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Tagebuch Filmfest München 2000
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Björk - DANCER IN THE DARK |
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Fr 30.6.2000
Ja, so wird's was!
Endlich, die erhoffte Steigerung des Münchner Filmfests
ist da! Das liegt zuerst mal an DANCER IN THE DARK, dann auch
an einigen anderen hübschen Produktionen (siehe unten),
zu denen z.B. ORIGIN OF MAN zählt, der seine Geschichte
um einen Vater wider Willen ganz entspannt und amüsant
erzählt - in bester "Indie-Tradition" (nochmal
am Sa 1.Juli: 17:15 im Maxx 1). Man hat den Eindruck, die
Festivalleitung hat sich das Beste für den Schluß
aufgespart. Doch zunächst zu Lars von Triers Geniestreich:
DANCER IN THE DARK
Eigentlich hätte das Filmfest danach sofort aufhören
müssen. Gut, man kann sich weiter andere Filme anschauen.
Aber ich fürchte, die werden im Vergleich Makulatur,
putziges Zierwerk bleiben. Und nach einem Film wie DANCER
IN THE DARK drängt sich die unangenehme Frage auf, warum
man überhaupt seine Zeit mit all diesen anderen Filmen
verbringt. Was insofern besonders schade ist, da DANCER IN
THE DARK ja nun beileibe kein Geheimtip oder eine Festivalentdeckung
war. Der hat in Cannes schon abgeräumt, von dem war ohnehin
viel zu erwarten, und der startet ja auch in näherer
Zukunft regulär im Kino. Weshalb es etwas unfair wäre,
wenn er - wie zu erwarten - für mich der mit Abstand
beste Film des Filmfests bleibt. Denn wozu dann Festival?
Es ist aber einfach so: DANCER beginnt minutenlang mit schwarzer
Leinwand, zu der sich auf dem Soundtrack langsam die Ouvertüre
aufbaut. Und obwohl (oder vielleicht doch besser: weil) da
gar nichts zu sehen war, war das schon wesentlich spannender
als das meiste, was mir diese dreiviertel Woche bisher untergekommen
ist. Da wird das Sehen plötzlich wieder alles andere
als selbstverständlich, da wird man sich seines Körpers
im Kino plötzlich wieder seltsam bewusst, und der ganzen
Zuschauer-Situation an sich; das erreicht einem auf einem
unmittelbar physischen Level, schaltet die ganzen Schutzzäune
jahrelanger ästhetischer Kino-Konditionierung aus. Und
dann kommt Björk und das große Melodram von der
Frau, die weiß, dass sie blind wird, und die alles daran
setzt, ihrem Sohn das gleiche (erbliche) Schicksal zu ersparen.
Dann kommt diese Geschichte von Sturheit und Kraft in diesem
Kindfrau-Körper und von seinem Opfergang in einer himmelschreiend
ungerechten Welt. Und von der wahren Hoffnung in der falschen,
künstlichen des Musicals. Und wenn ich je im Kino erfahren
habe, körperlich erfahren bis zu einem Moment, wo fast
das Herz aussetzt, es buchstäblich und im reinen Wortsinn
den Atem verschlägt, was Katharsis bedeutet, dann hier.
Das ist zum einen Björk zu verdanken, die mit einer Intensität
spielt, die fast das Zelluloid verschmurgeln lassen könnte;
die, gerade weil sie keinerlei Schauspiel-Ausbildung oder
Technik mitbringt, sich ohne Tricks und doppelten Boden durch
ihren Part FÜHLT. Zum anderen Lars von Trier, der wieder
wie in BREAKING THE WAVES seinen Kameramann Robby Müller
mit Handkamera frei improvisierend auf die Szenen losläßt
und damit zu einem Stil kommt, der sich nie hinter dem Wattewall
der Konvention versteckt, der die gewohnten und eingedämmten
Routen der Filmrezeption umgeht und dadurch an Bereiche außerhalb
der üblichen Schutzzone gelangt, der einem erwischt,
wo andere Filme selten noch hingelangen. Und plötzlich
weiß man wieder, wofür man eigentlich ins Kino
geht. [Thomas Willmann]
DANCER IN THE DARK im Maxx 2 am Fr. 30.Juni: 20:00 ; Sa. 1.Juli:
22:30
DIE POLIZISTIN
Eine 27jährige Polizistin wird nach ihrer Ausbildung
in einen trostlosen Vorort von Rostock versetzt. Sie wird
mit neuen Kollegen und vorallem der desillusioniernden sozialen
Realität konfrontiert. Obwohl die Kollegen ihr raten,
sich eine "dickere Haut" zuzulegen, will sie den
Menschen noch helfen - auch über die dienstlichen Pflichten
hinaus. Privat sehnt sie sich nach einem Mann "zum Wärmen".
