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Berlinale 2001 01.02.2001
 
 
     
 

Untergangsszenarien und große Namen
Am kommenden Mittwoch eröffnet die 51. Berlinale - ein Vorab-Blick ins Programm

 
 
Play it again, Anthony! Sir Hopkins als Hannibal Lecter
       
 
 
 
 

"Blubb" sagte Moritz de Hadeln, "blubb-blubb" schrieb tags darauf die Berliner Presse - nein, pardon, ein schlechter Scherz das. Gestern jedenfalls war Pressekonferenz, acht Tage vor der Berlinale stellt man da alles das vor, was vom Programm noch nicht bekannt ist, dazu wird nochmals das angekündigt, was man sich schon aus dem Internet (www.berlinale.de) zusammenklauben konnte.

Vor allem aber gab es - mal wieder nach all den Berlinale-Abschieden der letzten Jahre - ein erstes "letztes Mal". Die letzte Pressekonferenz von Moritz de Hadeln nämlich, dem Mann, der das Festival 22 Jahre lang geleitet hat. Nach erfolgreich gemeistertem Umzug hat man dem immer Umstrittenen dann plötzlich im letzten März tatsächlich ziemlich unsanft den Stuhl vor die Tür gesetzt - menschlich wie im Verfahren war die Nichtverlängerung seines Vertrages ein weiteres fragwürdiges Beispiel des Berliner Stils. Im kommenden Jahr wird er durch Dieter Kosslik ersetzt, der einstweilen noch als Leiter der Filmstiftung Nordrhein-Westfalen Herr über 70 Millionen Mark Fördergelder ist, und sein Amt am 1. Mai 2001 antritt. Der umtriebige Kosslick distanzierte sich bereits im vergangenen Sommer in wohlgesetzten Interviews mit der Berliner Lokalpresse diskret von seinem Vorgänger, und verkündete, er wolle das Festival "einmal ganz anders angehen" und "neue Energien" und ein "Aufbruchsgefühl" entfachen.

Die gestrige Pressekonferenz, und der heutige Blick in die Berliner Tageszeitungen, wo selbst Kritiker, die seit Jahren de Hadeln bis hin zur unfairen Behandlung kritisierten, und sich auch beim 20. Mal nicht zu schade sind, in Oberlehrermanier Witzlein über dessen nicht-perfekte Deutschkenntnisse in ihre Artikel zu sprenkeln, plötzlich von einer "gewissen Nostalgie" erzählen, gab schon mal einen Vorgeschmack: Die kommenden drei Wochen dürften ein einziges Long Goodbye für de Hadeln werden, und alle, auch besagter Kritiker werden - meinen wir jedenfalls - noch merken, was sie an de Hadeln gehabt haben. Und sei es nur als Lieferant für schlechte Scherze.

Auch wegen der erwähnten Kosslick-Interviews dürfte De Hadeln, dem nicht ganz ohne Grund ein Hang zu Eitelkeit und Selbstinszenierung nachgesagt wird, diesmal alles daransetzen, um seine Ära mit einem grandiosen Finale - sprich Spitzenfilme und Weltstars - zu krönen.

Der Blick auf das diesjährige Wettbewerbsprogramm verspricht tatsächlich viel: Ein Katastrophenszenario bietet der Eröffnungsfilm DUELL - ENEMY AT THE GATES von Jean-Jacques Annaud - formal eine rein deutschen Produktion, einem aufwendig inszenierten Kriegsfilm vor dem Hintergrund der Schlacht von Stalingrad mit gradioser Besetzung: Jude Law, Ed Harris, Rachel Weisz, Bob Hoskins, dazu Matthias Habich als General Paulus.
Untergangsszenarien sind auch die Spezialität von Ridley Scott. Nach ALIEN, BLADE RUNNER, BLACK RAIN und zuletzt GLADIATOR, die alle in je besonderer Art die Wiederkehr der Barbarei unter zivilisierten Verhältnissen, den Kampf zwischen Ordnung und Chaos zum Gegenstand haben. Um nichts anderes dürfte es auch in dem ausser Konkurenz laufenden HANNIBAL gehen, der mit Spannung erwarteten Fortsetzung des oscargekrönten Qualitätsschockers DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER. Die Hauptrollen übernehmen Anthony Hopkins und Julianne Moore.

Der größte Name, der im diesjährigen Programm vertreten ist, ist der von Stanley Kubrick. Gleich drei Filme des 1999 verstorbenen genialen Filmmeisters werden diesmal zu sehen sein: Zum Abschluß des Wettbewerbs zeigt man 2001: A SPACE ODYSSEY - natürlich als Spiel mit der Jahreszahl, die durch diesen Science-Fiction-Klassiker zum Mythos geworden ist. Auch hier handelt es sich um ein subtiles Untergangsszenario, ein Spiel mit der Cyberwelt avant la lettre - und mit den (vermeintlichen) Folgen menschlichen Fortschrittsglaubens. In einer digital aufbereiteten Version wird der Film bald nach dem Festival ins Kino kommen. Mit Kubricks Leben und Werk beschäftigt sich die Dokumentation seines Schwagers Jan Harlan, "Stanley Kubrick - a life in pictures", die ebenfalls außer Konkurrenz im Wettbewerb gezeigt wird, und bisher unveröffentlichtes Material enthält.

