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Berlinale 2004 19.02.2004
 
 

Triumph der Flüchtigkeit
In der Gefühls-Stratosphäre: Wenn die Bilder driften lernen - Notizen von der 54. Berlinale

WAS NÜTZT DIE LIEBE IN GEDANKEN
 
 
 
 

Verträumte staunende Blicke, eine Taxifahrt durch die Neonnacht von Tokio, Bilder, die in gleißendes Weiß zerfließen, ein junges Mädchen aus dem Westen driftet durch Tokio, einsam und traurig auf einer Suche, der jedes Ziel nur Vorwand ist. Das Szenario kommt einem bekannt vor, und die Frage zu Beginn, gesprochen von einer Mädchenstimme auf Englisch mit französischem Akzent dürften viele Zuschauern bejahen: "Have you ever been to Tokio?" - gerade erst war man dort, mit Sofia Coppola zum Hang-Out im Park Hyatt von Japans Hauptstadt, da geht es schon wieder hin.

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THE STRATOSPHERE GIRL vom deutschen Regisseur M. X. Oberg ließe sich beschreiben als eine deutsche Variante von LOST IN TRANSLATION, in der die Filmemacher noch viel weniger Geld hatten, als Coppola und die Hauptfigur gar keins - darum wohnt sie nicht in einem Luxushotel, sondern mit drei anderen europäischen Mädchen in einer WG, und arbeitet als Hostess. Doch das führt auf die falsche Fährte. Denn auch wenn THE STRATOSPHERE GIRL auf frappierende Weise die Faszination für Japan, die Grundidee der Verlorenheit in der hybriden Metropole, manche Beobachtungen und einige Darstellungsweisen - etwa die Tatsache, dass die japanische Sprache durchweg nicht untertitelt wird - mit Coppola teilt, ist die Grundhaltung doch eine andere. Eher ähnelt der Film solchen Neo-Noir-Thrillern wie Abel Ferraras NEW ROSE HOTEL (nach William Gibson) oder TOKYO EYES von Jean-Pierre Limousin.

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Am Anfang sieht man Angela (Chloe Winkel), die engelsgleiche, naseweis-unschuldige Hauptfigur noch durch das Dachfenster einer typisch bundesrepublikanischen Reihenhauses gucken. Kurz darauf blickt sie durch eine ähnliche Badezimmerluke auf den nächtlichen Verkehr in Tokio. Das ist der erste Blick auf Japans Hauptstadt, gerade in seiner Verstohlenheit und Beiläufigkeit um so glamouröser. Blicke sind sehr viel in THE STRATOSPHERE GIRL, immer wieder geht es darum, wie die Wahrnehmung des Mädchens sich in Zeichnungen verwandelt, wie Körper zur graphischen Fläche, zu Kunst werden. Denn Angela ist Comic-Zeichnerin, die nach Japan gekommen ist, um zu malen, was sie staunend sieht. Je länger sie dort ist, um so mehr nähert sich ihr Stil dem der Mangas an, japanisiert sich. Doch vor allem erlebt sie ein Abenteuer, in dem sie wie eine Noir-Detektivin dem Schicksal einer verschwundenen Russin nachspürt, und daraus wieder eine Comic-Geschichte macht, selbst mit den Heldinnen ihrer Geschichte verschmilzt.

Bis zum Ende ist schwer zu sagen, was Traum, was Wirklichkeit sein soll in diesem Film, doch diese Schwäche der Story wird zur Stärke der Beobachtung: Der Film nähert sich selbst der offenen, fragmentarischen Erzählweise des Comics - und damit auch einem sehr gegenwärtigen Lebensgefühl. Ein Triumph der Flüchtigkeit, ein Driften gegen den Strom, bei denen der Zuschauer und die Heroine Angela im japanischen Zauberwald trotzdem vor allem finden, was sie hineinprojizieren - sich selbst - und äußere Fremdheit greifbar wird. Kunstvoll und einfallsreich gelingt Oberg mit THE STRATOSPHERE GIRL vieles auf einmal: Japan-Essay und Nachtstück, Detektivgeschichte und eine Traumnovelle. Bei kleineren Schwächen ist THE STRATOSPHERE GIRL besser und interessanter als die meisten deutschen Filme, die man im letzten Jahr sehen konnte - ein Film, in den man sich verlieben kann.

