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Welcome to the Machine, um's mit Pink Floyd zu sagen - willkommen
in der gigantischen Maschine Berlinale. Passend, dass hier
METROPOLIS so prominent im Programm ist. Manchmal, wenn man
um neun Uhr früh übermüdet zur ersten Pressevorführung über
den Potsdamer Platz wankt - diese unsägliche Science-Fiction-Film-Deko
-, dann fühlt man sich wirklich wie einer dieser Arbeiter,
die bei Fritz Lang ins Maul des Molochs marschieren. Ein riesiges
Räderwerk ist's, in dem die Interessen ineinandergreifen von
Festivalleitung, Filmwirtschaft, Filmemachern, Journalisten,
Publikum; ein Regelkreis aus Geld, Eitelkeit, Schaulust; ein
Biotop voll symbiotischer und parasitärer Beziehungen. Tief
im Bauch des Ganzen - im unglamourösen Untergeschoss des Cinemaxx,
im roter-Teppich-losen Haus neben dem Berlinale-Palast - sitzt
der Markt, eine Art Schatten-Berlinale von dem von außen wenig
zu sehen ist. (Man hört nur munkeln, dass dort dieses Jahr
die besseren Filme laufen, Sachen wie BATTLE ROYALE mit Takeshi
Kitano.) Das Gesicht, dass man der größten Öffentlichkeit
zuwendet, ist das von (wenigen) Stars und hehrer Filmkunst.
Die Maschine produziert vieles - auch Geld ist nur einer
der Outputs, ist oft auch nur Schmiermittel, Treibstoff. Ruhm
und unterhaltsamer Zeitvertreib gehören dazu - dieses Jahr
vor allem aber Wahrheit. Von erstaunlich vielen FilmemacherInnen
wird heuer mit großem Einsatz und Bemühen gebastelt und geschraubt,
um der Filmapparatur einige gerüttelt Maß an Veritas zu entlocken.
Mit viel Skepsis gegenüber den althergebrachten Herstellungsmethoden:
Vielen scheint ihr Thema zu groß, zu wichtig, als dass man
damit wie gewohnt in Fabrikation gehen könnte. Soderberghs
seltsamerweise vielgelobter TRAFFIC ist ein Beispiel: Der
spielt schon noch mit Starkino und klassischem Geschichtenerzählen
- aber ist eben doch kein Film, sondern ein Thesenpapier.
"Politisches" Kino, das den Anspruch, selbiges zu sein, dick
und breit vor sich her trägt. Das wäre auch vollkommen legitim
- wenn wir es wenigstens mit einem interessanten Thesenpapier
zu tun hätten. Aber TRAFFIC ist einer dieser Filme, wo wir
weißen, aufgeklärten Mittelstandsmenschen reingehen, um nachher
zu wissen, was wir vorher wussten. Gewisse Drogen sind verboten,
aber Alkohol saufen alle, ach ja! Wo's um viel Geld geht,
ist die Korruption schnell bei der Hand, oh weh! Politiker
schwingen große Reden, und daheim in der Familie sieht's gar
nicht so sauber aus, au Backe! Und so weiter, bla bla. Darüber,
dass der US-amerikanische "War on Drugs" vor allem dem CIA
dient als Deckmantel für allerlei außenpolitische Schweinereien,
gibt's nix zu hören, über die Gesellschaft, die Drogenkonsum
überhaupt wünschenswert macht, herzlich wenig, und kaum was
über die Rassen- und Klassenbarrieren, die der illegale Drogenhandel
so schön mit festzementiert. Gewiss ist's gut, dass dieser
Film gerade zur Machtergreifung des ehemaligen Drogenabhängigen
George Bush Jr. in die Kinos kam und allerlei Diskussionen
auslöst. Insofern wohl ein wichtiger Film - aber einer, den
es prinzipiell geben soll, mit dem konkret ich mich aber lieber
nicht zweieinhalb Stunden langweilen möchte.
