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Abends, nachts, wenn man aus dem letzten Film des Tages,
noch halb im Kinorausch, in sein Berliner Quartier gewankt
kommt, wird dieses Jahr als erstes stets der Fernseher angemacht.
Um zu sehen, ob jetzt schon Krieg ist im Irak. Ob die Welt
noch steht.
Sind Filmfestivals ohnehin schon perfekt geeignet, einem
aus aller Realität zu heben, so ist es die Berlinale
doch noch ein Stück perfekter, seit sie am Potsdamer
Platz residiert, dieser tyrannischen New Economy-Utopie, Stein,
Glas und Chrom gewordene Science Fiction vom verfallsfreien,
designbaren, "offenen" und "freien" Menschen.
Dieses Jahr aber haben die Realitäten schon im Vorfeld
zugeschlagen: Nicht nur Deutschland, auch die Berlinale ist
weniger rot als vor 12 Monaten - der Hauptsponsor Premiere
mitsamt seiner Signalfarbe ist (warum wohl?) nirgends mehr
zu erblicken. Das Geld ist knapp, das Festival einen Tag kürzer,
die Filme weniger geworden, der Trailer vom Vorjahr recycled.
Dass am Potsdamer Platz noch immer neue Wolkenkratzer hochgezogen
werden wirkt wie das trotzige Festhalten an einem längst
geplatzten Traum.
Befinden Filme sich ohnehin immer im Spannungsfeld zwischen
Abbildung, Aufzeichnung von Welt und Erschaffung ihres eigenen
künstlichen Universums, so scheint die Positionierung
auf dieser Achse die Auswahl der Werke diesmal besonders stark
zu beschäftigen.
Der Eröffnungsfilm, CHICAGO, beginnt mit der Kamerafahrt
auf ein Auge zu, in das Schwarz inmitten der Iris hinein.
Will man das als ein programmatisches Statement lesen, dann
könnte die Sache nicht klarer sein: Die wahren Abenteuer
sind im Kopf. Ein Musical zu wählen als Startschuss,
noch dazu ein so mit Wonne artifizielles wie CHICAGO, das
scheint ein Plädoyer zu sein für Kino als Karneval
der Künstlichkeit.
Aber so einfach ist das alles nicht: CHICAGO hat viel über
die wahre Welt zu sagen - es ist ein Film darüber, wie
alles im Leben nur eine Performance ist, wie unser Reden und
Handeln immer quasi Singen und Tanzen für ein Publikum
sind. Rob Marshalls Werk flieht nicht vor der Welt, ist nicht
einfach pure Fiktion, sondern er zeigt selbst, wie Welt transformiert
wird zum Spektakel. Und beharrt dabei zugleich, so schnell
und virtuos er auch geschnitten sein mag, auf der Macht des
Kinos als wahrheitsgetreue Aufzeichnungsmaschine: Eine seiner
(im Abspann auch noch einmal extra betonten) Hauptattraktionen
ist, dass die Stars hier wirklich selbst trällern und
steppen, dass wir auch in den Musiknummern ihren authentischen
Körpern zuhören und -sehen dürfen. Und während
keiner dieser Stars dabei die selbe Magie entfesseln kann,
die einem beim Ansehen der Großen des Genres, bei einem
Astaire, einem Kelley, einer Rogers anrührt, so machen
sie ihre Sache doch erstaunlich gut.
*
Vermeintlich größtmögliches Kontrastprogramm
dann beim ersten Wettbewerbsfilm: IN THIS WORLD heißt,
nicht weniger programmatisch lesbar, Michael Winterbottoms
Beitrag. Die Geschichte zweier pakistanischer Flüchtlinge
und ihrem langen, illegalen Weg nach London. Gedreht auf DV,
mit winzigem Team und Laiendarstellern, nur an Originalschauplätzen.
