artechock: Herr Kosslick, Ihre dritte Berlinale
steht bevor. Einer der ersten Schritte, als Sie antraten,
war es, die Zusammenarbeit der verschiedenen Sektionen zu
verbessern. Ist das gelungen?
Kosslick: Ja, die Zusammenarbeit ist gut und wird
immer besser. Wir suchen die Filme gemeinsam aus. Ich glaube,
dass man dies in diesem Jahr wirklich merkt. Zum Beispiel:
Filme aus dem Panorama und aus dem Forum ergänzen in
diesem Jahr einige Filme des Wettbewerbs. Ich denke, aufmerksame
Beobachter werden merken, dass die Synchronisation der Reihen
Formen annimmt.
Was war für das Programm der Berlinale, besonders
für den Wettbewerb in diesem Jahr besonders wichtig?
Nach welchen Kriterien suchen Sie die Filme aus?
Jeder Film muss etwas ganz Spezielles haben, damit er hier
im Wettbewerb landen kann. Das können Schauspielerleistungen
sein, die Regie und die Art der Inszenierung, die Geschichte
- manchmal auch alles zusammen.
Dann gibt es natürlich auch in jedem Jahr Themen, die
sich herauskristallisieren. Wir wollen verstärkt nach
Lateinamerika blicken - dort gibt es derzeit eine Reihe von
besonders guten Filmen. Aus Anlass der vielen Jubiläen
- In Südafrika fanden vor zehn Jahren die ersten freien
Wahlen statt, am 4. Februar 1997 trat die Verfassung in Kraft
- ist in diesem Jahr auch Südafrika besonders wichtig.
Solche Jubiläen sind ja eher äußerlich.
Gibt es denn in Südafrika genug Werke, die qualitativ
überzeugen?
Die letzte Beurteilung von Qualität überlassen
wir der Jury, bzw. den Filmkritikern und dem Publikum. Wir
können mit der Auswahl nur ein Angebot machen. Wir denken,
die Filme sind sehr gut. Schwerpunkte entstehen auch durch
Verfügbarkeit. Ich darf und will die Filme nicht öffentlich
bewerten - aber ich bin sehr optimistisch, dass der Wettbewerbsfilm
von John Boorman über Südafrika von den meisten
Leuten so eingeschätzt werden wird, wie von mir. Man
wird staunen.
Diese Berlinale wird überdies die erste sein, bei
dem Sie mit vielen Institutionen von Außen kooperieren.
Sie arbeiten mit dem Hebbel-Theater und der Philharmonie
zusammen...
Wir haben auch den Talent-Campus, das Einstein-Forum, die
American Academy, die Friedrich-Ebert-Stiftung, das Haus der
Kulturen der Welt. Und auch im anderen, kommerzielleren Bereich:
Die Bunte, die Gala, "Duck, Pomp and Circumstances".
Und bevor Sie jetzt sagen: Der macht aus der Berlinale ein
KaDeWe, antworte ich: Nein, wir werden nur breiter in unseren
spezifischen Kooperationen. Wir probieren auch Einiges aus.
Wenn es gut läuft, werden wir es wiederholen.
Muss das ein Festival heute tun? Der Einwand liegt nahe,
dass die Filme selbst tendenziell unwichtiger werden...
Naja. Wenn Sie die Andachtskapelle in St.Andechs mit dem
Katholischen Kirchentag vergleichen, dann ist die Berlinale
der Kirchentag für die Audiovisuelle Gemeinde! Hier kann
man auch erleuchtet werden. Wir haben immer noch 800 Filme,
darunter fast 400 in den einzelnen Sektionen. Die Sektionen
wurden klarer gefasst. Durchs Gesamtprogramm ziehen sie rote
Fäden.
Auf Ihre Frage, ob dies ein Festival tun muss, antworte ich:
Die Berlinale ist eines der größten Medienevents
zumindest in Deutschland. Wir müssen ein Programm machen,
das mit den Filmen auch gesellschaftspolitisches Bewusstsein
fördert - mit unseren Diskussionsprogrammen -, das den
Nachwuchs fördert. Es gibt den Talent-Campus und die
"Perspektive Deutsches Kino" -, und wir müssen
ein Fest für alle unterschiedlichen gesellschaftlichen
Zielgruppen sein. Glanz und Glamour gehören hier genauso
dazu wie intellektuelle Auseinandersetzung.
Ist diese Kooperation mit neuen Partnern auch aus finanziellen
Gründen nötig geworden? Schon im Vorjahr mussten
Sie sparen, haben das Festival um einen Tag verkürzt
...
Sparen müssen wir alle. Ohne die Kooperationspartner
und Sponsoren könnten wir die Berlinale auf diesem Niveau
nicht halten. Wir bekommen nicht mehr öffentliches Geld.
Es hat auch keinen Sinn, sich an die Klagemauer zu stellen
- wir müssen schauen, wie wir das finanzieren und zugleich
die Profile der Berlinale schärfen. Zum Beispiel: Unsere
Reihe mit "Marshall-Plan-Filmen", die im Zeughauskino
im "Deutschen Historischen Museum" laufen soll und
von VW unterstützt wird. Wir haben dazu ein Programm
unter dem Motto "Selling Democracy". Das ist politisch
hochaktuell - wer denken kann, kann sich dazu vieles denken.
Also: Wir klagen nicht. Wir schreiben auch keine roten Zahlen,
sondern wir wirtschaften gut und sehen zu, dass das keiner
zu stark spürt, der aufs Festival kommt. Bei den Buffets
habe ich schon gekürzt, obwohl für einige Buffets
wichtiger sind als so mancher Film.
