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Auf die Frage nach dem Revival des Horror-Films in den späten
90´er Jahren (SCREAM und Konsorten) fand er keine wirkliche
Antwort, Adam Simon, der an diesem Abend seine Dokumentation
THE AMERICAN NIGHTMARE präsentierte und damit einen der wenigen
Höhepunkte im Forum setzte (Es war faszinierend zu verfolgen,
wie souverän der Regisseur im Gespräch nach der Vorstellung
wirkte, mit welcher Bescheidenheit und Begeisterung er über
das Kino sprach). 73 Minuten die Altmeister des Genres, Cronenberg,
Carpenter, Craven usw., wie sie über die eigenen Werke sprechen
und im Rückblick auf ihre frühen Filme blitzte immer wieder
die Intelligenz und Könnerschaft auf, die in ihnen steckt.
Das Genre in den 60´er und 70´er Jahren quergeschnitten mit
dem politischen Kontext, in dem sie entstanden, in den besten
Momenten Bild und Ton asynchron nebeneinander, so dass beim
besten Willen nicht mehr zu differenzieren war, was Zeitgeschichte
und was Fiktion ist. Die Alpträume des Kalten Krieges, der
Atombombe, der politischen Attentate, Vietnams, in einer neuen,
schockierenden und provozierenden Visualität. Die Umstände
fühlbar in der Gesellschaft und die Regisseure machten keinen
Hehl aus ihren Ängsten, ihrer Meinung, so dass ihre Filme
aus einer Notwendigkeit heraus entstanden, die man heute vermisst.
Simon stellte die These in den Raum, dass es immer noch diese
Themen geben muss, diese gesellschaftlichen Traumata von denen
es sich lohne zu erzählen und spekulierte eben mit jenem Revival
des Genres. Jede Zeit findet ihren Ausdruck, auch wenn er
Stagnation heißt.
Da ist Steven Soderbergh mit TRAFFIC (und es sei gleich gesagt,
dass er nicht ausgleichen konnte), der sich Drogen und Drogenpolitik
als Sujet aussucht und das fortsetzt, was der Regisseur mit
ERIN BROCKOVICH begonnen hat. Das Problem ist nur, dass er,
je weiter er sich auf den politischen Diskurs einläßt, den
ästhetischen aus den Augen verliert. OUT OF SIGHT und THE
LIMEY wirkten formal als wolle Soderbergh das Kino am Ende
des 20. Jahrhunderts noch einmal gründlich überdenken, vielleicht
sogar neu erfinden. Und jetzt opfert er seine Experimentierfreude
der Argumentation. TRAFFIC mag ein wichtiger Film sein um
eine bestimmte Diskussion zu führen und die Präzision im Umgang
mit seinen Figuren, die dem Zuschauer nah sind ohne gleich
in Klischees zu enden, kann man Soderbergh nicht absprechen.
Aber inhaltlich hat man das alles schon mal irgendwo gesehen.
Drei Erzählstränge werden aufgefahren, jeweils markiert durch
verschiedene Orte und Farben. Man merkt wie viel der Regisseur
zu sagen hat, wie viel er uns erzählen will über den Konsum,
die Dealer, die Täter und die Opfer. Der Einsatz von Handkamera
und Jump-Cuts hat sich zu einem Stil entwickelt, der Effizienz
großschreibt, der eine Form von Reduktion beschreibt, bei
der man sich fragt, wie viel aus einem Handlungsablauf im
Kino weggestrichen werden kann, ohne den Zuschauer überzustrapazieren.
Der Film fängt gut an, die Bilder aus Mexiko wirken wie ausgebrannt,
starke Kontraste und praktisch nur gelb und schwarz, den weicheren
Farben aus San Diego gegenübergestellt und dann der Sprung
von Gelb in ein tiefes Blau nach Washington, dem dritten Schauplatz.
Locker verbundene Genregeschichten, der Hierarchie des Überlebenskampfes
folgend, was für die mexikanischen Cops noch die Frage nach
der Existenz ist, bleibt für die Kinder reicher Eltern im
Norden Amerikas ein Spiel mit dem Feuer. Die Drogen und vor
allem das Geld zersetzen Freundschaften, fressen die Familien
auf. Michael Douglas als der neue amerikanischen Dogenbeauftragte,
dessen Tochter mit ihren Freunden noch einmal nachspielt,
was schon in KIDS passiert ist.
