube, das könnte ich gar nicht. Es gab
solche Angebote, ich habe sie abgelehnt. Wenn ich ein Script
schreibe, dann lebe ich damit. Ich kenne es, ich habe es vor mir
gesehen; auf gewisse Art habe ich den Film gemacht. Wenn ich ihn
dann wirklich drehe, ändere ich vielleicht etwas. Aber in jedem
Fall habe ich das Gefühl, ich hätte die Hauptarbeit gemacht. Wenn
mich dann jemand fragt - wie etwas aussieht, wie etwas sein muß -
weiß ich worum es geht. Wenn ich's nicht selbst geschrieben
hätte, wüßte ich es nicht. Ich überlege dann dauernd, was sich der
Autor wohl gedacht haben mag.
In diesem Film hatten Sie drei Jobs: Producer,
Regisseur, Autor. Wie funktioniert das?
Regisseur zu sein bedeutet für mich vor
allem, den Film tatsächlich so gut zu machen, wie ich es mir beim
Schreiben vorgestellt habe. Da zu jagen, was im Kopf schon
existiert. Und Produktion - das war nichts. Ich habe mich da
draufschreiben lassen, damit ich mitreden kann. Ich wollte einfach
dabeisein und mitreden können, wenn Fragen der Produktion eine
Rolle spielen.
Was ist für Sie das Schönste am Regieführen?
Es gibt schlechte wie gute Seiten. Das
Schönste am Regieführen ist das: Man kann sich alle seine
Lieblingsschauspieler zusammensuchen.
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