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Berlinale 2001 08.02.2001
 
 
     
 

1:0 für die "Alten"
ENEMY AT THE GATES vs. DETECTIVE STORY

 
 
Jude Law und Rachel Weisz in ENEMY AT THE GATES
       
 
 
 
 

Dann alles auf Anfang. Berlinale. Karten holen und ab ins Kino. Erster Film, Wettbewerb, ENEMY AT THE GATES. Bevor es überhaupt losgeht, fällt der Erste schon in Ohnmacht. Und die Treppe runter. Wie im Kino... Aufregung, Walkie-Talkie und Verzögerung. Macht schon. Endlich wird es dunkel im Saal, Berlinale Palast und nachmittags um zwei schon ausverkauft.

Das "Constantin"-Logo als erstes Bild. Deutschland (Wieso beharren hier alle darauf, dass deutsche Filme laufen sollen?) bis zur ersten Geste einer Diegetik. Dann Amerika, so viel Amerika wie es kein Amerikaner zeigen würde. THE MILLION DOLLAR HOTEL war des Deutschen reinste Seele im Vergleich hierzu, letztes Jahr. Eine kurze Sequenz um von "Frieden"auf "Krieg" umzuschalten, Zivillok wird vertauscht gegen eine Gepanzerte und fährt mit Sicherheit gen Westen, nach Stalingrad (Man hätte den Film auch "1942-Wo bitte geht's nach Hollywood?" nennen können...). Die Indianer tragen später Nazi-Uniformen, aber das macht keinen Unterschied.

Nach ein paar Minuten sind wir im Kriegsgetümmel, so heftig, dass man sich permanent übergeben könnte. Reißschwenk runter, Reißschwenk hoch, links, rechts, hin und her. Handkamera, natürlich, die Blutbeutel an den Komparsen platzen im Sekundentakt. Man fühlt sich ständig an TITANIC erinnert, weil die Filmmusik auch hier von James Horner stammt. Klassisch, treibend schreit sie nach Emotion, Empathie, Emotion. Gebt mir eure Tränen. Bei Cameron sah man an dieser Stelle zum ersten Mal das Schiff, hier das erste Mal den Krieg, wie haben sie sich das gedacht, Mr. Annaud? 30 Minuten Panik, dann Anspannung, dann Hektik usw. Playstation auf der großen Leinwand, der Regisseur am Joystick. Level 1, 2, 3, 4... bis Jude Law, der uns den Scharfschützen Zaitsev gibt, auf Danilov (Joseph Fiennes) trifft, den Denker, den Propagandisten, der mit seiner Druckerpresse Zaitsev zum Helden, zum Mythos, zum Star machen wird. Aha, also selbstreferentiell.

Und spätestens hier ist man sich sicher, dass die Titanic doch nicht so weit entfernt ist, denn der Film geht gnadenlos unter. Bis Minute 129 flacht die Dramaturgie ab, um auch dann keinen Höhepunkt mehr zu setzen. Soziomelodram, zwei Freunde und eine Frau, ein Duell, ein Opfer, Spione, Doppelspione usw. Der Versuch, großes Kino zu inszenieren, wie bei Cameron. Aber der ist, man mag zu seinen Filmen stehen wie man will, zumindest ein ausgezeichneter Handwerker. In ENEMY AT THE GATES ist zwar alles schön grau-braun getrimmt worden (damit die brennenden Ruinen besser zur Geltung kommen?), aber die Anschlußfehler schmeißen einen immer wieder aus der Narration. Der Himmel ist grau, dann kurz blau, dann wieder grau. Innerhalb von einigen Momenten. Im vorletzten Gefecht liegen sich Zaitsev und der Überscharfschütze auf deutscher Seite, Major König (Ed Harris), im Stellungskrieg gegenüber. Die Farben dunkel, blau und grün. Ankunft der Geliebten in einer Totalen; Schnitt in eine Halbtotale und das Licht ist plötzlich orange und warm. Ob Annaud damit Emotionen wecken will und ihm das wichtiger ist als zumindest ein Anschein von Logik, wird sich wohl so schnell nicht klären lassen.

