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Jean Painlevé Programm 1

 
 
Frankreich - 82 Minuten -
Regie: Jean Painlevé
Kamera:
Drehbuch:
Besetzung:
 
 
 
 

"Le Vampire
Der Vampir
The vampire
Frankreich 1939/45, 35 mm, s/w, 9 Minuten
Produktion und Regie: Jean Painlevé
Kamera: André Raymond
Musik: Duke Ellington ("Black and Tan Fantasy", "Echoes of the Jungle")
Weltrechte / Herkunft der Kopie: Les Documents cinématographiques, Paris

Ich hatte eine ziemlich dumme Cousine, die glaubte, daß der Vampir so heißt, weil seine Flügel viel Wind produzieren [vent-pire]. (Sie glaubte auch, daß die Flüsse vom Meer zur Quelle fließen, weil im Meer mehr Wasser ist). Ich weiß noch immer nicht, warum Finnwale sich umbringen, indem sie sich an die Küste werfen. Dabei bin ich mit Hunderten von Tierarten vertraut, ganz abgesehen von den Menschen - und insbesondere den verstorbenen Freunden, die man wieder vor sich sieht, wenn der Tod näherrückt. - Es muß wohl eine Vorahnung gewesen sein, als ich 1939, unmittelbar vor dem Krieg, die Bilder vom Vampir machte. - Fledermäuse sind seit jeher ein Symbol für den Teufel und werden von den Bauern kurzerhand an die Haustür genagelt. Murnau machte, gemäß der Legende, aus dem Vampir einen Menschen, und Sie werden in diesem Film einen kleinen Ausschnitt sehen. - Ich habe die Effekte mit Musik von Duke Ellington hervorgehoben, was meine skandalöse Herangehensweise an die Wissenschaft noch unterstrich. Damals gab es in den großen Bahnhöfen Wochenschaukinos, in denen Kurzfilme gezeigt wurden; im Hauptbahnhof von Kopenhagen lief LE VAMPIRE zwei Jahre lang. Der Leiter der dänischen Kinemathek meinte, in dem Film käme mein ganzer Sadismus zum Ausdruck ... - JP

I had a rather silly cousin who believed that the vampire bat got its name from the wind made by its wings [vent-pire]. But then she also thought that rivers flowed from the sea to their source, because there is more water in the sea. I myself still do not know why rorquals kill themselves by throwing themselves ashore on the coast. And I know several hundred species of animals intimately, not to mention the human beings - and the departed friends you see again as your own death draws near. - It must have been premonition which made me film vampire bats in 1939. Just before the war. - Bats have always been a symbol of the devil, and have been nailed up stupidly on farm doors. Murnau made the vampire into a man, following the existing legend, and you will see some of his footage in this film. - As a backing I used Duke Ellington, which only underlined my scandalous approach to science. At that time, the main railway stations had newsreel cinemas where they showed short films; at the main station in Copenhagen they showed THE VAMPIRE for two years. The director of the Danish Film Library said that the film showed all my sadism ... - JP


L'Hippocampe, ou "Cheval marin"
Das Seepferdchen
The sea horse
Frankreich 1933, 35 mm, s/w, 13 Minuten
Produktion und Regie: Jean Painlevé
Kamera: André Raymond
Musik: Darius Milhaud
Weltrechte / Herkunft der Kopie: Les Documents cinématographiques, Paris

Das Seepferdchen ist der einzige vertikale Fisch. Das männliche Seepferdchen hat eine Tasche, in die das Weibchen die Eier legt, wo sie von einem Gewebe aus Blutgefäßen umgeben sind, das die Embryonen ernährt. Nach etwa dreißig Tagen macht das Männchen eine richtige Geburt durch, bei der sich die Tasche zusammenzieht, um die Embryonen auszustoßen. - Meine ersten Unterwasseraufnahmen machte ich mit einem kleinen wasserdichten Kasten, in den eine 35 mm-Kamera paßte. Sie hieß "Sieben", weil sie sieben Meter Film faßte. Wir mußten daher alle paar Sekunden auftauchen, um den Film zu wechseln. - Die Aufnahmen machte ich in Arcachon. Die Seeleute der dortigen Station drehten das Rad, mit dessen Hilfe Luft in die Maske des Tauchgeräts gepumpt wurde. Bei dieser Maske drückten die Gläser gegen die Augen, was bei einer bestimmten Tiefe durch einen okular-kardialen Reflex eine Beschleunigung des Herzschlags auslöste. Viel mehr störte mich jedoch, daß ich plötzlich keine Luft mehr bekam. Voller Panik tauchte ich auf und sah, wie die beiden darüber stritten, in welchem Rhythmus man das Rad zu drehen hätte. - JP