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"Every line you draw leeds to something." - diesem Prinzip von Angelas Zeichenkunst folgt auch das "Panorama", die größte, oft sehr starke, aber auch immer ein wenig chaotische Sektion der Berlinale, als Ganzes. Vieles wird hier angerissen, aber weil man das totale Programm kaum sehen kann, muss man sich auch dem Zufall hingeben, selber driften lernen - und Glück haben. Im besten Fall fügt sich dann alles zu einem harmonischen Ganzen. Aber ganz verstummt die Frage nicht, warum die Berlinale aus beiden Nebenreihen "Panorama" und "Forum" nicht eine klare zweite Sektion formt - wie der "Certain Regard" in Cannes, oder der "Controcorrente" Venedigs, wo sich manchmal bessere Filme finden, als im Wettbewerb.

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Wenn in den neuen Fernostreisen des westlichen Kinos zwischen KILL BILL und THE STRATOSPHERE GIRL immer auch ein wenig Flucht aus der eigenen Gegenwart mitspielt, liegt die Frage nahe, was dortige Regisseure mit ihrer Welt anfangen. Auch in den asiatischen Panorama-Beiträgen überwiegt die subtile Weltflucht. Manchmal wird sie thematisiert, wie in A DAY ON THE PLANET von Isao Yukisada, der vor zwei Jahren mit GO begeisterte, der auch ins deutsche Kino kam. An diesem Meisterwerk gemessen, enttäuscht sein neuer Film über eine Gruppe von Studenten, die einen gemeinsamen Abend verbringen. Es wird gegessen und viel geredet, im Hintergrund rauscht der Nachrichtenäther und erzählt von einem Mann, der zwischen zwei Häuser eingeklemmt wurde, und von einem an der Küste gestrandeten Wal. Die untergründige Melancholie, die in allem schwebt, ist treffend, doch sieht man dergleichen längst nicht zum ersten Mal. Was in manchen Augenblicken eine bezaubernde Schwerelosigkeit entfaltet, wird zu oft flach, und so spürt man weder genug Atmosphäre, noch erfährt man viel über die Figuren.

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Besser gelingt beides in AKAME 48 WATERFALLS von Genjirou Arato: ein junger Mann verbringt die Zeit tagaus tagein in seiner kleinen Wohnung, die ihm zum statischen Fluchtpunkt geworden ist. Hier schneidet er Fleisch und Gemüse für ein naheliegendes Restaurant, und sucht sich zu verlieren. Mehr und mehr wird er aber Ziel der beiläufigen Besuche der Nachbarn, in seiner Einsamkeit spiegeln sich ihre Sorgen und Leidenschaften. Und schließlich befreit er sich aus der selbstgewählten Isolation, und kämpft um eine neue Liebe. Ein filmisch klar komponiertes Kammerspiel, eine stille Höllenfahrt.

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Ein kühl realistisches, dabei humorvolles Gegenwartsportrait, zugleich eine bittersüße Love-Story bietet LOST IN TIME vom Hongkong-Regisseur Derek Yee. In diese Geschichte über das Schicksal einer jungen Witwe zwischen Trauer, sozialer Not und neuer Liebe fließt viel ein vom Lebensgefühl des Stadtstaates, der nach der SARS-Krise und politischen Querelen selbst eine Phase neuer Verunsicherung durchlebt. Der Reiz dieses Films liegt auch in einer sehr gekonnten Inszenierung, Bildern, die die Metropole als Dschungel abstrakter Eindrucke zeigen, und darum alles schlicht Dokumentarische schnell verlassen.

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Eindringliche Bilder der ganz anderen, weitaus kühleren Art prägen UNTOLD SCANDAL von E.J-Young: "Gefährliche Liebschaften" auf koreanisch. Elegant und treffsicher wird Chloderos de Laclos' Briefroman im Korea des 18.Jahrhunderts angesiedelt - und statt eines Aufeinanderprallen fremder Kulturen erfährt man überraschende Nähe. Hier ist es gerade die strenge, manchmal geradezu lackierte Form, die alles in Fluss bringt: Schnurgerade surrt die Handlung in rhythmischem Gleichmass ab, bekannt, aber in den Details apart variiert.

