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"Ey es ist doch Wahnsinn..." Tom Tykwer sprach
wieder über seinen neuen Film. "Der Zufall, Mensch!"
- Ja, der Zufall. Der spielt eine ziemliche Rolle in Tykwers
neuem, seinem fünften Spielfilm, HEAVEN, mit dem am Mittwoch
die Berlinale eröffnet wurde. Denn das verwirrend-zufällige
und doch mit mechanischer Notwendigkeit inszenierte Ineinanderspiel
der Zeit - Tykwers immer wieder mit allem Pathos bedientes
Thema - wird diesmal zur Quelle einer Katastrophe: Eine Bombe
explodiert, und trifft nicht den, dem sie gilt, und der sie
vielleicht verdient hat. Es folgt ein schwerblütiges
Melodram um das Recht zur Selbstjustiz, um Schuld und Sühne.
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Alles ist neu in diesem Jahr: Dieter Kosslick hat als Leiter
Moritz de Hadeln abgelöst, der 20 Jahre amtierte. Das
garantiert nicht nur eine stärkere Aufmerksamkeit für
neue Filme - Kosslick war lange Jahre Chef der Filmstiftung
NRW - sondern vor allem eine Klimaveränderung. Kosslick
ist zunächst einmal ein gutgelaunter, offener Typ, der
erst kürzlich gemeinsam mit dem Filmkritiker Peter Körte
ein Buch über seine Lieblingsspeise, den Bagel verfasst
hat ("Das Buch Bagel", Fischer Vlg.), und dem man
den Stress auch dann nicht anmerkt, wenn es wirklich stressig
ist. Ganz erstaunlich, wie dieser Mann noch am Tag der Eröffnung
ansprechbar ist und Gelassenheit ausstrahlt, nichts von dem
verschwitzten Tunnelblick seines Vorgängers.
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Am Morgen sprach Kosslick noch auf einer Tagung der Produzentenlobby
"Film 20". Da erklären die deutschen Produzenten
der übrigen Welt, wie schlecht es ihnen geht, jammern
über dumme Zuschauer, versponnene Regisseure und geizige
Bankiers, und überhaupt über "die Bedingungen"
und reden über alles Mögliche, ganz gewiß
aber nicht darüber, dass zu schlechten Filmen ja auch
irgendeiner gehören muss, der sie produziert - und das
wahrscheinlich, weil er glaubt, damit Geld zu verdienen.
Kosslicks Auftritt erfüllte die Erwartungen: Gutgelaunt,
intelligent, mit nicht zuviel Substanz und damit keinem auf
die Füsse tretend, aber mit hohem Unterhaltungswert -
damit enthüllte er schon sein Erfolgsgeheimnis. "Sind
ja alles Darstellungsfragen" gab er den Produzenten mit
auf den Weg, und so wie man de Hadeln lange als den Helmut
Kohl der Berlinale ansah, hat sie jetzt offenbar ihren Schröder.
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Die Gefahr liegt für Kosslick natürlich darin,
dass man ihn nur als guten Verkäufer wahrnimmt, Arbeit
und inhaltliche Anstrengung nicht sieht, die hinter vielem
stecken. Im ersten Jahr betätigte er sich dabei vor allem
als Entspannungspolitiker. Das Hickhack hinter den Kulissen
habe aufgehört, berichtet Christoph Terhechte, als Nachfolger
von de Hadeln langjährigem Intimfeind, dem Leiter des
Internationalen Forums, der zweite neue Mann bei der Berlinale.
"Es ist wohltuend, wenn man sich Gedanken über die
Filme machen kann, nicht über interne Konkurrenz. Die
Unsitte, sich gegenseitig Filme "wegzuschnappen",
ist vorbei."
Kosslick wird gut daran tun, ein kontroverses Festival zu
schaffen. Das gilt auch für den Wettbewerb. Plumper Defaitismus
ist es dagegen, mit dem Argument, es gäbe nur ein Cannes
und nur eine Oscarverleihung, im Wettkampf um den ersten Platz
freiwillig zu kapitulieren.