The sea horse is the only vertical fish. The male sea horse has a pouch into which the female lays her eggs and which surrounds these with a network of arterioles and veins which feeds the embryos. After approximately thirty days, the male undergoes a genuine form of childbirth, with contractions of the pouch to expel the embryos. - I did my first underwater filming with a small waterproof box which could hold a 35 mm camera. It was called a "Seven" because the film was seven meters long. So we only had a few seconds time before we needed to resurface to reload the camera. - This took place at Arcachon. The crew of the station turned the wheel which sent air down to the mask of the diving suit I was wearing. The goggles were pressing onto my eyes, which, at a given depth, triggers an acceleration of the heart by oculo-cardiac reflex. But what bothered me most was that at one point I was no longer getting any air. I rose hurriedly to the surface, only to find the two seamen quarreling about the pace at which the wheel should be turned. - JP


Histoires de crevettes
Garnelen-Geschichten
Shrimp stories
Frankreich 1964, 35 mm, Farbe, 10 Minuten
Produktion, Kamera und Regie: Jean Painlevé & Geneviève Hamon
Musik: Pierre Conté
Weltrechte / Herkunft der Kopie: Les Documents cinématographiques, Paris

Wie alle Schalentiere schälen sich auch die Felsgarnelen, sie stoßen ihre Haut ab. Das ist vielleicht weniger beeindruckend als die Umwandlung bei Insekten, wo das Tier erst restlos zerstört wird, bevor ein neues Tier entsteht, dennoch ist es ein bewegendes Schauspiel. Häutet sich die Garnele (zunächst täglich, dann wöchentlich, später monatlich) nicht vollständig ­ können beispielsweise die Antennen nicht vollständig befreit werden ­, stirbt sie an Ort und Stelle, ihre Exuvie hinter sich herziehend (um diesen schönen Ausdruck anzubringen!). Unmittelbar nach der Häutung ist die Garnele ganz weich ­ zu diesem Zeitpunkt sollte, wenn die Geschlechtsreife erreicht ist, eine kurze Kopulation stattfinden ­, danach muß sie sich verstecken, bis sie einige Tage später wieder hart geworden ist. Bei uns im Aquarium haben sich einige Garnelen ihrer bemächtigt und sie gefressen. Andere hingegen blieben völlig passiv. Ist es die Angst vor den Mächtigen, oder habe sie aus irgendeinem Grund keinen Appetit? - Der wunderbare Körperbau der Garnele ist ebenso starr festgelegt wie die Reinigung der verschiedenen Körperteile ­ einschließlich der Augen ­ durch die Putzfüße. Alle sensorischen Organe müssen in gepflegtem Zustand sein. - JP

Like all other crustacea, the rock shrimp moults, it shreds its skin. Its change is less extraordinary than that of insects, where the animal is entirely destroyed before being reconstituted as a different animal, but it remains highly moving. If this shedding (daily at first, then weekly, then monthly) is not complete, if for instance it fails to free its antennae, the shrimp will die on the spot, trailing its exuviae (at last, an excuse to use this wonderful word!). Immediately after moulting, the shrimp is totally soft - this is when a brief copulation should take place, if the sexual products are ripe. The shrimp must then hide until it has hardened a few days later. Here, in the aquarium, other shrimps have caught and devoured it. Some shrimps remain passive. Frightened of the domineering ones, or just without appetite, for some reason? - The impressive architectural structure of the shrimp is clearly outlined and its different parts - including its eyes - are kept clean by cleaning legs. All the sensory organs must be kept in good repair. - JP


