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Film ist Industrie. Berlinale ist Industrie. Es geht um Stars
(von denen es dieses Jahr so viele gibt wie noch nie), rote
Teppiche (von denen es eigentlich immer nur einen gibt), Pressekonferenzen,
Einladungskarten, Empfänge. Vorstellungen für Personen
mit roten Akkreditierungen, blauen, gelben, grünen. Beschränkungen,
Hierarchien. Trauben von Menschen, die hinter den Absperrungen
irgendwie noch in die Vorstellung kommen wollen, kilometerlange
Schlangen von Leuten die Karten kaufen, verkaufen wollen.
Stress, Hektik.
Der Rest ist reine Magie.
Das Gesicht Anouk Aimées, der die Hommage gewidmet
ist.
Conrad Veits Schauspiel in F. W. Murnaus DER GANG IN DIE
NACHT. Seine pathetischen Gesten, die scheinbar immer nur
das eine zum Ausdruck bringen wollen: "Ich bin Kunst".
Er schwebt in den Raum und durch ihn hindurch, der einzig
wirkliche Ahnvater für Kinskis Größenwahn,
der wiederum in Werner Herzogs NOSFERATU - PHANTOM DER NACHT
noch einmal zu bewundern ist. Man sieht Veit und weiß
sofort, dass seine Präsenz etwas besonderes ist. Sein
Totenschädel und sein hagerer Körper erfüllen
die nach Licht und Schatten klar konturierten Innenräume,
jedes Bild ein Stilleben, für 1920, das Jahr in dem der
Film entstanden ist, sind die Tableaus mit erstaunlicher Tiefe
versehen. Murnau baut seine Narration um den Antagonismus
zwischen Innen und Außen, die Totalen und Weiten der
Natur beeindrucken ein ums andere Mal, auch in TABU, der tragischen
Liebesgeschichte, die er zusammen mit Robert Flaherty in Bora-Bora
ansiedelt, mit Laiendarstellern dreht und 1931 noch als Stummfilm
konzipiert. Reri und Matahi sind ein Paar, doch sie ist einem
anderen versprochen, einem Chinesen, einem stummen und böswilligen
Charakter, der überall auftaucht, um das Glück der
Liebenden zu stören. Der Chinese ist Teil einer langen
Reihe von unheimlichen, düsteren Figuren, die die Welten
in Murnaus Filmen immer wieder bedrohen. Sei es nun Veit in
DER GANG IN DIE NACHT oder Graf Orlok in NOSFERATU, das Weimarer
Kino hat viele solcher Phantome hervorgebracht, insoweit hatte
Kracauer in jedem Fall Recht.
Steven Soderbergh präsentierte sein SOLARIS - Remake.
Um uns die Liebe zwischen dem Protagonisten Chris Kelvin und
seiner Frau zu zeigen bringt der Regisseur eine ausgedehnte
Sequenz im Bett auf die Leinwand. In jump-cuts geschnitten,
springend zwischen Tag und Nacht, Nähe und Weite. Es
scheint, als würde Soderbergh endlich da weiter machen,
wo er mit OUT OF SIGHT (in wenigen Szenen) und THE LIMEY (fast
über die gesamte Länge des Filmes) aufgehört
hat. Artifiziell und experimentell, die Affekte fließen
ineinander und erzählen mehr über die Liebe, das
Begehren, als über die Möglichkeiten des menschlichen
Denkens. Vielleicht verhandelt und erklärt das Remake
nicht so viel wie Tarkowskijs erste Verfilmung des Stoffes
von Stanislav Lem, aber wie sagte Samuel Fuller letztes Jahr
in der 60´s - Retro auf Godards Stehparty in PIERROT
LE FOU: "Film is like a battleground. Love. Hate. Action.
Violence. And death. In one word: Emotions". Chris Kelvin
wirkt zunächst wie der einsamste Mensch des Universums
in dem grün schimmernden, chromverkleideten Raumschiff
und gerade deshalb ist seine Entscheidung, die Realität
gegen die Welt seiner Wünsche einzutauschen, so verständlich.
Jeremy Davis ist in einer Nebenrolle zu sehen, er macht nicht
viel mehr als seinen Habitus aus THE MILLION DOLLAR HOTEL
zu perfektionieren und doch ist es immer wieder faszinierend,
ihm zuzuschauen. Der Pathologie in der Flüchtigkeit seiner
Gesten.
Brad Silberling, der vor fünf Jahren Nicolas Cage in
CITY OF ANGELS vom Himmel auf die Erde schickte erzählt
ein Melodram um den Zerfall und die Regeneration einer amerikanischen
Kleinstadtfamilie. Formal nichts neues, die Kamera folgt den
Figuren in langen, ruhigen Einstellungen und dennoch ist MOONLIGHT
MILE intensiv, tief und voller großartiger Momente.
Silberling beobachtet die Verwirrung seiner Hauptfigur Jake,
dessen Verlobte kurz vor der Hochzeit erschossen wurde und
der bei den Schwiegereltern einzieht um irgendwie den entstandenen
leeren Platz auszufüllen ohne jede Ironie und driftet
doch nie in den Kitsch ab. "Einfühlsam" könnte
man es nennen, wenn das Wort nicht zu abgegriffen wäre.
"Everybody has a home" heißt es im Film. Das
Zuhause ist der Mensch, den man liebt. Jake findet den Platz,
an den er gehört, auch wenn es nicht der Platz ist, an
den ihn sein Denken geführt hätte. Für den
Prozess des Neuverliebens lässt sich MOONLIGHT MILE unendlich
viel Zeit und enthüllt gerade deshalb viel von der Realität
der Gefühle.
