Am Anfang kommt der Film geradezu biblisch daher, mit einer
Art Sintflut und einem Hauch von verlorenem Sohn. Nur dass
der Vater keinen Hammel für Jesko (Jürgen Vogel)
schlachtet, sondern, ganz im Gegenteil, erst mal die Damasttücher
abräumen lässt und 300 Gäste auslädt.
Nicht wegen des widerborstigen Sohnes oder weil dieser mit
Vorliebe lange Röcke trägt. Jeskos Vater hat das
Familiengespenst aus dem Keller geholt, und das bringt nun
mit wütendem Kreischen die Wände zum Wackeln. Das
Familiengespenst, das ist Käthe, die durchgedrehte Mutter
von Jesko und Ansgar (Peter Davor), Jeskos großem Bruder.
Der Vater hat sie in einem Obdachlosenasyl aufgestöbert.
Denn Jesko hat Leukämie, und Bruder und Vater kommen
als Knochenmarkspender nicht in Frage. Und nun sieht sich
der erfolglose Modeschöpfer plötzlich damit konfrontiert,
dass sein Leben ausgerechnet von der Frau abhängt, die
ihm als Kind mit einem Hammer den Kopf einschlagen wollte.
Nach Hause kommen - das merkt man nicht am Schild an der Tür,
das spürt man am Schmerz, sagt Jesko.
Es gibt Momente im Leben, in denen ein chronischer Nichtraucher
es bedauert, keine Kippe zum festhalten zu haben. Beispielsweise
wenn er aus diesem Film kommt. Es gibt eben Geschichten, nach
denen man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann.
Wegen denen man schon mal einen neuen Almodovar im Anschluss
sausen lässt, weil man mit den vergangenen 100 Minuten
noch lange nicht fertig ist. Schuld daran sind Chris Kraus
ungewöhnliche Geschichte und die drastischen Metaphern,
die er Jesko in den Mund gelegt hat. Schuld daran ist Jürgen
Vogel, der so herzzerreißend und schnodderig und lakonisch
spielt. Hinter dessen zynischem Panzer aus avantgardistischen
Klamotten und bissigen Sprüchen unentwegt pure Verzweiflung
lauert. Schuld daran ist Nadja Uhl, die hier Zitrone heißt
und nicht einmal ihr rotes Kleid mitnimmt, als Ansgar ihr
den Laufpass gibt. Und schuld daran ist Margit Carstensen,
die auch als grindiges Wrack ihre Würde nicht verliert.
Sterbende und Narren haben die Freiheit, die Dinge beim Namen
zu nennen. Das nutzen Mutter und Sohn weidlich aus und finden
einander auf diese Weise wieder.
Ein Fakir, der über Glassplitter läuft, verletzt
sich nicht. Der Trick ist, sich beim Scherbentanz oder Nadelkissenhocken
gegen die Realität abzuschotten. Doch was man an sich
heranlässt, tut garantiert irgendwann weh. Das Leben
zum Beispiel. Die Liebe. Oder dieser Film, der einem durch
die Poren direkt unter die Haut kriecht. Und saukomisch ist
er außerdem. Wer diesen Film verpasst, hat selber Schuld.
Die beste deutsche Produktion seit Winterschäfer. Nix
wie hin.
Nani Fux
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