"Blubb" sagte Moritz de Hadeln, "blubb-blubb" schrieb tags
darauf die Berliner Presse - nein, pardon, ein schlechter
Scherz das. Gestern jedenfalls war Pressekonferenz, acht Tage
vor der Berlinale stellt man da alles das vor, was vom Programm
noch nicht bekannt ist, dazu wird nochmals das angekündigt,
was man sich schon aus dem Internet (www.berlinale.de) zusammenklauben konnte.
Vor allem aber gab es - mal wieder nach all den Berlinale-Abschieden
der letzten Jahre - ein erstes "letztes Mal". Die letzte Pressekonferenz
von Moritz de Hadeln nämlich, dem Mann, der das Festival 22
Jahre lang geleitet hat. Nach erfolgreich gemeistertem Umzug
hat man dem immer Umstrittenen dann plötzlich im letzten März
tatsächlich ziemlich unsanft den Stuhl vor die Tür gesetzt
- menschlich wie im Verfahren war die Nichtverlängerung seines
Vertrages ein weiteres fragwürdiges Beispiel des Berliner
Stils. Im kommenden Jahr wird er durch Dieter Kosslik ersetzt,
der einstweilen noch als Leiter der Filmstiftung Nordrhein-Westfalen
Herr über 70 Millionen Mark Fördergelder ist, und sein Amt
am 1. Mai 2001 antritt. Der umtriebige Kosslick distanzierte
sich bereits im vergangenen Sommer in wohlgesetzten Interviews
mit der Berliner Lokalpresse diskret von seinem Vorgänger,
und verkündete, er wolle das Festival "einmal ganz anders
angehen" und "neue Energien" und ein "Aufbruchsgefühl" entfachen.
Die gestrige Pressekonferenz, und der heutige Blick in die
Berliner Tageszeitungen, wo selbst Kritiker, die seit Jahren
de Hadeln bis hin zur unfairen Behandlung kritisierten, und
sich auch beim 20. Mal nicht zu schade sind, in Oberlehrermanier
Witzlein über dessen nicht-perfekte Deutschkenntnisse in ihre
Artikel zu sprenkeln, plötzlich von einer "gewissen Nostalgie"
erzählen, gab schon mal einen Vorgeschmack: Die kommenden
drei Wochen dürften ein einziges Long Goodbye für de Hadeln
werden, und alle, auch besagter Kritiker werden - meinen wir
jedenfalls - noch merken, was sie an de Hadeln gehabt haben.
Und sei es nur als Lieferant für schlechte Scherze.
Auch wegen der erwähnten Kosslick-Interviews dürfte De Hadeln,
dem nicht ganz ohne Grund ein Hang zu Eitelkeit und Selbstinszenierung
nachgesagt wird, diesmal alles daransetzen, um seine Ära mit
einem grandiosen Finale - sprich Spitzenfilme und Weltstars
- zu krönen.
Der Blick auf das diesjährige Wettbewerbsprogramm verspricht
tatsächlich viel: Ein Katastrophenszenario bietet der Eröffnungsfilm
DUELL - ENEMY AT THE GATES von Jean-Jacques Annaud - formal
eine rein deutschen Produktion, einem aufwendig inszenierten
Kriegsfilm vor dem Hintergrund der Schlacht von Stalingrad
mit gradioser Besetzung: Jude Law, Ed Harris, Rachel Weisz,
Bob Hoskins, dazu Matthias Habich als General Paulus.
Untergangsszenarien sind auch die Spezialität von Ridley Scott.
Nach ALIEN, BLADE RUNNER, BLACK RAIN und zuletzt GLADIATOR,
die alle in je besonderer Art die Wiederkehr der Barbarei
unter zivilisierten Verhältnissen, den Kampf zwischen Ordnung
und Chaos zum Gegenstand haben. Um nichts anderes dürfte es
auch in dem ausser Konkurenz laufenden HANNIBAL gehen, der
mit Spannung erwarteten Fortsetzung des oscargekrönten Qualitätsschockers
DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER. Die Hauptrollen übernehmen Anthony
Hopkins und Julianne Moore.
Der größte Name, der im diesjährigen Programm vertreten ist,
ist der von Stanley Kubrick. Gleich drei Filme des 1999 verstorbenen
genialen Filmmeisters werden diesmal zu sehen sein: Zum Abschluß
des Wettbewerbs zeigt man 2001: A SPACE ODYSSEY - natürlich
als Spiel mit der Jahreszahl, die durch diesen Science-Fiction-Klassiker
zum Mythos geworden ist. Auch hier handelt es sich um ein
subtiles Untergangsszenario, ein Spiel mit der Cyberwelt avant
la lettre - und mit den (vermeintlichen) Folgen menschlichen
Fortschrittsglaubens. In einer digital aufbereiteten Version
wird der Film bald nach dem Festival ins Kino kommen. Mit
Kubricks Leben und Werk beschäftigt sich die Dokumentation
seines Schwagers Jan Harlan, "Stanley Kubrick - a life in
pictures", die ebenfalls außer Konkurrenz im Wettbewerb gezeigt
wird, und bisher unveröffentlichtes Material enthält.