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HEAVEN als Eröffnungsfilm - das ist eher nicht dazu
angetan, Kontroversen zu schaffen. De Filme erinnerte leider
überraschend stark an die Filme der späten de-Hadeln-Ära.
Mit etwas mehr Mut hätte Kosslick mit Dominik Grafs Gefühlsdrama
DER FELSEN eröffnet, oder mit Christopher Roths Pop-Movie
BAADER. Das wären wirklich Zeichen eines Neuanfangs voller
Wagemut und Neugier gewesen.
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Am Anfang macht Tom Tykwer all das, was er aufs Großartigste
beherrscht: Die Inszenierung von Raum und Menschen unter Zeitdruck,
das Ineinandergreifen und Verschachteln von mehreren Handlungsebenen
- so entsteht Suspense, Bewegung, Kino pur. Aber nur am Anfang.
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Auf der einen Seite ist HEAVEN ein typischer Tykwer-Film:
eine romantische Liebesgeschichte, ein Paar, das allein gegen
die ganze Welt steht, das seine Liebe auch als Schutzwall
nimmt gegen diese Welt. Das war so bei LOLA RENNT, das war
so bei DER KRIEGER UND DIE KAISERIN, und das war schon so
bei seinem Erstling DIE TÖDLICHE MARIA. Nur Tykwers allerbester
Film, WINTERSCHLÄFER, kam ohne diese Konstruktion aus.
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"Das ist was für Katholische Akademien, da können
die sich beim Ruminterpretieren einen runterholen." formulierte
eine schwäbische Kollegin, der man einen so drastischen
Satz gar nicht zugetraut hätte. Aber falsch liegt sie
nicht. Tatsächlich ist der ganze Film wie die biblische
Schöpfungsgeschichte von hinten gelesen: Die beiden Hauptfiguren,
im weißen T-Shirt, mit kahlgeschorenem Kopf - wie zwei
Engel - sieht man sie in Norditalien. Sie gehen zur Beichte
- man hört "Ich war einmal untreu" (das ist
schlimm), "Ich habe aufgehört, zu glauben."
(das ist noch schlimmer) -, verabschieden sich von Filippos
Vater, der ihnen zuvor eine Art Segen für die Ewigkeit
erteilt, verbringen eine letzte Nacht zusammen, nackt unter
einem einsamen Baum auf einem einsamen Hügel - längst
innerlich auf einem anderen Planeten. Am nächsten Morgen
folgt die Himmelfahrt.
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"Das Kino muss sich vom Großkotzigen erholen"
hat Tykwer am Sonntag in einem Interview erklärt. Nur
leider hat er selbst eines großkotzigen Film gemacht:
Alles ist zäh, voller Denkballast und Misstrauen gegen
die eigenen Bilder, dabei aufgeblasen, mehr Bedeutung heischend,
als wirklich bedeutend. Eine einzige Kitschorgie. Prätentiös
und wohl auch nicht sehr intelligent. Und Tykwer scheut ganz
offensichtlich vor dem zurück, was er kann. Falscher
Kunswille - die größte Sünde der deutschen
Filmemacher.
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Fast scheint es, als habe Tom Tykwer, von dem man so viel
erwartetet, alles verlernt, wofür wir alle ihn geliebt
haben und was ihn zur größten Hoffnung des deutschen
Gegenwartsfilms gemacht hat. Jeder seiner Filme seit WINTERSCHLÄFER
ist schwächer als sein Vorgänger, und nun wirkt
Tykwer bereits an dem Nullpunkt angekommen, den andere erst
nach Jahrzehnten erreichen. Die mitunter intensiven Bilder
Frank Griebes retten da nichts, ebensowenig die großartigen
Darsteller, und die von Tykwer selbst komponierte Musik, die
sich wie eine Soße über alles gießt, macht
es nur noch schlimmer. Und voller Trauer muss man gerade,
wenn man Tykwer bisher mochte, ihn gerne begleitet und verteidigt
hat, zugeben, dass hier einer völlig auf dem Holzweg
ist.