Da taucht das Gespenst der Generation X wieder auf, ebenso
wie in DON´S PLUM, ein Film von 1998 mit Leonardo DiCaprio
und Tobey McGuire, beliebt wahrscheinlich deshalb, weil DiCaprio
in Amerika und Kanada eine gerichtliche Verfügung wider eine
Aufführung hat erwirken können. Der Film selbst lebt nicht
nur von diesem Mythos, schlicht und schwarz-weiß erzählt er
den Abend von vier Freunden, an dem gelacht und gehänselt
wird und der in einer Parallelmontage von Gewalt, Drogen und
Sex mündet. Das Leben nach dem Tod von Kurt Cobain. DiCaprio
spielt das, was er schon in CELEBRITY war, der arrogante,
frauenverachtende Schönling, seine Figur erzählt von Masturbation
und wie sie einst mit dem Liebchen und einer Zuccini die Nacht
verbrachte. Die traurige Zusammenarbeit der Amerikaner mit
dem Fallobst findet also auch außerhalb von AMERICAN PIE einen
neuen, traurigen Höhepunkt...
Ein Glanzlicht in diesen Tagen war GIMME SHELTER, die retaurierte
Fassung eines Dokumentarfilms von 1974 über das Konzert der
Rolling Stones 1969 in Altamont, bei dem die Hell´s Angels
Security spielten und ein Schwarzer getötet wurde. Die Regisseure
Albert Maysles, David Maysles und Charlotte Zwerin haben aus
Footage, die damals von 30 Kamera- und Tonleuten aufgenommen
wurde, einen Film geschaffen, der, ohne auch nur eine Szene
nachzuinszenieren, eine herausragende Dramaturgie besitzt.
Mit ein paar Eingriffen, kurzen Slow-Motion-Sequenzen und
einem Freeze Frame des "Beweisbildes", auf dem alles zu sehen
ist (Schwarzer zieht Pistole, Weißer sticht auf ihn ein) am
Ende bleibt alles in seiner Ursprünglichkeit erhalten. Keine
Kommentare, keine Erklärungsversuche aus heutiger Sicht. Da
soll nichts rekonstruiert werden, statt dessen wird der Zuschauer
verstrickt in das Netz, dass auf die unvermeidliche Katastrophe
hinausläuft, gerade weil man den Film ja "von hinten" liest,
also weiß, was passieren wird. Da erhalten die eher belanglosen
Gespräche des Anwalts der Stones am Telefon, wie er mit allen
Mitteln versucht das Benefizkonzert möglich zu machen (und
damit den Stein ins Rollen bringt...) plötzlich eine düstere
Bedeutung.
Es gibt sehr intime Aufnahmen der Stones im Studio, wenn
man merkt wie ernsthaft sie arbeiten, dass nicht alles Glamour
und Groupie ist. Der müde Mick Jagger im Schneideraum irgendwann
in den 70´ern, als GIMME SHELTER geschniutten wird und die
Bilder einer Pressekonferenz im Monitor, wo er ganz Arroganz
und Selbstinszenierung ist und sein Kommentar zu sich selbst:
"Rubbish!". Dann das Konzert, die Ankunft der Bands am Landeplatz,
wo sie von "Wahnsinn" sprechen. 300.000 Menschen und eine
Bühne die ungefähr einen halben Meter hoch ist, davor die
Gruppe der Angels, die mit eskalierender Gewalt die Fans von
den Musikern abhalten will. Die Blicke auf der Bühne, Mick
Jagger, wie er versucht die Situation zu beruhigen und dann
der Moment wo "Sympathy for the devil" beginnt und der Film
den Mythos voll auskostet und die Ahnung der Gefahr Gewissheit
wird. Die letzten Bilder aus der Nacht, im Gegenlicht die
Fans, wie sie müde zu ihren Autos wanken und man ist wieder
beim amerikanischen Horrorfilm und Romeros NIGHT OF THE LIVING
DEAD.
In der Vergangenheit wieder angekommen, vielleicht weil die
Gegenwart dann doch nur von Belanglosigkeiten erzählt. ITALIENISCH
FÜR ANFÄNGER aus dem Wettbewerb ist so ein Beispiel. Als Vinterberg
und von Trier mit IDIOTEN und VESTEN die ersten Dogma-Filme
präsentierten, da hatte die ganze "Bewegung" noch einen gewissen
inhaltlichen Anspruch, hatte etwas auszusagen über die Gesellschaft.