Mit einer Offenheit gegenüber dem, was vor Ort zu finden
und zu sehen ist, die sich auszahlt: Das ist eben - vielleicht
sogar gegen seinen ursprünglichen eigenen Willen - keiner
dieser Bedenkenträger- und Gutmenschenfilme, die sich
zum Sprachrohr für Entrechtete machen wollen und doch
nur ihre eigenen, kopfgeborenen Parolen hinausposaunen. IN
THIS WORLD suhlt sich nicht im Elend; über weite Strecken
sucht er es nicht einmal und findet es noch seltener. Von
einigen etwas aufdringlichen Musikeinätzen abgesehen,
ist er erstaunlich emotionsfrei, nimmt ohne Schreien und Klagen
hin was kommt. Zwar gibt es kurze Einschübe, in denen
eine Stimme aus dem Off zu computergenerierten Landkartenbildern
Daten und Fakten zu Flüchtlingsströmen doziert (was
in seiner eindeutig kenntlichen Lehrerpult-Haltung auch wieder
in Ordnung geht) - aber sonst ist der Film auch frei von Thesen.
Freilich, es sind die warmen, weichen, goldbraunen Farbtöne
der Videokamera, sind ihre Breitwand-Bilder, die viel über
die Haltung bestimmen, mit der man als Zuschauer das Gezeigte
aufnimmt. Aber dennoch wirkt es, als hätte die Wirklichkeit
manch Sieg errungen über vorgefasste Konzepte. Das bestätigt
sich auf der Pressekonferenz, wo Winterbottom und seine Produzenten
erzählen, wie in einem Dorf nahe der türkischen
Grenze die Menschen so freundlich und hilfsbereit waren, dass
das Filmteam es nicht mehr verantwortbar fand, die eigentlich
geplante Episode von übler Behandlung der und Verrat
an den Flüchtlingen zu inszenieren. Statt dessen findet
sich im Film an dieser Stelle jetzt eine kleine Oase anrührender
Menschlichkeit.
Wahrscheinlich war auch Michael Winterbottom von Anfang
an zu intelligent, um einen reinen Anliegen-Film drehen zu
wollen. Noch einmal die Pressekonferenz: Eine Weile sucht
eine Journalistin nach der richtigen Formulierung, will offensichtlich
wissen, welche Erwartungen Winterbottom an die Wirkung seines
Films hat, scheint ihrerseits dem Streifen zuzutrauen, dass
er was bewegen wird in der realen politischen Situation von
Flüchtlingen. Sie findet die rechten Worte für die
Frage nicht; Winterbottom übernimmt das nach einer Weile
dann einfach selbst, mit nicht wenig Ironie in der Stimme:
"Would I like my movie to change the world? - Yeah, sure."
Letztendlich ist sogar möglich, dem Thema Flüchtlinge
nicht einzige oder gar wichtigste Bedeutung beizumessen in
diesem Film - man kann ihn auch sehen als Reise-Bilderbogen
vom graduellen Übergang des Nahen Ostens ins westliche
Europa.
*
Wer wirklich was ändern will an dieser Welt, der geht
nicht ins Kino, der geht auf die Straße, möchte
man sagen. In der Früh, auf dem Weg zur ersten Vormittagsvorführung,
ist durchs U-Bahn-Fenster ein Demonstrationszug zu sehen.
Die Transparente hängen ziemlich schlapp in der kalten
Morgenluft, die Leute stapfen ohne Überzeugung vorwärts,
als wüßten sie selbst nicht mehr so genau, warum
sie hier sind und was sie sich davon erhoffen, hintendrein
schlendert ein kleines Aufgebot gelangweilter, miteinander
schwatzender Polizisten. Es ist im Vorbeifahren nicht zu erkennen,
ob hier für den Frieden marschiert wird oder für
den Krieg, oder ob nur die Müllabfuhr mehr Lohn will.
Jedenfalls scheint dem Ganzen der Weltveränderungswille
und -glaube schon vorab abhanden gekommen zu sein. Die hätten
genauso gut ins Kino gehen können, diese Leute.
*
Dann kommt ein Film wie Alan Parkers THE LIFE OF DAVID GALE.
Der keinen Zweifel aufkommen läßt: Da wollte jemand
was Großes, Weltbewegendes sagen gegen die Todesstrafe.