Gedreht mit verfügbaren Licht auf hochempfindlichen 16mm-Material
wirkt der Film wie ein packender, hyperrealistischer Dokumentarfilm
im Stil des Direct Cinema. Dazu tragen auch die gut beobachteten
Dialoge und die herausragenden schauspielerischen Leistungen
bis in die kleinste Nebenrolle bei. Daß es sich um eine
Inszenierung handelt, merkt man eigentlich nur daran, daß
man intime Szenen sieht, die in der Realität keine Kamera
zu Gesicht bekommen hätte, und daß sich die Stränge
des Drehbuchs am Ende zu einem Kreis schließen. [Claus
Schotten]
Fr. 30.6. Arri 20:00 und Sa 1.7. Maxx2 15:00
IN SCHLECHTER GESELLSCHAFT (Mauvaises fréquentations)
Ein eindrucksvoller Blick in das Seelenleben von Teenagern.
Die Sehnsucht unabhängig von den Eltern zu werden und
gleichzeitig die Furcht Erwachsen zu werden oder gar so wie
die Erwachsenen zu werden, desillusioniert im täglichen
Trott zu ersticken. Die Hoffnug aus dem eigenen Leben etwas
besonderes zu machen. Die ersten Liebeserfahrungen von den
Wer-geht-mit-wem- und Wer-macht-als-erster-Schluß-Machtspielchen
bis zum Gefühlstaumel der unbedingten Liebe, die bis
zur Selbstaufgabe für den Partner alles tun würde.
Im Mittelpunkt steht die 15jährige Delphine, behütete
Tochter aus gutem Hause, die sich mit Olivia, einem Scheidungskind,
anfreundet. Das Ganze ist frei von jeder falschen Romantik
einfühlsam inszeniert. Selbst wenn sich der Fortgang
der Geschichte in jeder Zusammenfassung übertrieben und
unglaubwürdig anhören wird - Drehbuch und Schauspieler
sind so gut, dass man keine Sekunde an dem Film zweifelt und
stets mit den Figuren mitfühlen kann. [Claus Schotten]
Filmcasino 30.Juni: 20:30 ; Sa. 1.Juli: 17:30
DIE FARBE DES PARADIESES (Rang-e-khoda)
Der achtjährige Mohammad geht auf die Blindenschule in
Teheran. In den Ferien besucht er seine Familie im Norden
Irans. Der Vater ist verwitwet und möchte wieder heiraten,
er fürchtet der blinde Sohn könne die Familie seiner
Braut abschrecken. Gleichzeitig möchte er seinen Sohn
vor der Umwelt schützen und ihm eine sichere Zukunft
geben. Deshalb soll er bei einem blinden Schreiner in die
Lehre gehen. Mohammad sehnt sich dagegen nach einem möglichst
normalen Leben. Am liebsten würde er mit seinen Schwestern
auf die Dorfschule gehen, wo er den Lehrer mit seinem Können
beeindruckt hat...
Regisseur Majid Majidi hat sich ein Jahr lang mit seinen Laiendarstellern
beschäftigt, bevor er mit dem Dreh des Filmes begonnen
hat. Dieser Sorgfalt sind Szenen unglaublicher Intensität
zu verdanken, etwa wenn Mohammad sich über sein Schicksal
beklagt oder seine neue Umgebung ertastet und erhört.
Gleichzeitig besticht der Film durch phantastische Landschaftsaufnahmen,
die die Stimmung der Figuren unterstreichen. [Claus Schotten]
Forum 2 im Olympiadorf Sa. 1.Juli: 11:00
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Do 29.6.2000
Es bleibt schwierig
Am Mittwoch gings gar nicht gut los: die Kopie von SEVENTEEN
YEARS war noch nicht da, und die Vorführung wurde ersatzlos
gestrichen. Dafür hatte man dann Zeit, Spike Lee in der
Black Box zu erleben. Der Meister wirkte zunächst recht
lustlos, doch als er die obligatorische "Was halten Sie
von Dogma?"-Frage (von der obligatorischen Dame gestellt)
mit "It's stupid" beantwortete, war das Eis gebrochen.
