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Berlinale 2003 13.02.2003
 
 

It´s all about love
Film ist Industrie. Der Rest ist reine Magie.

Anouk Aimée
 
 
 
 

Film ist Industrie. Berlinale ist Industrie. Es geht um Stars (von denen es dieses Jahr so viele gibt wie noch nie), rote Teppiche (von denen es eigentlich immer nur einen gibt), Pressekonferenzen, Einladungskarten, Empfänge. Vorstellungen für Personen mit roten Akkreditierungen, blauen, gelben, grünen. Beschränkungen, Hierarchien. Trauben von Menschen, die hinter den Absperrungen irgendwie noch in die Vorstellung kommen wollen, kilometerlange Schlangen von Leuten die Karten kaufen, verkaufen wollen. Stress, Hektik.

Der Rest ist reine Magie.
Das Gesicht Anouk Aimées, der die Hommage gewidmet ist.

Conrad Veits Schauspiel in F. W. Murnaus DER GANG IN DIE NACHT. Seine pathetischen Gesten, die scheinbar immer nur das eine zum Ausdruck bringen wollen: "Ich bin Kunst". Er schwebt in den Raum und durch ihn hindurch, der einzig wirkliche Ahnvater für Kinskis Größenwahn, der wiederum in Werner Herzogs NOSFERATU - PHANTOM DER NACHT noch einmal zu bewundern ist. Man sieht Veit und weiß sofort, dass seine Präsenz etwas besonderes ist. Sein Totenschädel und sein hagerer Körper erfüllen die nach Licht und Schatten klar konturierten Innenräume, jedes Bild ein Stilleben, für 1920, das Jahr in dem der Film entstanden ist, sind die Tableaus mit erstaunlicher Tiefe versehen. Murnau baut seine Narration um den Antagonismus zwischen Innen und Außen, die Totalen und Weiten der Natur beeindrucken ein ums andere Mal, auch in TABU, der tragischen Liebesgeschichte, die er zusammen mit Robert Flaherty in Bora-Bora ansiedelt, mit Laiendarstellern dreht und 1931 noch als Stummfilm konzipiert. Reri und Matahi sind ein Paar, doch sie ist einem anderen versprochen, einem Chinesen, einem stummen und böswilligen Charakter, der überall auftaucht, um das Glück der Liebenden zu stören. Der Chinese ist Teil einer langen Reihe von unheimlichen, düsteren Figuren, die die Welten in Murnaus Filmen immer wieder bedrohen. Sei es nun Veit in DER GANG IN DIE NACHT oder Graf Orlok in NOSFERATU, das Weimarer Kino hat viele solcher Phantome hervorgebracht, insoweit hatte Kracauer in jedem Fall Recht.

Steven Soderbergh präsentierte sein SOLARIS - Remake. Um uns die Liebe zwischen dem Protagonisten Chris Kelvin und seiner Frau zu zeigen bringt der Regisseur eine ausgedehnte Sequenz im Bett auf die Leinwand. In jump-cuts geschnitten, springend zwischen Tag und Nacht, Nähe und Weite. Es scheint, als würde Soderbergh endlich da weiter machen, wo er mit OUT OF SIGHT (in wenigen Szenen) und THE LIMEY (fast über die gesamte Länge des Filmes) aufgehört hat. Artifiziell und experimentell, die Affekte fließen ineinander und erzählen mehr über die Liebe, das Begehren, als über die Möglichkeiten des menschlichen Denkens. Vielleicht verhandelt und erklärt das Remake nicht so viel wie Tarkowskijs erste Verfilmung des Stoffes von Stanislav Lem, aber wie sagte Samuel Fuller letztes Jahr in der 60´s - Retro auf Godards Stehparty in PIERROT LE FOU: "Film is like a battleground. Love. Hate. Action. Violence. And death. In one word: Emotions". Chris Kelvin wirkt zunächst wie der einsamste Mensch des Universums in dem grün schimmernden, chromverkleideten Raumschiff und gerade deshalb ist seine Entscheidung, die Realität gegen die Welt seiner Wünsche einzutauschen, so verständlich. Jeremy Davis ist in einer Nebenrolle zu sehen, er macht nicht viel mehr als seinen Habitus aus THE MILLION DOLLAR HOTEL zu perfektionieren und doch ist es immer wieder faszinierend, ihm zuzuschauen. Der Pathologie in der Flüchtigkeit seiner Gesten.

Brad Silberling, der vor fünf Jahren Nicolas Cage in CITY OF ANGELS vom Himmel auf die Erde schickte erzählt ein Melodram um den Zerfall und die Regeneration einer amerikanischen Kleinstadtfamilie. Formal nichts neues, die Kamera folgt den Figuren in langen, ruhigen Einstellungen und dennoch ist MOONLIGHT MILE intensiv, tief und voller großartiger Momente. Silberling beobachtet die Verwirrung seiner Hauptfigur Jake, dessen Verlobte kurz vor der Hochzeit erschossen wurde und der bei den Schwiegereltern einzieht um irgendwie den entstandenen leeren Platz auszufüllen ohne jede Ironie und driftet doch nie in den Kitsch ab. "Einfühlsam" könnte man es nennen, wenn das Wort nicht zu abgegriffen wäre. "Everybody has a home" heißt es im Film. Das Zuhause ist der Mensch, den man liebt. Jake findet den Platz, an den er gehört, auch wenn es nicht der Platz ist, an den ihn sein Denken geführt hätte. Für den Prozess des Neuverliebens lässt sich MOONLIGHT MILE unendlich viel Zeit und enthüllt gerade deshalb viel von der Realität der Gefühle.