Mit Lone Scherfings Film hat sich das alles in Gelächter aufgelöst.
Ein paar Dänen, die sich im Italienischkurs treffen und dann
alle Probleme einer Soap-Opera über sich ergehen lassen müssen
(Todesfälle, Arbeitslosigkeit, usw.). Die Regisseurin hat
ein lustiges Filmchen abgeliefert, das man dank des Videoformates
wirklich nicht im Kino gesehen haben muss.
Nichts zu lachen gab es in À MA SOEUR! von Catherine Breillat,
die die Kinos letztes Jahr noch mit ROMANCE heimgesucht hat.
Feministische Filmemacherin, was bedeutet, dass alle Männer
schlechte Väter, Verführer, Mörder und Vergewaltiger sind.
Wie auch immer. Dicke Schwester und dünne Schwester fahren
mit den Eltern zusammen in den Urlaub, es kommt wie´s kommen
muss, die eine hat Sex, die andere nicht. Fünf Minuten im
Café reichen aus bis die dicke Schwester wortlos ihren Banana-Split
mampft während ihre dünne Schwester mit einem italienischen
Gigolo knutscht. Die Figuren also dezent und mit aller Aufmerksamkeit
auf Details gezeichnet. Die Liebesnacht zwischen El Italiano
und der dünnen Schwester gehört zum Simpelsten und Klischeehaftesten
was die Berlinale so zu bieten hat. Er überredet sie irgendwie
indem er ihr droht und man fragt sich die ganze Zeit, wie
naiv dieses Mädchen eigentlich ist. Die dicke Schwester liegt
natürlich im Bett nebenan und weint vor sich hin, was den
Verlauf der Geschichte aber allenfalls äußerst gering berührt.
Vielleicht will Breillat Filme für Frauen machen, den Körper
ihrer jungen (und hübschen) Protagonistin stellt sie trotzdem
gerne aus. Ihre psychologische Entwicklung geht von der abgebrühten
Lolita zum Dummchen, ihr Lover schenkt ihr einen Ring und
sie glaubt tatsächlich, er würde sie heiraten, bis seine Mutter
den Ring wiederhaben will und die ganze Sache auffliegt. Dickes
Kind und dünnes Kind werden ins Auto gepackt und müssen nach
Hause fahren. Die Narration scheint da in der Sackgasse zu
stecken, vielleicht taucht deshalb in der Nacht an einer Raststätte
ein Typ mit einem Hammer auf, der die Scheibe einschlägt,
der Dünnen den Kopf, dann die Mutter erdrosselt und die Dicke
vergewaltigt, um das ganze Leiden zu einem Ende zu bringen
oder einfach nur um noch einmal zu beweisen, dass Männer wirklich
Abschaum sind.
Mit den Männern ging es dann weiter, mit dem Blick der Männer
auf die Frau in MALÈNA. Italien zur Zeit des zweiten Weltkrieges,
die Geschichte einer Dorfschönheit und eines pubertierenden
Jungen, der sich unsterblich in sie verliebt. Regisseur Giuseppe
Tornatore schickte damit einen der besseren Filme in den Wettbewerb.
MALÈNA beginnt als lockere Komödie und weitet sich im Lauf
der Erzählung zu einem echten Melodram aus. Da hätte Annaud
lernen können, wie man eine Geschichte, die ein ganzes Volk
betrifft, an Personen bindet und dennoch Aussagen über die
Vergangenheit treffen kann. Malenàs Sturz bis zur Prostitution
beginnt mit dem Ausbruch des Krieges, als ihr Mann für tot
erklärt wird und die Nazis einmarschieren. Die Konnotationen
des alles dominierenden Voyeurismus, des versteckten Blickes,
des passiven Staunens wechseln analog zu den Veränderungen
der politischen Lage von einem infantilen Fetischismus hin
zu den namenlosen, zuschauenden Gestalten wie sie Kracauer
in den deutschen Filmen vor Hitler beschrieben hat. Am Anfang
ist Malèna die Unberührbare, die Heilige, später verkauft
sie sich als Hure an die Deutschen und als der Krieg zu Ende
ist, die Amerikaner einmarschieren, bricht sich die Wut und
Frustration der Dorfbewohner gerade an ihr Bahn. Wie eine
gefallenen Jeanne d´Arc liegt sie blutend auf dem Marktplatz,
muss die Heimat verlassen, so wie der Krieg und der Faschismus
verschwinden sollen. Und die Szenen ihrer Rückkehr nach nur
wenigen Jahren, wiederum am Markt, als sie zuerst für Aufsehen
sorgt und dann doch von den anderen Frauen gegrüßt wird, diese
Momente des Schweigens, der Spannung und dann der Augenblick
als sie zurückgrüßt und man spürt, welche Last von Emotionen
da verdrängt wird, wieviel ungesagt bleibt, ist ein Moment
der im Gedächtnis haften bleibt.
