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Berlin war mal eine Stadt der Orientierungslosigkeit, des
Aufbruchs aus dem Geiste von Subkultur und Sperrmüllmöbeln.
Jetzt hat Berlin Bauten wie das neue Bundeskanzleramt und
die Ziegelgebäude des Potsdamer Platzes, an dem nichts
mehr provisorisch ist und an dem man dennoch ständig
die Orientierung verliert, will man sich in der Peripherie
um die Shopping Mall zurechtfinden. Wo war doch gleich das
Cinemaxx? Gegenüber von Tschibo. Und wie das Hyatt wiederfinden,
in dem nicht nur die Stars absteigen, sondern tagtäglich
die Kinokarten geholt werden? Immer dem eisigen Ostwind entlang?
Orientierungspunkte setzte man auf der diesjährigen Berlinale
am besten um neun Uhr morgens, dann, wenn der Postdamer Platz
noch so schön ruhig war, und es für alle Filme,
die auf der Wunschliste standen, noch Karten gab. (Ein schwereres
Schicksal hatten da die Forumsakkreditierten: Sie standen
jeden Tag ab halb acht im eisigen Innenhof des Sonygebäudes
an, um ihre Karten zu ergattern.)
Orientierung zu setzen ist immer auch gefragt bei dem umfassenden
Programm, das ein internationales Festival bietet. 26 Langfilme
(und ungezählte Kurzfilme) im Wettbewerb, die Reihe Panorama
mit über 50 und schließlich das Internationale
Forum des Jungen Films mit über 70 Filmen, wie immer
eigenständige Sektion der Berlinale, veranstaltet von
den Freunden der Deutschen Kinemathek. Dann gab es dieses
Jahr noch das Berlinale Special, eine Reihe, die neu eingeführt
wurde, weil "es so viele schöne Filme gibt, die
nirgendwo reinpassen", so Berlinale-Leiter Dieter Kosslik.
Gleiches scheint auch für das Panorama zuzutreffen, das
dieses Jahr sich sozusagen in eine A- und B-Liga unterteilte
durch Filme der besonderen Auswahl, die im Panorama Special
liefen, und die normalen Panorama-Filme. Dann natürliche
noch die Reihe "Perspektive Deutsches Kino", in
der man sich im Kinosaal um die Sitzplätze prügelte,
um sich dann teilweise erstaunlich durchschnittliche TV-Ware
reinzuziehen, so ein paar angenervte Kinoschaffende. Und natürlich
die wunderbare Retrospektive über das New Hollywood,
das in einem gesonderten Katalog dokumentiert wurde, der selbst
aber nirgendwo aufzutreiben war. Das zur vorläufigen
Orientierungssetzung.
Die eigene Orientierung ergab sich mit der Entscheidung,
dieses Jahr einen Streifzug durch alle Reihen zu machen und
dabei einen Schwerpunkt beim französischsprachigen Kino
zu setzen. Mit Sicherheit eine Entscheidung, die sich ergab,
da der französische Markt in Deutschland in den vergangenen
Jahren mehr und mehr eingebrochen ist, und eigentlich nichts
wirklich Spannendes mehr den Sprung ins Kino schaffte. Eine
Probe aufs Exempel also?
*
Grundsolide und ein wenig langweilig zeigte sich der Wettbewerbsbeitrag
von Patrice Leconte, CONFIDENCES TROP INTIMES (INTIMSTE
FREMDE), eine Verwechslungskomödie mit Starbesetzung.
Anna (Sandrine Bonnaire), eine Frau mit massiven Eheproblemen,
vertraut sich versehentlich einem Steuerberater anstelle eines
Psychoanalytikers an, weil sie sich in der Tür irrt.
Dem Steuerberater (Fabrice Luchini), frisch von seiner Frau
getrennt, gefällt dies zwar (eine Frau, die sich ihm
anvertraut, intimste Geheimnisse, die erfahren werden), macht
sich aber Gewissensbisse wegen seiner betrügerischen
Vorgehensweise, mit der er Nähe zu Anna findet. Bald
klärt er die Verwechslung auf, und Anna sagt ihm, dass
sie bereits weiß, sich geirrt zu haben. Und hier beginnt
auch schon die Langeweile: Anstatt die Situationskomik weiter
auszuloten, die Dimension von Moral, Voyeurismus und Vertrauensmissbrauch
weiter komödiantisch zu befragen, schwenkt der Film zu
schnell auf die Erkenntnis der Figuren ein. Der Rest spielt
sich im engen Raum des "Wie und wann kriegen sie sich?"
ab, das niemanden wirklich interessiert. Nur Sandrine Bonnaire
ist bemerkenswert: in Momenten erscheint sie tatsächlich
wie eine reife Frau, hat das Jungmädchenhafte, Freche
aus ihrem Gesicht gestreift. Leconte hat in seinem neuesten
Film zwar den Jahrmarkts-und Gauklerkitsch seiner letzten
beiden Filmen abgelegt, LA FILLE SUR LE PONT und FELIX ET
LOLA, ist aber dabei, in die Falle des Beliebigen zu tappen.
