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Seltsam, wie harmlos das alles ist: Gewalt, Sex und - klar
- vor allem Drogen gibt's genug in SPUN, sowie Versuche, Kamera
und Schnitt im Eiltempo neue Kunststücke abzutrotzen.
Und das ist ja auch alles ganz amüsant, fun while it
lasts, sehenswert schon allein wegen Mickey Rourke als Drogenkoch-Cowboy.
Aber Jonas Åkerlunds Speed-Junkie-Dramödie, Kinodebut
des Videoclip-Meisters, glaubt wohl selbst nicht dran, dass
sie noch irgendwas bewegen könnte, irgendwen im Innersten
berühren, treffen, oder dass sie irgendwelche neuen Bahnen
brechen würde. Es ist ein leerer Film - kein Film leider
ÜBER die Leere des Speed-Rauschs - der mit der Ästhetik
des Tabubruchs spielt, ohne an Tabus zu glauben; der Kindergeburtstags-Geist
von JACKASS herrscht hier, das Spiel mit der kurzzeitigen
Coolness von Ekligem, die Freude eines jungen Publikums an
Dingen, von denen es hofft, dass die Eltern sie ganz furchtbar
fänden. Aber nach dem Ende des Films bleibt kaum was
davon hängen, und verändert hat sich nichts; nicht
in der eigenen Anschauung, nicht in der Entwicklung des Kinos,
nicht in der Welt. SPUN vermittelt auch nicht den Eindruck,
als hätte er je ernsthaft gehofft, solche Spuren hinterlassen
zu können.
Die Zeit solcher Illusionen ist vorbei. Die skeptische Sehnsucht
nach solchen Zeiten scheint zu wachsen.
Die frühen Seventies waren eins der großen Themen
dieses Münchner Filmfests. Das Programm (insbesondere
der American Independents, der mühelos mit Abstand besten
Reihe des Festivals) war voll mit Dokus über alternde
Männer (und gelegentlich auch Frauen), die erzählen,
was sie in den Jahren um und kurz nach '68 alles Großartiges
gemacht haben - und warum sie es heute so nicht mehr tun.
Allein zwei Filme, EASY RIDERS, RAGING BULLS und A DECADE
UNDER THE INFLUENCE widmeten sich dem amerikanischen Kino
der frühen 1970er, dem "New Hollywood"; von
Musikrevolutionären der Zeit, der einflussreichen Band
MC5, von Hippie-Floßfahreren auf dem Colorado-River
und von veritablen Terroristen handelten andere (MC5 - A TRUE
TESTIMONIAL, THE SAME RIVER TWICE und THE WEATHER UNDERGROUND).
Und streng genommen gehört sogar Oliver Stones Fidel
Castro-Interview COMMANDANTE in diese Kategorie...
(Nebenbei: Dass so viele Dokus im regulären Programm
zu sehen waren, setzt einen Trend fort, der in jüngster
Zeit auf vielen Festivals zu beobachten ist. Dahinter steckt
wohl auch ein Gefühl, dass der fiktionale Film eine gewisse
Erschöpfung an den Tag legt, dass er es seltener als
früher schafft, uns einen Blick auf ganz neue Welten
zu eröffnen oder ganz neue Blicke auf unsere Welt. Und
dass er oft zu eingefahren, voreingenommen ist, wenn er "nur"
versucht, die Welt abzubilden. Da hat der Dokumentarfilm prinzipbedingt
die offeneren Augen - und sein Gelingen ist weniger an formale
Meisterschaft geknüpft: Einer halbwegs ordentlich gemachten
Doku reicht ein spannendes Thema, um zu fesseln.)
Die Zeit der '68er ist inzwischen weit genug weg gerückt,
dass sie sich für zusammenfassende, ordnende Dokumentation
eignet, dass sie mit einer gewissen Ironie gesehen werden
kann, ihre Kämpfe eher interessiert-mildes Lächeln
wecken als Erinnerungen an noch immer frische Wunden. Und
unsere Ära ist so anders, dass sie vieles vermisst von
damals.
Eine gewisse Nostalgie ist bei fast allen der interviewten
Protagonisten zu spüren, auch bei denen, die den Kampf
freiwillig und aus Überzeugung aufgegeben haben, angepasst
und bürgerlich geworden sind. Mehr noch bei denen, denen
die Kraft und die Möglichkeiten ausgegangen sind, sich
weiter gegen den Mainstream zu stemmen. Und dann immer die
wenigen, für die sich nichts geändert hat, außer
dass sich die Welt nicht mehr sonderlich für sie interessiert,
die tief in ihrem Kopf mit den alten Feindbildern weiterleben,
nicht selten verbittert, verhärmt. Vielleicht hatten
nicht immer die das schlimmste Schicksal, die gestorben sind,
als ihre Ideale noch haltbar sind.
