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artechock special Juni 2000
 
 

Tagebuch Filmfest München 2000

Björk - DANCER IN THE DARK
 
 
 
 

Eintrag vom 30.6. - 29.6. - 28.6. - 27.6. - 26.6.

   
 
 
 
 

Fr 30.6.2000
Ja, so wird's was!

Endlich, die erhoffte Steigerung des Münchner Filmfests ist da! Das liegt zuerst mal an DANCER IN THE DARK, dann auch an einigen anderen hübschen Produktionen (siehe unten), zu denen z.B. ORIGIN OF MAN zählt, der seine Geschichte um einen Vater wider Willen ganz entspannt und amüsant erzählt - in bester "Indie-Tradition" (nochmal am Sa 1.Juli: 17:15 im Maxx 1). Man hat den Eindruck, die Festivalleitung hat sich das Beste für den Schluß aufgespart. Doch zunächst zu Lars von Triers Geniestreich:

DANCER IN THE DARK
Eigentlich hätte das Filmfest danach sofort aufhören müssen. Gut, man kann sich weiter andere Filme anschauen. Aber ich fürchte, die werden im Vergleich Makulatur, putziges Zierwerk bleiben. Und nach einem Film wie DANCER IN THE DARK drängt sich die unangenehme Frage auf, warum man überhaupt seine Zeit mit all diesen anderen Filmen verbringt. Was insofern besonders schade ist, da DANCER IN THE DARK ja nun beileibe kein Geheimtip oder eine Festivalentdeckung war. Der hat in Cannes schon abgeräumt, von dem war ohnehin viel zu erwarten, und der startet ja auch in näherer Zukunft regulär im Kino. Weshalb es etwas unfair wäre, wenn er - wie zu erwarten - für mich der mit Abstand beste Film des Filmfests bleibt. Denn wozu dann Festival?
Es ist aber einfach so: DANCER beginnt minutenlang mit schwarzer Leinwand, zu der sich auf dem Soundtrack langsam die Ouvertüre aufbaut. Und obwohl (oder vielleicht doch besser: weil) da gar nichts zu sehen war, war das schon wesentlich spannender als das meiste, was mir diese dreiviertel Woche bisher untergekommen ist. Da wird das Sehen plötzlich wieder alles andere als selbstverständlich, da wird man sich seines Körpers im Kino plötzlich wieder seltsam bewusst, und der ganzen Zuschauer-Situation an sich; das erreicht einem auf einem unmittelbar physischen Level, schaltet die ganzen Schutzzäune jahrelanger ästhetischer Kino-Konditionierung aus. Und dann kommt Björk und das große Melodram von der Frau, die weiß, dass sie blind wird, und die alles daran setzt, ihrem Sohn das gleiche (erbliche) Schicksal zu ersparen. Dann kommt diese Geschichte von Sturheit und Kraft in diesem Kindfrau-Körper und von seinem Opfergang in einer himmelschreiend ungerechten Welt. Und von der wahren Hoffnung in der falschen, künstlichen des Musicals. Und wenn ich je im Kino erfahren habe, körperlich erfahren bis zu einem Moment, wo fast das Herz aussetzt, es buchstäblich und im reinen Wortsinn den Atem verschlägt, was Katharsis bedeutet, dann hier.
Das ist zum einen Björk zu verdanken, die mit einer Intensität spielt, die fast das Zelluloid verschmurgeln lassen könnte; die, gerade weil sie keinerlei Schauspiel-Ausbildung oder Technik mitbringt, sich ohne Tricks und doppelten Boden durch ihren Part FÜHLT. Zum anderen Lars von Trier, der wieder wie in BREAKING THE WAVES seinen Kameramann Robby Müller mit Handkamera frei improvisierend auf die Szenen losläßt und damit zu einem Stil kommt, der sich nie hinter dem Wattewall der Konvention versteckt, der die gewohnten und eingedämmten Routen der Filmrezeption umgeht und dadurch an Bereiche außerhalb der üblichen Schutzzone gelangt, der einem erwischt, wo andere Filme selten noch hingelangen. Und plötzlich weiß man wieder, wofür man eigentlich ins Kino geht. [Thomas Willmann]
DANCER IN THE DARK im Maxx 2 am Fr. 30.Juni: 20:00 ; Sa. 1.Juli: 22:30