*
Stilbewusst, packend und überraschend war dagegen der
Wettbewerbsfilm von Cédric Kahn, FEUX ROUGES
(SCHLUSSLICHTER), eine Georges Simenon-Verfilmung mit
dem großartigen Jean-Pierre Darroussin, der seit einigen
Jahren Frankreichs Shooting-Star im Bereich des liebenswerten
Trottel ist (LE GOÛT DES AUTRES von Agnès Jaoui
sei hier als Beispiel genannt). Ein Ehepaar will mit dem Auto
seine Kinder aus dem Ferienlager abholen und kommt dabei nicht
nur in den fankreichtypischen Urlaubsstau, sondern typischerweise
auch in eine gereizte Stimmungslage, von der sich der fahrende
Antoine mit diversen Zwischenstopps Erleichterung verschafft,
in dem er sich "einen" genehmigt. Zunächst
ein, zwei Biere, dann auch mal einen Whiskey. Er fährt
zusehends aggressiver und unkontrollierter, bis seine Frau
Hélène (Carole Bouquet) schließlich eigenmächtig
die Fahrt mit dem Zug fortsetzt. Antoine will sie zurückholen,
verpasst um Minuten den Zug. Resigniert macht er Station in
einer Bar, in der er weitere Whiskeys tankt. Nimmt dann einen
Tramper mit, einen Schwerverbrecher, der soeben aus dem Knast
ausgebrochen ist. Antoine, der sich einen Flachmann aus der
Bar mitgenommen hat und während der Fahrt ungebremst
weitertrinkt, wird zunehmend fahruntüchtig, bis der Tramper
ihn schließlich gewaltsam vom Steuer entfernt. In einem
wunderbar gruseligen Showdown in einem abgelegenen Waldstück
kämpft Antoine schließlich um sein Leben und kann,
ohne es zu wissen, seine Frau rächen, die schwerverletzt
in einem Krankenhaus liegt.
Großartige Thrillerspannung, die Kahn äußerst
leicht zu erzeugen vermag: Entscheidend ist dabei, wie Kahn
die Momente, in denen nichts passiert, inszeniert. Er belässt
sie in ihrer Handlungsleere und macht diese dabei umso erfahrbarer,
verzichtet auf dramatisierende Effekte wie Musikunterstützung,
vertraut auf die Atmosphäre des O-Tons. Subjektive Bilder,
verschwommen, chaotisch cadriert, detailversessen, zeugen
von dem Wahnsinn, in den der betrunkene Antoine hineinfährt.
*
Kleineres, feines Kino wurde im Panorama gezeigt. Perfektes
Chaos inszenierte Chantal Akerman mit DEMAIN ON
DÉMÉNAGE (MORGEN ZIEHEN WIR UM), eine Burleske
um die verträumt-chaotische Schriftstellerin Charlotte
(Sylvie Testud), die in schriftstellerische Not gerät,
als sie nicht nur einen erotischen Auftragsroman schreiben
soll, sondern nach dem Tod ihres Vaters pötzlich ihre
Mutter in der Wohnung hat, die Klavierstunden gibt. Ein unablässiges
Kommen und Gehen findet da statt: die Klavierschüler,
die permanent klingeln, die überflüssigen Möbel,
die auf die Straße gestellt werden, Charlotte, die sich
eine neue Wohnung sucht, um wieder Ruhe zum Schreiben zu finden,
die Anwärter auf ihre alte Wohnung, die zur Besichtigung
kommen. Wie das kreative Zentrum der Erzählung lauscht
Charlotte den Menschen Dialogfetzen ab, um sie in ihren Roman
einzubauen, entwickelt dabei nur das Chaos eines unausgegorenen
Récits, der ungewollte Komik entfaltet. Und eben dieses
chaplineske Chaos macht den Film insgesamt aus, eine Suche
nach den Möglichkeiten eines Zusammenlebens abseits geordneter
Familienverhältnisse. Eine schnelle Komödie, die
schnell ansteckend wirkt in seiner Atmosphäre, nach persönlicher
Freiheit zu forschen und eine gewisse Leichtigkeit in ungewohnten
Strukturen zu leben. Vielleicht ein Film, der viel über
Chantal Akerman auszusagen vermag, die seit 36 Jahren Filme
macht, und immer wieder nach neuen Tonalitäten sucht,
um sich nicht festschreiben zu lassen, um sich in dem, was
sie macht, Freiraum zu geben.