Wahrscheinlich hätte der Autor am liebsten eine Doku
gemacht, und dann aber überlegt, dass das ja wieder keiner
guckt, und drum den Plan gefasst: Das Anliegen muss in einen
Thriller verpackt werden. In dem die recherchierten Fakten,
die vertretenen Thesen dann ungemein elegant eins-zu-eins
von den Charakteren vorgetragen, aufgesagt werden, in diversen
Blöcken von Exposition oder in einer Fernsehdebatte,
die der Held (immerhin: Kevin Spacey) bestreitet. Zugleich
hat dabei die vermeintlich raffinierte (in Wahrheit jedoch
völlig vorhersehbare) Thriller-Konstruktion Überhand
gewonnen, verlangt immensen mechanischen Plot-Aufwand. Der
Film scheut sich da nicht, einer Figur die Leukämie in
die Knochen zu schreiben, nur damit das sehr gewollte, artifizielle
Krimi-Konstrukt annähernd plausibel wird.
Nur ganz wenige Details gibt es, gerade zu Anfang, wo der
Verdacht nahe liegt, dass da etwas bei der Recherche vor Ort
Beobachtetes sich einschmuggeln durfte zwischen all das schon
vorab Gewusste, Geplante, Gedeckelte. Dinge wie das "No
Hostages Will Exit"-Schild im Hochsicherheitstrakt oder
der japanische Garten des Gefängnisses. Und Laura Linney
hat eine intime Szene mit Kevin Spacey, in der sie ihrer Figur
- die eigentlich nichts ist als ein passgenau gefeiltes Rädchen
im Plotwerk - eine herzzerreißend wahrhaftige Dimension
verleiht. Was der kalten Kalkuliertheit, mit der der Film
sie sonst behandelt, etwas geradezu Obszönes verleiht.
THE LIFE OF DAVID GALE ist einer dieser Hollywood-Filme
wo, wenn es eine Party gibt und einen Pool, zwangsläufig
Partygäste in diesen Pool fallen müssen, Todesstrafenthriller
hin oder her. Und wo uns der Philosophie-Professoren-Protagonist
vorgestellt wird mit den letzten Minuten eines seiner Seminare,
kurz bevor dann die Glocke läutet und die propperen Studenten
hinausströmen, wie sie es in so einem Film einfach tun
müssen - David Gale erklärt da mal eben in zwei
Minuten Lacan.
Ein Film, der keine Offenheit duldet, der mehr altbacken
denn klassisch darauf beharrt, sämtliche Bögen zu
schließen, Rahmen abzudichten, "i"s zu tüpfeln.
Wenn da am Anfang einiges Gewicht gelegt wird auf einen halben
Daumenabdruck, dann darf man gewiss sein, dass der sich nicht
einfach aus dem Film verabschiedet. Zumindest in dieser Hinsicht
wird man von Alan Parker dann auch nicht enttäuscht.
*
Dann doch lieber Yasujiro Ozu, dem eine kleine Werkschau
gewidmet ist. Der hat die Abgeschlossenheit wenigstens zu
beeindruckender, subtil ausballancierter Meisterschaft getrieben.
Und bei TOKYO MONOGATARI beispielsweise passt es wenigstens
zu dem, worum es in dem Film geht, wenn die Bildräume
starre, unentrinnbare Gefängnisse für die Figuren
in ihnen sind. Der handelt ja von Menschen, die in den Höflichkeits-Konventionen
Japans, die in ihren genau zugewiesenen Familien- und Gesellschaftsrollen
wirklich wie eingesperrt sind. Die die grausamsten, schmerzhaftesten
Wahrheiten wenn überhaupt, dann nur mit einem Lächeln
und dem Ton beiläufiger Konversation aussprechen dürfen.
Trotzdem hat diese meisterhafte Strenge auch beklemmende Untertönen,
strahlt eine Furcht vor allem Lebendigen aus. Dick säumt
der Rahmen des Busfensters die Leinwand, als es doch einmal
hinausgeht aus den kontrollierten Interieurs, als man sich
auf Fahrt begibt durch Tokyo und die Welt mit all ihren Unvorhersehbarkeiten
vielleicht ins Bild drängen könnte. Man beginnt
sich zu fragen, ob der Film an seinen Figuren nur keinerlei
Freies finden kann, ob er es ihnen nicht gönnt, oder
ob er selbst vor allem Freien schlicht nur Panik hat.
