Bei der diesjährigen Berlinale gibt es mehr als nur ein neues
Gesicht. Neben Dieter Kosslick, der als Nachfolger von Moritz
de Hadeln neuer Leiter des Gesamtfestivals wurde, ist der
Christoph Terhechte der zweite wichtige neue Mann am Potsdamer
Platz. Als Nachfolger von Ulrich Gregor leitet er das "Internationale
Forum", die neben Wettbewerb renommierteste Sektion des Festivals,
und ist Mitglied der Auswahlkommission des Wettbewerbs. Damit
ist der 40jährige der wichtigste Mitarbeiter Kosslicks. Terhechte
war früher Filmjournalist, und arbeitete bereits in den letzten
Jahren eng mit Gregor zusammen.
Mit Terhechte sprach Rüdiger
Suchsland.
artechock: Die Berlinale erlebt in diesem Jahr einen
Neuanfang. Neben Dieter Kosslicks Debüt als Festivalleiter
ist man auch gespannt auf das erste "Internationale
Forum" unter Ihrer Leitung. Was musste aus Ihrer Sicht
verändert werden?
Christoph Terhechte: An Struktur und Zielrichtung
hat sich nicht viel geändert. Aber die Voraussetzungen
sind andere: Vor 32 Jahren wurde das Forum aus der Notwendigkeit
heraus gegründet, ein Forum für Filme zu bieten,
die niemand zeigen wollte. Heute ist die Situation gerade
umgekehrt: Wo auch immer in der Welt interessante Filme entstehen,
konkurrieren die Festivals darum.
Wo es ging, haben wir das Programm verschlankt. Die Mitternachtsschiene
wurde reduziert - auch aus praktischem Grund: Wir hatten in
diesem Jahr größere Schwierigkeiten, die Filme
aus Hongkong zu bekommen, die wir wollten. Die Produzenten
verlangten Geld, verstehen teilweise überhaupt nicht,
was wir hier machen. Das ist besonders schade im Fall von
Johnnie To, der sozusagen ein Forums-Dauergast ist. Wir hätten
gerne drei Filme von ihm gezeigt, können aber nur einen
zeigen.
Was wirklich verändert werden musste, war das Hickhack
hinter den Kulissen. Das hat jetzt aufgehört. Es ist
wohltuend, wenn man sich Gedanken über die Filme machen
kann, nicht über interne Konkurrenz. In dem Teil der
Festivalstruktur, die man nicht sieht, haben wir sehr viel
verändert. Wir kommunizieren besser. Dieter Kosslick,
Wieland Speck und ich waren gemeinsam auf mehreren Auswahlreisen.
Die Unsitte, sich gegenseitig Filme "wegzuschnappen",
ist vorbei. Wir wollten eine bessere Festivalstimmung schaffen
als bisher.
Das Forum stand immer für eine andere Filmsprache,
stärker für Autorenfilm, für Low Budget-Filme,
für Populäres anderer Regionen... Läßt
sich dieser Anspruch noch halten?
Die Abgrenzung zwischen den Sektionen kann gar nicht so
scharf und säuberlich sein, wie manche sie gerne hätten.
Wir können nicht nur den "typischen Forumsfilm"
zeigen, sondern müssen innerhalb der Sektionen Abwechslung
schaffen, dem Festival insgesamt eine innere Dramaturgie geben.
Aber es müssen Filme sein, die eine persönliche
Handschrift tragen. Wir zeigen das Werk von Regisseuren, keine
Industriefilme, keine Filme, die spekulativ sind. In der Sprachenvielfalt
liegt ein Teil unseres Konzepts. Wir wollen wirklich Weltkino
zeigen, nicht nur Filme, die aus Europa oder Amerika kommen.
Natürlich macht man auch Kompromisse. Wir wollen ja keine
Zensur üben, sondern auch das Typische einer Kultur zeigen.
Wir geben uns Mühe, uns in die Welt hineinzudenken, aus
der der Film kommt. Das kann jedoch kein Automatismus werden.