*
Ein Ausloten von zwischenmenschlichen Möglichkeiten
inszeniert auch L'ESQUIVE (deutsch etwa: DAS AUSWEICHEN)
des in Tunesien geborenen Abdellatif Kechiche. Es ist
ein Kammerspiel um "Liebe und Zufall" zwischen Jungendliche
in der Pariser Banlieue, dessen Kernstück die gleichnamige
Liebeskomödie von Marivaux aus dem 18. Jahrhundert bildet.
Der Film spielt stark mit den Sehgewohnheiten auf die Banlieue:
Sie selbst wird nahezu als vordergründig sozialer Raum
ausgeblendet, tritt zurück in eine visuelle Beiläufigkeit
und "Normalität", in der nicht schon Beton
allein die Determinierung seiner Einwohner bedeutet - mit
der sich üblicherweise anschließenden thematischen
Trias Drogen, Kriminalität, Familienzerfall. Kechiche
interessiert das universellere Thema Liebe, das sich aus einem
sozial problematisierten Ort nahezu ausschließt. Dort,
wo Kechiche die Banlieue als Ort zeigt, sind die Farben in
warmen Braun, sandig, wie bei den Proben, die die Schüler
nachmittags in einem kleinen Amphitheater abhalten, oder er
dramatisiert die Vorstadt zum Ort eines Showdowns, in dem
die Liebenden sich ihre Liebe gestehen sollen. Meist aber
wird der äußere Raum an den Rand der Cadrierung
gedrängt, bleibt beiläufiger Kontext, Rahmung der
Geschichte. Das Visuelle geht in Close-Ups auf, immer ganz
dicht an den Figuren dran und sie mit einer ruhig geführten
Handkamera verfolgend. Hier wird einem inneren Raum Platz
gemacht, der die Befindlichkeit der Protagonisten meint.
Nicht so sehr die äußere als mehr die innere Realität
wird dabei ausgetragen, und dies in der Virtuosität eines
permanenten sprachlichen Schlagabtauschs. Die Liebesbemühung
des 15-jährigen Krimo, der sich an die Marivaux-versessene
Lydia heranmacht, rufen seine Ex auf den Plan, die Lydia zusetzt;
dies alles ausgetragen im spätestens seit LA HAINE bekannten
Banlieue-Argot. Als Krimo beschließt, bei dem Theaterstück
mitzuwirken, kann die Sprachlichkeit die Dimension von Ermöglichung
und Unmöglichkeit sozialer Begebenheiten entfalten, ganz
im Sinne des Marivaux'schen "Spiel über Liebe und
Zufall". Kechiche hat in seinem Film mit Laienschauspielern
aus der Banlieue gearbeitet. Vielleicht ist es die Vertrautheit,
mit der seine Figuren dem Dargestellten begegnen, die Gekonntheit,
mit der sie sich innerhalb des sprachlichen Raums bewegen,
die die große emotionale Dichte und den Eindruck von
Realitätsnähe des Films erwirkt. Und das Theaterstück
bleibt bei ihm nie leeres Anschauungsmaterial oder formaler
Spiegelungspunkt, sondern bringt die Intrige in Gang, integriert
sich damit vollständig in das anderweitige Spiel.
*
Beeindruckend zeigte sich auch FOLLE EMBELLIE (VERRÜCKTE
WINDSTILLE) der Belgierin Dominique Carbreras aus
der Forums-Sektion. Sie erzählt, wie zur Zeit des Einzugs
der deutschen Truppen in Frankreich 1940 eine Gruppe von Irren
aus einer Anstalt ausbricht. Zunächst folgen sie einem
Flüchtlingszug, vereinzeln sich dann in kleinen Gruppen,
schließen sich wieder zusammen, bis sie in einem verlassenen
Haus eine erste Bleibe finden. Am Ende haben sich "die
Irren" zu Individuen geformt, und es wird wichtig, dass
Alida (Miou-Miou) ein sanftes Gegengewicht zu ihrem tyrannischen
Ehemann Fernand (Jean-Pierre Léaud) herstellen kann.
