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Berlinale 2001 08.02.2001
 
 
     
 

Notizen von der Berlinale

 
 
Jude Law und Joseph Fiennes in ENEMY AT THE GATES
       
 
 
 
 

"Du bist verrückt, mein Kind/ Du musst nach Berlin/ Wo die Verrückten sind/ ja, da musst Du hin!" - ein Schlager aus der Zeit, als Fritz Lang, dem hier die Retrospektive gilt, noch in Berlin gelebt hat. Ein bisschen hat dieses Kinoschauen mit drei, vier, fünf Filmen am Tag ja auch etwas von Verrücktheit. Eine, die "nur zum Vergnügen" ins Kino geht (als ob wir das nicht alle täten), fragt, ob es nicht eine Art Flucht aus dem eigenen Leben wäre, eine Art Ersatzleben, wenn man soviel im Kino hockt. Wieder einmal die alte Frage nach dem richtigen Leben, und das schon Tage vor dem Eröffnungsfilm. Schade, dass einem da nicht die Passage aus Walker Percys "The Moviegoer" (einem unbedingt lesenswerten, auch verfilmenswerten Roman) eingefallen ist: "Ich bin tatsächlich glücklich in einem Film, sogar in einem schlechten. Andere Leute hörten erinnerungswerte Momente ihres Lebens: den Sonnenaufgang, die Nacht, als man im Central Park ein einsames Mädchen traf... Auch ich habe im Central Park einmal ein Mädchen getroffen, aber da gibt's nicht viel zu erinnern. Dagegen erinnere ich mich an den Moment, als John Wayne in STAGECOACH auf die staubige Straße fallend, mit einem Karabiner drei Männer tötete, und an den Moment, als im THIRD MAN das Kätzchen Orson Welles im Torweg fand." In diesem Sinne: Auf gute Erinnerungen!

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Schon Tage vor dem offiziellen Auftakt befindet sich Berlin im Berlinale-Fieber. Film-Plakate schmücken die Straßenränder, und der ohnehin kulissenhafte Potsdamer Platz wird zur Festivalkulisse umgebaut. Beim Vorbeigehen am sogenannten "Berlinale Palast" erinnert man sich daran, wie genau hier im Vorjahr, beim Bühnenausgang, hinten links war es, Leonardo di Carpio erschien. Jetzt stehen da gerade unförmige Betonklötze im Schnee herum. Aus der Halbnahen sieht man, dass es sich um irgendeine, im Provisorium hochgezogene Mauer handelt, und fürchtet einen Augenblick lang, dies müsse etwas mit der Berlinale zu tun haben. Aber nein, Erleichterung: Das Zeug wird herausgetragen.

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Das Festivalplakat reizt wie in jedem Jahr zur ikonographischen Deutung. Ein Schnellzug ist darauf zu sehen, der über einen diffusen Horizont hinwegrast, ganz schnell und ganz unscharf. In der Mitte befinden sich ein Stopschild, ein Filmstreifen und ein Radfahrer ohne Kopf. Der Film als Stopschild? Oder das Fahrrad Symbol einer veralteten Technologie als Inbegriff der Berlinale? Oder ein kopfloses Festival? Wie man's auch wendet, man ist immer vor den Kopf gestoßen. Manche vermuten im Schnellzug die symbolhafte Inkarnation von Dieter Kosslick, dem neuen Leiter, der im April sein Amt antritt. Das Bild stammt jedenfalls von Volker Noth (Est nomen omen?), der als Graphiker für die Festivalplakatierer noch länger amtiert, als Berlinale-Chef Moritz de Hadeln.

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"...und Gregor und die anderen sind dann die Guten. Aber die müssen ja kein Geld verdienen, die bekommen ja alles bezahlt." - ein Buchhändler schimpft im Gespräch auf diejenigen, die allen Ärger an de Hadeln rauslassen, und Forums-Chef Ulrich Gregor, den institutionalisierten Gegenspieler de Hadelns über den grünen Klee loben. Aber auch der Rest des Festivals verfügt über einen stattlichen Etat. Von 100 Millionen ist die Rede.