Dann noch lieber Spike Lees BAMBOOZLED - auch ein Thesenpapier,
auch ein Film, der unter dem Bewußtsein seiner eigenen Bedeutung
schwer ächzt. Aber komplexer in der Präsentation des Problems,
weniger seiner selbst sicher, wenn es um richtig und falsch
geht. Und nicht ganz so auf einer Ebene verharrend: Zwar bekommt
man das Thema "Rassistische Ikonographie - ihre Bösartigkeit,
Langlebigkeit und Virulenz" in allen möglichen Facetten durchexerziert,
aber es geht auch im Größeren darum, dass die, die die Geschichte
nicht erinnern, dazu verdammt sind, sie zu wiederholen.
Die Scheu, die diese Filme an den Tag legen vor den Methoden
klassischen Erzählkinos, hat sich schon im Verlauf des Berlinale-Wettbewerbs
als verfehlt entlarvt. John Boormans LeCarrée-Verfilmung THE
TAILOR OF PANAMA ist auch "politisches Kino", spielt auf verwandetem
Terrain von TRAFFIC. Aber er tut das im hochvergnüglichen,
konzentrierten Gewand einer Agenten-Farce; ist gleichzeitig
James Bond-Demontage, philosophiert nebenher ein bisschen
über die Natur von Wahrheit an sich. Und ist in seinem Bild
der Lage Südamerikas gegenüber den westlichen Industrienationen
dann doch noch scharf- und weitsichtiger, treffender, schneidender
als TRAFFIC.
Der südkoreanische Beitrag JOINT SECURITY AREA geht da in
der Analyse und Aussage nicht so tief. Aber er zeigt, dass
großes, sinnliches Thriller-Kino mit explizit politischem
Anliegen bestens vereinbar ist; ein Film, der als Beitrag
zu tagesaktueller Diskussion in seiner Heimat mindestens ebenso
taugt wie TRAFFIC, der aber seine gelegentlichen Gemeinplätze
("Eigentlich sind die Menschen auf beiden Seiten der Grenze
gleich") wenigstens nicht in solch staubtrockenes Sackleinen
hüllt.
Das technische Medium der Wahl für all diese Wahrheitssuchen
ist Digital-Video, umkopiert auf Kino-kompatiblen Film. Bei
Soderbergh bekommt das am ehesten eigene ästhetische Qualität,
aber auch hier zeigt sich: Es geht nicht mehr so sehr um den
Reiz des Neuen oder Anderen, sondern um eher pragmatische
Fragen der Produktion. Sowohl Soderbergh als auch Lee haben
zunächst aus Kostengründen zu Chip statt Zelluloid gegriffen
- diese Wahl allein halbiert schon mindestens die Höhe des
Budgets. Das wurde ja bereits bei der "Dogma 95"-Diskussion
gern übersehen: Dass Video vor allem eine Möglichkeit ist,
Filme auf die Leinwand zu bringen, für die unter konventionellen
Bedingungen das nötige Geld nicht aufzutreiben wäre. (Im Panorama
zeigte der neue Film des sonst sehr schätzenswerten Bernard
Rose, IVANSXTC, allerdings, dass HD-Video sich nicht schlicht
als direkter Ersatz für 35mm Film missbrauchen lässt - das
sieht dann streckenweise eher nach amerikanischem Fernseh-Softporno
aus. Ein Mindestmaß an ästhetischen Konsequenzen ist zu ziehen,
um dem anderen Medium gerecht zu werden.)
Überraschenderweise aber erweist sich Video auch als Möglichkeit,
ganz alten, traditionellen Werten wieder zu größerem Recht
zu verhelfen: Denen der Schauspielkunst. Die spontaneren Drehbedingungen
(zugegebendermaßen großteils eher Konsequenz der Lichtsetzung
als der verwendeten Kameras) und die vernachlässigbaren Kosten
des Materials fördern Improvisation und Experimentieren, begünstigen
das wiederholte Ausprobieren und Durchspielen einer Szene,
meist auch am Stück statt in schnittgroßen Häppchen.
