Der Tod steht Pate bei der diesjährigen Berlinale. Bei
fast jedem Wettbewerbsfilm tritt er in einer seiner Masken
in Erscheinung. In seinem Regiedebut CONFESSIONS OF A DANGEROUS
MIND beispielsweise erzählt Hollywoodbeau George Clooney
die unglaubliche Geschichte der TV-Legende Chuck Barris, der
die Welt mit Quizformaten wie der Gong-Show und Herzblatt
beglückte und nebenbei als Auftragskiller für die
CIA unterwegs war. Ein lachender Todesengel, süchtig
nach dem ultimativen Kick, den ihm nur das Töten verschafft.
Die Kugel im Kopf als konsequente Fortsetzung all der öffentlichen
Hinrichtungen, die er an unzähligen untalentierten Möchtegernstars
in seiner Gongshow vor Millionenpublikum durchführte.
Eine bürgerliche Version des Mordens führt Claude
Charbrol in LA FLEUR DU MAL vor: Dort machen die Mitglieder
eines Familienclans einander in einer Art karmischen Endlosschleife
in jeder Generation aufs neue den Garaus.
Den Tod als staatlich angeordnetes Racheinstrument zeigt
Allan Parker in THE LIFE OF DAVID GALE. Ausgerechnet ein engagierter
Streiter gegen die Todesstrafe landet in diesem Thriller mit
humanistischer Botschaft im Todestrakt.
Um das Recht, sein Leben selbst zu wählen bis hin zum
Zeitpunkt des eigenen Todes dreht sich THE HOURS. Virginia
Woolfs Buch "Mrs. Dalloway" wird zum Aufhänger
für das Leben dreier Frauen in unterschiedlichen Jahrzehnten.
Da ist zum einen Virginia Woolf selbst, gespielt von einer
bis zur Unkenntlichkeit verwandelten Nicole Kidman, die sich
gleich zu Beginn auf der Flucht vor ihren Wahnvorstellungen
im Fluss ertränkt. Da ist Laura Brown, die glaubt der
liebevollen Umklammerung einer Vorortehe der fünfziger
Jahre nur durch den Tod entkommen zu können. Und da ist
der aidskranke Dichter Richard, der zu seiner treusorgenden
Freundin und Jugendliebe sagt: "Ich lebe nur noch, um
Dich zufriedenzustellen". Ganz wie bei Mrs. Dalloway
spiegelt sich in der Momentaufnahme eines Tages das gesamte
Leben der Frauen wieder. Und jede von Ihnen trifft im Verlauf
des Tages eine essentielle Entscheidung - sei es für
das Leben oder dessen Beendigung.
Den Tod mit allen Mitteln abzuwenden - darum geht es zur
Abwechslung in der deutschen Komödie GOOD BYE, LENIN!
von Wolfgang Becker. Um seiner herzkranken Mutter den zweifellos
tödlichen Schock des Mauerfalls samt turbulenten Konsequenzen
zu ersparen, erschafft Alex ein sozialistisches Paralleluniversum
in 79 Quadratmetern Plattenbau. Wie in The Hours stehen die
Protagonisten irgendwann vor der Wahl, sich entweder für
die Welt und das Leben zu entscheiden oder durch Tod und Lüge
vor dem eigenen Schicksal zu fliehen.
Steven Sonderbergs SOLARIS verwischt die Grenzen zwischen
den Lebenden und den Toten. Auf der Raumstation Prometheus
begegnet der Psychologe Dr. Chris Kelvin seine Frau Rhyna,
die sich vor Jahren das Leben genommen hatte. Kelvin muss
entscheiden, ob Rhyna ein Geschöpf seiner von Schuldgefühlen
geprägten Imagination ist oder ein Wesen aus Fleisch
und Blut.
Der bewegendste und dabei unprätentiöseste Beitrag
zum Thema Leben und Sterben stammt jedoch von der Spanierin
Isabel Croixet. In MY LIFE WITHOUT ME erzählt sie die
Geschichte der 23järhigen Ann, die mit ihrem arbeitslosen
Mann und zwei kleinen Töchtern in einem Wohnwagen auf
dem Grundstück ihrer Mutter lebt. Zwischen ihrer allnächtlichen
Arbeit als Putzfrau, Kinderbetreuung und Haushalt bleibt ihr
wenig Zeit für Träumereien. Bis die Nachricht, dass
sie nur noch kurze Zeit zu leben hat, sie aus dem Alltagstrott
herauskatapultiert. Ann beschließt, niemandem etwas
von der Hiobsbotschaft zu erzählen. Den Tod vor Augen
entwickelt sie nicht nur den Mut, mit diesem Wissen allein
fertig zu werden, sondern auch ungeahnte Lebenslust und Sensivität.
Dafür, wie es sich anfühlt, sich vom Regen durchnässen
zu lassen. Für den Geschmack eines Ingwerbonbons. Für
den Boden unter ihren nackten Füßen. Ann schreibt
eine Liste von Dingen, die sie vor ihrem Tod noch erledigen
will. Von scheinbaren Kleinigkeiten wie falschen Fingernägeln
über "Immer sagen, was ich denke" bis hin zu
Nachrichten an ihre Lieben. Die Botschaft des Films ist ebenso
einfach zu verstehen wie schwierig zu leben: Eine Liste, wie
Anne sie macht sollte jeder für sich aufstellen - und
dann danach leben.
Nani Fux
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