MALÈNA stach ein bißchen heraus, gerade weil die anderen
Filme im Wettbewerb allenfalls durch Mittelmaß auffallen.
INUGAMI zum Beispiel. Masato Haradas Film will vermitteln
zwischen Tradition und Moderne in Asien, bizarre altertümliche
Riten kreuzen sich mit dem Einbruch der Technologie in die
Landschaft jenseits der großen Städte. Ein junger Lehrer kommt
neu in die Stadt und es entwickelt sich ein verwirrendes Chaos
aus Familienbeziehungen, Freundschaften, Liebschaften. Irgendwann
wird in schwarz/weiß überblendet, als das alte Leben in die
Gegenwart einbricht, um das authentischer zu machen, um die
Illusion von Wahrhaftigkeit zu erzeugen. Harada arbeitet sich
ab an den Erzählmustern Hollywoods, baut Versatzstücke des
Horrorfilms ein, ohne je orginell zu sein, wirklich etwas
über sein Land auszusagen. Am Ende treibt er den Inzest als
Metapher (nur mit Tradition und Moderne gibt es eine Zukunft...)
auf die Spitze und Mutter und Sohn, die ein gemeinsames Kind
erwarten, verlassen die Heimat.
Auch diese Woche kam keiner an die Alten heran. Michael Douglas
in TRAFFIC nicht an seinen Vater. Kirk Douglas zweimal als
Aufsteiger (THE BAD AND THE BEAUTIFUL / Vicente Minelli /
USA 1952 /53 und SPARTACUS /Stanley Kubrick / USA 1960), zweimal
seine ungeheure Energie, sein immer gespannter Körper, seine
Dominanz in den Szenen. Sein Sohn scheint ein bißchen resignierter,
unter dem Gesicht deutet sich Verzweiflung und Resignation
an.
Dann Fritz Lang mit DER MÜDE TOD (Deutschland,1921) (Großartig:
der Tod. Wenn die Jury richtig entscheidet, erhält entweder
der Tod oder Tina Turner für ihren Auftritt in GIMME SHELTER
den Darstellerpreis. Der Sensenmann besticht vor allem durch
sein reduziertes Spiel (d.h. er steht einfach nur so rum,
aber dank des vorgeschrittenen Alters des Filmmaterials hat
das eine ungeheure Wirkung), die Poplady dadurch, dass sie
es schafft einen Mikroständer erotisch so aufzuladen, dass
er scheinbar vibriert). Lang fröhnt dem gleichen Exotismus
wie seinerzeit Murnau mit FAUST. Junges Ehepaar auf dem Weg
in die neue Heimat, er stirbt, sie bekommt drei Mal die Chance,
ihn wieder ins Reich der Lebenden zu holen. Der Film schafft
mit ein paar Überblendungen und Doppelbelichtungen mehr Atmosphäre
als alle Digitaljunkies.
Nach dieser Woche ein 2:1 für die Alten und das deshalb,
weil Fritz Lang ein Eigentor geschossen hat. Es gab ein paar
Rollen von einem Interview zu sehen, das William Friedkin
1974 mit ihm führte. Da wurde sehr deutlich, wie stark der
Mensch doch zur Verklärung neigt und wie sehr es in der Hand
des einzelnen liegt, den eigenen Mythos zu spinnen. Lang hangelte
sich von einer Geschichte zur nächsten, von Goebbels zu METROPOLIS.
Bei Widerspruch 22 haben die Letzten wohl das Mitzählen aufgegeben.
André Grzeszyk
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