Nicht nur, um den eigenen Sohn vor dessen wahnwitzigen Einfällen
zu retten, sondern um der Gruppe einen Weg aufzuzeigen, den
Alina selbst schon bald nach dem Ausbrechen aus der Irrenanstalt
erfahren konnte: den der Gesundung. Ihr Weg ist damit anders
als der der Flüchtlinge, die in den Süden ziehen,
ohne topographisches Ziel, ein innerer Weg, von dem die Irren
noch nicht wissen können, dass er irgendwohin führt.
Die Ortlosigkeit, die ihren Raum kennzeichnet, findet sich
zeichenhaft wieder in Elementen einer märchenhaften Landschaft:
da ist der Wald, der Fluß, das Dickicht, das einsame
Haus. Lange Zeit hat man den Eindruck, der Weg der Irren führt
sie im Kreis, und als Alina nach einer Mittagsruhe sagt: "Los,
wir müssen weiter", fragt man sich unwillkürlich,
wohin. Die Wegstrecke als Übergang, als Passage in ein
gesundes Leben hinein, ist ähnlich wie in NIGHT OF THE
HUNTER von Kleintieren gesäumt: ein Frosch, eine Schnecke,
eine Eule, die auffliegt. Dann die Naturgeräusche, vor
allem der Wind, der durch die Landschaft streift, Aufzeigen
einer ersten Erfahrung des Lebens, der freien Natur. Zugleich
ist der Weg der Irren eine Erfahrung von Hunger und Tod, die
Begegnung mit der Natur so immer auch eine mörderische,
wo Eier roh getrunken werden, eine Kuh mit einem Hammer auf
archaische Weise geschlachtet wird, das Verwechseln von Pilzsorten
zum Tod eines aus der Gruppe führt. Das ist der existentielle
Tod, dessen Abwenden hinführt zu dem gesundeten Leben.
Und dann gibt es den historischen Tod, die Leichen von Zivilisten
und Soldaten, die die Straße säumen und die von
den Irren genau betrachtet werden, ohne in ihrer Schrecklichkeit
erkannt zu sein. Diese Begegnung mit dem Tod ist wie die Erfahrung
mit etwas Fremden, nicht wirklich integriert in das Erleben
der Gruppe, aber dennoch Ermöglichungsbedingung für
ihre Selbstbefreiung aus der Irrenanstalt. "Im Jahre
1940 ergriff Frankreich die Panik", heißt es ganz
zu Beginn des Films. Für diesen Ausbruch von panischer
Befindlichkeit kann auch allegorisch der Ausbruch der Irren
stehen. Dieses Nebeneinander von einer wörtlichen und
einer übertragenen Ebene, das Offenlassen darüber,
welches Irresein und welche Freiheit letztlich gemeint ist,
verdankt der Film auch seiner Form: Die Kamera ist dicht an
den Figuren und ihren Begegnungen dran, folgt ihnen kommentarlos,
nimmt sich Zeit, hinzusehen und erkennen zu lassen. Hier kann
unmöglich von einem Erzählen gesprochen werden,
das Eindeutigkeit verschafft, hier wird kommentarlos gezeigt,
und das was gezeigt wird, erklärt sich nicht von selbst.
Ein dichtes Road-Movie, das den Weg in ein selbstbestimmtes
Leben erfahrbar macht, und das zumindest in Frankreich aufgrund
der Besetzung mit Miou-Miou und Léaud die Chance haben
könnte, ins Kino zu kommen.
*
Zu wahren Massenanstürmen kam es bei Cathrine Breillats
neuem Film ANATOMIE DE L'ENFER (ANATMONIE DER HÖLLE).
Er wurde in einem einzigen Forum-Screening gezeigt, was zu
regelrechten Tumulten bei der Eroberung der letzten freien
Plätze im Saal führte. Ob die Aufregung bewusst
herbeigeführt wurde, sei dahingestellt, der Film rechtfertigt
sie in keiner Weise. Als Inszenierung eines abgesprochenen
Sex-Experiments lässt er keinerlei Bedeutung in der Schwebe
und muss letztlich als enttäuschender Thesenfilm über
die Bösartigkeit der Männer verzeichnet werden.
Ganz im Geiste von ROMANCE erzählt der Film die Geschichte
einer Frau (Amira Cassar mit einem Bodydouble), die ihre Sex-Phantasien
in einem Pakt mit einer (schwulen) Diskobekanntschaft (Rocco
Siffredi) durchinszeniert. Das Verdikt lautet: "Berühren
verboten, nur Beobachten". Großaufnahmen der feuchten
Vagina werden gezeigt, und der erigierte Penis von Rocco Siffredi.
