Mit 20 Jahren begann er in München: Romuald Karmakar,
1965 in Wiesbaden als Sohn eines deutsch-französischen
Paares geboren, fand schnell und früh die zwei Hauptthemen,
die für lange Zeit seine Filme prägten: Männerbünde
und ihre Rituale, sowie die düsteren Seiten der Geschichte
der Deutschen im 20. Jahrhundert. Immer wieder wechselt er
zwischen Spielfilm und Dokumentation (In "Warheads"
(1989-1992) geht es um Söldner im Krieg, oder arbeitet
auf der Schwelle zwischen beidem: In "Das Himmler-Projekt"
(2000) spricht und spielt Manfred Zapatka die berüchtigte
3-Stunden-Rede Himmlers von 1943. Karmakars mit drei Bundesfilmpreisen
ausgezeichneter "Der Totmacher" (1995) handelt -
nach Originalverhörprotokollen - vom 20er-Jahre-Serienmörder
Fritz Haarman. Es sind die dunklen Seiten, die Karmakar faszinieren:
Reisen in Abgründe, seelische und historische Nachtstücke.
Und es sind klaustrophobische Situationen: "Manila"
(1999) nach dem Buch von Bodo Kirchhoff ist ein Kammerspiel
über die Bundesrepublik, das mehr als ein Dutzend Figuren
für über zwei Stunden in einer Abflughalle zusammenbringt
- Dasein in der Druckkammer.
Auf der Berlinale war Karmakar gleich doppelt vertreten: Im
Wettbewerb lief "Die Nacht singt Ihre Lieder" nach
dem gleichnamigen Stück von Jon Fosse, und "Land
der Vernichtung", eine Dokumentation über die Orte
des Holocaust in Polen.
Mit Karmakar sprach Rüdiger
Suchsland.
artechock: Muss man Umwege gehen, um etwas über
Deutschland zu erzählen?
Karmakar: Ja. So, wie mein Film "Warheads"
vom Kalten Krieg über dem Umweg Afrika erzählt.
Und Fosse spielt gewissermassen in einem Nirgendwo. Im Film
braucht man aber Orte. Und deswegen muss ich mir auch genau
vorstellen, wo diese Wohnung liegt, in der das Stück
spielt.
Ihre Filme wirken oft sehr theaterhaft: Es sind klare
Konstellationen, mit wenigen Darstellern, sie spielen in
Innenräumen. Jetzt haben Sie erstmals sogar ein Theaterstück
verfilmt. Streben Sie heimlich nach dem Theater?
Nein, gar nicht. Ich glaube auch, dass meine Filme trotz
ihrer theaterartigen Szenarien sehr filmisch sind. Allerdings
ist klar: Die Schauspieler und die Texte stehen bei mir im
Zentrum, nicht Kamera und Schnitt, nicht "große"
Räume... Zudem: Die Arbeit mit den Darstellern ist mir
besonders wichtig.
Worauf achten Sie hier besonders?
Wichtig ist, dass ein Schauspieler das spielt, was im Buch
steht. Die Schauspieler müssen aus dem Papier Zelluloid
machen. Sie sind die Hauptbotschafter eines Projektes. Sie
tragen es nach Außen, zeigen ihr Gesicht, geben ihren
Körper, alles. Bestenfalls ist es dann noch viel besser,
als ich vorher dachte. Da merkt man plötzlich, dass sich
ein Text, den man schon zehnmal gelesen hat, völlig anders
anfühlt. Das beglückt einen dann - wenn man etwa
erlebt, wie ein Frank Giering einen Text nacharbeitet, immer
noch etwas Neues anbietet.
Man muss sich auf jeden Schauspieler ganz persönlich
einlassen. Es gibt Schauspieler, die sind in ihrer Herangehensweise
instinktiv, andere nicht. Manfred Zapatka, mit dem ich schon
drei Filme gedreht habe, ist ein hochanalytischer Mensch,
Götz George überhaupt nicht. Alles, was nur nach
Intellekt riecht, ist für ihn furchtbar, etwas Feindliches.
Im Kino muss ein Darsteller zuerst einmal visuell funktionieren.
Wie perfektionistisch sind Sie in Ihrer Arbeit? Wie stark
haben Sie den Film schon vor Drehbeginn im Kopf?
Zwischen absoluter Freiheit und totaler Kontrolle. Man macht
die Kontrolle erst einmal sehr stark, um dann eine Freiheit
herzustellen. Ich habe ein klares Konzept, das auch nicht
so leicht zu erschüttern ist. Das Buch ist genau ausgearbeitet.
