artechock: Wäre Ihr Film ohne Ruttmann denkbar?
Thomas Schadt: Nein, so wie er jetzt vorliegt, selbstverständlich
nicht. Die Frage ist ja: wenn man vorhat, einen Film über
Berlin zu machen, in dem Musik eine entscheidende Rolle spielt,
dann ist man sofort bei Ruttmann. Er hat aus der Großstadt
Berlin einen Mythos geschaffen. Wenn man heute einen solchen
Film macht, dann also entweder mit Ruttmann oder gar nicht,
denn dann müsste man ihn gegen ihn machen. Der Mythos
ist durch Ruttmann belegt - die Stadt hat diesen Film.
Hat es Mut gebraucht, trotzdem einen zweiten Film zu wagen,
der kein Remake ist, aber sich in Titel und Form so stark
anlehnt?
Ja. Ich denke es war aber auch klar, dass ich auch den Mut
brauchte, mich von Ruttmann zu lösen, dass ich meine
persönliche Haltung finden musste: Woran lehne ich mich
an, wovon distanziere ich mich auch. Zum Teil bin ich andere
Wege gegangen.
Sie haben sich offensichtlich die damalige Ruttmann-Kritik
Siegfried Kracauers zu Herzen genommen, Ruttmann habe die
Menschen verschwinden lassen?
Ja, das war tatsächlich der eine Punkt, wo ich mich
anders entschieden habe. Der Preis von Ruttmanns revolutionärer
Montagetechnik war ja tatsächlich, dass der Mensch anonymisiert
wird. Ich wollte, dass der Mensch ein menschliches Antlitz
bekommt. Hier haben wir unterschiedliche Grundinteressen.
Wie sind sie dem Film "Berlin: Symphonie der Großstadt"
zuerst begegnet?
Ich habe ihn zuerst an der Film- und Fernsehakademie gesehen.
Das ist einer der Filme, die man nicht vergisst, die eine
nachhaltige Wirkung haben, und sich ins Bildergedächtnis
einschreiben. Das geschieht eben über die bestimmten
Bilder. Hinzu kommt, dass ich die neusachliche Bildästhetik
sehr mag - das hat vielleicht mit meinen photographischen
Wurzeln zu tun. Dann gab es vor drei Jahren ein Gespräch
mit Freunden über Parallelmontage, das zum Auslöser
meines eigenen Films wurde. Nach einem Gespräch mit Ruttmanns
Tochter habe ich auch für mich die Entscheidung zu diesem
Film getroffen.
Wie muss man sich ihre Arbeit in der Praxis vorstellen?
Ich wollte eine symbolische Klammer. 105 Drehtage auf ein
Jahr verteilt. Das Verhältnis von gedrehtem Material
zum fertigen Film liegt bei 1 zu 20, also relativ niedrig.
Ich habe auch die Kamera selbst bedient. Wir sind immer zu
zweit oder dritt durch die Stadt gezogen, haben uns viel Zeit
genommen, haben zwar nach Plan gearbeitet - manche Drehgenehmigungen
brauchten vier bis sechs Wochen -, aber dem Zufall viel Chancen
gelassen.
Ihr Film erzählt drei Reisen: Durch den Tag, durch
die Zeit, durch den Raum. Was war das dabei das Grund-Konzept?
"Symphonie einer Großstadt" Ganz praktisch
gehört das zur Verabredung mit Ruttmanns Tochter: Um
dem Film ihres Vaters die Einmaligkeit zu belassen. Natürlich
war es wichtig, filmdramaturgisch ein klares Konzept zu haben.
Dem Tagesverlauf sollte ein Geschichtsverlauf gegenübergestellt
werden. Ich wollte, dass mein Filme in historisches Gewissen
bekommt. Wenn man heute auf Berlin guckt, kommt man darum
nicht herum. Damit korrespondiert eine Bewegungsdramaturgie:
Die Kamera leitet die Geschichtsblöcke immer mit vertikalen
Schwenks ein: Wie das Fallen in Geschichtslöcher, und
anschlieend wird man herausgeholt. Während der Tagesverlauf
durch horizontale Bewegungen strukturiert wird.
Zudem bewegt sich der Film quasi wie in Elipsen um den
Reichstag?
Ja, der Reichstag ist die Klammer. Politik ist mir sehr
wichtig, auch zur Darstellung von Normalität.
Ging es auch darum, so etwas wie eine Theorie der Großstadt
zu erzählen, die Stadt als idealtypischen Lebensraum
der Moderne zu beschreiben?
Ja, Ruttmann hat das getan. Aber ich denke, heute ist es
in dieser Form unmöglich. Es gibt diese Einheit des Lebensgefühls
nicht mehr. So lebe ich auch nicht. Für mich ist die
Qualität der Metropole, dass das Disparate dicht nebeneinander
liegt. Man kommt nicht daran vorbei. Für mich die Großstadt
das, was ich brauche.
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