Auch in der diesjährigen Hommage taucht Kubricks Name gleich zweimal auf. Traditionellerweise wird diese Hommage und der damit verbundene goldene Ehrenbär einem lebenden Leinwandstar überreicht - mit dem erfreulich Nebeneffekt, dass ihn sich dieser persönlich abholen muss, und deswegen die Spitze der Gästeliste ziert. Nach vier weiblichen Stars in Folge (Kim Novak, Catherine Deneuve, Shirley MacLaine und Jeanne Moreau, immer schön ausgeglichen zwischen den beiden Filmzentren Hollywood und Frankreich hin und herpendelnd) lud man diesmal wieder einen Mann: die 84jährige Hollywoodlegende Kirk Douglas. Zweimal spielte er während seiner langen, in Berlin nur in repräsentativen Ausschnitten dokumentierbaren Karriere in einem Kubrick-Film die Hauptrolle: In dem grandiosen Antikriegsfilm WEGE ZUM RUHM (PATHS OF GLORY) und in dem Rebellenmelodram SPARTACUS, einer versteckten Kritik Kubricks an US-amerikanischer Dekadenz während der Nachkriegszeit.

Zu solchen Themen fügt sich das Thema der Retrospektive hervorragend: Fritz Lang, dessen Kino nicht nur - wie Kubricks - die Brücke zwischen Europa und den USA schlägt, sondern dessen berühmtester Film METROPOLIS, der ebenfalls in restaurierter Fassung zu sehen sein wird, ähnlich wie "2001" im Gewand von Science-Fiction- Futurismus und in monumentaler Bildsprache eine scharfe Kritik seiner Gegenwart vornimmt. Auch andere Filme Fritz Langs, dessen Gesamtwerk zu sehen sein wird, sind wie METROPOLIS Reflexionen über Gewalt und Militanz. Ob in "M - EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER oder in den Film Noirs der 40er und 50er - Fritz Lang sucht die Abgründe nicht in der Seele sondern in den Täuschungen und Doppelbödigkeiten des menschlichen Zusammenlebens.

Ein besonderer Schwerpunkt des politisch engagierten Films ist traditionellerweise das "Internationale Forum des Jungen Films", neben Wettbewerb und Retrospektiven die dritte wichtige Säule im Berlinale-Programm. Der diesjährige Länderschwerpunkt ist dort dem neueren vietnamesischen Kino gewidmet. Acht Filme aus Vietnam sollten Innenansichten der vietnamesischen Gegenwart bieten, zugleich erhält hier die Auseinandersetzung mit der jüngeren Geschichte des Landes viel Raum. Die Jahre der Indochinakriege haben - auch wenn das Land schließlich seine Unabhängigkeit erlangte - die vietnamesische Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttert, und eine gesellschaftliches Trauma hinterlassen.
Nguyen Thanh Vans Spielfilm AUF SAND GEBAUT (1999) thematisiert die jahrzehntelange Teilung des Landes nach dem Sieg über die französische Kolonialmacht. Ein Soldat dem der Zugang zu seiner im Süden lebenden Ehefrau verwehrt ist, verliebt sich neu, bekommt Kinder - und trifft nach 1975 seine Frau wieder, die auf ihn gewartet hat. Andere Filme erzählen vom Leben in den männerlosen Dörfern während des Krieges, Deserteuren, oder sie greifen einen Stoff auf, der auch von Hollywood mehrfach thematisiert wurde: Veteranen, die die Erinnerung an ihre Erlebnisse nicht loslassen. Das Nebeneinander solcher, am internationalen Markt chancenloser Produktionen mit dem qualitätvollen Mainstream garantiert auch in diesem Jahr die produktive Reibung, die jedes Festival braucht.

Wer berichtet, darf sich dergleichen in Auswahl bereits diese Woche angucken. Da erlebte man auch einen anderen, ganz besonderen Film, mit dem das Panorama, die dritte Programmsäule eröffnet: LE ROI DANSE von Gerard Corbiau. Sehr französisch, sehr klug, sehr unterhaltsam und vor allem sehr gut wird da von dem Komponisten Lully erzählt, dem Hofkomponisten Ludwigs XIV., also ein Künstler, der direkt im Zentrum der Macht arbeiten musste. Wie man das macht, da können sich einige unserer heutigen Filmemacher etwas abgucken, wenn sie denn kommen nach Berlin, zu unserem Hofe.

All das ist Grund genug, einmal all die lieben Plätze im beschaulichen München, das Filmmuseum, das Werkstattkino und sogar das Neue Arena allein zu lassen, und nach Berlin zu fahren. Ein Hofbräuhaus gibt es hier nämlich auch.

Rüdiger Suchsland

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