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"Baby!"; "Darling!" - manchmal können auch die zärtlichsten
Worte wie fiese Gemeinheiten klingen, kann noch ein katzenhaftes
Schnurren zur scharfen Waffe werden. Zur Berlinale-Eröffnung
gab es Zickenalarm: Dass sich Renée Zellweger und Catherine
Zeta-Jones im richtigen Leben auch nur ein bisschen verstehen,
dass ihre Beteuerung "Wir sind die besten Kumpels." (Zeta-Jones)
- "Wir werden sicher von nun an unser ganzes Leben lang befreundet
sein." (Zellweger) auch nur ein wenig zutrifft, kann keiner
glauben, der die beiden so grundverschiedenen Frauen auf der
Pressekonferenz zur Berlinale-Eröffnung anlässlich der Premiere
von Rob Marshalls Filmmusical CHICAGO erlebt.
So dünn manche Fragen auch sein mögen, so banal die Antworten
- Substanz ist bei solchen Mega-Events vor der versammelten
Weltpresse selten zu erwarten -, spricht die Körpersprache
doch Bände: Statuenhaft ruhig die dunkelhaarige britische
Schönheit, jede Geste kontrollierend, klug und kurz antwortend,
mit leichtem Augenzwinkern zu den Fotografen. Zellweger dagegen,
bei allem Respekt wohl die bessere Darstellerin der beiden,
rutschte hippelig auf dem Sessel, den Blick mal nach unten,
mal zur Seite gerichtet, und irgendwie etwas hysterisch wirkend,
als hätte sie ihren Golden-Globe-Sieg noch nicht ganz verkraftet.
Ihre Antworten wurden lang und länger, kamen vom Thema weit
ab und endeten meist in dem Fazit, wie "toll", "großartig",
"super" die Dreharbeiten doch gewesen sein.
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Vielleicht wären die beiden wohl über sich hergefallen,
hätten sie nicht den bestaussehendsten Puffer zwischen sich
sitzen gehabt, den man sich vorstellen könnte: Richard Gere,
mit der buddhistischen Gelassenheit des Weltstars vor sich
hin schmunzelnd schien er, ganz wie im Film, sich zwischen
diesen beiden so unterschiedlichen Frauen/Schauspielern kaum
entscheiden zu können. "Das Musical von Bob Fosse habe ich
schon immer gemocht." erzählte er, "für die Filmrolle habe
ich mich erst entschieden, als ich sicher war: Der Film würde
die Broadway-Aufführung noch übertreffen."
CHICAGO handelt von zwei schlechten Künsterinnen, die jeweils
zu Mörderinnen und darüber dann zu Medienstars werden. Mord
als schöne Kunst betrachtet, beziehungsweise als Fortsetzung
des Showgeschäft mit allen Mitteln. Indem der Film Menschen
zeigt, die bereit sind, wirklich alles zu tun, um einmal im
Rampenlicht zu stehen, ist er auch eine kluge Satire auf das
Filmgeschäft, ein denkbar treffender Berlinale-Auftakt.
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Ein großes Drama, universale Themen, und doch ist alles
ganz leicht, so leicht, dass Menschen hier sogar durch die
Luft fliegen. Die Berlinale hat kaum erst begonnen, da hat
sie schon ihren ersten Favoriten: HERO, der neue Film von
Zhang Yimou ist, wie der Titel schon vermuten lässt, eine
Heldensage, ein Märchen aus der mythisch-vorgeschichtlichen
Zeit des Reiches Qin, kurz vor dem Bau der Chinesischen Mauer.
