Jede Familie hat ihre Geheimnisse. Ella Arnhold Lewenz (1883-1954)
versuchte, ihre zu verbergen und bat deshalb ihren Sohn, ihre
persönlichen Briefe und Papiere nach ihrem Tod zu verbrennen.
Ihre Enkelin entdeckte viel später Dutzende von Filmrollen,
auf denen eine weitverzweigte Familie festgehalten war, die wegen
ihrer Verdienste hohes Ansehen in Deutschland genoß. 1981
machte sie sich auf die Suche nach den Motiven ihrer Großmutter,
die nach 1933 diese Filme gedreht hatte - zu einer Zeit also,
in der unabhängiges Filmemachen in Deutschland verboten
war. Ella hatte ihr Leben riskiert, um diese Ära zu dokumentieren.
Ihre Filme liefern Antworten auf die Fragen der Enkelin nach
der Vergangenheit und beleuchten zugleich wichtige Themen unserer
Zeit. A Letter Without Words ist ein Dokumentarfilm, der den
Spuren von Ella, der jüdischen Großmutter der Regisseurin
Lisa Lewenz folgt, die den Mut hatte, das Leben im Berlin der
beginnenden Nazi-Zeit zu filmen. Auf dem damals sehr seltenen
Farbfilmmaterial hielt sie den sorglosen Alltag einer Familie,
den Pomp der Nazis und bedeutende Persönlichkeiten fest,
die bald darauf vertrieben wurden, unter ihnen Albert Einstein
und Rabbi Leo Baeck. Mit der Zeit ist dieses Filmmaterial zu
einer Art imaginierter Korrespondenz zwischen den Generationen
geworden: es erforscht eine oft mit Schweigen bedeckte Erbschaft
und hinterfragt zugleich die Rolle des Zeugen der Geschichte.
BIO-FILMOGRAPHIE Lisa
Lewenz
Geboren 1954. Studium am Art Institute of Chicago und
am California Institute of the Arts. Multimedia-Künstlerin
und Regisseurin. Arbeitete als Dozentin an mehreren Universitäten,
als Projektleiterin für den Verpackungskünstler Christo
und als Programmassistentin für die Filmemacherin Kathryn
Bigelow. A Letter Without Words ist ihr erster Film.
Über
den Film: Die Untersuchung von Ellas Filmen und Schriften
konfrontiert uns mit einer vorbildlich handelnden Frau, die im
Widerstand gearbeitet und sich zugleich mit Problemen der Identifikation
und der Selbstachtung auseinandergesetzt hat - und das in einer
Zeit, in der andere sich dafür entschieden haben, sich anzupassen.
Am Ende mußten eine ganze Kultur und ihre Menschen sterben.
Wir sehen eine Frau, die mit ihrem Erbe gehadert hat, weil es
mit ihrer nationalen Identität nicht übereinstimmte.
Man stelle sich eine Frau vor, die in einer überaus wohlhabenden,
privilegierten und kulturvierten Familie aufwuchs, dabei deutscher
als die meisten Deutschen war, und die, von den Umständen
dazu angeregt, mit einer Filmkamera ihre beginnende Erkenntnis
darüber dokumentierte, daß ihre Familie bzw. Gemeinschaft,
egal welche Zugeständnisse sie machen würden, als Südenbock
für die nach dem Ersten Weltkrieg sich ausbreitende Unsicherheit
in den Ländern, in denen sie jeweils lebten, herhalten mußten.
Kein vergleichbares anderes Dokument aus erster Hand wurde in
den letzten fünfzig Jahren gefunden, und es ist unwahrscheinlich,
daß in der Zukunft etwas ähnliches auftaucht. Die
‘Zusammenarbeit’ von Enkelin und Großmutter bietet die
seltene Gelegenheit, ihrer beider Arbeit in einem Film zusammenzubringen,
in dem es um den Stolz auf die jüdische Identität geht,
der trotz jahrhundertelanger Verfolgung und Unterdrückung
nicht wirklich angetastet wurde. Lisa Lewenz kehrte nach Deutschland
zurück, zuerst als Touristin, später, um in der ehemaligen
Heimatstadt ihrer Familie zu leben. Mit einem tragbaren Monitor
ausgestattet und manchmal von Familienmitgliedern oder persönlichen
Dokumenten geführt, verfolgt sie Ellas Spuren und versucht
so, das böse Erbe des Holocaust zu überwinden ... Der
Film endet nicht mit Ellas Emigration, sondern verfolgt Ellas
Flucht und ihre Reise in ein neues Leben in Amerika. In diese
Handlung verwoben ist die jüngere Geschichte, die sich nach
Ellas Tod entwickelte und von ihrer Familie und ihren Freunden
erlebt wurde.
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