DAS FEST habe ihm gefallen, aber die Regeln hält er für
eine sinnlose Beschränkung der Möglichkeiten. Daß
das Gespräch dann doch nicht so richtig in Schwung kam,
lag auch an der Moderation von Robert Fischer; wollte er im
letzten Jahr noch am liebsten ein Privatgespräch mit
Roman Polanski führen, mahnte er diesmal das Publikum
ständig, schneller Fragen zu stellen, da die Zeit ja
so knapp war. Wie man ein entspanntes Podiumsgespräch
leitet, könnte sich Fischer mal bei seinem Kollegen Uli
Maass abschauen.
Die weiteren Filme kamen nicht über das gewohnte mittelmaß
hinaus, am ehesten läßt sich noch die ungarische
Produktion KINOTRÄUME empfehlen, die trotz einiger filmischen
Schwächen eine gute Geschichte erzählt: "Radi
und Ladu leben in einem Bergdorf, abgeschnitten von der Außenwelt.
Ihre Freizeit verbringen sie am liebsten - wie die übrigen
Dorfbewohner - im Kino. Als der Filmlieferant tödlich
verunglückt, überkommt das Dorf die große
Langeweile. Bis alte Filmrollen auftauchen, die von Ladu zusammengeklebt
werden, wobei immer neue Geschichten entstehen." (Filmfest
München)
KINOTRÄUME im Kino Münchner Freiheit 2 am Fr. 30.Juni:
20:00 ; Sa. 1.Juli: 22:30
Ein richtig großer Film war bis jetzt leider immer
noch nicht zu sehen und langsam macht sich etwas Müdigkeit
breit - bleibt noch die Hoffnung auf Lars von Triers DANCER
IN THE DARK. Wenn er auch in einiger Zeit in den Kinos anlaufen
wird, werden wir ihn nicht verpassen, denn was wir jetzt brauchen,
ist ein Knall, der uns aus dem Filmfestschlummer wachrüttelt
- und nach allem was man vom Gewinner der Goldenen Palme gehört
hat, wird genau das DANCER IN THE DARK schaffen.
Nur schade, daß Trier nicht in München ist - er
hätte sich sicher gerne mit Spike Lee über sein
"Dogma" unterhalten...[Max Herrmann]
DANCER IN THE DARK im Maxx 2 am Fr. 30.Juni: 20:00 ; Sa. 1.Juli:
22:30
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Mi 28.6.2000
Halbzeit!
Vier Tage hinter uns, vier Tage stehen noch aus - der Dienstag
hat sich nicht als Tag der Entdeckungen erwiesen. Ganz schlimm
wurde es in DURCH DAS FENSTER, worüber wir hier aber
den Mantel des Schweigens breiten wollen, wurde der Film doch
an dieser Stelle mal empfohlen - man kann sich ja mal irren
(& ein fettes SORRY an alle, die dem Rat gefolgt sind).
Der Film hat auch noch einen weiteren Termin bekommen, den
kann man allerdings getrost vergessen.
Spike Lees SUMMER OF SAM wurde vom Kollegen Willmann als durchschnittlich
und zu lang befunden, höchstens SAINT-CYR mit Isabelle
Huppert könnte man - mit Einschränkungen - empfehlen.
Die Geschichte um das Mädchenpensionat der Madame de
Maintenon, Ehefrau König Ludwigs XIV, klingt allerdings
etwas spannender als es der Film dann ist. Madame wollte nämlich
im 17. Jahrhundert 250 Mädchen des verarmten Adels zu
"emanzipierte" Frauen ausbilden, die zumindest nicht
völlig hilflos dem Patriarchat ausgeliefert sein sollten.
Wie sich das Internat dann aber zur totalen Institution entwickelt,
zeigt der Film in größtenteils schweren bis düsteren
Bildern. Ein überdurchschnittliches Maß an Wissen
über die französische Geschichte ist zum Verständnis
des Films nicht nötig, kann aber weitere Tiefen erschließen
- so zumindest Kollegin Bialas. An die "Vorbilder"
der Regisseurin Patricia Mazuy DANGEROUS LIASONS und FULL
METAL JACKET reicht der Film leider nicht heran.
