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Berlinale 2001 15.02.2001
 
 
     
 

Stadt, Land, Krieg. Frieden
Kino als Völkerkunde
Filme von Lin Cheng-sheng und Masato Harada im Berlinale-Wettbewerb und einmal Kennedy, außer Konkurrenz

 
 
Yuki Amami in INUGAMI
       
 
 
 
 

"Die Japaner" hatte Noch-Festivalchef und Hobby-Ethnologe Moritz de Hadeln vor drei Jahren einmal einen Film eingeleitet, "die Japaner haben ja offenbar ein etwas anderes Verhältnis zu Sex und Gewalt." Es gehört tatsächlich zu den schönsten Dingen auf so einem Filmfestival, dass sich allerlei Gelegenheiten zu spontanen völkerkundlichen Studien bieten, nicht nur beim Gerangel auf den Pressekonferenzen, sondern eben auch im Berlinale-Wettbewerb. Und nachdem Europa und die USA bereits an den Anfangstagen ihr Pulver fürs erste verschossen hatten, durften zum Wochenbeginn nun auch einmal die Asiaten versuchen, dem bislang unangefochtenen Favoriten, Steven Soderberghs TRAFFIC die Stirn zu bieten.
Traditionell ist Berlin ein gutes Pflaster für asiatische Filme. Im letzten Jahrzehnt vermochten es vor allem Asiaten, dem übermächtigen Hollywood-Stil etwas Eigenes entgegenzusetzen, nicht nur andere Bilder und willkommene Exotik, sondern auch Geschichten, die - egal ob "klein" oder "groß" - durch eine Intensität bestachen, die man in Europa zunehmend vermisst.

Masato Harada sucht sie abseits der Stadt mit ihren vermeintlichen Flüchtigkeiten, in einem einsamen Bergdorf. Auf dem Land, da gibt's viel Sünd', das ist auch in Japan nicht anders, und sie scheint sich - so will es das Klischee - dort langsamer und grundsätzlicher, eben mit archaischer Gewalt zu ereignen. INUGAMI hat nichts Beiläufiges und auch Humor sucht man vergebens. Der Titel bezeichnet die "Wilden Hunde-Götter", die die nur vermeintlich in Frieden vor sich hin lebenden Menschen eines Tages heimsuchen. Diese Götter müssen verrückt sein, sie bedrängen eine Familie mit Alpträumen, Nebelwänden, Visionen von Blut und Gewalt.
Dahinter steckt natürlich dann doch anderes: die unterbewusste Erinnerung an ein traumatisches Ereignis, einen Inzest, und ein geopfertes Baby. Mehr und mehr entfaltet sich der Psycho-Horror und was als wirres Durcheinander beginnt, gewinnt allmählich Kontur und mündet schließlich in ein großes Gemetzel. Blut und Tod nur erlösen aus Schuldzusammenhängen - so behauptet jedenfalls Haradas Film. Ein paar seiner Momente könnten von Lynch stammen, der Rest allerdings ist viel Leerlauf, über den auch schöne Bilder nicht hinwegtrösten können.

Genrefilme dieser Art sieht man im Wettbewerb trotzdem viel zu selten. Dabei lehren die Beispiele aus anderen Reihen, besonders dem Internationalen Forum, dass hier oft das Interessantere zu finden ist: kleines schmutziges, aber eben mutiges Kino, das auch dort, wo es zuhause als Mainstream gilt, experimentell ist, und genau auf die Filme der Zukunft verweist, die man im Wettbewerb so gern entdecken würde.

