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Es ist Donnerstag abend und ich sitze in einem usbekischen
Film.
*** REWIND <<< ***
Es ist mein erster Tag auf der Berlinale, gestern den Wenders
zur Eröffnung hatte ich vorab schon in München gesehen und
nicht das dringende Bedürfnis verspürt, ihn hier gleich nochmal
zu gucken, und so bin ich aber auch einen Tag später dran
mit Pressekarten besorgen für die regulären Vorstellungen
und Lubitschs DIE PUPPE, den ich eigentlich anschauen wollte,
ist schon restlos ausgebucht und weil ich nichts Besseres
zu tun wusste habe ich mich halt in einen philippinischen
Film gehockt über einen "Macho Dancer -, der halbwegs interessant
klang, nur dass ich mich da im Programm vertan hatte und sich
herausstellt, dass selbiger Film jetzt gar nicht kommt sondern
wann anders war, und so ist es jetzt also Donnerstag abend
und ich sitze in einem usbekischen Film.
Öh-ha.
Ich weiss rein gar nichts über diesen Film, der da gleich
über mich hereinbrechen wird und - entscheidender - ich weiss
ähnlich viel über Usbekistan oder das usbekische Kino (von
dem ich nicht hätte wetten mögen, dass es überhaupt existiert).
So eine grobe Vorstellung hab' ich, dass Usbekistan irgendwo
östlich von uns liegt. Auch da würde ich nicht hoch drauf
wetten.
Jetzt bin ich jedoch nicht nur ein höflicher Mensch, der es
nur schwer über's Herz brächte, aufzuspringen und polternd
das Kino zu verlassen, sobald da ein usbekischer Regisseur
statt des erwarteten philippinischen vor die Leinwand tritt
um das Publikum zu begrüßen, sondern weiss auch nach wie vor
nichts Besseres zu tun und bleibe also sitzen. Zumal ich sogleich
erfahre, dass ich einem quasi historischen Ereignis beiwohne:
Es ist nicht irgendein usbekischer Film, der da gleich über
die Leinwand flimmern wird. Es ist der erste überhaupt in
der Geschichte der Berlinale.
Aha.
(Das erzählt - um schnell mal etwas abzuschweifen - ein junger,
den Regisseur vorstellender Herr, der aus unerklärlichen Gründen
einen braunen Schal in der Hand hält. Wenn das jetzt ein Film
wäre, müsste der Schal in der Hand was bedeuten, und so warte
ich brav darauf, dass er gleich eine wichtige Rolle spielt
und konzentriere mich zeitweise mehr auf den irritierenden
Schal als die Worte des jungen Herrn, deren ich somit einige
verpasse. Ist aber kein Film sondern das Leben und er hat
nichts zu bedeuten, der Schal...)
Da ich nun also mal hier so sitze, am Donnerstag abend, im
usbekischen Film, bereite ich mich schon mal seelisch auf
die Dinge vor, die meiner da womöglich harren werden. Lasse
erstmal die übliche Erwartung und Hoffnung aufkeimen wie jedesmal
direkt bevor sich ein Kino-Vorhang öffnet: Und wenn's oft
nur bis zur ersten Einstellung ist - ich sehne mich bei jedem
Film danach, dass er sich als einer der schönsten aller Zeiten
entpuppen wird.
Und denke: Vielleicht liegt ja die Zukunft des Kinos im usbekischen
Film, und ich werde zu den ersten gehören, die es mitbekommen.
Zumindest aber sollte so ein usbekischer Film, wenn schon
keine Entdeckung, so doch zumindest eine ästhetisch ungewohnte
Erfahrung sein. So eine Begegnung mit einer ganz fremden Kultur
halt...
*** PAUSE || ***
Die Begegnung verschiedener Kulturen, der Austausch zwischen
ihnen: Ohne Zweifel schon jetzt als eines DER großen Themen
dieser (bisher reichlich unspektakulären) Berlinale benennbar.