Peter Ho-Sun Chan erzählt in GOING HOME die Geschichte eines Polizisten, der zusammen mit seinem Sohn in eine verdreckte Hochhaussiedlung zieht. Der Nachbar von Gegenüber entpuppt sich als skurriler Psychopath. In seiner Wohnung pflegt und hegt er den toten Körper seiner Frau bis zum Exzess, nimmt den Polizisten als Geißel und erklärt ihm, dass er ihn bis in drei Tagen nicht mehr gehen lassen kann, weil erst dann seine Frau wiederauferstehen würde. Kurz vor Ablauf der Frist wird die traute Dreisamkeit von der Polizei zerstört und schließlich klärt sich auf, dass der Nachbar Recht hatte, dass seine Worte die Wahrheit bedeuteten. Im Fernseher flimmert das Videotagebuch der verstorbenen Ehefrau. Sie berichtet von den drei Jahren, in denen er tot war, in denen sie genau das Gleiche für ihn getan hat, was er für sie zu tun versuchte. Wie sie auferstanden ist, wie sie nach Hause zurückgekommen ist. Die Atmosphäre ist dicht, eingefangen in fast monochromen Bildern, für die Chris Doyle, der Kameramann von Wong Kar-Wai, verantwortlich war.

IT´S ALL ABOUT LOVE heißt der neue Film von Thomas Vinterberg, der nach der Vorführung zu Protokoll gab, dass der Film durchaus Dogma sei, "but this time the other way round". Die Leinwand verklärt die Welt und es geht tatsächlich nur um die Liebe. John will eigentlich nur einen kurzen Zwischenstop machen, um die Scheidungspapiere von seiner Frau Elena, einer Eisprinzessin, unterzeichnen zu lassen. Doch Vinterberg zeigt uns ein New York wie aus einem düsteren Märchen, seltsame Dinge geschehen, die Welt droht einzufrieren. Doppelgängerinnen Elenas tauchen auf, die Lage wird bedrohlich, eine Alptraumwelt, die näher an David Lynch liegt als an dänischen Geburtstagspartys, die mit der Handkamera aufgenommen werden. John und Elena müssen flüchten, es beginnt ein bizarre Jagd und die Welt des Glamours, der Pressekonferenzen, des Ruhmes wird eingetauscht gegen eine Liebesnacht und einen Morgen mit Instantkaffee und Zigaretten in einem abgerissenen Brooklyner Hotel. Trotzdem ist alles nur besser geworden.

Die großen Verlierer werden zu den größten Helden, einfach nur, weil ein Film ihre Geschichte erzählt. Richard Kwietniowski, der einst William Hurt in LOVE AND DEATH ON LONG ISLAND auf die Mission schickte Jason Priestleys Herz zu erobern, thematisiert das Leben des Spielers Dan Mahowny. Philip Seymour Hoffman spielt in OWNING MAHOWNY einen Menschen, der sich verliert zwischen Betrug und langen Nächten im Kasino. Doch in seiner Sucht ist er unbestechlich, es geht ihm allein ums Verlieren, weder das beste Zimmer im Hotel noch die Frauen und der Sex können ihn locken. Mit verbissener Mine steht er am Black-Jack-Tisch und verausgabt sich und die neun Millionen Dollar, die er gerade erst gewonnen hat. In einigen kurzen Einstellungen. Ohne Kompromisse. Seine Spielsucht ist ein Fehler, aber er gibt sich ihr hin mit aller Konsequenz die er besitzt.

Charlie Kaufman, glaubt man seinen eigenen Worten, ist nichts als ein kahlköpfiger, fetter Verlierer. Dennoch schafft er es in ADAPTATION, für den er das Drehbuch geschrieben hat, den Regisseur Spike Jonze und den Hauptdarsteller Nicolas Cage vergessen zu machen und den Film irgendwie zu einem reinen Charlie Kaufmann- Vehikel zu machen. Er soll einen Roman über Orchideen adaptieren und weil er Schreibhemmungen ohne Ende hat beginnt er einfach über sich selbst zu schreiben, über seine Probleme, seine Ängste, seine Verfehlungen. Dabei entsteht ein intelligenter, aber kaum greifbarer Film mit zahllosen Einfällen und variablen Realitätsebenen, die sich vermischen, gegenseitig ergänzen, die Grenzen zwischen Wahrem und Fiktionalem völlig außer Kraft setzen. Das Prinzip der Evolution, die Adaption, wird auch zum Motor des Narration. In seiner besten Szene erklärt Charlies Bruder bzw. Doppelgänger Donald, der alles ist, was Charlie weder sein kann noch sein will, ihm seine Sicht der Liebe. In der Schule war Donald in ein Mädchen verliebt. Sie hat sich nur über ihn lustig gemacht und auf die Frage Charlies, warum er daran nicht zerbrochen sei, antwortet er dass niemand ihm diese Liebe nehmen konnte. Nicht einmal das Mädchen, das er liebte. Es ist nicht wichtig, ob sich die Wünsche erfüllen, der Zustand, das du liebst, den kann dir niemand nehmen. Und solange das so ist, ist das Kino als reine Industrie nur die halbe Wahrheit.

André Grzeszyk

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