Es gibt in dem Fosse-Stück mehrere Geschichten: Die
des Milieus, die des Paares, die der Einzelpersonen. Was
hat Sie motiviert, diesen Stoff auszusuchen?
Ich habe das Stück gesehen. Es gab mir die Idee, einen
einfachen überschaubaren Film zu machen. Ich mochte das
Verhältnis zwischen Eltern und Kindern. Und eine Liebesgeschichte
ohne Romantik, eine die tragisch endet.
Das ist neu für Sie...
Ich denke, ich mache die ganze Zeit Liebesgeschichten [Lacht].
Aber nicht im klassischen Sinn. Doch eine nicht erfüllte
Liebe ist auch eine Liebe.
Fosses Stück erzählt von einer bürgerlichen
Familie. Wie stellen Sie sie sich vor?
Das ist sehr schwer. Bevor ich das Drehbuch überhaupt
begonnen habe, gab es eine Zeichnung mit dem Grundriß
der Wohnung. Wo kann man hingehen. Dieser Grundriß ist
geblieben, ist im Studio nachgebaut worden. Ich stelle mir
dieses Paar als eines von jenen westdeutschen vor, die nach
der Wende in den Prenzlauer Berg gezogen sind, und eine bestimmte
Form von Aufbruch und Hoffnung verkörpern. Die Verhältnisse
sind kälter geworden.
Eine Geschichte aus den Zeiten und dem Gefühl der
Krise...
Ja. Ich möchte keine sozial Schwachen, keine Kleinbürger,
ich gehe in die Mittelschicht. Denn keiner soll sich zurücklehnen
und sagen können: Das hat mit mir nichts zu tun. Was
ist mit den jungen Westdeutschen zehn Jahre nach dem Mauerfall?
Die Eltern haben tendenziell mehr Geld, als die Kinder. Diese
haben aber die Ansprüche mitvermittelt bekommen, die
sie gar nicht halten können. Die Kluft zwischen Anspruch
und Realität.
Ihre Filme erzählen von typisch deutschen Situationen,
aber auf untypische Weise. Ähnlich wie Dominik Graf
in "Der Felsen" nach Korsika geht, um dann dort
nur Deutsche auftreten zu lassen. Muss man Umwege gehen,
um etwas über Deutschland zu erzählen?
Ja. So, wie mein Film "Warheads" vom Kalten Krieg
über dem Umweg Afrika erzählt. Und Fosse spielt
gewissermassen in einem Nirgendwo. Im Film braucht man aber
Orte. Und deswegen muss ich mir auch genau vorstellen, wo
diese Wohnung liegt.
Man denkt bei diesem Stück auch an die skandinavische
Tradition: Von Ibsen und Strindberg bis hin zu Bergmans
"Szenen einer Ehe"... Was genau interessiert Sie
hier? Gewaltverhältnisse? Beziehung als Krieg?
Ich finde es faszinierend, das diese Figuren in die Extreme
gehen. Je älter ich werde, um so mehr spüre ich
auch die Bedeutung von Generationszusammenhängen, und
davon, ein bestimmtes Alter zu haben. Die Mörder im Dritten
Reich, vor allem die intellektuellsten und radikalsten waren
etwa so alt, wie ich jetzt. Es waren junge Menschen, die Deutschland
in den Abgrund gestürzt haben.
Wem fühlen Sie sich unter Ihren Kollegen verbunden?
Keinem Gleichaltrigen. Ich fühle mich eher jemandem
wie Alexander Kluge verbunden, als Hans Christian Schmid oder
Tom Tykwer.
Was heißt hier "verbunden"?
Mir gefallen auch John-Ford-Filme, ohne dass ich Filme mache,
wie der. 1982 bin ich nach Deutschland zurückgekommen.
Da ist Kohl an die Macht gekommen, Fassbinder gestorben, und
Achternbusch hat man den Preis verweigert. ... Alles war sehr
politisch. ... Ich mag kein Hofnarr sein.
Was mögen Sie sein?
Kann ich nicht sagen.
Wie wichtig ist Ihnen die Reaktion des Publikums?
Sehr wichtig. Die Reaktionen auf "Manila" waren
sehr hart. Kränkend. Dumm. Weil es keine angemessene
Auseinandersetzung war, und nicht dem entsprach, wie dieser
Film im Ausland aufgenommen wurde. Und weil viele, die mich
von vorher kannten, dann keinen Dialog gesucht haben. Und
weil es auch persönliche Attacken gab unter der Gürtellinie.
Das Enttäuschende war die Verlogenheit.
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