Auch in der diesjährigen Hommage taucht Kubricks Name gleich
zweimal auf. Traditionellerweise wird diese Hommage und der
damit verbundene goldene Ehrenbär einem lebenden Leinwandstar
überreicht - mit dem erfreulich Nebeneffekt, dass ihn sich
dieser persönlich abholen muss, und deswegen die Spitze der
Gästeliste ziert. Nach vier weiblichen Stars in Folge (Kim
Novak, Catherine Deneuve, Shirley MacLaine und Jeanne Moreau,
immer schön ausgeglichen zwischen den beiden Filmzentren Hollywood
und Frankreich hin und herpendelnd) lud man diesmal wieder
einen Mann: die 84jährige Hollywoodlegende Kirk Douglas. Zweimal
spielte er während seiner langen, in Berlin nur in repräsentativen
Ausschnitten dokumentierbaren Karriere in einem Kubrick-Film
die Hauptrolle: In dem grandiosen Antikriegsfilm WEGE ZUM
RUHM (PATHS OF GLORY) und in dem Rebellenmelodram SPARTACUS,
einer versteckten Kritik Kubricks an US-amerikanischer Dekadenz
während der Nachkriegszeit.
Zu solchen Themen fügt sich das Thema der Retrospektive hervorragend:
Fritz Lang, dessen Kino nicht nur - wie Kubricks - die Brücke
zwischen Europa und den USA schlägt, sondern dessen berühmtester
Film METROPOLIS, der ebenfalls in restaurierter Fassung zu
sehen sein wird, ähnlich wie "2001" im Gewand von Science-Fiction-
Futurismus und in monumentaler Bildsprache eine scharfe Kritik
seiner Gegenwart vornimmt. Auch andere Filme Fritz Langs,
dessen Gesamtwerk zu sehen sein wird, sind wie METROPOLIS
Reflexionen über Gewalt und Militanz. Ob in "M - EINE STADT
SUCHT EINEN MÖRDER oder in den Film Noirs der 40er und 50er
- Fritz Lang sucht die Abgründe nicht in der Seele sondern
in den Täuschungen und Doppelbödigkeiten des menschlichen
Zusammenlebens.
Ein besonderer Schwerpunkt des politisch engagierten Films
ist traditionellerweise das "Internationale Forum des Jungen
Films", neben Wettbewerb und Retrospektiven die dritte wichtige
Säule im Berlinale-Programm. Der diesjährige Länderschwerpunkt
ist dort dem neueren vietnamesischen Kino gewidmet. Acht Filme
aus Vietnam sollten Innenansichten der vietnamesischen Gegenwart
bieten, zugleich erhält hier die Auseinandersetzung mit der
jüngeren Geschichte des Landes viel Raum. Die Jahre der Indochinakriege
haben - auch wenn das Land schließlich seine Unabhängigkeit
erlangte - die vietnamesische Gesellschaft in ihren Grundfesten
erschüttert, und eine gesellschaftliches Trauma hinterlassen.
Nguyen Thanh Vans Spielfilm AUF SAND GEBAUT (1999) thematisiert
die jahrzehntelange Teilung des Landes nach dem Sieg über
die französische Kolonialmacht. Ein Soldat dem der Zugang
zu seiner im Süden lebenden Ehefrau verwehrt ist, verliebt
sich neu, bekommt Kinder - und trifft nach 1975 seine Frau
wieder, die auf ihn gewartet hat. Andere Filme erzählen vom
Leben in den männerlosen Dörfern während des Krieges, Deserteuren,
oder sie greifen einen Stoff auf, der auch von Hollywood mehrfach
thematisiert wurde: Veteranen, die die Erinnerung an ihre
Erlebnisse nicht loslassen. Das Nebeneinander solcher, am
internationalen Markt chancenloser Produktionen mit dem qualitätvollen
Mainstream garantiert auch in diesem Jahr die produktive Reibung,
die jedes Festival braucht.
Wer berichtet, darf sich dergleichen in Auswahl bereits diese
Woche angucken. Da erlebte man auch einen anderen, ganz besonderen
Film, mit dem das Panorama, die dritte Programmsäule eröffnet:
LE ROI DANSE von Gerard Corbiau. Sehr französisch, sehr klug,
sehr unterhaltsam und vor allem sehr gut wird da von dem Komponisten
Lully erzählt, dem Hofkomponisten Ludwigs XIV., also ein Künstler,
der direkt im Zentrum der Macht arbeiten musste. Wie man das
macht, da können sich einige unserer heutigen Filmemacher
etwas abgucken, wenn sie denn kommen nach Berlin, zu unserem
Hofe.
All das ist Grund genug, einmal all die lieben Plätze im
beschaulichen München, das Filmmuseum, das Werkstattkino und
sogar das Neue Arena allein zu lassen, und nach Berlin zu
fahren. Ein Hofbräuhaus gibt es hier nämlich auch.
Rüdiger Suchsland
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