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Man hätte HEAVEN gerne von Kieslowski gesehen, und mag
kaum glauben, dass es dann wirklich der gleiche Film geworden
wäre. Es ist das gute Recht von Tom Tykwer, er tut sogar
klug daran, etwas ganz Eigenes zu versuchen, sich nicht als
Kieslowski-Epigone zu gebärden. Bei diesem Film wirkt
die Nennung des Namens Kieslowski allerdings wie eine Grabschändung.
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Am Anfang sind sie noch alle vereint. Da posieren die fünf
Freundinnen für ein gemeinsames Foto. Doch die gemeinsame
Schulzeit ist zuende, und nun folgt der Koreaner Jong Jae-Eun
in TAKE CARE OF MY CAT diesen fünf 20jährigen auf
ihrem Weg ins Leben, auf dem Wechsel zwischen Geborgenheit
der Jugend und dem alltäglichen "Recht des Stärkeren"
in der durchkapitalisierten Erwachsenenwelt. Den roten Faden
bildet die Katze, die der ersten eines Tages zuläuft,
und dann auf die eine oder andere Weise weitergereicht wird.
Und die immer spärlicher werdenden Treffen der fünf
- Dokumente der Entzweiung, aber auch des Aufbruchs in die
Wirklichkeit. Ein nüchtern-melancholisches, sehr treffendes
und absolut zeitgemäßes Portrait einer koreanischen
Jugend-Generation, die sich vom Ballast der Traditionen weitgehend
befreit hat, und ohne Illusionen ist - und ein wunderbarer
Film, einer der besten des Forums.
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Aus Korea kommt auch der Wettbewerbsbeitrag BAD GUY, der
siebente Spielfilm des jungen Regisseurs Kim Ke-duk, der bereits
mit seinen beiden letzten Filmen THE ISLE und ADRESS UNKNOWN
im Wettbewerb von Venedig vertreten war. Drei weitere Wettbewerbsfilme
stammen aus Asien: Ein alter Bekannter ist Zhang Yimou, dessen
HAPPY TIMES, ein anrührendes Drama über einen älteren
Mann, der, um ein blindes Mädchen glücklich zu machen,
eine Scheinwelt konstruiert. Aus Japan, dem zur Zeit wohl
interessantesten und innovativsten Kinoland der Welt kommt
KT von Junji Sakamoto, eine japanisch-koreanische Ko-Produktion
von einiger politischer Brisanz: Sie beschäftigt sich
mit der bis heute in ihren Hintergründen unaufgeklärten
Entführung des südkoreanischen Oppositions-Politikers
und jetzigen Präsidenten Kim Dae-Jung 1973.
Märchenhafteres garantiert dagegen Hayao Miyazakis Animationsfilm
SPIRITED AWAY aus der Werkstatt des Anime-Welterfolges MONONOKE
HIME.
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"Irgendwie hab ich das Gefühl, seit die Stadt pleite
ist, geht's ihr richtig gut." noch einmal Kosslick über
seine neue Heimat.
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Unter der neuen Berlinale-Leitung scheint die Aufmerksamkeit
für asiatisches Kino noch ausgebaut zu werden. Neben
verlässlichen Größen bietet sich dem Fachpublikum
bei dem diesjährigen Filmfestival vor allem im "Internationalen
Forum" mit seinem China-Schwerpunkt "Elektrische
Schatten", aber auch in Wettbewerb und "Panorama",
die mit einigen herausragenden Produktionen aufwarten, eine
Palette des Fernost-Filmschaffens - anregende Eindrücke
einer pulsierenden Kinolandschaft, die zugleich vielfältige
Schlaglichter auf die sich rasant modernisierenden Gesellschaften
Südostasiens werfen.
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Nur die Mitternachtsreihe wurde erheblich eingeschränkt,
hoffentlich bleibt das ein einmaliger Missgriff, nicht das
Ende einer schönen Institution.
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Das Private ist politisch. "Revolte, Phantasie &
Utopie" - kaum ein Film hätte dieses Motto der diesjährigen
Berlinale-Retrospektive zum Europäischen Film der Sechziger
Jahre besser demonstrieren können, als Rudolf Thomes
ROTE SONNE, der am Mittwochabend zum Auftakt gezeigt wurde.