Denn natürlich bleibt es nicht beim Beobachten. In arrangierten
Rendez-Vous in einem alleinstehenden Haus findet in vier Nächten
eine sexuelle Erkundungsreise in die Tiefen der weiblichen
Anatomie statt.
Was die "Anatomie der Hölle" genau sein soll,
darüber kann (und soll) spekuliert werden. Ist die pseudo-sado-masochistische
Versuchsanordnung gemeint, unter der der Mann Höllenqualen
erleiden muss, weil er den weiblichen Körper ohne Tabus
erfahren darf? Ist der weibliche Körper mithin per se
infernalisch? Oder ist am Ende gar das "Höllische"
des Weibes ihre Menstruation? Denn drei von den vier Zusammenkünften
finden als Menstruationsblutorgie statt: der "blutende"
Penis des Mannes, nachdem er mit der menstruierenden Frau
Sex hatte, die blutbefleckten Laken, die Frau, die ihr eigenes
Menstruationsblut, "das fruchtbare Blut der Frau",
untersucht.
Zwei Höhepunkte sind in der Behauptung des Höllischen
zu verzeichnen, Höhepunkte der Plattheit und der Lächerlichkeit,
da sie in der Bedrohlichkeit, die sie zu inszenieren versuchen,
nur unbeholfen wirken: Ein blutgetränkter Tampon wird
in ein Glas Wasser gelegt, das austretende Blut soll getrunken
werden. Wie Feinde, die ja bekanntlich gegenseitig ihr Blut
trinken (eine alttestamentarische Anspielung), und Mann und
Frau sind sich feind. Stärker visualisiert sich aber
das Höllische wieder zu Seiten des Mannes, als dieser
eine dreizackige Harke in die Vagina der Frau einführt,
während sie schläft. Das Bild ist Symbol und Anklage
pur: Die Bösartigkeit des Mannes, der vor nichts zurückschreckt,
perfekte Insignie für die Vergewaltigung der Frau.
Dazu die frauenfeindlichen Aussagen, die dem Mann in den Mund
gelegt werden und das Niveau dummer Stammtischwitze haben:
"Frauen sind wie Frösche, beide können die
Beine weit spreizen".
Was will Breillat mit diesem Film, wenn nicht die klischeehafte
Vernichtung des Mannes? Fraglich ist bei Breillat immer auch
der Skandalverdacht, den sie sich zuzieht durch die Provokation
eines (gut)bürgerlichen Publikums. Erzählte ROMANCE
zumindest in seinem ersten Teil vielleicht etwas im Kino noch
nie Dagewesenes, die sexuelle Selbstbestimmung der Frau, mit
entsprechenden Bildern ihres Lustempfindens, dann ist hier
der Wille, "das Verbotene" zu zeigen, allzu plakativ.
Da bleibt keinerlei Wahrhaftigkeit mehr übrig, sondern
es findet ein Aufklären und Dozieren statt, das im Klischee
hängen bleibt. Dass rotes Blut auf weißem Stoff
den Verlust von Unschuld und Opferung bedeuten, ist klar,
und wenn das Bilderlebnis immer wieder darauf zurückkommt,
zeugt der Film von seiner Einfallslosigkeit. Dass der Mann
ein böses, triebgesteuertes Tier ist, das die Frau physisch
besitzen will und das Miterleben ihrer Sex-Phantasien zu seiner
psychologischen Vernichtung führt, ist Nonsense. Der
Film will mutig sein und ist doch nur feige. Da hätte
man sich mehr erwartet nach Breillats überzeugenden letzten
Film À MA SOEUR.
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Richtig schön war noch PEAU D'ÂNE (ESELSHAUT)
von Jacques Demy, der im Berlinale Special lief. Ein
Märchenfilm von 1970, eine Feier von Kostümen und
Leinwandtricks à la Méliès, mit einer
betörenden und unter ihrer Eselshaut verstörenden
Catherine Deneuve. Bis auf den Film von Chantal Akerman sollte
sich kein weiterer Film mehr trauen, das Filmische so sehr
mitzuinszenieren. Vielleicht findet wirklich großes
Kinoerlebnis vor allem dort statt, wo der Film sich selbst
als Ermöglichung einer ganz eigenen, filmischen Realität
leicht nimmt, sich feiert. Dennoch eine Berlinale, die zumindest
eines präsentieren konnte: Einen rundum guten französischen
Jahrgang. Bleibt nur noch zu fragen, welcher von diesen Filmen
wohl den Sprung ins deutsche Kino schaffen wird
Dunja Bialas
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