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"Mit Tränen in den Augen", berichtet eine Kollegin, hätte ihr jemand, der schon immer in führender Position für die Berlinale arbeitet, erzählt, dass diese "auch für ihn die letzte" sei: "Jetzt kommt Kosslick mit seinen Kanalarbeitern." Zur Zeit ist die Stimmung dem neuen Leiter nicht hold. Ungefragt werden Anekdoten erzählt von der Zeit, als Kosslik noch Pressesprecher des Hamburger OB Klose war und Admirale der argentinischen Junta empfing. De Hadeln selbst erklärte süffisant in einem Interview, als Berlinale-Leiter benötige man "Kontakte, Adressen reichen nicht." Ein schöner Satz. "Der Unberührbare" titelt Harald Martenstein mit bekannter Bosheit im "Tagesspiegel" ein Portrait. Aber auch darin wird Skepsis gegenüber dem Nachfolger deutlich. Die Macht, die de Hadeln hatte, wird kein Nachfolger so schnell wieder haben. "Wir werden de Hadeln noch alle nachtrauern", sagt Jacqueline, eine französische Journalistin, die seit bald 20 Jahren in Berlin arbeitet.

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Die Berlinale 2001 wird leicht zu historisieren sein. Berlinale 2001: Das war, als es zuerst ganz doll geschneit hat, dann aber zum Auftakt frühlingshafte Temperaturen herrschten. Es war das Jahr, in dem der Presseschreibraum ohne Handy-Empfang war, und die Journalisten deshalb hektische Panik verbreiteten.

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"Das war der beste Film des Wettbewerbs." - "Der schlechteste aber auch." So ähnlich ließ sich das Gerede nach dem Eröffnungsfilm an. Immerhin hat Jean-Jacques Annauds ENEMY AT THE GATES 180 Millionen gekostet, dafür allein könnte man also schon fast zwei Mal Berlinale spielen. Das Geld für den Film hätte mit Sicherheit besser investiert werden können. Ein ziemlicher Schinken ist er geworden, stilistisch von der Art, die heute gerne als episch bezeichnet wird, mit schmutzigen Bildern von Stalingrad in Chor-Musik-Soße. Der Krieg, der zu Beginn kurz als Massenereignis eingeleitet wird, ist schnell auf den heldenhaften Zweikampf zweier Männer reduziert. Zu Dutzenden fallen die Statisten links und rechts neben Jude Law in den Dreck. Über sein siegreiches Ende kommen zu keiner Zeit Zweifel auf. Ed Harris als Gegenspieler ist ein ebenbürtiger Gegner, weitaus zwielichtiger die von Joseph Fiennes gespielte Figur, ein politisch-rassistisches Stereotyp: Der jüdische Intellektuelle als Stalinist mit Nickelbrille, ein Propagandist, feige, neidisch und korrupt. Man freut sich nicht, dass dies alles auch noch in Deutschland entstand.
Mit seinem dumpf-bombastischen Kriegspathos ist Annaud meilenweit entfernt von stilistisch guten Kriegsfilmen wie vor zwei Jahren THE THIN RED LINE, der zu Recht den Wettbewerb gewann.

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Da lobt man sich doch das gute alte Hollywood. Zwei Filme mit dem sagenhaften Kirk Douglas: YOUNG MAN WITH A HORN, ein Musikfilm von Michael Curtiz. Hier erscheint Douglas als Musiker, der erst durch einen Vamp (Lauren Bacall) auf die falsche Bahn gebracht wird, säuft, und à la James Dean avant la lettre mit offenem Kragen durch ein wunderbar schmuddeliges Manhattan flaniert. Dann rettet ihn Doris Day, pausbäckig und uninteressant wie immer - aber dieser Schluss, ist wie Kollege Oehmann sogleich treffend feststellte "der Zensur geschuldet."
In William Wylers DETECTIVE STORY, der nur ein Jahr später, 1951 entstand, geht es abgründiger zu. Ein allzu selbstbewusster Cop verstrickt sich in der eigenen Moral. Hier zeigt der wunderbare Douglas alle seine Facetten: Immer etwas zu viel Pathos und Leiden, Selbstgerechtigkeit und Askese - einer, dem man nie ganz über den Weg und darum alles zutraut. Und weil es ein Wyler-Film ist, hat DETECTIVE STORY natürlich auch sonst alle Qualitäten eines - in diesem Fall kleineren, weil eine Bühnenverfilmung - Meisterwerks.

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So erholt man sich hier schnell von kleinen Schocks wie dem Eröffnungsreinfall, und ist sich wieder gewiss: Es gibt ein richtiges Leben im falschen. Es heißt Kino.

Rüdiger Suchsland

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