Besprechung

Hamam - Das türkische Bad

Hamam

I/TR/E 1996, 94 Minuten · FSK: ab 12
Regie: Ferzan Ozpetek
Drehbuch: Ferzan Ozpetek, Stefano Tummolini
Kamera: Pasquale Mari
Darsteller: Alessandro Gassmann, Francesca D´Aloja, Carlo Cecchi, Halil Ergun, u.a.

Die Altstadt von Istanbul hat ihr eigenes Medium zur Nachrichtenverbreitung. Technisch gesehen ist es zwar nicht auf dem allerneuesten Stand, doch in kleinem Sendekreis ist es ohne Zweifel effektiv. Zur Funktionsweise: Die Fensterläden werden schwungvoll aufgerissen, lebhaft gestikulierend werden dann die Infos in vollem Stimmvolumen, über das Treiben in den schmalen Gassen hinweg, bis zur Nachbarin hinüber transportiert. Kurz gesagt: Das Leben ist gaaaaanz anders.

Im Zentrum dieses Films steht ein Hamam, ein türkisches Dampfbad, das die Reise in Vergangenes, das Leben mit den türkischen Traditionen und gleichzeitig das Genießen des Gegenwärtigen in vollen Zügen vereint.
Francescos (Alessandro Gassman) italienische Tante war dessen Inhaberin, eine ungewöhnliche Position in diesem patriarchalischen Gewerbe, wovon man allerdings nur aus ihren hinterlassenen Briefen erfährt, denn Tante Anita segnet gleich zu Beginn das Zeitliche.
Francesco -gerade widerwillig aus Rom angereist, um die Erbschaft anzutreten- will das Hamam stande pede wieder verkaufen. Nur in Istanbul, da laufen die Uhren anders, und Fancesco wird mit einigen Eigenwilligkeiten der Stadt konfrontiert, die der skurrilen Art der Nachrichtenverbreitung nicht nachstehen. Die verwinkelten Gassen mit den abblätternden Häuserfassaden, den verstaubten Straßenschildern und das halbverfallene Hamam mit seinem ungewöhnlichem Charme fangen ihn ein.
Überall entdeckt er Orte, die Geschichten erzählen, Orte die ihn faszinieren und zum Verweilen einladen. Etwas, das eigentlich überhaupt nicht zu diesem Yuppie-Innenarchitekten paßt, einem Perfektionisten, dem ursprünglich jedes überflüssige Wort zuwider ist.
Das Leben in Istanbul verändert ihn – in jeder Hinsicht.

Im ersten Drittel des Films braucht man wegen einiger eher langatmiger Sequenzen ein wenig Geduld, genau wie Francesco diese für seine neue Situation braucht. So interessant ist es dann doch nicht, wie die Kamera in sehr langen und detaillierten Einstellungen Francesco dabei beobachtet, wie er in den Sachen seiner Tante stöbert und ausgiebig das Hamam erkundet. Eine Person anzusehen, die etwas ansieht, gibt eben nicht unbedingt die Stimmung der Situation wieder. Doch wie Francesco findet auch der Film nach diesen Startschwierigkeiten seinen eigenen und stimmigen Rhythmus.

Der Regisseur Ferzan Ozpetek schafft mit seinen atmosphärischen Bildern der türkischen Hauptstadt und gutem Gespür für die Besetzung der Rollen eine anziehende Geschichte von der Entdeckung des Zustandes persönlichen Glücks. Er erzählt von dem sich-Zeit-nehmen, dabei sein eigenes Tempo zu finden und sich von einer Gemeinschaft auffangen zu lassen. Hört sich ein wenig pathetisch an, ist es vielleicht auch. Trotzdem wünscht man sich selbst die Erbschaft eines türkischen Dampfbades – wenn auch mit weniger tragischen Konsequenzen als im Film.

Andrea Wienen nach oben