DIE POLIZISTIN
Eine 27jährige Polizistin wird nach ihrer Ausbildung in einen trostlosen Vorort von Rostock versetzt. Sie wird mit neuen Kollegen und vorallem der desillusioniernden sozialen Realität konfrontiert. Obwohl die Kollegen ihr raten, sich eine "dickere Haut" zuzulegen, will sie den Menschen noch helfen - auch über die dienstlichen Pflichten hinaus. Privat sehnt sie sich nach einem Mann "zum Wärmen".
Gedreht mit verfügbaren Licht auf hochempfindlichen 16mm-Material wirkt der Film wie ein packender, hyperrealistischer Dokumentarfilm im Stil des Direct Cinema. Dazu tragen auch die gut beobachteten Dialoge und die herausragenden schauspielerischen Leistungen bis in die kleinste Nebenrolle bei. Daß es sich um eine Inszenierung handelt, merkt man eigentlich nur daran, daß man intime Szenen sieht, die in der Realität keine Kamera zu Gesicht bekommen hätte, und daß sich die Stränge des Drehbuchs am Ende zu einem Kreis schließen. [Claus Schotten]
Fr. 30.6. Arri 20:00 und Sa 1.7. Maxx2 15:00

IN SCHLECHTER GESELLSCHAFT (Mauvaises fréquentations)
Ein eindrucksvoller Blick in das Seelenleben von Teenagern. Die Sehnsucht unabhängig von den Eltern zu werden und gleichzeitig die Furcht Erwachsen zu werden oder gar so wie die Erwachsenen zu werden, desillusioniert im täglichen Trott zu ersticken. Die Hoffnug aus dem eigenen Leben etwas besonderes zu machen. Die ersten Liebeserfahrungen von den Wer-geht-mit-wem- und Wer-macht-als-erster-Schluß-Machtspielchen bis zum Gefühlstaumel der unbedingten Liebe, die bis zur Selbstaufgabe für den Partner alles tun würde. Im Mittelpunkt steht die 15jährige Delphine, behütete Tochter aus gutem Hause, die sich mit Olivia, einem Scheidungskind, anfreundet. Das Ganze ist frei von jeder falschen Romantik einfühlsam inszeniert. Selbst wenn sich der Fortgang der Geschichte in jeder Zusammenfassung übertrieben und unglaubwürdig anhören wird - Drehbuch und Schauspieler sind so gut, dass man keine Sekunde an dem Film zweifelt und stets mit den Figuren mitfühlen kann. [Claus Schotten]
Filmcasino 30.Juni: 20:30 ; Sa. 1.Juli: 17:30

DIE FARBE DES PARADIESES (Rang-e-khoda)
Der achtjährige Mohammad geht auf die Blindenschule in Teheran. In den Ferien besucht er seine Familie im Norden Irans. Der Vater ist verwitwet und möchte wieder heiraten, er fürchtet der blinde Sohn könne die Familie seiner Braut abschrecken. Gleichzeitig möchte er seinen Sohn vor der Umwelt schützen und ihm eine sichere Zukunft geben. Deshalb soll er bei einem blinden Schreiner in die Lehre gehen. Mohammad sehnt sich dagegen nach einem möglichst normalen Leben. Am liebsten würde er mit seinen Schwestern auf die Dorfschule gehen, wo er den Lehrer mit seinem Können beeindruckt hat...
Regisseur Majid Majidi hat sich ein Jahr lang mit seinen Laiendarstellern beschäftigt, bevor er mit dem Dreh des Filmes begonnen hat. Dieser Sorgfalt sind Szenen unglaublicher Intensität zu verdanken, etwa wenn Mohammad sich über sein Schicksal beklagt oder seine neue Umgebung ertastet und erhört. Gleichzeitig besticht der Film durch phantastische Landschaftsaufnahmen, die die Stimmung der Figuren unterstreichen. [Claus Schotten]
Forum 2 im Olympiadorf Sa. 1.Juli: 11:00

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Do 29.6.2000
Es bleibt schwierig

