Um es gleich vorweg zu nehmen: Jan Peters hat mit seinen
autobiographischen Tagebüchern die Welt des Dokumentarfilms
auf den Kopf gestellt - um ein perfides Interesse für
das hervorzubringen, was da heißt: Die Wirklichkeit
ist uns nicht so nah, wie wir glauben. Sie ist vielmehr in
den unsichtbaren Bereich eines Imaginären entrückt,
das dann erscheint, wenn die Welt besprochen wird. So ist
Peters ein Grenzgänger am Rande zur Fiktion, denn schließlich
ist das Imaginäre jener minimale Zusatz, der das Reale
zum Fiktionalen erheben kann.
Jan Peters durchzieht mit seinen filmischen Tagebüchern
den Kopf des Zuschauers mit einem Sprachschwall, der Methode
hat: In seinen Aufzeichnungen NOVEMBER,1-30 und DEZEMBER,1-31
nahm er sich jeweils die Zeit einer Rolle Super-8-Film, also
ca. zweieinhalb Minuten, um einen Tag sprachlich zu konturieren.
Das sieht dann meist so aus: Zu sehen ist der Regisseur mit
einem Mikro in der Hand, meist werden noch schnell die Aufzeichnungsbedingungen
kommentiert, dann ein konzentrierter Blick in die Kamera,
und los geht's mit der Schilderung des Erlebten. Bis ein gelbfleckiges
Etwas sich ins Weiße kippt und das Ende der Filmrolle
signalisiert. Der Sprachschwall endet abrupt. Nächste
Rolle: nächster Tag. Gleiche Prozedur. Dazwischen werden
dann Filmeinheiten gelegt, in denen Peters nicht zu sehen
ist, aber sein jeweiliges Thema vorführen: Aufnahmen
eines Aquariums, der authentische Pornodreh von Regisseur
mit seiner Freundin. Seltsame Gebilde, die nicht eindeutig
zugeordnet werden können. Dazu aus dem Off der nicht
abreißende, humorig-selbstironisierende Kommentar des
Sprechers. Im Eiltempo vollzieht der Zuschauer auf diese Weise
mit Peters einen ganzen Monat oder den kurzen Moment der Sonnenfinsternis,
was ein großes Gespür für Timing und die Hervorbringung
des perfekt unterhaltsamen Einmaligen bedeutet. Peters ist
ein grandioser Zelluloid-Performer und selbstversessener Animateur.
Vielleicht ist es deshalb passend, daß sich Peters
dieses Jahr mit einem Tagebuch über seine Hospitanz am
Hamburger Schauspielhaus vorstellte. Bald aber driften die
Schwierigkeiten über seine Orientierung, "im Haus"
zu sein, wie der eingeweihte Theatermacher sagt, ab, und werden
zur Erzählung darüber WIE ICH EIN HÖHLENMALER
WURDE. Infolge einer Knieverletzung, die den übermäßigen
Konsum von Schmerzmitteln nach sich zog, und in Verbindung
mit dem theatermäßigen abendlichen Großkonsum
von Alkohol, erreichte der Sprecher einen Zustand, der nur
noch erlaubt, sich in der Höhle der Requisiten zu verkriechen,
mit nichts als Fellen bekleidet. Es folgen Versuche mit Kleiderprojektionen
auf den nackten Hintern seiner Freundin, die Entdeckung eines
Loches in dem schwarzen Karton, mit dem die Fenster zur Straße
verdeckt werden, als mal wieder der Porno lief, den er vor
Jahren mit seiner Freundin gedreht hat, was unmittelbar zur
Erkenntnis über die Funktionsweise der Camera obscura
dient, die sich jedoch mit der Funktionsweise des menschlichen
Auges aufgrund der im menschlichen Gehirn eingebauten Interpretationsleistung
nur vergleichen aber keineswegs in Deckung bringen läßt.
Und so weiter, und so weiter. Das Ganze ein großes Experiment
nicht nur mit Bereitschaft des Zuschauers, sich in die verworrenen
Gänge des Schauspielhauses, sondern auch in die Gedankenverschraubungen
von Peters einzulassen. Aber wie gesagt: äußert
amüsant. Immer an der Schwelle zur Fiktion, mit bewußter
Inszenierung und Verkleidung vor der Kamera, und mit der Bereitschaft,
Lücken im Diskurs durch Nachdrehs zu füllen.
Der Wille von Peters, das Imaginären im Realen aufzuspüren,
dokumentiert eine ganz andere Art von Wirklichkeit: Die eines
inneren Zustandes, das seltsame Erleben einer ganz normalen
Wirklichkeit. In der Subjektivität seiner Kamera und
seiner Weltbesprechung erscheint das wunderbare Wirkliche,
der real maravilloso, dem die Lateinamerikaner in ihrer Literatur
nachgehen, anerkannter Bestandteil der Alltagsmythologie.
Die Dokumentation bei Peters will das Nichtsichtbare zeigen,
mit den Methoden des ausgestellten Verkleidens und Verfälschens,
die nicht zuletzt deshalb dokumentarisch bleiben. Dokumentation
über die Fiktionalisierung des Wirklichen.
Wenn Jan Peters mit seinen dokumentarischen Fiktionen immer
im Experimentellen bleibt, so ist IN THE MIRROR OF MAYA DEREN
von Martina Kudlácek eine ganz und gar klassische'
Dokumention über das Leben der amerikanischen Avantgarde-Filmerin
der 40er Jahre. Derens schmales Filmwerk zeigt sich interessiert
an den klassischen Themen der Avantgarde, wie Traumlogik des
Erzählens und Symbole, die nicht dechiffriert werden.
Ihre besondere Filmsprache und ihre Themen findet sie über
ihre eigene Verbindung zum Tanz: So ist PAS DE DEUX (A STUDY
IN CHOREOGRAPHY FOR CAMERA, 1945) ein Paartanz' zwischen
den gefilmten Aufnahmen eines Tänzers und der filmischen
Montage, durch die Bewegungsabläufe möglich werden,
die die Realität in ihrer physikalischen Beschränktheit
hinter sich lassen. IN THE MIRROR durchschneidet das Leben
von Maya Deren an der Linie ihrer Filme. So ist der Film von
Kudlácek nicht nur Biographie, sondern zugleich Filmographie,
was gerade deshalb so wertvoll ist, weil ihre Filme nur selten
zu sehen sind. Ihr Schaffen zeigt sich, begonnen von MESHES
OF THE AFTERNOON (1943) bis hin zu dem späten THE VERY
EYE OF THE NIGHT (1959), der ihr letzter, von der Avantgarde-Szene
geschmähter Film vor ihrem frühen Tod mit 44 Jahren
werden sollte. Es wird deutlich, wie ihre Filme David Lynch,
der sich selbst einmal zur amerikanischen Avantgarde bekannt
hat, in seiner irreführenden Symbolik und paradoxen Erzählweisen
beeinflußte. Maya Deren auf einem Dokumentarfilmfestival
zu finden, hat zudem programmatische Berechtigung mit ihrem
Film über den Voodoo-Kult auf Haiti. Wenngleich sie nie
an der klassischen' Dokumentation interessiert war,
sondern immer die Formalismen von Tanz und Bewegung für
ihr Filmen freilegte, um eine Wirklichkeit zu zeigen, die
ihr wichtiger war als das primär Sichtbare.
Dunja Bialas
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