Les Amours de la pieuvre
Das Liebesleben des Kraken
The love life of the octopus
Frankreich 1958/65, 35 mm, Farbe, 13 Minuten
Produktion, Kamera und Regie: Jean Painlevé & Geneviève Hamon
Musik: Pierre Henry
Weltrechte / Herkunft der Kopie: Les Documents cinématographiques, Paris

Ich lernte den Kraken im Jahr 1911 kennen: Ich war neun Jahre alt und fuhr mit meiner Familie nach Roscoff, dessen Meeresbiologische Station damals aus einem großen Aquarium bestand, das die Touristen bestaunen konnten. Ich war so beeindruckt, daß ich Zoologie studieren wollte ­ und tatsächlich machte ich 1922, als Student, nähere Bekanntschaft mit diesem Tier. Es wurde zum Thema meines ersten öffentlich gezeigten Films im Jahr 1927. Er wurde in Port-Blanc bei meinen Freunden, der Familie Hamon gedreht, und seit dieser Zeit ist eine ihrer Töchter, Geneviève, meine unersetzliche Mitarbeiterin. Um das Jahr 1958 begannen wir, im Arago-Labor von Banyuls in den Pyrenäen, mit der Arbeit an einem weiteren Film, diesmal in Farbe, zum selben Thema. Dieses Epos sollte sich über zehn Jahre hinziehen, da es nur im Monat August möglich war, das Ablaichen und die Entwicklung der Eier zu verfolgen. Mein Ziel war es, den Kraken dabei zu erwischen, wie er sich tastend mit einem Tentakel außerhalb des Wassers bewegt, wo er üblicherweise doch immer im Wasser gezeigt wird. - Das Schlüpfen schließlich wurde von Geneviève Hamon gefilmt. Nach 48 Stunden vergeblichen Wartens war ich auf einem Feldbett neben dem Aquarium eingeschlafen, und sie hatte es nicht geschafft, mich wachzurütteln. - JP

My first meeting with the octopus was in 1911: I was nine years old, and my family took me to Roscoff, where the Marine Biology Station consisted of a large aquarium which tourists could contemplate. I was so captivated that it lead me to choose Zoology as a degree. The octopus was the subject of my first public film in 1927, filmed in Port-Blanc where I was staying with my friends, the Hamonses. One of their daughters, Geneviève, became my indispensable collaborator. Around 1958 we began another film, in colour. The project lasted ten years, since August was the only month during which one could monitor the laying and the development of the eggs. I was hoping to show the octopus moving on the bottom with one tentacle out of the water as a pointer (at that time they were always shown in the water). - The hatching was filmed by Geneviève Hamon because I was asleep. I had collapsed on a camp bed beside the aquarium after having waited in vain for 48 hours, and she had been unable to wake me up. - JP


Acera, ou Le Bal des sorcières
Akera, oder Der Tanz der Hexen
Acera, or The witches' dance
Frankreich 1972, 35 mm, Farbe, 13 Minuten
Produktion, Kamera und Regie: Jean Painlevé & Geneviève Hamon
Musik: Pierre Jansen
Weltrechte / Herkunft der Kopie: Les Documents cinématographiques, Paris

Zahlreiche Weichtiere sind Zwitter. Bei den Kugelschnecken, den Akera ­ Zwittern, die bei der Kopulation eine Kette bilden ­ übernimmt das Tier am Anfang die Rolle des Weibchens, das am Ende die Rolle des Männchens. Die Tiere dazwischen sind Weibchen für das folgende Tier, Männchen für das vorhergehende. Während der Kopulation entweicht dem Hals ein Band von mehreren tausend Eiern. Diese entwickeln sich im Verlauf des Sommers ganz hervorragend, degenerieren jedoch, wenn sich die Legezeit zum Ende der Saison verschiebt. Normalerweise wird jedes Ei in der Schale von Flimmerhärchen hin- und hergewendet und verwandelt sich in eine Larve. Wenn die Eier jedoch degenerieren, wachsen die Flimmerhärchen an x-beliebiger Stelle, woraus wahre Monster entstehen. Nachdem die Larven geschlüpft sind, treiben sie an die Wasseroberfläche, wo sie zumeist als Plankton gefressen werden. Andernfalls sinken sie auf den Grund, wo sie sich mithilfe ihres Kriechfußes fortbewegen. Die sich entwickelnde Schale bietet dem erwachsenen Tier keine Möglichkeit, seinen ganzen Körper darin unterzubringen: sie ist Ballast, wenn das Tier tanzt ­ zweifellos, um sich einen Partner zu suchen. (Aus ästhetischen Gründen habe ich für die Aufzeichnung der Tänze diesen Lappen abgeschnitten.) - JP

