Einiges hat sich getan seit dem letzten Filmfest. Der Leiter
heißt jetzt Andreas Ströhl, zeigt sich, dem aufgeschlossenen
Berlinale-Leiter Dieter Kosslik nicht unähnlich, bei
den Vorab-Filmvorführungen seines eigenen Festivals,
mit leicht verstrubbeltem Haar. Das Filmfest-Plakat sieht
dieses Jahr aus wie die Ankündigung für die Verleihung
der Goldenen Kamera und ist damit noch schlechter geworden
als das der vergangenen Jahre mit seinem Kino-Dream-Paar und
dem schlagkräftigen Motto, das sich um die Kinobesucher
bemühte. Besser ist da schon der bescheidene Hinweis
auf das "22. Filmfest", der genügen soll, um
Interesse zu wecken. Der Trailer wurde dieses Jahr erstmals
der Grafik des Plakates angeglichen und zeigt das neue Selbstverständnis
des Filmfestes als Produkt, das nur mit sich selbst wirbt.
Vermissen werden wir sie trotzdem, die blonden Angels, die
sich im Hofgarten zusammenrotten und München als Actionszenario
erleben - allein des Amüsements wegen.
Gespannt sein darf man auf das Programm. Immerhin hat Andreas
Ströhl, entgegen der Plakatästhetik, erkannt, dass
dies ein Filmfest ist und nicht das Fest des Deutschen Fernsehfilms.
Weniger Fernsehfilme werden gezeigt, dafür übernahm
er Bewährtes wie die Reihe des Nouveau Cinéma
Français (darunter Altmeister wie Godard mit NOTRE
MUSIQUE, Rivette und Resnais), schaffte eine eigene Reihe
für das junge asiatische Kino, darunter OLD BOY oder
WOMAN IS THE FUTURE OF MAN. Auffällig viele Dokumentarfilme
finden sich entgegen den Gepflogenheiten des Filmfestes und
dem Gentlemen's Agreement mit dem Münchner DokFest im
Programm, darunter die wuchtige METALLICA-Dokumentation, Errol
Morris' streitbarer FOG OF WAR, der den diesjährigen
Oscar erhalten hat, aber auch Unsäglichkeiten wie SUPER-SIZE
ME.
Besonderer Stellenwert kommt immer dem Eröffnungsfilm
zu. Er ist Aushängeschild des Festivals und gelangt dadurch
zu viel Ehre, muss zugleich die Festivalbesucher in die richtige,
positive Stimmung bringen.
Dies ist mit dem diesjährigen Eröffnungsfilm, DAS
MÄDCHEN MIT DEM PERLENOHRRING, allemal gelungen.
Die Geschichte des Films spielt im niederländischen Delft,
17. Jahrhundert. Die 16jährige Griet (Scarlett Johanson)
kommt als Dienstmagd in das Haus des Malers Jan Vermeer (Colin
Firth). Darf sie zuerst nur das Atelier putzen, wird sie bald
zu seiner heimlichen Assistentin, dem Maler schließlich
Muse und Modell.
Es ist eine Geschichte vom Aschenputtel, das sein wahres
Wesen zu erkennen gibt, als ihr der Perlenohrring ihrer Herrin
angepasst wird. Eine Geschichte, die wie das Märchen
auf sexuelle Erweckung hindeutet, wo das Stechen des Ohrlochs
auch Symbol für das Penetrieren ist, das aber - ganz
nach den triebtheoretischen Lehrsätzen Sigmund Freuds
- in Kunst sublimiert wird. Eine Geschichte auch der Klassenverhältnisse:
Ein Mäzen hält sich Maler und Modell als verfügbare
Objekte, die Magd muss am Ende Magd bleiben und sich im klassenbewussten
Ersatzobjekt, dem Metzgersohn, ein Ventil für ihr Begehren
suchen. Letztlich ist alles vorgezeichnet.
Da kann durchaus ein wenig Ermüdung aufkommen. Nicht
nur die absehbare Geschichte ist daran schuld, auch Scarlett
Johanson trägt dazu bei, wenn sie Sinnlichkeit und Sinnesbegabung
allzu oft mit leicht geöffneten Erdbeermund und staunenden
Augen demonstriert. Die permanente Musikuntermalung will betören
und hebt dabei nur das Rührselige der Geschichte hervor.
Die Absehbarkeit der Handlung ist dennoch keine wirkliche
Schwäche des Films. Denn gerade das Wissen um den Gang
der Geschichte gibt für DAS MÄDCHEN MIT DEM PERLENOHRRING
Raum, im Augenblick der Bilder zu verweilen. Der Film hält
immer wieder die Geschichte an, verliert sich in malerischen
Momentaufnahmen, in Stilleben der Ereignisse. Die Dienstmagd
positioniert sich im Türrahmen, ihr Blick ist gesenkt,
die Haube schimmert in cremigem Weiß. Durch Butzenscheiben
dringt gedämpftes Licht in warmen Braun- und Gelbtönen,
in einem an das 17. Jahrhundert gemahnenden Interieur. Aus
den Körben, die die Mägde vom Markt in das herrschaftliche
Haus tragen, hängen schlaff die Gänsehälse,
das Gemüse, das sorgfältig auf dem Schneidebrett
arrangiert wird, ist violett und dunkelgrün. Jedes Bild,
das Peter Webber in seinem Debütfilm findet, ist eine
Anspielung an die Bildlichkeit der Niederländischen Malerei
und des Vermeer von Delft.
Auch wenn das Bemühen, im Set nachzubilden, was die
Malerei bereithält, gelungen und überzeugend ist,
fehlt gerade an der Stelle der Bildreflexion das, was DAS
MÄDCHEN MIT DEM PERLENOHRRING zum wirklich großen
Film machen könnte. Peter Webber geht letztlich nicht
über die angehäuften Bildzitate hinaus. Sie sind
motivgebend für den Maler und zugleich wiederholen sie
nur Motive der Malerei, ein inszenatorischer Zirkelschluss,
in dem die Malerei immer nur Thema des Films bleiben kann.
Nie gehen die malerischen Momente auf das rein Filmische über,
auf Kamera, Schnitt, Tiefenschärfe. Das Kinobild wird
nicht selbst zum Gemälde, es zeigt vielmehr das Gemälde
als Abbild, das Kinobild als Imitationen der Niederländischen
Malerei in Licht, Dekor und Kostümen.
Dennoch: DAS MÄDCHEN MIT DEM PERLENOHRING ist allemal
schön anzusehen. Der Film ist ein Eröffnungsfilm
par excellence, ein Konsensfilm mit Kunstanspruch, weder aufregend
noch langweilig. Übrigens einer der vielen Filme des
Festivals, die bereits einen Verleih gefunden haben. Und auch
über die Nebenrolle des Filmfestes als Preview-Ereignis
sollte an dieser Stelle noch nachgedacht werden.
Dunja Bialas
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