SAINT-CYR läuft im Filmcasino am Mi. 28.Juni: 20:00 und
Do. 29.Juni: 17:30
Ansonsten bleibt nach vier Tagen Filme sehen noch die Hoffnung,
daß sich die Spieler in der zweiten Halbzeit etwas steigern!
[Max Herrmann]
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Di 27.6.2000
Diesmal...
...gibt es zuerst die guten Nachrichten:
MILOS FORMAN RETROSPEKTIVE:
Die amerikanischen Produktionen seit dem KUCKUCKSNEST kennt
so gut wie jeder, dagegen ist das tschechische Werk Formans
zwar bekannt, aber für die meisten Zuschauer - wie auch
für uns - doch eine schöne Entdeckung. DIE LIEBE
EINER BLONDINE, DER SCHWARZE PETER und FEUERWEHRBALL seien
hier besonders hervorgehoben; sie bestechen durch ihren sehr
liebevollen Blick auf die Menschen: immer wieder läßt
Forman die aufbrechende Jugend und die konservativen Alten
in der Tschechoslowakei der sechziger Jahre aufeinandertreffen
und ist dabei natürlich auch immer versteckt politisch.
Den Stil kann man als eine Mischung aus dokumentarischer Beobachtung
und dezenter bis deutlicher Satire beschreiben - eine umwerfend
komische Mischung. Besonders deutlich wird sie in der Szene,
in der der "schwarze Peter" als Ladendetektiv einen
vermeintlichen Dieb stellen will; selten hat man eine so zaghafte
und amüsante "Verfolgungsjagd" gesehen wie
diese. Sehr schade ist nur, daß die Filme teilweise
in der deutschen Fassung laufen. [Max Herrmann]
DER SCHWARZE PETER läuft nochmal im Filmmuseum am Di.
27.Juni: 22:30 (DF)
FEUERWEHRBALL: Filmmuseum Fr. 30.Juni: 20:00 ; Sa. 1.Juli:
15:00 (DF)
ZUM PORTRÄIT FRIDRK FRIDRIKSON:
DIE TEUFELSINSEL (DJÖFLAEYJAN)
Mein zweiter Fridrik Thór Fridriksson-Film - und der
Eindruck von WEISSE WALE verfestigt sich: Keiner der großen
Regisseure, sondern eher ein Mann der großen Momente.
Knappe zehn Jahre nach WEISSE WALE entstanden, ist hier die
Kontrolle über die Bildsprache schon sichtlich größer,
gibt's deutlich runderen Stil und Farbdramaturgie. Das Ganze
ist schon das, was man wohl als "sozialkritisch"
zu bezeichnen hat, aber das geballte Elend, das hier so ausführlich
ausgebreitet wird, ist Fridriksson auch liebend gerne einfach
Material für einen Gag. Was er wirklich kann, sind Szenen,
in der einer der erniedrigten und gebeutelten Charaktere plötzliche
Tiefe und Größe bekommt, oder bittere Sekunden
der seelischen Grausamkeit hinter harmlos-freundlicher Fassade.
Und unerwartet bizarre Details. Hier zum Beispiel der wahrscheinlich
älteste Briefträger der Welt, die bunten Blubberwasser-Weihnachtsbaumkerzen,
oder die Schimpfworte, die die gesitersehende Großmutter
parat hat (Spitze selbstverständlich der Eröffnungssatz:
"Die Geister furzen heute wieder in der Gegend herum.")
Und überhaupt, wie könnte man einen Film nicht mögen,
wo's heisst: "Klar vögeln sie unsere Frauen. Aber
dafür trinken wir ihr Bier. Das gleicht sich wieder aus."