BETELNUT BEAUTY von Lin Cheng-shang deutet eine solche Herkunft zumindest an. So sehr Harada das drückende Einerlei und die Langsamkeit des Landlebens ins Zentrum stellte, so sehr taucht der taiwanesische Regisseur in Atmosphären aus Temporausch und immerwährendem Tag der Großstadt ein. Als letzter Teil eines "Three Cities"-Zyklus schildert der Film in matten Farben und zügig geschnittenen Bildern die Geschichte eines jungen Paares in der taiwanesischen Hauptstadt Taipeh. Alles geht schnell bei diesen orientierungslosen Großstadtkindern. Am Anfang steht die Zufallsbegegnung von Xiao-Feng (Chang Chen) und Fei-fei (Sinje), aus der rasch Liebe wird. Doch Einsamkeit und Perspektivlosigkeit lassen sich hier auch durch kurzes Glück nicht kurieren. Gleichgültig, ohne Hoffnung leben sie in den Tag hinein und träumen davon, der Normalität zu entfliehen. Fei-fei, die mit ihrer Freundin im Minirock am Straßenrand steht und Betelnüsse an Autofahrer verkauft, hat immerhin Grund zu träumen, als sie ein Regisseur in einem Film mitspielen lässt, und ihr daraufhin ein Vertrag als Sängerin winkt. Für Xiao-Feng aber ist die Zukunft nicht mehr als ein dicker Teig. In seinen Bäckerberuf will er nicht zurück, schon weil er dafür zu früh aufstehen muss. Etwas anderes hat er nicht. Wenn einen die Arbeit anödet, und man kein Künstler ist, kann man nur noch kriminell werden. Doch wer schöner leben will, kann oft nur schöner sterben, gerade im Kino.
Man könnte von einem ethnologischen Blick sprechen, mit dem Cheng-shang seine beiden Figuren ein paar Tage lang begleitet, und tatsächlich eine recht authentische Momentaufnahme vom Lebensgefühl des jungen Taiwan bietet. Doch zu oft verliert sich diese Perspektive im Privaten und ist darum nicht so grundsätzlich wie sie sein könnte (und müsste). Was letztlich bleibt von dieser Mischung aus Liebesdrama und Großstadtthriller ist darum nur das Bild der jungen Sinje, die in ihrer Heimat tatsächlich ein Star ist. Wie sie ganz am Anfang strahlend-trotzig im strömenden Regen steht und einfach schreit - das hat mehr Kraft als die ganzen 100 Minuten, die folgen.

Einblicke in eine fremde Welt ganz anderer Art bietet Roger Donaldsons THIRTEEN DAYS, der außer Konkurrenz gezeigt wurde. Berühmte Präsidentenfilme von John Frankenheimer bis Oliver Stone lassen grüßen in diesem Polit-Drama, dass den Anspruch hat, ein historisch zutreffendes Bild jener zweiwöchigen Cuba-Krise zu bieten, in der die Erde am Rand des Dritten Weltkriegs stand. Kevin Costner gibt den Präsidentenberater, und leiht den Glanz seines Starstatus den No-Names Bruce Greenwood und Steven Culp, denen vor allem ihre Ähnlichkeit mit John F.Kennedy und seinem Bruder Robert hier einmal zu einer Hauptrolle verhalf. Dabei bleibt das Bild des Präsidenten verwaschen zwischen der Verklärung des amerikanischen Jahrhundert-Mythos und dem Bild eines unsicheren Zauderers, der bereit war den Atomkrieg zu führen.
Interessanter ist, dass der Film es wagt, zweieinhalb Stunden lang graugekleidete, ständig redende Herren in weißen Räumen zu zeigen. Unterbrochen nur durch wenige kurze "Action"-Sequenzen wird hier ein Bild von Politik gezeichnet, das realistischer sein dürfte, als das manch anderer US-Filme. Die Handlung ist geprägt durch den Verdacht einer Konspiration des Militärs gegen die politische Führung. Historisch ist das korrekt dargestellt, und wenn Frankenheimers Film FÜNF TAGE IM MAI da auch vor 35 Jahren eine deutlichere Sprache fand, setzt THIRTEEN DAYS doch ein paar andere Akzente in Bezug auf die Frage, was einen guten Politiker auszeichnet.

Eine Chance, TRAFFIC zu schlagen, hätte dieser Film freilich genauso wenig wie die beiden anderen. So wartet man weiter, hofft, und lenkt sich einstweilen ab. Ethnologie ist da nicht der schlechteste Weg.

Rüdiger Suchsland

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