"Reality is boring" - so beschreibt Computergame-Designer
Shono aus dem Film TOKYO NOISE (Sonntag, 4.5.,22.15
Uhr, Arri) das Leben jenseits des Cyberspace. Das dem nicht
so ist, beweist ab Freitag einmal mehr das Dokfestival München.
Rund hundert Filme laden dazu ein, sich überraschen,
unterhalten, bewegen und nachdenklich stimmen zu lassen. Dokumentarfilmer
sind eben eine unglaublich neugierige Spezies. Ausgerüstet
mit Kamera und Mikrophon gehen sie auf Entdeckungsreise in
ferne Welten. Und oft genug liegt so ein fremdes Paralleluniversum
gleich neben an.
Eines davon ist der PLANET HASENBERGL. Schicke Menschen
aus Schwabing oder Haidhausen verirren sich nur selten in
die berüchtigte Hochhaussiedlung. Wer hier aufwächst
hat das Stigma des Ghettokids weg. Claus Striegel erzählt
von Hoffnungslosigkeit und Wut der Kinder aus der Münchner
Bronx und wie es dem Förderprojekt Lichttaler gelingt,
bei vielen den Karren noch einmal herumzureißen. (Samstag,
3.5., 17.00 Uhr, Gasteig)
Ein paar Kilometer weiter, jenseits der österreichischen
Grenze: Nach dem Wahldebakel 2001 nehmen vier Filmemacher
Stellung ZUR LAGE der Nation. Unter ihnen auch Regisseur
Ulrich Seidl, der schon in seinem Spielfilmdebüt Hundstage
einen ebenso schonungslosen wie schmerzlichen Blick auf seine
Landsleute warf. Was sie aufdecken ist ein Österreich,
jenseits von Küss die Hand und Heurigenseligkeit, das
einen sämtlicher heimatfilmgeprägter Illusionen
beraubt. (Dienstag 6.5., 20.30 Maxim, Samstag, 10.5. 18.00
Uhr, Rio)
Ebenso gnadenlos wie seine österreichischen Kollegen
beleuchtet auch Thomas Heise in VATERLAND das Leben
in seiner Heimat. In der ostdeutschen Provinz, wo das angejahrte
Trompetenduo Rita und Klaus zu den kulturellen Höhepunkten
zählt, lautet die Devise noch immer "Lieber zehn
Russen als einen Wessi". Eine bitterböse, tragikomische
und dokumenterfilm-ethisch nicht immer ganz einwandfreie Lektion
in Heimatkunde. (Dienstag, 6.5., 15.00 Uhr Filmmuseum, Mittwoch
7.5. 18.00 Uhr, Rio)
Das irrwitziges Roadmovie GOLDEN LEMONS erzählt
vom Abenteuer einer Tournee quer durch die USA. Die Jungs
von der Punkband Die Goldenen Zitronen geben die Vorband
für den schizophrenen Wahnsinnsknaben Wesley Willis.
Filmemacher Jörg Siepmann bekam vom paranoidem Manager
des Stars erst einmal Drehverbot verordnet. Ein Alptraum für
jeden Regisseur. Siepmann blieb am Ball und erinnert sich
heute: "In sicherer Entfernung fuhr das Raumschiff Tourbus
unerreichbar, abgeschottet vor uns her. Nach sechs Tagen ohne
Schlaf erhielten wir unerwartet Grünes Licht und die
Bustür öffnete sich...." Eine Begegnung der
dritten Art. (Dienstag, 6.5. 22.15, Arri)
Einen durch und durch klassischen Dokumentrfilm im besten
Sinne hat Altmeister Erich Langjahr im Gepäck. Mit HIRTENREISE
INS DRITTE JAHRTAUSEND legt er den letzten Teil seiner
Trilogie über den Bauernstand vor. Über Jahre begleitete
er Wanderhirten auf ihren einsamen Märschen. In kontemplativen
Einstellungen porträtiert Langjahr einen der ältesten
Berufe der Menschheit als Kontrapunkt zur modernen Welt. "Wird
ihnen denn nie langweilig?", fragt eine Radioreporterin
den Hirten. Die Frage löst pures Unverständnis aus.
In der Natur gibt's schließlich immer was zu entdecken.
Und wer einmal die Erfahrung gemacht hat, dass er zum Leben
nicht viel mehr braucht, als Schlafsack und wasserfeste Plane,
bei dem haben die Alltagssorgen neurotischer Stadtbewohner
keine Chance. (Donnerstag, 8.5. 15.00 Uhr, Filmmuseum, reitag
9.5., 18.00 Uhr Maxim)
THE DAY I WILL NEVER FORGET lautet das Thema für
eine Schulaufgabe. Doch statt von ihrem schönsten Ferienerlebnis
trägt Fouzia ein geicht vor, dass vom Tag ihrer Beschneidung
erzählt. Die Auseinadersetzung junger kenianischer Frauen
mit einer häufig traumatisiernden Tradition, ihren Eltern
und ihrer kulturellen Identität. (Sonntag, 4.5., 20.30
Maxim, Donnerstag, 8.5., 20.30 Filmmuseum)
"Ich bin jemand, der eher in den Schatten hinein schaut,
und versucht ein bisschen Licht hinein zu bringen" sagt
Susanne Korbmacher, Sonderschullehrerin am Förderzentrum
Hasenbergl. Und genau diese Haltung ist es auch, die viele
Dokumentarfilmer verbindet, so unterschiedlich die Mikrokosmen
auch sein mögen, die sie beleuchten. Wer sich in der
nächsten Woche auf einige von Ihnen einlässt, geht
vielleicht eine Zeit lang wacheren Blicks durch diese Welt.
Nani Fux
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