*
Dabei hat die Welt da draußen so viel zu bieten: Nicht
ins Kino zu gehen ist ja auch keine Garantie für Bodenhaftung
in der Realität. Da gibt es diesen älteren Herrn
osteuropäischen Aussehens, mit kurzen grauen Haaren und
Bart, der am Potsdamer Platz die Straße auf den Berlinale
Palast zu entlangspaziert und dabei "Volare", nein,
nicht singt sondern geradezu brüllt. Gar nicht mal so
völlig falsch, was die Tonhöhen betrifft, und er
kann den kompletten Text, nur eben ohne jeden ersichtlichen
Anlass, in gellender Lautstärke und mit seltsamen Pausen
nach jeder Phrase: "VOOO-LAAA-RE." - Pause, Pause,
Pause - "OOOOHHHH-HOOOO." - Paauuussseee - "CAAAN-TAAA-RE."...
Filme braucht der Mann vermutlich nicht.
*
Andere leben offensichtlich nicht minder tief in ihrem eigenen
Kopf, aber sie haben dazu das dringende Bedürfnis, ihr
Inneres der Welt nicht nur durch kleine Gesangseinlagen näher
zu bringen. Die müssen gleich Filme machen.
ADAPTATION ist einer dieser Streifen, deren Entstehung vermutlich
spannender war als das letztendliche Resultat: Autor Charlie
Kaufmann (BEING JOHN MALKOVICH) sollte Susan Orleans' Reportage-Bestseller
"The Orchid Thief" in ein Drehbuch verwandeln. Und
fand sich nach einem knappen halben Jahr daran gescheitert.
Statt seine kreativen Schwierigkeiten zu bewältigen,
machte er sie darauf zum Thema des Drehbuchs. Und: Die Produzenten
waren begeistert.
Es ist nicht, dass dieses Spiel mit all den Faltungen, Spiegelungen,
Dopplungen von Realitäts-, Ironie- und Fiktionsebenen,
mit Nicholas Cage als "Charlie Kaufman" und sein
(komplett fiktiver) Zwilling Donald, dass dieses Spiel keinen
Spaß machte. Es läuft sich nur mit der Zeit tot
und verpufft. Es ist ein erstaunlich gewagter Versuch, all
die Strategien der "klassischen" postmodernen Literatur
in einen Hollywood-Studiofilm zu packen - aber es gibt eben
einen Grund, warum die Literatur seit einigen Jahren schon
wieder woanders hingewandert ist, warum das ewige Spiegel-im-Spiegel-im-Spiegel-im-Spiegel-Kabinett
irgendwann für erschöpft befunden wurde. (Ähnlich
verzettelt sich der koreanische RESURRECTION OF THE LITTLE
MATCH GIRL in einem heil-, weil regel- und damit belanglosen
Durchbrechen der Grenzen zwischen Computerspiel-Virtualität
und Realität, das durch mit großem Aufwand, aber
wenig ästhetischem Flair inszenierte MATRIX-Anleihen
und Hong Kong-Kino-Zitate nicht ansehnlicher wird.)
Und nur, weil beispielsweise die Macher selbst wissen, dass
unaufhörliche Voice-Over-Erzählung nicht sonderlich
filmisch und clever ist, und das auch im Film selbst eingestehen,
und darüber selbstironisch reflektieren, wird unaufhörliche
Voice-Over-Erzählung noch nicht viel filmischer und cleverer.
ADAPTATION ist mehr Papier als Zelluloid, und gerade das sollte
man von einem Regisseur wie Spike Jonez nicht erwarten.
*
Während sich ADAPTATION tief in der Selbstbespiegelung
verirrt, versucht auf dem Potsdamer Platz friedensbewegte
Aktionskunst umgekehrt, mit Filmwerbungs-Ästhetik der
politischen Realität beizukommen: Ein Plakat prangt da
für den (fiktiven) Streifen PEACEKILLER - THE WAY TO
FIN BIN LADEN, eine "Enron, Haliburton & Realtime
Films"-Produktion mit den Konterfeis von Bush, Blair
und Cheney in Hauptdarstellermanier. Nach ein paar Tagen verschwindet
das Plakat nachts. Wer es aus dem Gerüst geschnitten
und geklaut hat und warum, weiß keiner.