Am Mittwoch gings gar nicht gut los: die Kopie von SEVENTEEN YEARS war noch nicht da, und die Vorführung wurde ersatzlos gestrichen. Dafür hatte man dann Zeit, Spike Lee in der Black Box zu erleben. Der Meister wirkte zunächst recht lustlos, doch als er die obligatorische "Was halten Sie von Dogma?"-Frage (von der obligatorischen Dame gestellt) mit "It's stupid" beantwortete, war das Eis gebrochen. DAS FEST habe ihm gefallen, aber die Regeln hält er für eine sinnlose Beschränkung der Möglichkeiten. Daß das Gespräch dann doch nicht so richtig in Schwung kam, lag auch an der Moderation von Robert Fischer; wollte er im letzten Jahr noch am liebsten ein Privatgespräch mit Roman Polanski führen, mahnte er diesmal das Publikum ständig, schneller Fragen zu stellen, da die Zeit ja so knapp war. Wie man ein entspanntes Podiumsgespräch leitet, könnte sich Fischer mal bei seinem Kollegen Uli Maass abschauen.

Die weiteren Filme kamen nicht über das gewohnte mittelmaß hinaus, am ehesten läßt sich noch die ungarische Produktion KINOTRÄUME empfehlen, die trotz einiger filmischen Schwächen eine gute Geschichte erzählt: "Radi und Ladu leben in einem Bergdorf, abgeschnitten von der Außenwelt. Ihre Freizeit verbringen sie am liebsten - wie die übrigen Dorfbewohner - im Kino. Als der Filmlieferant tödlich verunglückt, überkommt das Dorf die große Langeweile. Bis alte Filmrollen auftauchen, die von Ladu zusammengeklebt werden, wobei immer neue Geschichten entstehen." (Filmfest München)
KINOTRÄUME im Kino Münchner Freiheit 2 am Fr. 30.Juni: 20:00 ; Sa. 1.Juli: 22:30

Ein richtig großer Film war bis jetzt leider immer noch nicht zu sehen und langsam macht sich etwas Müdigkeit breit - bleibt noch die Hoffnung auf Lars von Triers DANCER IN THE DARK. Wenn er auch in einiger Zeit in den Kinos anlaufen wird, werden wir ihn nicht verpassen, denn was wir jetzt brauchen, ist ein Knall, der uns aus dem Filmfestschlummer wachrüttelt - und nach allem was man vom Gewinner der Goldenen Palme gehört hat, wird genau das DANCER IN THE DARK schaffen.
Nur schade, daß Trier nicht in München ist - er hätte sich sicher gerne mit Spike Lee über sein "Dogma" unterhalten...[Max Herrmann]
DANCER IN THE DARK im Maxx 2 am Fr. 30.Juni: 20:00 ; Sa. 1.Juli: 22:30

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Mi 28.6.2000
Halbzeit!

Vier Tage hinter uns, vier Tage stehen noch aus - der Dienstag hat sich nicht als Tag der Entdeckungen erwiesen. Ganz schlimm wurde es in DURCH DAS FENSTER, worüber wir hier aber den Mantel des Schweigens breiten wollen, wurde der Film doch an dieser Stelle mal empfohlen - man kann sich ja mal irren (& ein fettes SORRY an alle, die dem Rat gefolgt sind). Der Film hat auch noch einen weiteren Termin bekommen, den kann man allerdings getrost vergessen.
Spike Lees SUMMER OF SAM wurde vom Kollegen Willmann als durchschnittlich und zu lang befunden, höchstens SAINT-CYR mit Isabelle Huppert könnte man - mit Einschränkungen - empfehlen. Die Geschichte um das Mädchenpensionat der Madame de Maintenon, Ehefrau König Ludwigs XIV, klingt allerdings etwas spannender als es der Film dann ist. Madame wollte nämlich im 17. Jahrhundert 250 Mädchen des verarmten Adels zu "emanzipierte" Frauen ausbilden, die zumindest nicht völlig hilflos dem Patriarchat ausgeliefert sein sollten. Wie sich das Internat dann aber zur totalen Institution entwickelt, zeigt der Film in größtenteils schweren bis düsteren Bildern. Ein überdurchschnittliches Maß an Wissen über die französische Geschichte ist zum Verständnis des Films nicht nötig, kann aber weitere Tiefen erschließen - so zumindest Kollegin Bialas. An die "Vorbilder" der Regisseurin Patricia Mazuy DANGEROUS LIASONS und FULL METAL JACKET reicht der Film leider nicht heran.
SAINT-CYR läuft im Filmcasino am Mi. 28.Juni: 20:00 und Do. 29.Juni: 17:30
Ansonsten bleibt nach vier Tagen Filme sehen noch die Hoffnung, daß sich die Spieler in der zweiten Halbzeit etwas steigern! [Max Herrmann]