Solange Sie nicht die Filme reduzieren ...
Nein, dass tun wir nur da, wo es zu viele waren. Wir hatten
400 und haben jetzt 360 - das reicht; mehr kann sowieso kein
Mensch ansehen.
Natürlich ist das alles auch ein Ritt auf dem Vulkan.
Aber in den letzten zwei Jahren haben wir erst mal um Sponsoren
kämpfen müssen. Und wir haben jetzt bis zum Ende
meines Vertrages 2006 Sponsoren, mit denen wir auch gemeinsam
neue Ideen entwickeln können.
Worüber wir nachdenken, ist: Wie gelingt es uns, die
historische Chance zu nutzen, dass 2005 die Filmmärkte
"American Filmmarket" und MIFED verlegt werden und
die Berlinale plötzlich im Zentrum zwischen "American
Filmmarket" und Cannes landet? Da würden wir Investitionsmittel
in Höhe von 1 Million Euro brauchen. Aber um es mal zu
vergleichen: Die MIFED hat gerade 7 Millionen investiert,
um in die Pool Position zu kommen. Soviel haben wir nicht,
aber wir müssen die Chance nutzen.
Wenn Sie mal hoffen dürfen: Was erhoffen Sie von
der Politik?
Da reden Sie mit dem Richtigen und befragen den "Proband
001". Seit ich hier bin, gehört der Laden dem Bund.
Für die Berlinale war das hervorragend, weil wir nicht
mit der Berliner Finanzkrise belastet wurden. Dafür habe
ich schon drei Kulturminister in dieser Zeit gehabt, die uns
gottseidank alle unterstützt haben. Ich habe ein ungebrochenes
Verhältnis zur Politik und auch genügend Erfahrung,
um damit zurecht zu kommen. Das ist für die Berlinale
bisher gut gelaufen. Inhaltlich reingeredet hat uns niemand.
Ich bin sicher, dass das so bleibt - und erhoffe natürlich
Unterstützung dabei, unser Niveau zu halten.
Cannes und Venedig haben beide ihre eigenen Probleme.
Wie sehen Sie Berlin im Vergleich?
Zu Venedig kann ich gar nichts sagen. Geht man von de Hadelns
neuesten Interviews aus, wird er zum audiovisuellen Che Guevara
der Lagune. Von Cannes weiß ich, dass man uns ernst
nimmt, sogar so ernst, dass es manchmal um dieselben Filme
geht - was ich aber natürlich nicht beweisen kann. Aber
ich will auch nicht verschweigen, dass uns ganz kurz vor Toresschluss
noch ein wichtiger Film abgesprungen ist. Mal sehen, wo er
gezeigt wird.
Ansonsten haben wir völlig unterschiedliche Profile.
Und unsere eigene Position ist ausgebaut worden. Wir fühlen
uns in ihr sehr wohl und denken, wir sind von den Filmen her
auf dem richtigen Weg. Wir wollen möglichst die besten
Filme, wollen ein intellektuelles Festival bleiben, wollen
den Markt ausbauen, wollen unser besonderes Publikumsprofil
behalten. Und wir sind das Festival, das die deutsche Filmkultur
und Filmindustrie international ganz nach vorn bringen will.
Das sind unsere fünf Essentials. Und die werden wir beibehalten.
Wir sind ein sehr modernes Festival, und Cannes ist die Nummer
Eins.
Stichwort deutscher Film: Wie ist der auf der Berlinale
vertreten?
Neben dem Karmakar-Film "Die Nacht singt ihre Lieder"
gibt es noch "Gegen die Wand" von Fatih Akin im
Wettbewerb. Mit zusammen 56 Produktionen in allen Reihen und
Sektionen bekommt der deutsche Film die stärkste Präsenz
auf der Berlinale bisher.
Aber im Wettbewerb sind nur zwei Filme. Mit vier hatten
Sie angefangen. Nur Zufall oder eine absteigende Tendenz?
Die absteigende Tendenz ist nur scheinbar. Wir hätten
ganz gerne drei gezeigt, aber das klappte nicht. Wir haben
ein wenig Pech, weil nicht alles fertig ist. Wenn die Berlinale
dieses Jahr im Juni stattfinden würde, hätten wir,
schätze ich mal, mindestens fünf deutsche Filme
im Wettbewerb.
Was haben Sie abgesehen von Auswahlfilmen noch im Kino
gesehen? Was mögen Sie, welche Tendenzen im Weltkino
sind Ihnen wichtig?
"Lost in Translation" von Sofia Coppola ist ein
ganz großartiger Film. Es wäre schön gewesen,
wenn der in Berlin gelaufen wäre. Ich schätze neben
den großen Filmen auch die kleinen, besser gesagt: Den
"kleinen großen Film" mit riesiger Schlagkraft,
wie 2003 "Blind Shaft". Das ist schon immer mein
Steckenpferd gewesen. Wir haben sehr viele Filme dieser Art
gesehen. Die haben wir auch im neuen Wettbewerb. Da kommen
die neuen Talente her. Diese Filme zu programmieren, braucht
man etwas Mut, denn sie sind natürlich nicht immer perfekt.
Unser Blick geht dieses Jahr besonders nach Afrika und Lateinamerika.
In den vergangenen Jahren waren diese Länder bei der
Berlinale etwas unterbelichtet. Da sind wir - um mit der Börsensprachen
zu reden - dieses Jahr gut aufgestellt.
|