Es handelt sich um eines dieser längst zum Mythos gewordenen
Filmprodukte die so nur in den Spätsechzigern möglich
waren, zugleich um einen unangestrengten pop-politischen Gegenentwurf
zur Anstrengung der Studentenrevolte: Münchnerisch, sommerlich,
leicht, eine Utopie, die aus ebenso harten wie hübschen
Mädchen besteht, die eine Waffe in die Hand nehmen -
das alte Rezept von John Sturges' Männerphantasie "a
girl with a gun", mal ganz anders. Und damit gelang Rudolf
Thome - der heute einer der ganz wenigen überlebenden
Autorenfilmer ist - nicht nur ein Klassiker, sondern etwas,
hierzulande sehr Seltenes: Ein deutscher Pop-Movie.
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Die Geschichte spiegelt eine antiautoritäre Vision:
Vier Mädchen leben in einer Münchner Altbauwohnung,
und schließen einen Pakt: Höchstens 5 Tage lang
benutzen sie Männer für die Liebe und das Autofahren,
dann muss Schluß sein, und die Männer sollen mit
dem Leben bezahlen. Thomas, ein alter Freund von einer von
ihnen, quartiert sich nichtsahnend bei ihnen ein.
Um Liebe geht es, klar, um deren Politik, und das heißt
eben auch um den Tod. Universale, zeitlose Themen, in diesem
Fall aber so ganz zeitgemäß, dass man es auch heute
noch angucken kann, und der Film mit den Jahren eher noch
gewinnt. Denn Thome ist zwar ein Romantiker, aber einer, der
sich mehr der Ironie verpflichtet fühlt, als dem Ernst,
der spielt, anstatt in Sentimentalität zu baden. Daher
läßt er auch keinen Zweifel, dass es in ROTE SONNE
außer um Politik letztlich um nichts mehr geht, als
um schöne Mädchen. Die Hauptrolle spielt Uschi Obermeier,
das Schwabinchen von einst, die in den nächsten Jahren
Kommunardin und Stern-Covergirl werden sollte.
Auch diese Besetzung sorgte dafür, dass ROTE SONNE heute
als einer von zwei, drei Klassikern der 68er-Zeit übriggeblieben
ist - das Bild eines herrlich-libertären Deutschland,
dass es so leider nie gab. Revolution, eine andere Gesellschaft
sagt es uns, ist ohne Hedonismus, ohne Lust nicht zu haben.
Ein Film also, der ganz einfach wunderbar ist, aber eben im
Vergleich zu ZUR SACHE SCHÄTZCHEN, der für deutsche,
zumal Münchner Verhältnisse auch schon ziemlich
anarchisch war, ganz unbürgerlich, weswegen man ihn auch
nicht im Fernsehen zu sehen bekommt, und Uschi Obermeier heute
am Strand von Kalifornien Schmuck macht und immer noch Bayrisch
redet, während die andere Uschi, Glas, inzwischen Hochdeutsch
kann, im Oktoberfestbierzelt auftritt und Familienserien fürs
Privatfernsehen dreht.
Politisch, wie gesagt, ist das Private.
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Darum sind ehemalige, verflossene Lieben auch am Schlimmsten.
Wie die zum Filmemacher Tom Tykwer, dessen HEAVEN nicht nur
enttäuscht, sondern richtig wütend. Wahrscheinlich,
so glaubt man jetzt, war er auch früher schon schlecht,
jedenfalls nicht so gut. Genaugenommen: wenn DER KRIEGER UND
DIE KAISERRIN das war, was er von David Lynch verstanden hatte,
LOLA RENNT, das war, was bei der Lektüre von Heidegger
und Hegel herauskommt, dann bleibt nur noch WINTERSCHLÄFER.
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Nochmal Kosslick, Mittwochmorgen: "Das zur Abteilung
prima Klima. Willkommen auf der Berlinale!"
Rüdiger Suchsland
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