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Di 27.6.2000
Diesmal...
...gibt es zuerst die guten Nachrichten:

MILOS FORMAN RETROSPEKTIVE:
Die amerikanischen Produktionen seit dem KUCKUCKSNEST kennt so gut wie jeder, dagegen ist das tschechische Werk Formans zwar bekannt, aber für die meisten Zuschauer - wie auch für uns - doch eine schöne Entdeckung. DIE LIEBE EINER BLONDINE, DER SCHWARZE PETER und FEUERWEHRBALL seien hier besonders hervorgehoben; sie bestechen durch ihren sehr liebevollen Blick auf die Menschen: immer wieder läßt Forman die aufbrechende Jugend und die konservativen Alten in der Tschechoslowakei der sechziger Jahre aufeinandertreffen und ist dabei natürlich auch immer versteckt politisch. Den Stil kann man als eine Mischung aus dokumentarischer Beobachtung und dezenter bis deutlicher Satire beschreiben - eine umwerfend komische Mischung. Besonders deutlich wird sie in der Szene, in der der "schwarze Peter" als Ladendetektiv einen vermeintlichen Dieb stellen will; selten hat man eine so zaghafte und amüsante "Verfolgungsjagd" gesehen wie diese. Sehr schade ist nur, daß die Filme teilweise in der deutschen Fassung laufen. [Max Herrmann]
DER SCHWARZE PETER läuft nochmal im Filmmuseum am Di. 27.Juni: 22:30 (DF)
FEUERWEHRBALL: Filmmuseum Fr. 30.Juni: 20:00 ; Sa. 1.Juli: 15:00 (DF)

ZUM PORTRÄIT FRIDRK FRIDRIKSON:
DIE TEUFELSINSEL (DJÖFLAEYJAN)
Mein zweiter Fridrik Thór Fridriksson-Film - und der Eindruck von WEISSE WALE verfestigt sich: Keiner der großen Regisseure, sondern eher ein Mann der großen Momente. Knappe zehn Jahre nach WEISSE WALE entstanden, ist hier die Kontrolle über die Bildsprache schon sichtlich größer, gibt's deutlich runderen Stil und Farbdramaturgie. Das Ganze ist schon das, was man wohl als "sozialkritisch" zu bezeichnen hat, aber das geballte Elend, das hier so ausführlich ausgebreitet wird, ist Fridriksson auch liebend gerne einfach Material für einen Gag. Was er wirklich kann, sind Szenen, in der einer der erniedrigten und gebeutelten Charaktere plötzliche Tiefe und Größe bekommt, oder bittere Sekunden der seelischen Grausamkeit hinter harmlos-freundlicher Fassade. Und unerwartet bizarre Details. Hier zum Beispiel der wahrscheinlich älteste Briefträger der Welt, die bunten Blubberwasser-Weihnachtsbaumkerzen, oder die Schimpfworte, die die gesitersehende Großmutter parat hat (Spitze selbstverständlich der Eröffnungssatz: "Die Geister furzen heute wieder in der Gegend herum.") Und überhaupt, wie könnte man einen Film nicht mögen, wo's heisst: "Klar vögeln sie unsere Frauen. Aber dafür trinken wir ihr Bier. Das gleicht sich wieder aus." [Thomas Willmann]
DIE TEUFELSINSEL läuft nochmal im Kino im BMW-Museum am Do. 29.Juni: 18:00
Die Reihe ist vor allem im Filmmuseum täglich in der 20:00 Uhr-Schiene zu sehen