Many molluscs are hermaphrodite. With Acera, hermaphrodites which copulate in a chain pattern, the lead animal plays the part of the female, the last one that of the male, and all those in between will play a double role: female with the one behind, and male with the one in front. During copulation a thread of several thousands of eggs emerges from the neck. These eggs develop favourably during summer, but degenerate at large when laid towards the end of the season. Normally, the cilia make the egg turn around in the shell, where it develops into a larva. But when the eggs degenerate, the cilia grow all over the place, and create monsters. Following hatching, the larvae rise to the surface and are devoured as plancton. Or else they fall to the bottom, where their creeping foot enables them to move around. The developing shell cannot house the entire body of the adult animal: it will be used as ballast in dances which are probably linked to the search of a mate. (For the dances, I removed the lobe for aesthetic reasons.) - JP


Les Pigeons du square
Die Tauben im Park
Pigeons of the square
Frankreich 1982, 16 mm, Farbe, 28 Minuten
Produktion und Regie: Jean Painlevé
Kamera: Vincent Berczi
Musik: Ramon der Herrera
Weltrechte / Herkunft der Kopie: Les Documents cinématographiques, Paris

Vögel haben mich nie besonders interessiert; ich lernte gerade so viel über sie, um gesellschaftsfähig zu sein. Einen Film über Tauben machte ich nur, weil ich mich für ihr Verhalten interessierte: Mir war aufgefallen, daß sich im Park häufig ein oder zwei Tauben aufhielten, die nicht aus dem Viertel stammten, zu den einheimischen Artgenossen Distanz hielten und deren Futter nicht anrührten. Zwei oder drei Tage später waren sie entweder von den anderen akzeptiert worden oder wieder verschwunden. Ich wollte dieses Verhalten filmen und Kindern vorführen, um zu sehen, wie sie darauf reagieren. Doch dann war plötzlich alles anders, und ich begann, mich für das Federvieh zu interessieren. - Mir fiel auf, daß jede zehnte Taube verkrüppelte Füße hat: Schlingen, Frost, ein Virus? Doch mir fiel auch auf, daß ihr Leiden ein Ende hat, sobald ihr die Zehen abfallen. Sie tänzelt dann auf ihren Stümpfen, und da sie nicht mehr zur Ruhe kommt, stirbt sie schließlich. - Der Film endet mit einer Hommage an Marey, den Erfinder des wissenschaftlichen Films. Es sei darauf hingewiesen, daß Vögel viel weniger Energie verbrauchen, wenn sie in dichten Scharen fliegen, und daß eine dichtgedrängte Menschenmenge ein kollektives Wesen entwickelt, wo jeder sich verhält wie die anderen, und anders, als wenn er allein wäre ... - JP

I was never very interested in birds, but I learned what I needed to know about them for drawing-room conversation. If I made a film about pigeons, it was a matter of ethology: I had noticed that in the square there were often one or two pigeons who were strangers to the neighbourhood who kept away from the natives, and did not share their food. Two or three days later they had either left or been accepted. I wanted to film this behaviour, and show it to some kids and find out what they thought about it. That changed things; I took an interest in these winged creatures. - I realised that one pigeon in ten of them had crippled feet: snares, frost, virus? I noticed also that their suffering came to an end when they lost their toes. They danced around on their drumsticks and then died because they could no longer roost. - The film concludes with a tribute to the creator of scientific films, Marey. Remember that birds expend a lot less of their energy when they fly in tight formation, and that every dense crowd of individuals gives rise to a different collective being, where each individual acts like the others, and differently than he would on his own ... - JP"

(16. Internationales Dokumentarfilmfestival München; Texte von Jean Painlevé © Les Documents cinématographiques, Paris, Deutsche Übersetzung © Bureau du cinéma, München (unveröffentlicht))

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