Zhang, der durch symbolträchtige Historien-Epen wie ROTES
KORNFELD weltberühmt und häufig ausgezeichnet wurde, betritt
hier Neuland: Ein Film im zur Perfektion gebrachten Kampfkunst-Stil
des Hongkong-Kinos, aber eine ernste Geschichte, ähnlich dem,
was Ang Lee 2000 im vierfach oscarprmierten TIGER & DRAGON
erprobte. Zugleich ist unübersehbar, dass sich Zhang dem Stil
des großen Akira Kurosawas annährt, und zwar gleich doppelt:
Zum einen in der Form Massen bildgewaltig zu choreographieren,
mit Menschen auf der Leinwand zu malen. Doch ebenso in der
Erzählstruktur: Denn Zhang erzählt seine Geschichte von den
vier unterschiedlichen Helden, die so poetische Namen tragen,
wie "Gebrochenes Schwert" und "Fliegender Schnee", sich alle
gegen den König auflehnen, ähnlich wie Kurosawas Klassiker
RASHOMON in vier verschiedenen Varianten ein und desselben
Geschehens. So bleibt auch die Botschaft des Films, der schon
jetzt der erfolgreichste der chinesischen Filmgeschichte ist,
und zugleich in Zhangs Heimat auch für politischen Streit
sorgte, gewollt ambivalent: Sie kann fatalistisch wie optimistisch
verstanden werden, als verstecktes Plädoyer für Widerstand,
wie als Anbiederung an die Pekinger Diktatur.
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Wichtiger als Story sind aber die Bilder von HERO: Eine
Farborgie in Rot, Blau, Weiß und Jadegrün, voll traumhafter
filmischer Einfälle, mit Witz und Stilisierungswillen. Film
als Kunst der entfesselten, "reinen" Bewegung verstanden;
pathetisch, sinnlich und schwelgerisch.
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Das Gegenteil davon erlebte man bei IN THIS WORLD vom Briten
Michael Winterbottom, der in I WANT YOU und THE CLAIM selbst
schon mehrfach bewiesen hatte, dass er leidenschaftlich und
äußerst sinnlich erzählen kann. An Leidenschaft fehlt es ihm
auch diesmal überhaupt nicht, zugleich ist der Film der Beweis,
dass "gut gemeint" manchmal das Gegenteil von gut sein kann.
"Erfahrung macht dumm" hat Fassbinder einmal formuliert, und
auch Winterbottom lässt sich vom Leiden der weltweit über
14 Millionen Flüchtlinge zu einem Thesenstück hinreißen, dass
leider filmisch völlig uninspiriert bleibt: Es beginnt wie
der Episodenfilm 11.09.01: Kinder in einem elenden Flüchtlingslager
in Pakistan am Rand der afghanischen Grenze. Man beobachtet
zwei Jungen auf ihrem absehbar scheiternden Versuch, sich
durch Pakistan Iran, und die Türkei bis in den Westen durchzuschlagen.
Das Pathos ist in diesem Fall ein falsches, weil der Regisseur
nicht auf visuelle Verführung sondern auf bereits vorher vorausgesetzte
Überzeugungen setzt, weil er Zwischenbilder hineinschneidet,
Musik darunter und darüber schmiert, die beim Zuschauer nur
eine mögliche Reaktion zulassen wollen, ihm so die Freiheit
des Urteils nehmen, und gerade die Anteilnahme zerstören,
die der Film doch befördern will.
Der Film wurde mit Laien an Originalschauplätzen mit Handkamera
gedreht, und ist gewiss ein politisch engagiertes und moralisch
sympathisches Stück Kino. Um daraus einen wettbewerbstauglichen
Film zu machen, fehlt Winterbottom aber die Distanz.
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"Ich hätte mich nicht in der Rolle der Virginia Woolf besetzt."
- Nicole Kidman schien es wirklich ehrlich zu meinen, als
sie mit diesem Satz die Weltpresse gestern kurz ins Staunen
versetzte. Denn in Stephen Daldrys abwechslungsreicher Verfilmung
von Michael Cunninghams literarischem Vexierspiel THE HOURS
ist der australische Weltstar in der Rolle der britischen
Schriftstellerin zu sehen - mit künstlichem Nasenhöcker nicht
ganz so gutaussehend wie gewohnt.
"In der Schule habe ich Woolf noch gehasst." berichtete sie
zur Premiere des Films im Wettbewerb der Berlinale, "es war
alles soooo langweilig." Darum sei sie für diese Rolle besonders
dankbar. "Sie kam zum richtigen Zeitpunkt, gab mir die Möglichkeit,
diese merkwürdige Frau besser kennenzulernen. Sie war intellektuell
so stark und emotional so zerbrechlich."