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"Wie schön, dass ich endlich mal über den Film reden darf..." freute sich Anthony Minghella. Es war die vierte Frage auf der Eröffnungspressekonferenz, die ihm erst dazu Gelegenheit gab. Dabei war die internationale Presse Minghella keineswegs feindselig gesonnen. Doch nachdem sein Bürgerkriegsschmachtfetzen "Cold Mountain", die 54. Berlinale eröffnet hatte, überwog die Enttäuschung, erst recht nach dem klar war, dass keiner der drei Hauptdarsteller - Nicole Kidman, Jude Law, Renee Zellweger - zur Premiere und zur Pressekonferenz gekommen war. Stattdessen wurde Minghella von Harvey Weinstein flankiert, dem ebenso allmächtigen wie selbstbewußten Chef der Miramax-Studios - und der bestritt dann den Großteil der Show. Mehr als einmal nahm der Filmtycoon seinem Regiseur mit einem bündigen "I'll answer that" das Wort und reagierte ohne merklichen Zorn auf so unangenehme Fragen wie die, warum der Film nur vier kümmerliche Oscar-Nominierungen erhalten habe: "Jeder kann sich irren." Nach diesen Reaktionen zu urteilen, scheint sich Weinsteins dritter Eröffnungsfilm in Folge in drei Jahren unter Berlinale-Chef Dieter Kosslick zu einem "verflixten dritten Mal" zu entwickeln. Zum Schluß skizzierte Minghella immerhin noch die Botschaft seines Films: "Ich bin Optimist: Am Anfang ist Krieg, am Ende sitzen alle Überlebenden um einen Tisch."

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"Wenn dies nicht möglich ist, hat es keinen Sinn, miteinander zu reden." - Romuald Karmakar redete sich in Rage: Soeben war sein neuer Film DIE NACHT SINGT IHRE LIEDER erstmals gelaufen, da machte Karmakar in der Pressekonferenz es auch den Wohlwollenden schwer: "Das ist mir hier zu primitiv." schäumte er - und man spürte den Minderwertigkeitskomplex, den Karmakar mit vielen teilt, die in Deutschland versuchen Kino abseits des Unterhaltungsmainstreams zu machen. Dabei hatte sein Film, wie viele deutsche Beiträge der Berlinale, durchaus Qualität, zeigte, dass hierzulande die unabhängigsten und "kleinsten" Filmemacher die interessantesten sind.

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DNS, wie die Presseleute und Journalisten den Film abkürzen, ist die Verfilmung von Jon Fosses gleichnamigem Stück: Streng und ernst in der Form begegnet einem Beziehungskampf pur: Die Selbstzerfleischung ein Paares (wunderbar: Frank Giering, eindrucksvoll: Anne Ratte-Polle) in einer Nacht ist ein Horrorfilm der anderen Art. In seinen starken Momenten wirkt das alles wie bei Fassbinder und Bergman, in seinen schwachen wie ein "Derrick" aus den späten 70ern. Jenseits aller Einwände im Einzelnen hat Karmakars Film jedenfalls mehr Mut, als die Hälfte der übrigen Wettbewerbsbeiträge zusammen - eine wohltuende Zumutung in einem schwachen, weil zu gefälligen und unprovokativen Programm - die Auswahl war zu brav und zu sehr an - überdies unanstößigen - politischen Botschaften orientiert.

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John Boormans COUNTRY OF MY SKULL, erklärter Lieblingsfilm von Berlinale-Chef Dieter Kosslick, konnten auch Juliette Binoche und Samuel L. Jackson nicht retten. Eine Südafrika-Soap um lauter Gutmenschen, die ihren Fragen nach Identität und Erinnerung alle Brisanz nimmt - indem hier nichts in Frage gestellt wird, sondern alle Brüche in einer filmischen Bergpredigt zugekleistert werden.