*
Ausgerechnet der mit Abstand künstlichste aller bisher
gezeigten Wettbewerbsfilme mußte sich derweil am meisten
herumschlagen mit politischen Vorwürfen. Zhang Yimous
unglaublicher HERO ist eigentlich verdammt nah an der Abstraktion,
hebt - in vollem Bewusstsein des Genres, seiner Tradition
und seiner literarischen Ahnen - den Kung Fu-Film auf eine
Ebene, wo er sich löst in purer Form, Rhythmus, Bewegung
und Farbe, Farbe, Farbe. Von der Parallelität von Kung
Fu und Kalligraphie, Kung Fu und Musik wird da nicht nur gesprochen,
sie wird erfahrbar gemacht. Aber es kommt eben auch der Kaiser
Qi vor, und ein vereitelter Plan zu seiner Ermordung. Und
schon geht es vielen nur noch darum, ob der Film eine Rechtfertigung
sei für Gewaltherrschaft, und ob er historische Wahrheiten
richtig abbildet. Sowas könne man doch nicht einfach
ignorieren, sagen diese Leute dann. Interessant ist nur, dass
sie keinerlei Probleme damit haben, die restlichen 99% des
Films komplett zu übergehen.
*
Weil wir gerade bei Martial Arts sind: Auch Jackie Chan ist
mit einem Film in Berlin. Aber diesmal nutzt er seine Weltberühmtheit,
um einer dokumentarischen Geschichtsstunde zur Aufmerksamkeit
zu verhelfen. TRACES OF THE DRAGON gräbt auch für
Chan selbst bisher unbekannte Familienwurzeln aus und wird
dabei gleichzeitig zum Film über all das an Zeitgeschehen,
was Chinesen im letzten Jahrhundert durchlebt haben.
Ein braver, aber oft anrührender Film, der wiederum unsereins
die wohl ziemlich einmalige Gelegenheit einer kaum halbvollen
Pressekonferenz mit Jackie Chan beschert hat.
*
Erstaunlich viele Filme handeln dieses Jahr mehr oder minder
poetisch und profund davon, wie kurz die Zeit auf Erden doch
sein kann und wie man sie nutzen sollte, so lange man kann.
Am Dienstag Mittag, während im ersten Stock des Hyatt
die Pressekonferenz zu LICHTER läuft, erleidet der französische
Produzent Daniel Toscan du Plantier im Eingangsbereich des
Hotels einen Herzinfarkt, an dem er kurz darauf im Krankenhaus
stirbt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass SON FRÈRE
oder MY LIFE WITHOUT ME zu den letzten Filmen gehörten,
die er gesehen hat.
Als man die Treppe herunterkommt von der Pressekonferenz
stehen da ein paar freundliche Damen vom Hotel, die einen
bitten, den hinteren Ausgang zu benutzen. Mehr sagen sie nicht.
Hinter ihnen kann man Polizisten erkennen, die jemanden befragen,
und kauernde Notärzte, mit ihren Koffern. Nachträglich
weiß man, dass man wohl auch einen Mann dort liegen
sehen konnte, auf dem polierten Steinboden und Teppich, über
den wenig später wieder die Journalistenhorden zum Pressezentrum
strömen.
Die Szene hat Poetisches sowieso nicht, aber auch nichts
Profundes. Man erfährt erst später, was da passiert
ist. Es gibt einen Moment des Schauerns. Einen Moment des
Nachdenkens, einen kurzen. All das Naheliegende geht einem
durch den Kopf, für eine Minute werden die Stimmen gedämpfter,
aber eigentlich nur, weil man sich verpflichtet fühlt,
dieses reale Eindringen des Letzten in diese Tage, die es
so oft als ästhetisierte Erfahrung feierten, als etwas
Großes, Auratisches zu empfinden.
Danach geht man in den nächsten Film.
Die Realität, die einen nicht unmittelbar betrifft, hat
anscheinend auch zu solch letzten Themen nicht mehr zu sagen
als das Kino.
Thomas Willmann
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