Zu einem gewissen Teil ist das inszeniert und gewollt. Allein
die Auswahl der Jury war ja schon ein deutliches Zeichen in
diese Richtung - mit Ausnahme der deutschen Doppelbesetzung
mit Peter W. Jansen und Maria Schrader kommt jede und jeder
der neun Juroren aus einem anderen Land, von Polen über Dänemark,
Frankreich, Spanien bis zu Brasilien, Kanada und China. Auch
klar: Gong Lis Jury-Präsidentschaft soll wohlwollendes Weltoffenheitsgefühl
einflössen. Erkennbar auf den zweiten Blick: Die Basis für
das ziemlich voraussehbar reibungslose Funktionieren dieser
internationalen Mini-Gemeinschaft ist eine gemeinsame Grund-Gediegenheit,
eine auf soliden Verdiensten beruhende, brave Renommiertheit.
Keine jungen Wilden hier oder alte Querköpfe, sondern Leute,
die Auslands-Oscars gewinnen.
Das ist das eine, offizielle Gesicht von Kulturbegegnung und
-austausch. Das freundlich-unbeschwerte, kuschelige, das wunderbar
passt zu all dem "50 Jahre Berlinale - und "Berlinale 2000
- und "Wir sind wieder wer - und "Standort Berlinale --Geschwurbel.
Das sich heimisch fühlt am Potsdamer Platz, diesem geschichts-
und kontextlosen Shopping Mall-Themenpark, dieser keimfreien
Fernseh-Manhattan-Kulisse mit ihren Franchise-Läden, Ketten-Restaurants,
Hyatt-Hotels, Schablonen-Cineplexen. Wo man, wenn man denn
wollte, am ersten Tag der Berlinale ankommen könnte und am
letzten wieder fahren ohne dazwischen auch nur einmal mitbekommen
zu haben, wo auf der Welt man sich da eigentlich gerade befindet.
Kein Wunder, dass Wim Wenders' THE MILLION DOLLAR HOTEL da
einen prima Eröffnungsfilm abgibt. Ein kaum zu entwirrendes
und irgendwie wahnsinnig poetisches Kultur-Mischmasch, ein
deutsch-irischer Traum vom Schmelztiegel Amerika unter Mitwirkung
einer internationalen Crew und gut 100 Jahren globaler Filmgeschichte,
dem man nie wagt vorzuwerfen, dass ihm etwas misslungen wäre,
weil man immer das Gefühl hat, dass in solchen Momenten nur
gerade wieder eine andere Tradition gegriffen hat, auf die
man nicht eingestellt war. Ein Film, der uns zeigt, wie irgendwie
wahnsinnig poetisch es doch ist, zu den Verlierern im Spiel
der Global Players zu gehören, wie pittoresk die disenfranchised
people doch sind, wie nett es sich doch leicht geisteskrank
und knapp unter der Armutsgrenze lebt. Wie putzig und rührend
und irgendwie wahnsinnig poetisch doch die Versuche solcher
Menschen sind, sich eigene Bilder zu schaffen - und wie darunter
dann doch gottseidank wieder der arrivierte Kultur-Mainstream
freigelegt und dem Markt zugeführt werden kann. (Und auch
ein Film, der nebenbei zeigt, wie irgendwie wahnsinnig poetisch
letzlich auch Vergewaltigung ist und wie gerne und folgenlos
frau diese über sich ergehen läßt.)
Es ist beim derzeitigen Stand der Dinge alles andere als auszuschließen,
dass diese Ausweitung der Krampfzone den Goldenen Bären einsacken
wird.
*** PLAY > ***
Zurück am Donnerstag abend, beim usbekischen Film.
Der fügt sich schön ins Bild: Seine Ästhetik, seine Filmsprache
ist die wohlvertraute, herrschende des braven Erzählkinos.
Ein Fernsehfilm hätt's auch sein können, ein beliebiger amerikanischer
oder deutscher. Keine Verständigungsprobleme also, kein Einlassen-müssen,
kein Erarbeiten. Die heimelige globale Familie spricht einen
gemeinsamen Dialekt, den wir gelernt haben als den "natürlichen"
zu lesen. Nein, nein, andere Kulturen brauchen keine anderen
ästhetischen Herangehensweisen, die sind uns so alle problemlos
erschließbar. Freilich doch. Aber selbstverständlich haben
die Usbeken nicht so viel schönes Equipment und so viel schönes
Geld. Keine Angst also, man sieht schon noch am wenig Glatten,
wenig Gelackten, dass sie "anders" sind. Und es halt nicht
ganz so gut können wie wir. Klar.