[Thomas Willmann]
DIE TEUFELSINSEL läuft nochmal im Kino im BMW-Museum
am Do. 29.Juni: 18:00
Die Reihe ist vor allem im Filmmuseum täglich in der
20:00 Uhr-Schiene zu sehen
...und dann die schlechten Nachrichten:
LOVE AND SEX
Ein gut aufgelegter Hauptdarsteller (John Favreau) und geschliffene
Dialoge machen noch keinen guten Film. Besonders ärgerlich
wird diese Erkenntnis, wenn der Film unter dem Flaggschiff
"Independent" segelt, wie die Regisseurin Valerie
Breiman auch gerne betont, und letztlich nur eine der romantischen
08/15-Komödien ist, wie sie in Hollywood seit Jahren
dutzendfach am Fließband hergestellt werden. Der Film
ist zwar meist ganz nett anzuschauen, aber leider ein exzellentes
Beispiel für die Entwicklung eines Teils der Independent
Szene in den letzten Jahren: Seit das Sundance Festival von
Hollywood als kreative Quelle entdeckt wurde, geht es immer
mehr Regisseuren darum, mit möglichst massenkompatiblen
Filme die Scouts und Produzenten zu überzeugen - so entsteht
ein "little hollywood", ein Vorhof zur Hölle
der Einfallslosigkeit. LOVE AND SEX ist ein Teil davon. [Max
Herrmann]
LOVE AND SEX läuft nochmal am Mi. 28.Juni: 17:30
MÜNCHEN - GEHEIMNISSE EINER STADT
Tja, ich würde ja gerne versuchen, aus Rücksicht
gegenüber unserem Herrn Suchsland - der in einer Episode
dieses Films sein Debut als (Fotoroman)-Schauspieler gibt
- dem Werk höfliches Wohlwollen entgegenzubringen. Aber
ich hoffe, er verzeiht mir wenn ich sage: Es geht beim besten
Willen nicht. Was habe ich gelitten! So nah dran war lange
kein Film mehr, mich aus dem Kino zu vertreiben, und es gab
Momente solch exquisiter Peinlichkeit, solch zahnarztbohrerähnlicher
Psychofolter, da hätte ich einfach schreien mögen.
Ein Film-Essay über München will das sein, stilistisch
angelegt als Chris Marker für die ganz Armen, mit plötzlichen
KOYAANISQATSI-Anfällen zwischendurch. Und ist doch nur
eine Sammlung pubertärer Einsichten, die mit dem bedeutungsschwangeren
Raunen von Großphilosophie vorgetragen werden, angestaubtem
19. Jahrhundert-Kitsch (aaah, die Poesie von Kinder-Wasserleichen,
heißa!) und Midlife-Crisis-Fantasien kurz vor dem umkippen
in Altmänner-Geistesgeifer (aaah, der süßen
Veras laaaangsamer Striptease, weil irgendwie der zerstückelte
Frauenkörper ja auch der Stadtkörper ist, gell).
Da wird kaum hingeguckt, sondern nur über alles die immergleichen
Kino-Klischee-Geschichten drübergestülpt von Liebe
und Tod, hi ho. Mal aus dem französischen Cinéma
gemopst (wo dann auch die nicht mehr ganz taufrische, aber
durchaus noch attraktive MVV-Kontrolleurin vielleicht beim
Schwarzfahrer die große Liebe findet und zwischendurch
drüber nachdenkt, ob ihr Körper denn auch schon
Uniform geworden sein - was zumindest beweist, dass Herr Althen
und Herr Graf schon lange keine MVV-Kontrolleure mehr gesehen
haben), mal auch bei THE MATRIX oder THE WORLD IS NOT ENOUGH
abgestaubt. Nie aber einfach in München abgeholt. Da
müsste man ja mal richtig hingucken. Und nicht davon
ausgehen, dass immer "alle" und "jeder"
(so ziemlich die häufigsten Wörter des Films) alles
genauso sehen muss wie Herr Althen, dass "keiner"
und "niemand" da was anderes empfindet. Irgendwie
wundert's einem gar nicht so, dass in der Mitte des Films
erzählt wird, dass Nazi-Architektur nun sooooo schlecht
auch wieder nicht ist - es weht dauernd ein latenter Hauch
des Totalisierens durch dieses Werk. Und so sind dann auch
irgendwie alle gleich, ob Vorstadt-Prol oder Bürgermeister,
und die Zeitungsverkäufer am Sendlinger Tor müssen
in die Kamera grinsen, weil sie die eigentlichen Herren der
Stadt sind und (Zitat) "stolz". Aha. Wahrscheinlich
darauf, dass sie Herrn Althens Artikel unters bedürftige
Volk bringen dürfen, oder so. Was alles womöglich
erträglich wäre, wenn der Film nicht dazu noch einen
Kardinalsfehler hätte: Er hört und hört und
hört und hört nicht auf. Vielleicht ist's ja ein
Trick, um die unerträgliche Sonnenfinsternis-Schlussapotheose
doch zum mit Freude erlebten Ereignis zu machen. Wer, weiß,
ist auch egal, jedenfalls: Pfui bäh! [Thomas Willmann]
Gasteig Carl-Orff-Saal Di. 27.Juni: 19:30
Arri-Kino Fr. 30.Juni: 22:30
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Mo 26.6.2000
Das erste Wochenende
Die ersten Partys sind gefeiert und die ersten Filme sind
gesehen, die Eindrücke sind für ein Festival nicht
untypisch: Viel Mittelmaß, aber auch ein paar Ausreißer
- im Guten wie im Schlechten - erste seien hier empfohlen,
vor zweiten wollen wir "warnen".