And den gealterten Dauer-Rebellen sieht man am besten, wo
das Problem mit der Sehnsucht nach den Sechzigern, Siebzigern
liegt: So gern würden wir etwas zurückgewinnen von
deren Frische, dem Entdeckergeist, dem Gefühl, dass alles
möglich ist, dass man sich die Welt nach seinem Bilde
formen kann. Aber das ist schwer zu haben ohne eine Welt(sicht),
in der die Rollen von Gut und Böse ziemlich klar verteilt
sind, in der es Dinge gibt, die man bedenkenlos und mit gutem
Gewissen kaputthauen mag. Das Revolutionäre braucht ein
Altes, das es ohne Unterschied wegfegen möchte. Und das
umgekehrt die Revolution auch als solche ansieht, sie als
Gefahr betrachtet.
Dass diejenigen, die heute etwas verändern wollen am
status quo, zumeist die Dinge komplexer sehen, dass sie nicht
mehr ein "Schweinesystem" positionieren, das in
all seinen Manifestationen und mit all seinen Vertretern sozusagen
zum Abschuss freigegeben ist, mag dem revolutionären
Impetus schaden, aber es ist ein Zeichen der Reife. In diesem
Punkt kann man sich eine Rückkehr zu den alten "Idealen"
auch nicht ernsthaft wünschen.
Aber auch da, wo wir uns auf rein ästhetischen Schlachtfeldern
befinden, in Film, Musik, Literatur, Kunst, ist es ungleich
schwieriger geworden, Gegenpositionen zu beziehen. Nicht nur,
weil die noch gänzlich unerprobten Möglichkeiten
dieser Künste immer schneller schrumpfen - was immer
man probiert, man kann fast sicher sein, dass irgendwer irgendwo
schon Ähnliches gemacht hat, zumal gerade im Kino die
Stilwechsel nicht mehr epochen- sondern wochenweise stattzufinden
scheinen. Sondern vor allem, weil immer weniger eine monolithische,
allgemeinverbindliche Kultur zu greifen ist, die als Basis
jeder ästhetischen Auseinandersetzung dienen könnte.
Alles verwuselt sich in Sparten und Nischen, und die wenigen
Dinge, die noch eine ganz große und demographisch halbwegs
breit gestreute Masse erreichen, wie "Wetten, dass...?",
sind nur schwer als ernstzunehmende Kulturleistungen aufzufassen,
mit denen man in einen ästhetischen Diskurs treten könnte.
Die Helden des "New Hollywood" hatten noch als Folie
die Filme eines Studiosystems, dessen Regeln, wie Kino gemacht
zu sein und auszusehen hat, ziemlich fest, eng und allen vertraut
waren. Man spürt den frühen Werken dieser jungen,
wilden Garde noch heute an, welch Abenteuer es damals war,
die Kamera vom Stativ zu holen, auf der Straße zu drehen,
das Erzählen für sich neu zu erfinden - und nicht
zuletzt bekam man bei den Filmfest-Dokus über diese Zeit
wieder unbändig Lust, diese Streifen zu sehen. Und das
Verrückte: Damals, als die strenge Vertriebsbindung von
den großen Studios zu den Kinos weggebröckelt war,
erreichten diese Filme auch noch ein Publikum, das gänzlich
unvorbereitet auf sie war.
Inzwischen ist es wieder ganz undenkbar geworden, dass jemand
z.B. am Samstag abend ins Cinemaxx in den großen Saal
ginge und ihn dort ein Lars von Trier-Film erwartete. Das
kapitalistische System entschärft potentiell subversive
Kulturprodukte nicht, indem es sie verbietet, sondern indem
es sie immer effizienter in spezialisierte Vertriebswege kanalisiert.
Immer geringer wird die Gefahr, dass Menschen mit Gedankengut
konfrontiert werden könnten, dass sie erschüttert,
herausreißt aus ihrer bisherigen Meinung. Vor wenigen
Jahrzehnten hätte ein Film wie SPUN ungeheure Skandale
ausgelöst. Und es ist ja nicht so, dass es nicht auch
heute noch katholische Landfrauenverbände oder Clubs
der sauberen jungdynamischen Unternehmer gäbe, die man
mit dem Film durchaus tief schockieren könnte. Der große
Unterschied: Sie werden ihn kaum je zu sehen bekommen, denn
er wird seinen Weg an ihnen vorbei direkt zum Zielpublikum
finden. Und das gilt genauso in umgekehrter Richtung: Der
vermeintlich Radikale muss sich nicht mehr abarbeiten an einem
großen Massengeschmack, er kann sich rund um die Uhr
problemlos versorgen mit medialen Erzeugnissen, die sein Weltbild
teilen und bestätigen.