In VOIZ (so heißt er, der usbekische Film) geht's um einen
Mann zur Zeit der kommunistischen Revolution und wie der die
harmonische Vielweiberei aufgeben muss, als er zum Sprecher
für die Umstürzler wird und dafür die Liebe mit Frau Partei-Vorgesetzter
findet. Eine (nicht unspannende und durchaus kompetent erzählte)
Geschichte mit annähernd gleichen Teilen Politik und Folklore
also. Und auch das passt: Länder und Kulturen, die für uns
nicht zum Mainstream-Club gehören oder denen zumindest erlaubt
ist, in dessen Randgewässern zu fischen (wie mittlerweile
Hong Kong, beispielsweise), dürfen gewöhnlich ja nur ziemlich
eng definierte Film-Ware an uns exportieren. Ich habe keine
Ahnung, ob man in Usbekistan Action-Filme, Komödien oder Musicals
dreht - wenn aber, wären die bestimmt nicht auf der Berlinale
zu sehen. Siehe Indien: Immerhin gab's da im Forum mal so
ein richtiges Bollywood-Musical zu sehen, wie sie für das
indische Publikum den cineastischen Normalfall darstellen.
Sonst aber wie üblich, wenn's ein indischer Film auf deutsche
Leinwände schafft: Gesellschaftskritische Sozialdramen, die
auf ihrem heimischen Markt allenfalls am Rande wahrgenommen
werden.
Das Fremde soll gefälligst auch fremd sein und so ein schönes
bißchen exotisch. Und Probleme soll man in solchen Ländern
bitte gefälligst auch haben. Für kommerzielle Genre-Produkte,
für eskapistisches Unterhaltungskino ist in unserem Bild von
diesen Nationen und Kulturen kein Platz, und die etablierten
Hersteller solcher Ware sehen es wahrscheinlich auch gar nicht
gerne, wenn jemand anderes so was auch beherrscht und ihre
Kunden das mitbekommen. Außerdem ist es doch sehr beruhigend,
sich zwei Stunden mit etwas Betroffenheits-Investment politisch
engagiert zu fühlen, solange es um Mißstände geht, die letzlich
so weit weg scheinen, dass man beruhigten Gewissens keine
Handlungen folgen lassen muss. Mit anderen Worten: Meist geht
es dabei nicht um die Auseinandersetzung mit der anderen Kultur
sondern darum, dass die für uns ihre Rolle in der Bestätigung
unserer Weltsicht spielt.
Aber so einfach ist das nicht immer.
*** <<< BILDSUCHLAUF >>> ***
- Akira Ogata, dem Regisseur von DOKURITSU SHONEN GASSHOUDAN
(BOY'S CHOIR), wird von einem englischen Journalisten Lob
gezollt für seine typisch asiatische Filmästhetik. Er fragt
zurück, was denn typisch asiatisch wäre an seinem Film,
er wisse nämlich nicht, was wir dafür halten würden, findet
die halbherzige, oberflächliche Erklärung des Journalisten
"very helpful to me" und erzählt, dass er aufgewachsen ist
mit westlichen Filmen im Fernsehen, dass er die japanische
Kino-Tradition zum Teil auch erst später sich erarbeitet
hat.
- Pressekonferenz zu THREE KINGS. George Clooney erklärt,
wie wichtig der Film sei. Denn in dem gibt es verschiedene
Sorten von Irakis, gute und böse, mit unterschiedlichen
Geschichten, Motivationen, Zielen. Das wäre dem durchschnittlichen
Amerikaner nicht klar. Der wäre gewohnt, die Bewohner all
dieser Wüstenstaaten für eine undifferenzierte, einheitlich
bedrohliche Masse zu halten. Ich glaube Clooney, leider.
- THE LITTER ON THE BREEZE - FIRST LOVE: Ein durchgeknallter
Hong Kong-Film, von Wong Kar Wai produziert. Überbordend,
experimentell, wild und gegen alle Regeln - manchmal leicht
nervig, manchmal hinreißend. Eine Zuschauerin will etwas
Amerikanisches darin entdeckt haben und fragt Regisseur
Eric Kot (der definitiv zuviel Kaffee zu sich genommen hat
und vor der Leinwand eine veritable Stand up-Routine abzieht,
herumtanzt und im Maschinengewehr-Tempo halbverständliches
Zeug von sich gibt), ob er Amerikaner sei oder Chinese.