Zugleich berichtete Kidman, deren Auftritt auch diesmal so
souverän und intelligent und gutaussehend, so rundum perfekt
war, wie man es von der gern auf Filmfestivals reisenden Darstellerin
seit Jahren gewohnt ist, von anderen Literaturerfahrungen.
Dass sie überhaupt Schauspielerin geworden ist, haben die
Welt und ihre Fans gewissermaßen Leo Tolstoi zu verdanken:
"Schon als junges Mädchen las ich "Krieg und Frieden". Und
weil ich unbedingt einmal die Natascha sein wollte, beschloß
ich, Schauspielerin zu werden." Daneben brach Kidman eine
Lanze für die Literatur als solche, und forderte, als wolle
sie sich gleich für die Rolle der UNICEF-Bildungsbotschafterin
bewerben: "Man sollte wieder mehr lesen! Ich kann mich richtig
in Romanen verlieren, lese besonders gern die britischen Romantiker
wie Byron und Shelley, oder die Bronte-Schwestern."
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Si non e vero - Falls das alles nicht ganz wahr sein sollte,
ist es zumindest gut erfunden. Viel Zeit für Lektüre kann
die 35jährige im letzten Jahr allerdings nicht gehabt haben,
denn 2003 wird man sie gleich in drei weiteren Filmen sehen:
Dass ihre Regisseure dabei Lars von Trier, Peter Benton und
Anthony Minghella heißen, beweist vor allem eines: Nicole
Kidman ist derzeit nicht nur einfach eine der gefragtesten
Filmschauspielerinnen, sie kann es sich auch erlauben, nur
mit wirklich guten Regisseuren zusammenzuarbeiten, nur die
Rollen zu spielen, die ihren Ansprüchen genügen: "Filme sollten
Magie und Illusionen erzeugen, und das auf geistreiche Weise."
Doch auch hier bewies Kidman schnell wieder, dass ihr Erfolgsgeheimnis
vor allem in skeptisch-kühler Intelligenz besteht: "Ach dieses
ganze Gerede" stöhnte sie, "heute gebe es alle möglichen Rollen
mit weiblichen Hauptfiguren, Frauen dürften plötzlich auch
dominant sein... - meiner Meinung nach ist das allenfalls
eine überfällige Gleichberechtigung. Und im nächsten Jahr
kann es schon wieder ganz anders aussehen."
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Wer mit Kino vor allem weite, geöffnete Räume und ihre Gestaltung
durch die Kamera verbindet, der kam in der ersten Hälfte des
Berlinale-Wettbewerbs bisher kaum auf seine Kosten: Es dominieren
die Kammerspiele, klaustrophobisch verengte Zellen, geradezu
programmatisch eingegrenzte Schauplätze, die - wie etwa in
THE LIFE OF DAVID GALE von Alan Parker und Isabel Croixets
herausragendem (dazu später mehr) LIFE WITHOUT ME - oft genug
nur ein Spiegel der Verengungen, Ängste und Autismen sind,
in denen sich die Charaktere gefangen finden.
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Dabei ist das Grundstück und die Villa, in der die Familie
Chapin-Vasseur lebt, immerhin von altmodisch-großbürgerlicher
Pracht: Ein Haus, zwei Familien, drei Generationen bilden
die Grundsituation in LA FLEUR DU MAL, Claude Chabrols neuesten
Film, der gestern seine Premiere erlebte. Um Charles Baudelaires
fast gleichnamigen, epochemachenden Gedichtband geht es dabei
am wenigsten, es sei denn, man erinnert sich an die Verfallserscheinungen
einer dekadenten Gesellschaft, die der Dichter beschrieb,
an schwül-überladene Atmosphären, die wie auch bei Baudelaire
in diesem Film dominieren. LA FLEUR DU MAL ist ein in jeder
Hinsicht typischer Chabrol: Ein bürgerliches Thriller-Kammerspiel
um Schuld und Sühne, voller sarkastischer Seitenhiebe auf
den fragwürdigen Charme der Bourgeoisie. Natalie Baye spielt
Anne eine starke Frau, die politische Karriere macht, während
ihr schwacher reicher Mann hemmungslos fremdgeht. Im Haus
leben auch eine alte Tante mit gutem Gedächtnis, auch an Familienvergangenheiten,
die alle lieber unter den Teppich kehren würden, und Michèle,
die Tochter aus erster Ehe. Als Annes Stiefsohn Francois kurz
vor der Wahl aus Amerika zurückkehrt, eskalieren die Ereignisse:
Ein anonymer Brief bringt lange verborgene Verbrechen zum
Vorschein, Michèle und Francois lieben sich, und am Ende steht
ein Mord, der niemandes Gewissen weiter belastet.