Das Filmfest selbst war dieses Jahr auch ein Beweis dafür,
wie bequem es sich die meisten in ihren Nischen einrichten.
Die üblichen deutschen Branchen-Nasen bleiben weitgehend
unter sich und feiern sich selbst; zum Großteil sieht
man bei den einzelnen Filmreihen jeweils wieder und wieder
die gleichen Cineasten-Gesichter im Saal; und es hat sich
längst so eine gewisse Kategorie des "Festivalfilms"
etabliert - besonders beliebt dafür sind konventionell
mit einem Stich ins Poetische erzählte Dramen über
soziale Problemgruppen, am besten aus fernen Ländern
-, der vielleicht in seinem Heimatland mal kurz die Arthouse-Runde
macht und dereinst nach Mitternacht auf 3sat wiederzufinden
ist, der aber keinen wirklichen Wirkungskreis mehr hat außerhalb
seiner Welttournee durch das Beiprogramm sämtlicher Filmfeste.
Man darf sich angesichts dessen gar nicht mal so groß
wundern, dass das Publikum weniger entdeckungsfreudig zu werden
scheint. (Ich nehme mich da gar nicht aus: Das Münchner
Filmfest hat nun mal seine Hauptschwerpunkte auf aktuellen
deutschen (Fernseh-)Filmen und bildungsbürgerlichem "Weltkino"
insbesondere aus Lateinamerika und Osteuropa - allesamt Formen
von Film, mit denen ich nur in seltenen Ausnahmefällen
irgendetwas anfangen kann. Mithin meine persönliche Auswahl
eher unrepräsentativ für's Ganze: Ich habe mich
einmal mehr fast ausschließlich bei den "American
Independents" und der Retro getummelt, mit diversen Ausflügen
ins Filmland Frankreich.) In so wenigen ausverkauften Vorstellungen
wie in diesem Jahr habe ich auf dem Münchner Filmfest
persönlich noch nie gesessen, und ich hatte nicht den
Eindruck, dass dies nur ein Zufall meiner individuellen Programmzusammenstellung
war: Man fühlte so wenig Strahlkraft auf diesem Festival,
es schien ungebührlich wenig Beachtung, Resonanz zu finden
in der Stadt, der Welt, da draußen jenseits der Leinwände.
Die Rückkehr der '70er ins Bewusstsein beschränkte
sich auf dem Filmfest keineswegs auf die Dokus der "American
Indies". Die Zeit der (versuchten) Revolution und hier
speziell des politisch motivierten Terrors drängte sich
ganz buchstäblich wieder herein im Herzstück von
Lucas Belvauxs Trilogie UN COUPLE ÉPATANT, CAVALE und
APRÈS LA VIE. Diese Trilogie schon rein formal ein
Versuch, etwas Neues zu machen, Grenzen zu sprengen: Drei
Filme aus drei unterschiedlichen Genres, deren Handlungen
parallell spielen und deren Personal sich überschneidet.
Nicht nur ein prinzipiell spannendes Konzept: Das Resultat
wirkte erstaunlich wenig nach Konzept-Film, jedes der drei
Werke für sich einzeln genommen stimmig und überzeugend,
und das Zusammenwirken der Filme - obwohl es ungeheuer clevere
Konstruktions-Arbeit voraussetzt - nie konstruiert. Unaufdringlich,
aber unausweichlich erfuhr, nein: spürte man da etwas
vom Ausschnitthaftev jeder Wahrnehmung und jeder Geschichte,
davon, wie stark das Genre, der Ton eines Films prägt,
was wir in seiner Welt für möglich halten, und davon,
wie leichtsinnig wir uns aus ein paar Indizien und der Gefühlslage
heraus Urteile über Charaktere zusammenreimen.
