Der Berichterstattung über die Berlinale nach zu urteilen,
war der meistgehörte Satz des diesjährigen Festivals
neben der jetzt schon legendären Selbstbezichtigung Dustin
Hoffmanns "I'm not anti-american" die ungleich bejahendere
Aussage "I'm a talent". Unterschiedlicher können
die Bewußtseine nicht sein: Hier die Altstars, die sich
seit dem 11. September jenseits der vorgegebenen Political
Correctness äußern und das nationale Selbstbewußtsein
zum Kollaps treiben. (Wie zuletzt in dem Film 11'09''01 mit
dem äußerst zynischen, aber wie ein Befreiungsschlag
von der amerikanischen Diktion wirkenden Beitrag von Sean
Penn, aber war der nicht ohnehin immer schon der Böse
Bube des amerikanischen Kinos gewesen? Kein Respekt vorm Denkmal!,
so möchte man ausrufen, wenn das durch den einstürzenden
World Trade Center befreite Licht selbst verdorrte Blütenträume
wieder sprießen läßt.) - Dort das noch ganz
unschuldige Volk der Regie-"Talente", das dieses
Jahr die große Chance gekommen sah, auf internationalem
Parkett zu erforschen, worum es beim Filmemachen immer auch
geht: Nicht um das große Geld, aber doch immer auch
um Geld.
Was dem Altstar geziemt, das soll der Jungstar meiden - so
scheint es zumindest. Der erstmals auf der Berlinale ausgerufene
Berlin Today Award, der künftig jedes Jahr drei noch
unbekannte Jungregisseure casten will, finanziert die Realisierung
eines Kurzfilmprojektes, und auf der nachfolgenden Berlinale
werden diese drei Kurzfilme ins Rennen um den Gewinner geschickt
(etwa in einer neuen Kategorie "Bester unbekannter Regisseur"?).
Es lebe das Talent der Talente! Immerhin förderte das
ausgerufene Großcasting (etwa 500 "people"
waren vor Ort, um schon mal "erste Kontakte" zu
Produzenten etc. zu knüpfen) ein erfrischend-ungebrochenes
Selbstbewußtsein hervor: "Hallo, ich bin ein Talent",
wer kann schon von sich behaupten, sich jemals so vorgestellt
zu haben?
Die Stoßrichtung des Berlin Today Award ist eindeutig:
"The name is the game", wie es so schön als
moderne Variante des ungleich altbackeneren nomen est omen
auf der offiziellen Homepage heißt (www.berlintoday.de).
Der Name bestimmt das Spiel: so müssen die in den Wettbewerb
geschickten Exposées Berlinbezug haben, und, wie es
augenzwinkernd in den Teilnahmekonditionen heißt: "Where
you produce your visions of Berlin is entirely up to you,
but if you want to shoot in Berlin you're perfectly welcome
to do so." Trotz aller Berlinfixiertheit kann das immer
noch spannend werden, und zum Glück heißt die Berlinale
auch Berlinale und nicht etwa Filmfestspiele an der Spree,
am Ende käme ein Investor auf die Idee, das alles nach
München..., und was würde dann aus dem Berlinbezug?
Nein, Berlin bleibt Berlin, oder eben nicht. Aber Wiedervereinigung
hin, Neue Mitte her, haben wir denn nicht schon so schöne
Filme und so wunderbare Geschichten über das neue alte
Berlin? Zuletzt GOOD BYE LENIN mit Katrin Saß, die ich
ausdrücklich erwähnt haben möchte neben dem
neuen "Shooting-Star" Daniel Brühl, der die
Generation von HEIDI M. beerbt.
Die historische Schwellenüberschreitung scheint immerhin
klammheimlich-offensichtliche Vorgabe für das Talent-Projekt
zu sein: Auf der Site von berlintoday zu sehen ist der Checkpoint
Charly, der ja nun jedem Touristen bekannt sein dürfte
(und nur mein ungeduldiges Auge interpretierte ihn noch während
des Aufbaus der Seite sogleich als Filmannonce zu SONNENALLÉE,
wegen der grünen Uniform des Grenzsoldaten, der als plakatgewordenes
Gedächtnis für immer in die historische Ikonographie
eingegangen ist). Hoffen wir, daß die Jungstars und
die Jury der sechs Juroren (ein Repräsentant des Berlinale
Talent Campus, einer vom Sponsor Filmboard Berlin-Brandenburg,
einer von der begleitenden Produktionsfirma, dann Andreas
Dresen, Esther Gronenborn und Volker Schlöndorff) sich
in ihrem Berlinbild etwas nischenhafter erweisen werden als
der Checkpoint Charly, und sie abseits des Dieter-Bohlen-Effektes
(der eine moderne Art der Wiedergeburt feiert, indem er sich
selbst zum Superstar klont) auch das nicht Plakative beachtenswert
finden werden. Allerdings ist ja der Berlin Today Award (the
name is the game!) auch das neue Aushängeschild einer
ganz neuen Berlinale "zum Anfassen" unter der immer
noch neuen Leitung des in der Tat äußert sympathisch
wirkenden Dieter Kosslick - und muß also nichtsdestotrotz
allerhand Werbewirksamkeit beweisen. Also, Jung-Regisseure
aller Welt, wirbt für Berlin und die Berlinale! Aber
paßt auf, daß nicht auch euch die Selbstzweifel
ob des Monumentalen erfassen und ihr euch plötzlich sagen
hört: "Ick bin keen Baliner!"
Dunja Bialas
|