...und dann die schlechten Nachrichten:
LOVE AND SEX

Ein gut aufgelegter Hauptdarsteller (John Favreau) und geschliffene Dialoge machen noch keinen guten Film. Besonders ärgerlich wird diese Erkenntnis, wenn der Film unter dem Flaggschiff "Independent" segelt, wie die Regisseurin Valerie Breiman auch gerne betont, und letztlich nur eine der romantischen 08/15-Komödien ist, wie sie in Hollywood seit Jahren dutzendfach am Fließband hergestellt werden. Der Film ist zwar meist ganz nett anzuschauen, aber leider ein exzellentes Beispiel für die Entwicklung eines Teils der Independent Szene in den letzten Jahren: Seit das Sundance Festival von Hollywood als kreative Quelle entdeckt wurde, geht es immer mehr Regisseuren darum, mit möglichst massenkompatiblen Filme die Scouts und Produzenten zu überzeugen - so entsteht ein "little hollywood", ein Vorhof zur Hölle der Einfallslosigkeit. LOVE AND SEX ist ein Teil davon. [Max Herrmann]
LOVE AND SEX läuft nochmal am Mi. 28.Juni: 17:30

MÜNCHEN - GEHEIMNISSE EINER STADT
Tja, ich würde ja gerne versuchen, aus Rücksicht gegenüber unserem Herrn Suchsland - der in einer Episode dieses Films sein Debut als (Fotoroman)-Schauspieler gibt - dem Werk höfliches Wohlwollen entgegenzubringen. Aber ich hoffe, er verzeiht mir wenn ich sage: Es geht beim besten Willen nicht. Was habe ich gelitten! So nah dran war lange kein Film mehr, mich aus dem Kino zu vertreiben, und es gab Momente solch exquisiter Peinlichkeit, solch zahnarztbohrerähnlicher Psychofolter, da hätte ich einfach schreien mögen. Ein Film-Essay über München will das sein, stilistisch angelegt als Chris Marker für die ganz Armen, mit plötzlichen KOYAANISQATSI-Anfällen zwischendurch. Und ist doch nur eine Sammlung pubertärer Einsichten, die mit dem bedeutungsschwangeren Raunen von Großphilosophie vorgetragen werden, angestaubtem 19. Jahrhundert-Kitsch (aaah, die Poesie von Kinder-Wasserleichen, heißa!) und Midlife-Crisis-Fantasien kurz vor dem umkippen in Altmänner-Geistesgeifer (aaah, der süßen Veras laaaangsamer Striptease, weil irgendwie der zerstückelte Frauenkörper ja auch der Stadtkörper ist, gell). Da wird kaum hingeguckt, sondern nur über alles die immergleichen Kino-Klischee-Geschichten drübergestülpt von Liebe und Tod, hi ho. Mal aus dem französischen Cinéma gemopst (wo dann auch die nicht mehr ganz taufrische, aber durchaus noch attraktive MVV-Kontrolleurin vielleicht beim Schwarzfahrer die große Liebe findet und zwischendurch drüber nachdenkt, ob ihr Körper denn auch schon Uniform geworden sein - was zumindest beweist, dass Herr Althen und Herr Graf schon lange keine MVV-Kontrolleure mehr gesehen haben), mal auch bei THE MATRIX oder THE WORLD IS NOT ENOUGH abgestaubt. Nie aber einfach in München abgeholt. Da müsste man ja mal richtig hingucken. Und nicht davon ausgehen, dass immer "alle" und "jeder" (so ziemlich die häufigsten Wörter des Films) alles genauso sehen muss wie Herr Althen, dass "keiner" und "niemand" da was anderes empfindet. Irgendwie wundert's einem gar nicht so, dass in der Mitte des Films erzählt wird, dass Nazi-Architektur nun sooooo schlecht auch wieder nicht ist - es weht dauernd ein latenter Hauch des Totalisierens durch dieses Werk. Und so sind dann auch irgendwie alle gleich, ob Vorstadt-Prol oder Bürgermeister, und die Zeitungsverkäufer am Sendlinger Tor müssen in die Kamera grinsen, weil sie die eigentlichen Herren der Stadt sind und (Zitat) "stolz". Aha. Wahrscheinlich darauf, dass sie Herrn Althens Artikel unters bedürftige Volk bringen dürfen, oder so. Was alles womöglich erträglich wäre, wenn der Film nicht dazu noch einen Kardinalsfehler hätte: Er hört und hört und hört und hört nicht auf. Vielleicht ist's ja ein Trick, um die unerträgliche Sonnenfinsternis-Schlussapotheose doch zum mit Freude erlebten Ereignis zu machen. Wer, weiß, ist auch egal, jedenfalls: Pfui bäh! [Thomas Willmann]
Gasteig Carl-Orff-Saal Di. 27.Juni: 19:30
Arri-Kino Fr. 30.Juni: 22:30

