Ein kleiner zierlicher Körper, ein großer Kopf:
"Ich will von der Wirklichkeit erzählen" sagt
Samira Makhmalbaf, "ich will beschreiben, was ich beobachte,
will nicht verfälschen. Aber manchmal sind Symbole, ist
eine Wendung ins Abstrakte und Symbolische viel realistischer,
als eine lange Dokumentation." Mit intelligenten, wachen
Augen mustert die junge Regisseurin den Fragesteller, schnelle
Handbewegungen begleiten jedes Wort. Man kann sie sich gut
vorstellen, wie sie am Set das Team und ihre Darsteller dirigiert,
Laien fast alle. "Was soll ich mit Stars?" fragt
sie, "wir haben ja viele im Iran. Aber die Menschen,
die in meinen Filmen spielen, sind doch so viel besser, in
ihrer Direktheit und Klarheit. Stars könnten das nicht."
Manchmal ändere sie die ganze Geschichte, um jemanden,
den sie traf, in den Film einzubauen. Etwa eine junge Mutter,
die in PANJ É ASR auftritt, ihrem neuesten Film, der
nach seiner preisgekrönten Cannes-Premiere jetzt von
ihr persönlich beim Filmfest München vorgestellt
wird. "Ich hörte ihre Stimme, und wusste: Das ist
ein Teil meines Films." PANJ É ASR handelt vom
Dasein junger Frauen im gegenwärtigen Afghanistan, in
zertrümmerten Städten, in einem in zwei Jahrzehnten
in die kulturelle Steinzeit zurückgeworfenen Land. Von
"Befreiung" möchte Makhmalbaf auch jetzt nicht
sprechen: "Was ist das für eine Freiheit, die mit
Bomben gebracht wird? So kann man die dortigen Zustände
nicht ändern. Die Taliban sind nach wie vor da, in den
Köpfen, im täglichen Leben." Aber keine Frage:
"Es ist im letzten Jahr besser geworden, es gibt ein
bisschen mehr Freiheit, Frauen dürfen wieder zur Schule,
wenn auch nur mit Burka."
Makmalbaf weiß, wie es ist, die von strengen Islamisten
vorgeschriebene Totalverschleierung zu tragen: "Man kann
kaum atmen, es ist heiß, man sieht nur wenig."
Die 23jährige ist im Iran der Ayatollahs aufgewachsen,
noch unter recht privilegierten Verhältnissen, als Tochter
des bekannten Regisseurs Mohsen Makhmalbaf. Eine Kinofamilie:
Auch die Stiefmutter macht Filme, der Bruder schneidet und
produziert, "und meine kleine 14jährige Schwester
hat gerade ihren ersten Film fertiggedreht: Eine Dokumentation
über meine Dreharbeiten bei 'PANJ É ASR'".
Zuvor hat die junge Frau schon drei Filme von erstaunlicher
Reife und Konsequenz, voller klugem Humor gedreht, die sämtlich
in München gezeigt wurden: "Der Apfel" mit
17 Jahren war ihr Debüt, bereits ihr zweiter Film "Die
schwarze Tafel" lief im Wettbewerb von Cannes. Zuletzt
steuerte sie eine der besten Episoden zum Kompilationsfilm
"11'09'01 - September 11" bei.
In Afghanistan hat sie aber nicht wegen des jüngsten
Krieges gedreht, oder aus Sensationsgier: "Das Land gehörte
lange zum Iran, wir sprechen die gleiche Sprache, haben die
gleiche Kultur, viele Flüchtlinge von dort leben im Iran.
Und es war einfacher, diesen Film in der gegenwärtigen
Situation in Afghanistan zu machen. Aber ich wollte das Land
nicht nur benutzen, obwohl es natürlich auch eine Geschichte
aus dem Iran, und einigen anderen islamischen Ländern
ist." Die Hoffnung bei Amtsantritt von Präsident
Khatami sei im Iran schnell verflogen: "60 Prozent der
iranischen Bevölkerung sind jünger als ich. Sie
haben andere Träume, sie wollen Wechsel, Bewegung, Demokratie,
Glück. Aber die Alten herrschen. Und so entsteht Wut."
Diese Situation dokumentieren Makhmalbafs Filme: Eine Welt
zwischen Hoffnungslosigkeit und drohender Explosion, voll
dunkler Schönheit. Wer auf die junge Regisseurin trifft,
begreift schnell, wie lohnenswert und spannend es wäre,
Perspektiven wie der ihren häufiger zu begegnen, sich
auf sie einzulassen. Sonst muss sie bald in neuen Trümmern
drehen.
PANJ É ASR läuft noch einmal am Donnerstag
im Sendlinger Tor-Kino, 17 Uhr
Rüdiger Suchsland
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