Vor allem aber erzählt der Film von zwei Familien, deren
Geschichte sich offenbar mit schicksalhafter Notwendigkeit
seit Generationen wiederholt. So bietet der 73jährige Chabrol
hier eine weitere Variation seines Lebensthemas: Die kleinen
Geheimnisse und die großen Verbrechen hinter der Fassade von
Anstand und guten Sitten - "trotzdem voller Optimismus" wie
der Regisseur im Gespräch betonte: "Es gibt Entwicklungen
zum Besseren, aber eben nur langsam."
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Von der Macht des Schicksal erzählt auch Steven Soderbergh:
SOLARIS, die Verfilmung von Stanislav Lems gleichnamiger,
längst zum Klassiker avancierter Novelle, ist nach Tarkowskis
fast 30 Jahre altem Film eine neue Interpretation des Stoffs
ganz aus ganz eigenem Recht. Eindrucksvoll spielt George Clooney
die Hauptrolle des Kelvin, eines Weltraumreisenden, der in
der fernen Zukunft auf eine Raumstation reist, um merkwürdige
Geschehnisse zu erforschen. Ein Freund (in kurzer Nebenrolle:
Ulrich Tukur) hatte ihn um Hilfe gebeten. Bald nach seiner
Ankunft realisiert er, dass sich dort offenbar Träume und
Personen aus dem Bewusstsein der Stationsbewohner materialisieren.
Und so sieht er sich auch bald mit dem fleischgewordenen Abbild
seiner Frau konfrontiert, die sich vor Jahren umbrachte.
SOLARIS ist ein spannendes, philosophisches Drama. Im Unterschied
zu Tarkowski setzt Soderbergh den Dialog nur äußerst sparsam
ein, versucht eine Atmosphäre zu erzeugen, die dem psychodelischen
Trance von Kubricks "2001" weitaus mehr ähnelt. Ein konzentrierter
Film über die Leere, und den vergeblichen Versuch eines Menschen
seinen Erinnerungen zu entfliehen.
Während SOLARIS vor allem für einen Regiepreis gut sein könnte,
kann man sich einige aus Chabrols Ensemble durchaus als Träger
eines Schauspielpreises vorstellen: Zwei der besseren Filme,
aber zu eigen und zu verspielt, um den Wettbewerb zu gewinnen.
Da darf man eher auf andere hoffen: George Clooney mit seiner
ersten Regiearbeit vielleicht, in jedem Fall aber Patrice
Chereau und Spike Lee. Der wird hier allemal schon von allen,
die den Film kennen, als Favorit gefeiert. Zu echt, den THE
25th HOUR, eine Drama und eine Eloge auf New York, ist einfach
toll. Auch dazu, nächste Woche mehr.
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Wenn das Kino von der Vergangenheit spricht, hat es offenbar
zwei Möglichkeiten: Entweder es färbt sie bunt, oder es malt
Grau in Grau. Stefan Krohmer hat sich für die zweite Variante
entschieden, und das mag nicht nur an seiner Geschichte liegen.
In seinem ersten Kinofilm SIE HABEN KNUT reist Krohmer, der
bisher vor allem mit dem ehrgeizigen TV-Drama ENDE DER SAISON
zu Recht erste Lorbeeren erntete, zurück in einen eisigen
Winter des Jahres 1983. 68 ist lange vorbei, die Grünen noch
gerade in den Bundestag gewählt, und auch die Friedensbewegung
hat ihren Höhepunkt längst hinter sich, aber die Gruppe von
Endzwanzigern, die auf einer Skihütte in Tirol mehr zufällig
einige Tage miteinander verbringen, spricht noch immer von
"sie" und "dem System", wenn sie den Staat meint. Aber Politik
bildet nur den vagen Hintergrund für Krohmers Kammerspiel.