Diejenigen, die den dargebotenen Wahrheiten die Wahrhaftigkeit
verleihen durften oder mussten, waren bisher auch immer eher
die SchauspielerInnen als Kamera und Montage. Die wenigen
Momente wahrer Freude in TRAFFIC verdankt der Film dann auch
seinem hervorragenden Ensemble, insbesondere Benicio DelToro
und dem stets gern gesehenen Luis Guzman. Damon Wayans, Savion
Glover, Jada Pinkett-Smith, Michael Rappaport und Kollegen
tun deutlich mehr, um BAMBOOZLED im Nachfühlbaren zu verankern,
als Spike Lees Regie.
Viele der Highlights verdankte der Wettbewerb bisher dann
auch dem kongenialen Zusammenwirken von Menschen hinter und
vor der Kamera - absolutistisches Regiekino von Hitchcockscher
Prägung hat hier momentan wenig Konjunktur. Der Dogma-Film
ITALIENSK FOR BEGYNDERE ("ITALIENISCH FÜR ANFÄNGER") von Lone
Scherfig lebt spürbar vom Gemeinschaftsgeist der Dreharbeiten,
vom Input des Ensembles, dem gemeinsamen Erarbeiten der Charaktere.
Eigentlich ein kleiner, eher beiläufiger Film, der die großen
Themen wie Tod und Liebe nur im alltäglichen Gewand beobachtet
- und sich ein bisschen von den Glücks-Träumen leistet, die
so nur im Kino wahr werden. Aber bisher einer der wenigen
Filme, wo man im riesigen, voll besetzten Berlinale-Palast
sitzt und spürt, wie knapp zweitausend Menschen mit diesen
flackernden Schatten auf der Leinwand mitfühlen, mitgehen;
wo plötzlich wahres, echtes Lachen aufbrandet im ganzen Saal
und man ein Stückchen wieder von dem Wunder begreift, das
Kino als Gemeinschafts-Erlebnis ist.
Viel kontrollierter, viel mehr von vornherein mit Gewicht
und Bedeutung beladen da Mike Nichols' WIT - aber auch der
mindestens ebenso eine Leistung der Hauptdarstellerin wie
des Regisseurs. Emma Thompson als Frau, die an Krebs stirbt
- das klingt ganz furchtbar nach Oscar-Schnulze und ist es
doch keineswegs (oder allerhöchstens ein ganz, ganz kleines
bisschen). Auch WIT vertraut nicht auf die herkömmlichen Mittel
des klassischen Erzählkinos, obwohl Mike (THE GRADUATE - DIE
REIFEPRÜFUNG) Nichols die nun wirklich beherrscht. WIT ist
großteils der in die Kamera gesprochene Monolog der Protagonistin
(was mehr in seinem Ursprung als Theaterstück begründet ist
als darin, dass Nichols seine Wahrheiten zu groß sind für
konventionellere Methoden). Emma Thompson spielt eine Professorin
für englische Literatur, Spezialgebiet die metaphysische Lyrik
John Donnes, die plötzlich mit dem Tod nicht als Gegenstand
geistvollen literarischen Spiels konfrontiert wird, sondern
als Amoklauf eigener Körperzellen. Sie ist keine dieser üblichen
schönen Weiberleichen auf Warteschleife, dieser rührenden
Opfer. Sarkastisch und überlegen begegnet sie der Sache (oder
versucht das zumindest, so lange es geht). Aber ihr Körper
wird immer mehr zum Text für andere Wissenschaftler, sie gerät
in die Mühle einer Medizin-Maschinerie. Eine Maschinerie,
bei der vorgeblich nichts anderes vom Band läuft als pure,
objektive, wissenschaftliche Wahrheit im Dienst der Menschheit.
Und der doch genau das abgeht, was im knirschenden Getriebe
des hiesigen Festival-Räderwerks - dank Filmen wie WIT - sich
nicht zermahlen lässt: Die Momente der Menschlichkeit.
Thomas
Willmann
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