Am Ende opfert sich Danilov, kurz bevor er den Kapitalismus zur natürlichsten aller Ordnungen ausgerufen hat und damit den bösen Bolschewisten, an die er geglaubt hat, noch eins auswischt. Aha, Politik also. Die Handlung scheint irgendwo vollkommen stagniert zu sein und der Film schleppt sich mühsam über die Dauer. Nebenfiguren werden etabliert, um in der nächsten Minute wieder erschossen zu werden. Schön, euch gesehen zu haben. Die spannenste Erkenntnis bleibt , dass Rachel Weisz als Geliebte des Schützen Zaitsev beim Sex in die Runde schaut wie die BSE-Kuh. Und die Musik spielt weiter...

Kein guter Anfang, aber zumindest ein Anfang und immerhin kann jetzt alles nur noch besser werden. ENEMY AT THE GATES scheint sowieso die Ausnahme zu sein, beim Durchblättern des Programms dominieren eher die kleinen Beziehungsgeschichten, nicht die großen Gesten.

Am Potsdamer Platz ist alles noch ein bißchen hektischer als sonst, die Schlangen vor den Verkaufsschaltern schon früh am Morgen hundert Meter lang und die Kluft zwischen den Touristen, die irgendwie den ganzen Tag Zeit haben und den Filmmenschen, die irgendwie nie Zeit haben, wächst von Stunde zu Stunde. Gegensätze allerorten.

Am Abend dann die Hommage an Kirk Douglas: DETECTIVE STORY von William Wyler, von 1951. Das ist das Schöne hier, dass man innerhalb der Filmgeschichte einfach so ein halbes Jahrhundert zurückspringen kann und merkt, was dem Kino tendenziell seit damals verloren gegangen ist. Wyler braucht keine großen Bauten, keinen großen Krieg, er läßt sich einfach auf die Beschränkungen des Theaterstücks, das ihm als Vorlage diente, ein. Der Beginn eine Weite von Oben auf die Straße und man hat den Eindruck, der Film greife nur eine der Geschichten heraus, die es in diesem Mikrokosmos zu erzählen gäbe (Bei Annaud ging es wohl eher darum die endgültig letzte Geschichte zu erzählen).

Bis auf ein paar kurze Ausflüge spielt der Film auf einer Polizeiwache und es macht einfach Spaß zuzuschauen, wie die Kamera, die Regie, den Schauspielern (allen voran Kirk Douglas) Raum gibt, sich zu entfalten, das Innere nach Außen zu kehren. Es ist ein einziger Tanz durch die engen Räume mit einer strengen Choreographie, mit klaren Schnitten und ruhigen Fahrten wird viel Tempo erzeugt. Drei, manchmal vier verschiedene Gruppen die ineinander verknüpft werden, einfach durch die Tiefe des Raumes. Die nahen und großen Einstellungen sind noch Teil einer besonderen Dramaturgie, werden eingesetzt um Intimität zu erzeugen, so als würde am Ende des Kaders die Welt aufhören.

Mit ein paar Einstellungen schafft Wyler ein dichtes Millieu in dem Douglas als pflichtbewußter Detective vollkommen aufgeht. Er ist Hiob, der fast seinen Job verliert, der ihm so viel bedeutet, der erkennen muß, dass seine Frau, die er so sehr liebt, ein Verhältnis hatte mit dem Mann, den er meisten hasst und am Ende an der Ohnmacht des Gesetzes scheitern muss.

Die Dialoge werden nicht über die Schnitte gelegt, was dem Film einen besonnenen, eigenen Rhythmus verleiht, die Geschwindigkeit bei großer Nähe verlangsamt, den Worten ihre Bedeutung verleiht. Die Spannung entsteht aus der Psychologie der Figuren, der Mischung aus Typen und Individuen. Der zerissene Detective neben dem Kleinkriminellen Charlie, der auf das Theater verweist und mit seinen Überselbstinszenierungen immer wieder die Lacher auf sich zieht.

Am ersten Tag also 1:0 für die "Alten", aber morgen kommt Soderbergh und ich bin mir sicher, er kann ausgleichen.

André Grzeszyk

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