"I am alive - Ich lebe" - was das künstlich geschaffene Monster
des Doktor Frankenstein leidend von sich behauptet, hat die
Menschen seit jeher fasziniert: Die Belebung des Künstlichen
und die Aufhebung des Unterschieds von Kunst und Natur in
der Verschmelzung von Mensch mit unmenschlichen Objekten.
Manche mögen es bedauern, aber bei "Frankenstein" denken heute
gewiß mehr Menschen an die 1931er Verfilmung von James Whale
und ihre 70 bis 80 Fortsetzungen und Varianten, als an Mary
Shelleys berühmte Romanvorlage. Das Gesicht Boris Karloffs
mit Monstermaske ist zu einer kulturellen Ikone geworden,
vergleichbar mit den berühmten Bildern von Marylin Monroe
und James Dean. Und das Thema der künstlichen Menschen und
"Cyborgs", also dem ununterscheidbaren Amalgam von Mensch
und Technik, ist spätestens durch Biotechnologie und Computerrevolution
der 90er Jahre aktueller denn je.
Folgerichtig stehen "Künstliche Menschen. Manische Maschinen.
Kontrollierte Körper" jetzt im Mittelpunkt der filmhistorischen
Berlinale-Retrospektive. Denn seit den Pionierjahren vor dem
Ersten Weltkrieg hat kein zweites Medium den entsprechenden
Zukunftsvisionen der Menschheit in gleicher Weise Gestalt
verliehen, wie der Film - bis zuletzt zu den einer Cyber-Welt
entsprungenen chimärischen Kreaturen in "Matrix" und "eXistenZ".
Ganz am Anfang waren es die Alraune und Homunculi, die den
romantischen Märchen und "gothic tales" der Engländer entstiegen
waren. Auch die wichtigsten Motive wurden schon früh entwickelt:
"Golem" die Entsprechung Adams, und Brigitte Helm als "Alraune"
und dann Maschinen-Mensch in Fritz Langs "Metropolis" (1927)
wurden zur Urform des Automaten, dem der Lebensodem eingehaucht
wird, und begründeten damit ein ganzes Genre. Nur vier Jahre
später folgte der erste Fall von Bio-Tech eben in der Urverfilmung
von "Frankenstein".
Gespiegelt erzählen diese Geschöpfe immer auch die Geschichten
ihrer Schöpfer. Oft sind es "mad scientists", klassisch gewordene
Verkörperungen von wissenschaftlichem Caesarenwahn, Allmachtsphantasien
und Fortschrittshybris, seltener auch Zauberlehrlinge, die
sich vor den Folgen ihres eigenen Genies erschrecken.
Lange Zeit stehen diese menschlichen Dramen im Zentrum: Das
Publikum soll sich mit dem kreativen Humanum identifizieren,
dem Subjekt, das sich übernommen hat, das vor sich selbst
erschrickt, oder das schließlich die Gemeinschaft der Menschheit
vor dem Egoismus eines Einzelnen beschützt. Die Kreaturen
sind Monster, Verkörperungen des Unbewußten, vielleicht ein
alter ego, aber doch gewiß etwas Äußeres, dessen Zerstörung
am Ende wieder einen prekären Frieden herstellt.
Aber mit der Zeit verkehrt sich die Perspektive vorsichtig.
Was in "Metropolis" noch fehlte, begegnet einem bereits in
"Frankenstein": Eine Ahnung davon, dass auch diese Monster
- eben weil sie ja Menschliches in sich tragen - Gefühle haben
und leiden können. Mehr und mehr nimmt solches Mitleid zu,
man entdeckt im Bedrohenden - noch schrecklicher - das Opfer
und der Zuschauer damit sich selbst auch als Täter.
Das Künstliche ist nicht länger nur Objekt, es wird zum selbst
Handelnden, bekommt Individualität und seine eigene Geschichte.
In "Westworld" (1972), einer der schärfsten (Western-)Parodien
der Filmgeschichte revoltiert der von Yul Brynner vertraut
statisch gespielte Maschinensklave. Die Mischwesen können
auch ihre eigenen Melancholien entwickeln. Ridley Scotts glänzender
"Blade Runner" (1982) macht die Tristesse des Replikanten
zum Thema, der Mensch werden will und es nicht kann. Winona
Ryder sollte in "Alien 4" später die Antwort darauf liefern:
Die von ihr verkörperte Androidin ist qua Programmierung menschlicher,
als alle "echten" Menschen zusammen. Aber was ist überhaupt
dieses Menschliche? Jene implizit immer zu stellende Frage
ist das verbindende Thema aller in Berlin gezeigten Filme.
Weite Perspektiven werden aufgespannt, den Transformationen
des Lebendigen in allen Varianten ein visueller Ausdruck verliehen.
Populäres ("Terminator"1+2) und Trashiges ("Robocop"1-3) wird
ebenso gezeigt wie Unbekannteres ("Tetsuo"). In ihrer Bedeutungsvielfalt
sind viele dieser sagenhaften Zukunftsträume und Schreckensvisionen
moderne Mythen, Utopien und Romantizismen, die ans Innerste
des Menschlichen rühren. Mehr denn je ist es dem Menschen
selbst ein Rätsel, was es heißt, wenn es selbst von sich sagt:
"Ich lebe."
Rüdiger Suchsland
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