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Gute Gesinnungen und Namedropping - diese Kombination sollte offenbar das Erfolgsrezept eines Wettbewerbes sein, der hinter dem des Vorjahres bisher zurückbleibt - vor allem weil die Überraschungen bisher fehlen. Einzige Ausnahme: "The Missing" von Ron Howard. Nach Kevin Costners "Open Range" ist dies binnen sehr kurzer Zeit ein zweiter Western - da weitere gedreht werden, sprechen manche schon von einer Renaissance des Genres. Weniger elegisch, auch weniger lahm als Costners Film ist "The Missing" dabei keine nostalgische Hommage an eine für alle Zeit vergangene Männerwelt, sondern ein ganz gegenwärtiger, zeitgemäßer Film: Ein Thriller mit mystischen Elementen, dabei fast ein "Post-Western", der jenseits von den Klassikern in der Nachfolge von Ford und Hawks auch vom Italo-Western gelernt hat, und ein düstereres, härteres, schmutzigeres aber wohl auch realistischeres Bild des Westens zeigt. Es erinnert an den "Blutigen Meridian" der Romane Cormac McCarthys.

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Als ein junges Mädchen 1885 von Indianern in Richtung Mexico entführt wird, um in dortige Bordelle verkauft zu werden, macht sich deren Mutter mit der zehnjährigen zweiten Tochter auf die Suche. Bald ist sie auf die Hilfe ihres Vaters angewiesen, von dem sie eigentlich nichts mehr wissen wollte. Im Verlauf des Geschehens wird die Verfolgung erwartungsgemäß zu einer Reise ins Innere der Figuren, in der es um Versöhnung, Erlösung und urmenschliche Toleranz geht. Die besten Auftritte haben hioer einmal nicht die Hauptdarsteller: Tommy Le Jones wirkt stoisch und solide wie immer, während Cate Blanchett in Wahl und Gestaltung ihrer Rollen allmählich in die Meryl Streep-Falle fällt - immer mehr nur noch bigotte männerfeindliche "reine" Frauen zu spielen. Eindrucksvoll schurkisch ist dagegen Eric Schweig. Tapfer Evan Rachel Wood als ältere Tochter. Zur eigentlichen Hauptfigur und Antriebskraft des Films wird aber zunehmend die kleine Tochter Dot - wunderbar und bezaubernd gespielt von Jenna Boyd.

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"New Hollywood, das war Mittelalter!" - Jack Nicholson lacht, heiser zunächst, sicher steigernd zu dieser einmaligen, intensiven und ein klein bisschen wahnsinnigen Lache, die man aus so vielen Filmen kennt. Dann, auch das hat man schon öfters im Kino gesehen, bricht das Lachen abrupt ab. Ganz kurz weiß man nicht, ob Nicholson jetzt gerade besonders dumm, oder besonders klug guckt, dann beseitigt das listige Zwinkern in den Augen alle Zweifel.

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Den Weltstar Jack Nicholson im Gespräch zu erleben, ist schon etwas Besonderes. Nicht allein, weil man sich immer wieder einmal bei dem Gedanken ertappt, ob er da jetzt wirklich vor einem sitzt, oder man doch nur im Kino eingeschlafen ist, und gerade einen besonders schönen Kinotraum träumt. Es sitzt einem da auch einfach ein besonders wacher Mensch gegenüber, ein genauer Beobachter, der auf jede Regung seines Gesprächspartners reagiert, konzentriert und bemüht um Substanz antwortet, und dabei jederzeit vor allem dafür sorgt, das jedenfalls einer seinen Spaß hat: Er selbst.

"Heute war ein guter Tag", erzählt der 66jährige, "Ich habe einen Mittagsschlaf gemacht, und dann einen Wein getrunken." Und grinst. Will sagen: Nehmt alles nicht so wichtig. Will auch zeigen, dass hier einer weiß, dass er eine Art Ehrengast der diesjährigen Berlinale ist, obwohl Festivalchef Dieter Kosslick aus Spargründen diesmal die zweite Retrospektive stillschweigend gestrichen hat. Aber neben seinem neuen Film "Something's gotta give", einer sehr charmanten alterweisen Komödie aus dem Alltag eines Viagra-Users, laufen allein sieben Nicholson-Filme in der Retrospektive, die "New Hollywood" gewidmet ist - jener Epoche, von der er anfangs so kokett als "Mittelalter" spricht. "Wir waren verrückt damals", meint er, "Wir wollten europäische Filme machen. In Amerika!" Und lacht wieder, als spürte er, wie absurd dieses Ansinnen heute anmutet.