Natürlich hätten wir gerne mehr aus bestimmten Regionen,
etwa aus Schwarzafrika, aber da fanden wir in diesem Jahr
einfach keinen Film, hinter dem wir wirklich stehen konnten.
Im Prinzip spiegeln wir die Welt-Kinematographie im Programm
so, wie sie sich darstellt. Das heißt: Frankreich und
Japan sind stark repräsentiert. Die beiden Länder
muss man wirklich herausheben, weil sie besonders produktiv
sind, weil da besonders viel passiert. Auf der anderen Seite
beobachten wir viele Länder aufmerksam, auch wenn in
diesem Jahr von dort kein Film ins Programm gefunden hat,
etwa Thailand.
Im Forum gibt es traditionell eine besondere Aufmerksamkeit
für asiatisches Kino. Der Schwerpunkt scheint dieses
Jahr noch ausgebaut worden zu sein...
Wie in den vergangenen Jahren besteht ein gutes Drittel
des Programms aus asiatischen Filmen - das entspricht durchaus
dem Stellenwert des asiatischen Kinos in der Welt.
Durch den China-Schwerpunkt unter dem Titel "Elektrische
Schatten", den Dorothee Wenner in Peking zusammengestellt
hat, ist es natürlich viel mehr geworden. Aber wir haben
den Eindruck, dass die Volkrepublik China heute der Ort ist,
an dem sich am meisten verändert. Dort hat die Kino-Revolution
dieses Jahres stattgefunden. Was in den später 50er Jahren
Paris war, Mitte der 60er London - es gibt immer wieder Orte,
wo plötzlich eine neue Generation am Werk ist. Das müssen
wir finden und herausheben.
Inwiefern will das Forum eine Art Vorreiter sein - für
Europa, für die Welt?
Das muss es sogar. Wir haben den Anspruch, für ein
weltweites Fachpublikum Entdecker zu sein, Vorgaben zu machen
- in dem Sinne, dass was wir zeigen wirklich spannend ist.
Natürlich nehmen wir da auch Anregungen anderer auf.
Wie attraktiv ist Berlin, wie wichtig ist das Festival
im Reigen der A-Festivals?
Cannes hat jede Menge Vorteile. Der Wettbewerb ist unbestritten
Nummer eins. Wer die Chance hat, dort zu laufen, muss sie
nutzen. In den anderen Reihen gehen aber viele Filme einfach
baden. In vielen Fällen ist ein Film im Forum besser
aufgehoben als etwa im "Certain Regard". Berlin
hat überdies einen großen Vorteil gegenüber
Cannes und Venedig: unser Publikum. 400.000 Zuschauer sitzen
in den Kinos. Das ist gigantisch. Das Feedback des Publikums
ist für die Filmemacher sehr wichtig. Man kann da als
Regisseur viel nach Hause mitnehmen - da kann es im Februar
noch so kalt und grau sein.
Was hat ihren eigenen Filmgeschmack geprägt?
Wahrscheinlich nicht zuletzt der Zufall. Ich habe viel Zeit
in Portugal verbracht und mich ins portugiesische Kino verliebt.
Dann habe ich in Frankreich gelebt, und bin bis heute ein
Freund des französischen Kinos. Andersherum habe ich
das japanische Kino durch das Forum entdeckt. Erst in den
letzten Jahren kam ich selbst nach Japan und habe nun auch
eine gewisse Passion für die japanische Kultur entwickelt.
Das sind drei Länder, an denen ich speziell interessiert
bin.
Mich interessieren Filme, die an der Grenze zwischen Dokumentarischem
und Spielfilm liegen, die wirklich Realität wiedergeben,
keine Konstrukte. Andererseits habe ich auch für das
Genre des verspielten Films ein gewisses Faible. Einer meiner
Lieblingsfilme ist WHAT'S UP DOC von Peter Bogdanovich - eine
persönliche Schwäche, die sich im Forumsprogramm
wohl weniger spiegeln wird. Obwohl: Für den experimentellen
Film habe ich viel übrig. Da bevorzuge ich aber den Typus
des Regisseurs, der es liebt, mit dem Medium herumzuspielen
und auch über sich selber lachen kann.
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