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Mo 26.6.2000
Das erste Wochenende

Die ersten Partys sind gefeiert und die ersten Filme sind gesehen, die Eindrücke sind für ein Festival nicht untypisch: Viel Mittelmaß, aber auch ein paar Ausreißer - im Guten wie im Schlechten - erste seien hier empfohlen, vor zweiten wollen wir "warnen".

Also die schlechten Nachrichten zuerst:
LE SECRET (DAS GEHEIMNIS)
Keine ungeahnten Entdeckungen verbergen sich in LE SECRET von Virginie Wagon. Gewiß hat nun endlich die befreite weibliche Sexualität in das französische Kino Einzug gehalten, aber wiederholtes, gefaktes Stöhnen beim langersehnten, außerehelichen Fuck mit dem gutaussehenden und wohlgebauten US-Schwarzen (ein Tänzer), der noch dazu Bill West heißt (Go West, Bill), zeigt, wo wir sind: im Phantasma, das ganz Klischee geworden ist. Da muß dann der Zuschauer gleich mitstöhnen. Von neuem französischen Kino ist hier nichts zu spüren. Die Regisseurin präsentiert sich mit ihrem ersten Langfilm, das ist wohl das Neue. [Dunja Bialas]
Läuft nochmal am Mo 26.6., 22:30 im Filmcasino

Und jetzt kommen die guten:
WHATEVER HAPPENED TO HAROLD SMITH?

Über weite Strecken die bisher amüsanteste Entdeckung des Filmfests - dann zum Schluß aber eben leider auch wieder nicht so ganz. Eine jener verschrobenen Britcoms in nicht allzu entfernter Verwandschaft von FUNNY BONES u.ä. Ein quietschbuntes Märchen über erste Liebe, Rechtsanwälte mit kackwürstchenförmigen Schnauzbärten ("Justice with Style") und parapsychologisch begabte Väter in Sheffield, England, 1979 an der Schwelle von Disco zu Punk. Nur merkt man auf Dauer, dass die großartigsten Gags tendenziell auf Nebenschauplätzen gelingen, und dass der Film mit soviel Bällen jongliert, dass er ein paar davon letzlich einfach in der Luft stehen läßt. Vor allem aber läßt der Streifen am Ende Disco (wie - im wahrsten Sinne des Wortes - gebrochen auch immer) über Punk siegen, und das ist freilich verboten. Insgesamt aber durchaus eine erfreuliche Angelegenheit und schon allein für die Szene lohnenswert, in der Stephen Fry als Professor im zotteligen 70s-Look nackend wie Gott ihn schuf nebst Ehefrau der frühreifen neunjährigen Tochter die Geheimnisse des männlichen Körpers ("... and one day you will find yourself strangely attracted to it...") und des Sex erklärt. [Thomas Willmann]
Läuft nochmal am Mo 26.6., 17:30 im Maxx 2

THE MINUS-MAN
Einer dieser Filme, die eigentlich nicht für Festivals gemacht sind, die man aber leider selten außerhalb von selbigen zu sehen bekommt: Man bräuchte danach seine Zeit, ihn sich nochmal durch den Kopf gehen zulassen. Eine sehr ruhige, sehr genau gearbeitete Art Serienkiller-Geschichte auf metaphorischer Ebene - minus Sex & Violence. Dabei ein subtil dicht verflochtenes Bild amerikanischer conditio humana. Und eine exquisite Versammlung einiger der unterschätztesten Schauspiel-Großtalente des Hollywood-Kinos. [Thomas Willmann]
Läuft nochmal am Di. 27.6., 17:15 im Maxx 1