Also die schlechten Nachrichten zuerst:
LE SECRET (DAS GEHEIMNIS)
Keine ungeahnten Entdeckungen verbergen sich in LE SECRET
von Virginie Wagon. Gewiß hat nun endlich die befreite
weibliche Sexualität in das französische Kino Einzug
gehalten, aber wiederholtes, gefaktes Stöhnen beim langersehnten,
außerehelichen Fuck mit dem gutaussehenden und wohlgebauten
US-Schwarzen (ein Tänzer), der noch dazu Bill West heißt
(Go West, Bill), zeigt, wo wir sind: im Phantasma, das ganz
Klischee geworden ist. Da muß dann der Zuschauer gleich
mitstöhnen. Von neuem französischen Kino ist hier
nichts zu spüren. Die Regisseurin präsentiert sich
mit ihrem ersten Langfilm, das ist wohl das Neue. [Dunja Bialas]
Läuft nochmal am Mo 26.6., 22:30 im Filmcasino
Und jetzt kommen die guten:
WHATEVER HAPPENED TO HAROLD SMITH?
Über weite Strecken die bisher amüsanteste Entdeckung
des Filmfests - dann zum Schluß aber eben leider auch
wieder nicht so ganz. Eine jener verschrobenen Britcoms in
nicht allzu entfernter Verwandschaft von FUNNY BONES u.ä.
Ein quietschbuntes Märchen über erste Liebe, Rechtsanwälte
mit kackwürstchenförmigen Schnauzbärten ("Justice
with Style") und parapsychologisch begabte Väter
in Sheffield, England, 1979 an der Schwelle von Disco zu Punk.
Nur merkt man auf Dauer, dass die großartigsten Gags
tendenziell auf Nebenschauplätzen gelingen, und dass
der Film mit soviel Bällen jongliert, dass er ein paar
davon letzlich einfach in der Luft stehen läßt.
Vor allem aber läßt der Streifen am Ende Disco
(wie - im wahrsten Sinne des Wortes - gebrochen auch immer)
über Punk siegen, und das ist freilich verboten. Insgesamt
aber durchaus eine erfreuliche Angelegenheit und schon allein
für die Szene lohnenswert, in der Stephen Fry als Professor
im zotteligen 70s-Look nackend wie Gott ihn schuf nebst Ehefrau
der frühreifen neunjährigen Tochter die Geheimnisse
des männlichen Körpers ("... and one day you
will find yourself strangely attracted to it...") und
des Sex erklärt. [Thomas Willmann]
Läuft nochmal am Mo 26.6., 17:30 im Maxx 2
THE MINUS-MAN
Einer dieser Filme, die eigentlich nicht für Festivals
gemacht sind, die man aber leider selten außerhalb von
selbigen zu sehen bekommt: Man bräuchte danach seine
Zeit, ihn sich nochmal durch den Kopf gehen zulassen. Eine
sehr ruhige, sehr genau gearbeitete Art Serienkiller-Geschichte
auf metaphorischer Ebene - minus Sex & Violence. Dabei
ein subtil dicht verflochtenes Bild amerikanischer conditio
humana. Und eine exquisite Versammlung einiger der unterschätztesten
Schauspiel-Großtalente des Hollywood-Kinos. [Thomas
Willmann]
Läuft nochmal am Di. 27.6., 17:15 im Maxx 1
BLACK AND WHITE
Endlich ein amerikanischer Film, der nicht nur rabiat so ziemlich
alle Tabus bricht, die's in Sachen Darstellung von race relations
in Hollywood gibt, sondern der den Mut hat, die Wahrheit zum
Thema zu sagen: Dass die Angelegenheit so kompliziert ist,
dass es Antworten, "Die Wahrheit" längst nicht
mehr gibt. Ein Film zum Selberdenken, mithin einer, der kommerziell
zum Scheitern verurteilt ist. Dennoch wird dazu zur gegebenen
Zeit (BLACK AND WHITE hat einen deutschen Verleih, der den
Film, obwohl die authentischen Sprachen der beteiligten Gruppierungen
das Herzstück des Werks überhaupt sind, allen Ernstes
in einer Synchronfassung auf den hiesigen Markt bringen wird!)