Peter Ho-Sun Chan erzählt in GOING HOME die Geschichte
eines Polizisten, der zusammen mit seinem Sohn in eine verdreckte
Hochhaussiedlung zieht. Der Nachbar von Gegenüber entpuppt
sich als skurriler Psychopath. In seiner Wohnung pflegt und
hegt er den toten Körper seiner Frau bis zum Exzess,
nimmt den Polizisten als Geißel und erklärt ihm,
dass er ihn bis in drei Tagen nicht mehr gehen lassen kann,
weil erst dann seine Frau wiederauferstehen würde. Kurz
vor Ablauf der Frist wird die traute Dreisamkeit von der Polizei
zerstört und schließlich klärt sich auf, dass
der Nachbar Recht hatte, dass seine Worte die Wahrheit bedeuteten.
Im Fernseher flimmert das Videotagebuch der verstorbenen Ehefrau.
Sie berichtet von den drei Jahren, in denen er tot war, in
denen sie genau das Gleiche für ihn getan hat, was er
für sie zu tun versuchte. Wie sie auferstanden ist, wie
sie nach Hause zurückgekommen ist. Die Atmosphäre
ist dicht, eingefangen in fast monochromen Bildern, für
die Chris Doyle, der Kameramann von Wong Kar-Wai, verantwortlich
war.
IT´S ALL ABOUT LOVE heißt der neue Film von Thomas
Vinterberg, der nach der Vorführung zu Protokoll gab,
dass der Film durchaus Dogma sei, "but this time the
other way round". Die Leinwand verklärt die Welt
und es geht tatsächlich nur um die Liebe. John will eigentlich
nur einen kurzen Zwischenstop machen, um die Scheidungspapiere
von seiner Frau Elena, einer Eisprinzessin, unterzeichnen
zu lassen. Doch Vinterberg zeigt uns ein New York wie aus
einem düsteren Märchen, seltsame Dinge geschehen,
die Welt droht einzufrieren. Doppelgängerinnen Elenas
tauchen auf, die Lage wird bedrohlich, eine Alptraumwelt,
die näher an David Lynch liegt als an dänischen
Geburtstagspartys, die mit der Handkamera aufgenommen werden.
John und Elena müssen flüchten, es beginnt ein bizarre
Jagd und die Welt des Glamours, der Pressekonferenzen, des
Ruhmes wird eingetauscht gegen eine Liebesnacht und einen
Morgen mit Instantkaffee und Zigaretten in einem abgerissenen
Brooklyner Hotel. Trotzdem ist alles nur besser geworden.
Die großen Verlierer werden zu den größten
Helden, einfach nur, weil ein Film ihre Geschichte erzählt.
Richard Kwietniowski, der einst William Hurt in LOVE AND DEATH
ON LONG ISLAND auf die Mission schickte Jason Priestleys Herz
zu erobern, thematisiert das Leben des Spielers Dan Mahowny.
Philip Seymour Hoffman spielt in OWNING MAHOWNY einen Menschen,
der sich verliert zwischen Betrug und langen Nächten
im Kasino. Doch in seiner Sucht ist er unbestechlich, es geht
ihm allein ums Verlieren, weder das beste Zimmer im Hotel
noch die Frauen und der Sex können ihn locken. Mit verbissener
Mine steht er am Black-Jack-Tisch und verausgabt sich und
die neun Millionen Dollar, die er gerade erst gewonnen hat.
In einigen kurzen Einstellungen. Ohne Kompromisse. Seine Spielsucht
ist ein Fehler, aber er gibt sich ihr hin mit aller Konsequenz
die er besitzt.
Charlie Kaufman, glaubt man seinen eigenen Worten, ist nichts
als ein kahlköpfiger, fetter Verlierer. Dennoch schafft
er es in ADAPTATION, für den er das Drehbuch geschrieben
hat, den Regisseur Spike Jonze und den Hauptdarsteller Nicolas
Cage vergessen zu machen und den Film irgendwie zu einem reinen
Charlie Kaufmann- Vehikel zu machen. Er soll einen Roman über
Orchideen adaptieren und weil er Schreibhemmungen ohne Ende
hat beginnt er einfach über sich selbst zu schreiben,
über seine Probleme, seine Ängste, seine Verfehlungen.
Dabei entsteht ein intelligenter, aber kaum greifbarer Film
mit zahllosen Einfällen und variablen Realitätsebenen,
die sich vermischen, gegenseitig ergänzen, die Grenzen
zwischen Wahrem und Fiktionalem völlig außer Kraft
setzen. Das Prinzip der Evolution, die Adaption, wird auch
zum Motor des Narration. In seiner besten Szene erklärt
Charlies Bruder bzw. Doppelgänger Donald, der alles ist,
was Charlie weder sein kann noch sein will, ihm seine Sicht
der Liebe. In der Schule war Donald in ein Mädchen verliebt.
Sie hat sich nur über ihn lustig gemacht und auf die
Frage Charlies, warum er daran nicht zerbrochen sei, antwortet
er dass niemand ihm diese Liebe nehmen konnte. Nicht einmal
das Mädchen, das er liebte. Es ist nicht wichtig, ob
sich die Wünsche erfüllen, der Zustand, das du liebst,
den kann dir niemand nehmen. Und solange das so ist, ist das
Kino als reine Industrie nur die halbe Wahrheit.
André Grzeszyk
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