Mehr Aufmerksamkeit widmet er der Rekonstruktion von Diskursen
und Redeweisen, die aus heutiger Perspektive fast wie aus
der Steinzeit anmuten. Hinter den sozialpädagogischen Floskeln,
dem diffusen Psychogerede und dem Beziehungsgelaber entdeckt
sein Film den Gruppenterror: Selbstmitleid und -gerechtigkeit,
militantes Spießertum.
Mitunter kostet SIE HABEN KNUT dabei zu stark die Klischees
aus, in denen heute der Blick auf das linksliberale und alternative
Milieu um 1980 erstarrt ist, doch erzählt sein Film vor allem
vom Beginn des rasanten Rückzuges ins Private und in Entpolitisierung,
der die westlichen Gesellschaften der letzten zwei Dekaden
prägte. Hinter allem Gerede streift sein Film existentielle
Fragen, wenn Krohmer sich mit viel Sensibilität und scharfer
Beobachtung seinen Figuren, vor allem dem von Valerie Koch
und Hans-Jochen Wagner ausgezeichnet verkörperten ungleichen
Paar im Zentrum seiner Story, nähert, sie nicht zur Karikatur
gerinnen lässt, sondern noch hinter persönlichen Schwächen
eine tiefern Sehnsucht nach emotionaler Wärme aufzeigt. Dass
diese auch im Privaten, in neuen Beziehungen oder dem Spontansex
- im Iglu! - nicht zu finden ist, verschweigt der Film keine
Sekunde.
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SIE HABEN KNUT eröffnete die Reihe "Perspektive Deutsches
Kino", die in diesem zum zweiten Mal auf der Berlinale läuft.
Die von Alfred Holighaus aufmerksam geleitete Sektion ist
der deutlichste Ausdruck der neuen Offenheit fürs deutsche
Kino, die sich Dieter Kosslick bei seinem Amtsantritt auf
die Fahne geschrieben hatte. Die hier gezeigten größtenteils
Filme repräsentieren besser, als die drei deutschen Wettbewerbsfilme
von etablierten und dabei nicht unbedingt typischen deutschen
Regisseuren, oder herausragende, unbedingt kinotaugliche TV-Filme
wie Christian Petzolds großartiges Melodram WOLFSBURG, das
im "Panorama" läuft, was wirklich gerade los ist im deutschen
Kino, wo Stärken und Schwächen liegen.
Offenbar gibt es wieder mehr Interesse fürs Komische: Schon
Krohmers Film war bei allem Ernst für einige Lacher gut. Als
eine - wenn es das geben sollte - Klamotte für Erwachsene
erwies sich das Debüt BEFREITE ZONE von Norbert Baumgarten,
eine weitaus buntere Reise in die unmittelbare Vergangenheit:
Ein Panorama der ostdeutschen Provinz Mitte der 90er, der
örtliche Fussballklub schafft es sensationell und dank dem
afrikanischen Stürmer "Blondie" ins DFB-Pokalfinale. Bauunternehmer
und Staubsaugervertreter, lüsterne Mädchen und gewaltbereite
Jugendliche lassen kaum ein Vorurteil aus, doch schafft es
Baumgarten, seinen Figuren dabei immer überraschende Wahrhaftigkeit
und Tiefe zu geben. In seinen besten Momenten erinnert "Befreite
Zone" an den realitätshungrigen Blick britischer Sozialkomödien.
Zu den Höhepunkten die in der Reihe noch bevorstehen gehört
Martin Gypkens' WIR. Dieser episodische Coming-Of-Age-Film
besitzt überdies eine Qualität, die Krohmer und Baumgarten
noch fehlt, und die auch dem einen oder anderen größeren Namen
im Wettbewerb zu wünschen wäre: Den erkennbare Anschluss an
die Filmtradition, das souveräne Wissen darum, dass man nicht
allein ist auf der Welt.
Rüdiger Suchsland
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