Bettys Muter ist verrückt. Und darum wundert es auch
niemanden, wenn sie mit schräger Logik auf haarsträubenden
Ideen verfällt. Betty ist traurig, weil ihr kleiner Sohn
gestorben ist? Kein Problem: Dann nimmt man eben kurzerhand
ein Ersatzkind von der Straße mit.
Anfangs ist Betty ahnungslos und ehrlich empört, als
ihre Mutter in totalem Mangel Einfühlungsvermögen
mit einem kleinen Jungen in ihre Trauer platzt. Angeblich
der Sohn einer Freundin, die verreist ist. "Ich hab noch
nie so ein hässliches Kind gesehen", sagt Betty
mit einer für sie untypischen Brutalität, geboren
aus dem Schmerz des frischer Verlustes. Doch der Kleine, der
Kummer gewohnt ist, lässt sich so leicht nicht abschrecken.
Seltsamerweise scheint die verquere Logik der Mutter tatsächlich
zu funktionieren. Schon bald schmilzt Bettys Ablehnung dahin.
Und als ihr dann irgendwann die unerhörte Wahrheit dämmert,
zögert sie, das Kind zurückzugeben.
Trickreich führt einen die Geschichte aufs Glatteis.
Betty, grandios gespielt von Sandrine Kiberlain; ist dem Kleinen
zweifellos eine bessere Mutter als die leibliche, der das
Kind eigentlich eher lästig ist. Und so findet sich der
Zuschauer unversehens in einem ethischen Dilemma wieder: Im
Grunde ist die Lösung für alle Beteiligten die Beste,
wenn sie nur moralisch nicht indiskutabel wäre!
Wann fangen völlig normale Menschen an, verrückte
Dinge zu tun? Wann und warum werden sie zu Verbrechern, zu
Mördern oder Kindsdieben? Das ist eines der großen
Themen von Thrillerqueen Ruth Rendell, deren Roman Die Masken
der Mütter als Vorlage für den Film dient. Wie groß
ist der Unterschied zwischen Betty und ihrer Mutter tatsächlich?
Der Grat zwischen Richtig und Falsch erweist sich als gefährlich
schmal. Und Unbehagen macht sich breit, wenn man sich zu fragen
beginnt, unter welchen Umständen man denn wohl selbst
zum Täter werden würde...
Nani Fux
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