noch einiges zu sagen sein. Jedenfalls ein Hoffnung machender
Abschluss des ersten Tages - auch filmisch scheint Fight The
Power noch immer möglich. [Thomas Willmann]
Läuft nochmal am Do 29.6., 22:30 im Maxx 2
NICHT VON DIESER WELT (Fuori dal mondo)
Caterina, eine Nonne, bekommt in einem Park ein Neugeborenes
in die Hand gedrückt. Sie liefert es im Krankenhaus ab,
und doch entwickelt sie Muttergefühle für das Findelkind.
Sie macht sich auf der Suche nach der Mutter. Die einzige
Spur ist der Pullover, in den das Baby gewickelt war, So lernt
sie Ernesto, den ewig schlecht gelaunten Besitzer einer Reinigung,
kennen. Er ist vereinsamt, Sorgen um das Geschäft machen
ihn krank. Einst hatte er den Pullover an Theresa gegeben...
So stellt uns der Film eine Vielzahl von Menschen vor. Alle
sind auf der Suche nach Geborgenheit, Liebe und ihrem Weg
durchs Leben. Feste Gewissheiten werden von den Ereignissen
in Frage gestellt. NICHT VON DIESER WELT vermeidet dabei alle
Klischees und wirft einen außergewöhnlich frischen
Blick auf die Menschen. Sehr sehenswert.
nochmal am Di. 27.6. 17:30 Münchner Freiheit 1
BLESSED ART THOU
Das beste aus Hollywood und Independentproduktion kombiniert:
Eine ungewöhnliche Geschichte fern ab jeder Konvention
gekonnt erzählt wie es für Hollywood typisch ist:
Unterhaltsam ohne sich lustig zu machen. [Claus Schotten]
Maxx Mo 26.6. 19:45 und Mi 28.6. 22:15
BYE BYE AFRICA
Nach zehn Jahren in Europa führt der Tod seiner Mutter
den Filmemacher Mahamat-Saleh Haroun erst mals wieder in seine
Heimat N'Djamena, die Hauptstadt des Tschad zurück. Er
besucht Verwandte, trifft alte Freude und sucht nach Darstellern
und Motiven für sein nächstes Spielfilmprojekt BYE
BYE AFRICA. Doch angesichts der wirtschaftlichen Lage im Tschad
ist solch ein ambitioniertes Projekt aussichtslos. So müssen
wir mit einem Video vorlieb nehmen. In dem semi-dokumentarischen
Spielfilm wirft Haroun einen persönlichen Blick auf die
aktuelle Lage im Tschad und die Situation des Kinos in Afrika.
Er fragt nach dem Verhältnis von Film und Realität
und forscht nach den Kinos seiner Jugend. Obwohl fast alle
in Trümmern liegen, trifft er doch Leute, die an die
Zukunft des Kinos in Afrika glauben... Für alle, denen
AFRIKAS - WAS MACHEN DIE SCHMERZEN? (AFRIQUES: COMMENT ÇA
VA AVEC LA DOULEUR?) oder SALAM CINEMA gefallen haben oder
die etwas über das Kino in Afrika erfahren wollen, ist
dieser Film ein Muß. Aber auch jeder, der einen Blick
auf die Welt außerhalb der Industriestaaten werfen will,
kommt auf seine Kosten. [Claus Schotten]
Di. 27.6. 22:30 Münchener Freiheit 1
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