Sieht man die Filme in der vom Regisseur bevorzugten (aber
nicht diktierten) Reihenfolge und beginnt mit der munteren
Beziehungs-Paranoia-Komödie UN COUPLE ÉPATANT,
dann ist es geradezu ein Schock, wenn wir deren Randfigur
Bruno (gespielt von Lucas Belvaux selbst) im Thriller CAVALE
als Protagonisten näher kennen lernen. (Der Kontrast
zwischen UN COUPLE ÉPATANT und CAVALE ist am eklatantesten
- APRÈS LA VIE, das Drama um einen Polizisten und seine
drogenabhängige Frau, bringt danach keine neuen Grundtöne,
keine radikalen Umdeutungen mehr, sondern füllt auf mit
den von allen drei Werken kompliziertesten emotionalen und
moralischen Grauschattierungen.) In UN COUPLE ÉPATANT
taucht Bruno gegen Ende als Flüchtender auf, wovor wissen
wir nicht, und er hat unsere Sympathie - etwas Gefährliches
trauen wir ihm nicht zu, schon weil wir uns in einer Komödie
befinden, und beim Happy End scheint er mit der Perspektive
bedacht, dass auch für ihn alles gut wird. Wir lachen
über den "Helden" von UN COUPLE ÉPATANT,
der gerade dabei ist, sich eine große Verschwörung
um sich herum zusammenzufantasieren und der Bruno darin -
weil er ihn ein italienisches Lied singen hört - die
Rolle eines Mafia-Gangsters zudenkt.
Die Ironie: Es ist alles viel schlimmer. Auch am Anfang von
CAVALE sind wir auf Brunos Seite, weil wir ihn bei einem Gefängnisausbruch
begleiten, der Film seine Perspektive einnimmt und wir ihn
also unhinterfragt (und geschult von unzähligen Ausbrecher-Filmen,
in denen die Entflohenen stets mehr oder minder zu Unrecht
im Gefängnis saßen) als unseren Helden akzeptieren.
In seiner wortlosen Methodik erinnert der Film da nicht nur
thematisch an Bressons UN CONDAMNÉ À MORT S'EST
ÉCHAPPÉ. Nach und nach aber erfahren wir, dass
Bruno Mitglied einer Terrorgruppe war, und er taucht wieder
auf im Leben von Menschen, die einst seine Gefährten
waren und heute daran am liebsten nicht mehr erinnert würden.
Ohne Bruno (oder die Aussteiger) platt zu denunzieren, ohne
die Ordnung der Welt schöner zu reden, als sie ist, ohne
einen "richtigen" Weg zu preisen, schafft es CAVALE,
greifbar zu machen, wie beängstigend es wirklich ist,
wenn jemand beschließt, dass die Verfolgung seiner Ideale
und Ziele auch den Tod anderer Menschen rechtfertigt. Nie
geht es dem Film darum, Bruno vom "System" einfangen
zu lassen, einer "gerechten", die Normalität
wieder absichernden Strafe zuzuführen. Aber wann immer
Bruno anfängt, sein Tun mit abgespulten Polit-Parolen
zu verbrämen, dann schreit in diesem Film dazu das Wissen
heraus, dass es so nicht gehen kann - dass auch das nur eine
Sprache der Unmenschen ist. (In den oben angesprochenen Dokus
wurde übrigens des öfteren zugegeben, dass zumindest
mancher einst den ganzen politischen Überbau nicht sonderlich
ernst nahm, Hauptsche das Resultat waren Sex & Drugs &
Rock'n'Roll.) Bei Belvaux hat die Welt keinen Platz mehr für
einen wie Bruno - eben auch nicht den, an ihm ein öffentliches
Exempel zu statuieren -, sie treibt ihn in die Einsamkeit
und wird ihn am Ende buchstäblich verschlucken.
Und dann nochmal die Siebziger Jahre und was damals (mit sehr
respektablem kommerziellem Erfolg) möglich war: In der
(überhaupt sehr gelungenen) "Münchner Filmgeschichten"-Reihe
im Filmmuseum endlich einmal wieder Dario Argentos Meisterwerk
SUSPIRIA auf großer Leinwand (wenngleich in einer leicht
geschnittenen Fassung und mit zu leise gedrehtem Ton...).
Und da konnte man einmal mehr nostalgisch werden: Dass das
ging, eine solch opulente europäische Genre-Produktion,
die zugleich ganz allein einer persönlichen Vision verpflichtet
ist und keinerlei Zugeständnisse an vermeintliche Notwendigkeiten
oder Publikumserwartungen macht. Ein Horrorfilm, der überwältigend
sinnlich ist und zugleich ein Kinoessay über Raum, Ornament
und Farbe, wie ihn Antonioni kaum dichter hinbekommen hätte.
Und vor allem ein Film, der sich ganz auf die puren, manchmal
an die Grenze zur Abstraktion getriebnenen Mittel des Kinos
verlässt: Bilder, Bewegungen, Töne - verbunden zu
einer Geographie des Unbewussten, mit einer Logik des Nachtmahrs.
Vielleicht der einzige Film des ganzen Festivals, der voll
und ganz dessen Motto gerecht wurde: "Träume mit
offenen Augen".
Thomas Willmann
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