Kot versteht die Frage erst nicht. Dann zieht er mit den
Fingern seine Augen zu kleinen, schrägen Schlitzen, zeigt
auf seine Haut: "Look, can't you see. Slit Eyes. Yellow
Skin. Chinese!" Nochmal auf die amerikanischen Elemente
in der Ästhetik angesprochen: "Oh, I copy. We Asian People,
we all copy very quickly. We good little copy machines!"
- Russen stehen mit Klapptischen am Rand des Wegs von der
U-Bahn-Station zum Festival-Zentrum und verhökern Mützen,
Uhren, Gasmasken aus alten sowjetischen Armeebeständen.
Bei der Party zu Schlöndorffs DIE STILLE NACH DEM SCHUSS
gibt's - hach, ist's nicht lustig und prickelnd zugleich,
und sogar bis an den Rand zum exotischen Kreuzberg dürfen
sich die schnieken Geladenen dazu wagen - gefaktes Ostblockambiente,
mit Wachpersonal an der Tür im Roten-Armee-Outfit und so.
(Soll man die Parallele zum Film weiterverfolgen und zu
bewaffnetem Wiederstand greifen?)
Auch da geht's jetzt schon um eine fremde, ferne Kultur.
- Ein dickes, altes philippinische Hausmädchen gibt es in
GUO HAI SUIDAO (CROSS HARBOUR TUNNEL), das in kurzen Traumsequenzen
Jean Seberg sein darf in À BOUT DE SOUFFLE, das Ihr Bein
anwinkeln darf wie Anne Bancroft in THE GRADUATE, das sich
als Bergman in CASABLANCA in die Augen schauen lassen darf.
(Auch so ein noch wilderer, schrägerer, überbordender Hong
Kong-Film übrigens, mit einem Regisseur, der nah am Herzkasperl
zu sein scheint bei der anschließenden Fragerunde - nur
dass ich bei Lawrence Wong eher auf Koks denn auf Kaffee
getippt hätte.)
- Michael Nyman- und irischen Fidel-Klängen im wunderbaren
Okinawa-Film NABBIE NO KOI. Anthony Minghellas not-so-innocents
abroad in THE TALENTED MR. RIPLEY. Das (sehr wohl im Film
für die, die hinzuschauen bereit sind, auch zum Thema gemachte)
Treffen der unterschiedlichsten Kulturen, Traditionen und
Hautfarben bei Kenneth Branaghs ebenso hochvergnüglichen
wie vielschichtigen Shakespeare-Musical LOVE'S LABOURS
LOST. Die Liste ließe sich lange fortsetzen...
*** FAST FORWARD >>> ***
In Moskau an der Filmhochschule hat er studiert, Jusuf Razykov,
der Regisseur des usbekischen Films. Nichts also - wenn man's beim Betrachten des Films noch nicht bemerkt haben sollte
- mit einer eigenständig gewachsenen usbekischen Ästhetik.
Und er erzählt, dass keiner seiner Freunde und Bekannten etwas
wusste über die Welt, die er in VOIZ schildert. Es ist für
ihn, für heutige Usbeken, eine nicht minder fremde Welt als
für uns. Wahrscheinlich gibt's in den größeren Städten Usbekistans
auch Fußgängerzonen mit Franchise-Läden, Ketten-Restaurants,
Hyatt-Hotel, Schablonen-Cineplexen. Oder zumindest ist das
am heutigen Usbekistan schon wesentlich näher dran als die
Vielweiberei.
Was in VOIZ abläuft, wie der Film in einem usbekischen Kontext
funktioniert, ist zweifelsohne komplexer, als man ohne weiterreichendes
Wissen an einem halben Festival-Abend erfahren kann. Was man
da mitbekommt ist zwangsläufig nur Oberfläche. Das ist nicht
schlimm oder böse, wenn es bewußt bleibt. Das kann ein Anfang
sein, ein Einstieg sein für tiefergehende Beschäftigung. Man
darf nur die pittoreske Ansichtspostkarte nicht mit der Landschaft
verwechseln.