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Wer das miterlebt, spürt auch mehr als einen Hauch von Sehnsucht nach einer Zeit, in der mit Nicholson das ganze Kino plötzlich so jung war, wie nie zuvor. "Ich fühle mich um keinen Tag gealtert." Und man bekommt eine Ahnung davon, warum Nicholson, vor allem der der 60er, 70er und frühen 80er Jahre, in denen er irgendwann für ein paar Jahre der gefragteste US-Darsteller der Welt war, für die Kinogeschichte so wichtig ist. Denn er war nicht nur ein glänzender Schauspieler, der vielen Klassikern der Kinogeschichte, von EASY RIDER über Polanskis CHINATOWN bis hin zu Antonionis Meisterwerk PROFESSIONE: REPORTER seinen Stempel aufdrückte, er war auch ein charismatischer Anreger. Seinem Charme und seiner Intelligenz, seinem guten Geschmack nicht zuletzt, ist es zu verdanken, dass viele dieser Filme überhaupt entstanden.

Und so kommt im Laufe der mit allerlei Anekdoten - für deren Wiedergabe man eine ganze Zeitungsseite bräuchte - ausgeschmückten Unterhaltung auch zu einem offenen Geheimnis: Dass in diesem Darsteller nämlich ein heimlicher Filmemacher steckt. Gern wäre er Regisseur geworden, hat neben dem Basketball-Film DRIVE HE SAID, der auch auf der Berlinale läuft, noch drei weitere, kommerziell erfolglose Regiearbeiten hinter sich, und mehrere Drehbücher geschrieben. "Die Filme der 70er sind diejenigen Filme die bleiben," sagt er, erinnert an SHINING, den er mit Stanley Kubrick drehte, und berichtet davon, dass er vor einigen Jahren die Rechte von PROFESSIONE: REPORTER gekauft hätte, "damit der überhaupt noch in einer guten Version ins Kino kommt." Solche Filme werden leider zur Zeit überhaupt nicht mehr gemacht. Das Mittelalter, jedenfalls aus Sicht Jack Nicholsons, war die beste Zeit.

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Um die Dynamik der Gefühle kreist auch der zweite deutsche Panorama-Beitrag: Eine Gruppe von Jugendlichen, ein Wochenende am See, irgendwo draußen vor Berlin. Es wird viel getrunken, geraucht, getanzt, gelacht, und im Hintergrund läuft Musik. Allmählich lädt sich die Stimmung erotisch auf, Blicke werden gewechselt, es wird geknutscht, gefummelt, das eine oder andere Paar zieht sich in die Büsche zurück, und am nächsten Tag werden alle einen Kater haben und ihre gereizten, auch verletzten Gefühle werden sich entladen, wie ein Sommergewitter - es ist eine ganz und gar heutige, zeitgemäße Geschichte, die der Film WAS NÜTZT DIE LIEBE IN GEDANKEN von Achim von Borries erzählt. Doch der Film spielt in den späten Zwanziger Jahren, und ist erzählt nach einer wahren Begebenheit, der "Steglitzer Schülertragödie". Erstaunlich ist die Leichtigkeit, mit der der Regisseur hier die historische Epoche darstellt: WAS NÜTZT DIE LIEBE IN GEDANKEN zeigt ein 20er-Jahre-Berlin fast ohne Klischees, ohne aufdringliches High-Life, ohne wilde Kulissenschieberei, ohne Nazi-Flaggen, die unheilschwanger auf die Zukunft weisend durchs Bild getragen werden, das dabei doch viel wiederspiegelt von der Atmosphäre der Epoche, und dem es dabei gelingt, ganz heutig zu sein, uns seine Figuren über die zeitliche Entfernung hinweg nahe zu bringen - die Stratosphäre der Gefühle ist zeitlos.

Rüdiger Suchsland

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