BLACK AND WHITE
Endlich ein amerikanischer Film, der nicht nur rabiat so ziemlich alle Tabus bricht, die's in Sachen Darstellung von race relations in Hollywood gibt, sondern der den Mut hat, die Wahrheit zum Thema zu sagen: Dass die Angelegenheit so kompliziert ist, dass es Antworten, "Die Wahrheit" längst nicht mehr gibt. Ein Film zum Selberdenken, mithin einer, der kommerziell zum Scheitern verurteilt ist. Dennoch wird dazu zur gegebenen Zeit (BLACK AND WHITE hat einen deutschen Verleih, der den Film, obwohl die authentischen Sprachen der beteiligten Gruppierungen das Herzstück des Werks überhaupt sind, allen Ernstes in einer Synchronfassung auf den hiesigen Markt bringen wird!) noch einiges zu sagen sein. Jedenfalls ein Hoffnung machender Abschluss des ersten Tages - auch filmisch scheint Fight The Power noch immer möglich. [Thomas Willmann]
Läuft nochmal am Do 29.6., 22:30 im Maxx 2

NICHT VON DIESER WELT (Fuori dal mondo)
Caterina, eine Nonne, bekommt in einem Park ein Neugeborenes in die Hand gedrückt. Sie liefert es im Krankenhaus ab, und doch entwickelt sie Muttergefühle für das Findelkind. Sie macht sich auf der Suche nach der Mutter. Die einzige Spur ist der Pullover, in den das Baby gewickelt war, So lernt sie Ernesto, den ewig schlecht gelaunten Besitzer einer Reinigung, kennen. Er ist vereinsamt, Sorgen um das Geschäft machen ihn krank. Einst hatte er den Pullover an Theresa gegeben...
So stellt uns der Film eine Vielzahl von Menschen vor. Alle sind auf der Suche nach Geborgenheit, Liebe und ihrem Weg durchs Leben. Feste Gewissheiten werden von den Ereignissen in Frage gestellt. NICHT VON DIESER WELT vermeidet dabei alle Klischees und wirft einen außergewöhnlich frischen Blick auf die Menschen. Sehr sehenswert.
nochmal am Di. 27.6. 17:30 Münchner Freiheit 1

BLESSED ART THOU
Das beste aus Hollywood und Independentproduktion kombiniert: Eine ungewöhnliche Geschichte fern ab jeder Konvention gekonnt erzählt wie es für Hollywood typisch ist: Unterhaltsam ohne sich lustig zu machen. [Claus Schotten]
Maxx Mo 26.6. 19:45 und Mi 28.6. 22:15

BYE BYE AFRICA
Nach zehn Jahren in Europa führt der Tod seiner Mutter den Filmemacher Mahamat-Saleh Haroun erst mals wieder in seine Heimat N'Djamena, die Hauptstadt des Tschad zurück. Er besucht Verwandte, trifft alte Freude und sucht nach Darstellern und Motiven für sein nächstes Spielfilmprojekt BYE BYE AFRICA. Doch angesichts der wirtschaftlichen Lage im Tschad ist solch ein ambitioniertes Projekt aussichtslos. So müssen wir mit einem Video vorlieb nehmen. In dem semi-dokumentarischen Spielfilm wirft Haroun einen persönlichen Blick auf die aktuelle Lage im Tschad und die Situation des Kinos in Afrika. Er fragt nach dem Verhältnis von Film und Realität und forscht nach den Kinos seiner Jugend. Obwohl fast alle in Trümmern liegen, trifft er doch Leute, die an die Zukunft des Kinos in Afrika glauben... Für alle, denen AFRIKAS - WAS MACHEN DIE SCHMERZEN? (AFRIQUES: COMMENT ÇA VA AVEC LA DOULEUR?) oder SALAM CINEMA gefallen haben oder die etwas über das Kino in Afrika erfahren wollen, ist dieser Film ein Muß. Aber auch jeder, der einen Blick auf die Welt außerhalb der Industriestaaten werfen will, kommt auf seine Kosten. [Claus Schotten]
Di. 27.6. 22:30 Münchener Freiheit 1

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