*** STOP ***
Es geht nicht darum, gegen Begegnung verschiedener Kulturen
zu wettern. Es geht nicht darum, sie "rein" halten zu wollen
(oder gar den beliebten Fehler zu machen, den fremden Kulturen
das Recht abzusprechen, Geschichte und Entwicklung zu haben,
sie für natürlich und ursprünglich zu erklären und unter Naturschutz
zu stellen). Es geht ganz gewiß nicht darum, dem Essentialismus
das Wort zu reden.
Es geht darum, daran zu erinnern, dass meistens etwas schief
läuft, wenn diese Begegnungen, dieser Austausch so ganz schnell
und völlig reibungslos zu funktionieren scheint. Wenn das
Verständnis ohne Mühe sofort dazusein scheint. Wenn sich alle
nach zehn Minuten schon irgendwie wahnsinnig bereichert fühlen.
Dann ist meistens nicht mehr passiert, als dass die dominantere
Kultur sich ihre Vorurteile hat bestätigen lassen und sich
ein bißchen exotisches Schmieröl für's Getriebe geholt hat.
Dann hat meistens die vermeintliche Weltoffenheit keine andere
(egal ob eingestandene oder nicht) Absicht als die Erschließung
neuer Märkte.
Es geht darum, sich immer wieder klar zu machen, dass tieferes
Verständnis Zeit und Mühe kostet. Dass Kontext und Geschichte
erarbeitet sein wollen. Dass der volldigitale Zugriff auf
alles und jedes zu jeder Zeit nicht mit sich bringt, dass
alles und jedes jederzeit gänzlich verstehbar ist, dass Greifbarkeit
und Begreifen, Fassbarkeit und Erfassen veschiedene Dinge
sind. Es geht darum, dass China-Wochen bei MacDonald's nicht
das Ziel sein dürfen.
Stanley Kwans Wettbewerbsbeitrag YOU SHI TIAOWU (THE ISLAND
TALES) war vielleicht deswegen schon eminent wichtig, weil
er so unverständlich und hermetisch bleibt. Auch hier explizit
das Thema Begegnung von Kulturen: Auf einer abgeschotteten
Insel haben sich eine Gruppe von Leuten unterschiedlicher
Nationalitäten miteinander auseinanderzusetzen. Den Pessimismus,
mit dem das zunächst inszeniert wird, habe ich geradezu als
wohltuend empfunden, auch wenn mich der Film insgesamt reichlich
ratlos zurückließ. Aber auch das Gefühl, nicht alles Wissen,
allen Kontext schon immer mit sich herumzutragen, die zum
Verständnis eines beliebigen Films nötig sind, war mir im
Umfeld dieser Berlinale nicht unangenehm.
Und so finde ich auch dringend einige Worte der Verteidigung
am Platz für den bisher meistgeschmähten Beitrag des Wettbewerbs:
Danny Boyles THE BEACH. Ja, der Film hat seine Probleme (nicht
so viele jedoch, wie einem allerorten Glauben gemacht werden
soll), und man darf sehr wohl der Meinung sein, dass er dem
großartigen Roman von Alex Garland in manchen Belangen nicht
gerecht wird. Was er jedoch teilweise stärker herausarbeitet
als das Buch, was auch seine Produktion stark bestimmt hat,
ist eben das Aufeinandertreffen der Kulturen - oder das, was
eine Gruppe junger Leute aus verschiedenen westlichen Industrienationen
dafür hält. Es ist eine Weigerung, in einem fremden Land etwas
anderes zu sehen als den Abenteuerspielplatz für ihre Phantasien
vom Paradies. Einen Ort ohne Geschichte und Kontext, ein Landschaft
gewordenes Videospiel suchen sie und meinen, es zu finden.
THE BEACH läßt diese Reise immer mehr in die Düsternis führen.
Und findet ein Ende, das nur scheinbar optimistisch ist: Der
Erzähler erklärt uns, dass, wenn man das Paradies einmal gefunden
hat, ein Stück davon für immer dasein wird. Und tatsächlich,
wir bekommen diesen Überrest des Paradieses, dieses vermeintlich
hinübergerettete Fremde auch zu Gesicht. Ein Bild ist es der
angeblich glücklichen Tage - als Image-File auf dem Computerbildschirm.
*** EJECT ^ ***
Thomas Willmann
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