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Halsbändel und Ohrringe Erste Meldungen vom Filmfest
Wann immer man Andreas Ströhl, dem neuen Leiter des Filmfest Münchens, an den ersten beiden
Festivaltagen begegnet, dann hatte er - selbst wenn er beispielsweise vor der Vorführung von HONEY
BABY auf der Bühne des Carl-Orff-Saals Regiesseur Mika Kaurismäki willkommen hieß - hatte er am
Halsbändel seine
Filmfest-Mitarbeiter-Erkennungsmarke um. Als könne er jederzeit in die Verlegenheit kommen, sich auf
seinem eigenen Festival ausweisen zu müssen, als bestünde sonst die Gefahr, irgendein Ordner könnte
ihn nicht in den Saal lassen oder so.
Ströhl ist kein despotischer Herrscher über das Filmfest. Der beginn seiner Amtszeit scheint
beherrscht von der Maxime: Erstmal nur nix falschmachen! Und das ist gewiss nicht die
unsympathischste Haltung. Zumal die ersten zaghaften Veränderungen, die im Jahr eins nach Hauff
sichtbar wurden, allesamt in die richtige Richtung zu steuern scheinen. Am angenehmsten: Man hat
nicht mehr das Gefühl, auf einem Treff der deutschen TV-Movie der Woche-Branche mit ein paar
Bonus-Filmvorführungen gelandet zu sein. Nachdem dieses unerquickliche Segment des Programms
drastisch in seine verdienten Schranken gewiesen wurde, geht es wieder mehr um Filme, die diese
Bezeichnung auch verdient haben.
Nun finde ich es freilich schon auch irgendwie gemein, dass man nicht mehr die ersten heißen und
gehässigen Diskussionen schon führen konnte, bevor man überhaupt eines einzigen Films ansichtig
wurde. Was gab es da früher für Gesprächsstoff: Die Plakate! Die Slogans! Und die Trailer!!!
Und dennoch muss ich der werten Kollegin Bialas widersprechen, wenn sie beklagt, dass in der Ära
Ströhl vorerst alles glatter, professioneller, weniger markant und eigenbrötlerisch geworden
scheint. Denn, liebe Frau Bialas, gewiss werden wir uns in ein paar Jahren (oder wohl eher schon
Monaten) an Plakate und Trailer dieses Filmfests nicht mehr erinnern können. Wenn wir
aber WIRKLICH zurückdenken, wie das damals war, als vor jedem Film rund zwei Minuten verheerend
missratene CHARLIE'S ANGELS-Imitation zu überstehen war (mithin im Laufe des Festivals also rund
eine komplette Lebensstunde davon verkleistert), oder wenn wir unserem inneren Ohr die noch immer
unauslöschlich in die Hirnridne gegrabene "Alle klatschen mit!"-Mucke des nicht minder legendären
"Film von A bis Z"-Filmfest-Trailers zumuten dann
muss man doch ehrlich sagen: Nein, früher war nicht alles besser! Lieber knapp und auf den Punkt, so
wie dieses Jahr, auch wenn's farblos bleibt.
Und aufregen tun wir uns dann lieber über die Filme.
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Dass der Eröffnungsfilm KEIN Aufreger war, das liegt schon fast in der Natur der Sache. Das müssen
halt immer Streifen mit halbwegs bekannten Namen im Aufgebot sein, die auch dem filminteressierten
Studienrat oder den Damen und Herren Staatsministern beim Eröffnungsakt als "wertvolles"
Filmerlebnis scheinen.
THE GIRL WITH THE PEARL EARRING ist, um es höflich auszudrücken, sehr gediegenes Kino. Eine Fantasie
über das Bildermachen, die munter Künstlermythen des 19. Jahrhunderts auf die Zeit der
niederländischen Meister projeziert. Colin Firth als Vermeer taucht, stets mit etwas ungekämmert,
ins Gesicht hängender Künstlermähne, bevorzugt aus dunklen Schatten auf und schaut (das ist der
Kampf des Kreativen) gequält und gedankenschwer. Scarlet Johansson hingegen guckt zwei Stunden
ununterbrochen wie's Zeiserl wenn's blitzt, weil sie die verunsicherte, verdruckste Dienstmagd aus
der Provinz ist. Besonders schön aber ist ein Grachten-Eckstück, eine Brücke über selbiges sowie
sieben Statisten (zwei in einem Kahn auf der Gracht, die übrigen in diversen Kombinationen daneben
und auf der Brücke) in der Rolle von Delft. Erhöhter Schwierigkeitsgrad: Sie müssen die holländische
Stadt sogar durch verschiedene Jahreszeiten darstellen. Also z.B. mit im Eis festgefrorenem Kahn,
etc.
Wann immer man aber ob solcher Dinge droht, in ein überlegen-gefälliges Schmunzeln zu geraten, dann
zieht Peter Webbers Film doch wieder eine wirklich berührende Szene aus dem Hut und versöhnt - wie
der Moment, in dem Vermeer seinem aufgeschlossenen Dienstmädchen seine neu erworbene Camera obscura
demonstriert, die beiden unter deren gegen Außenlicht abschirmendem Tuch für ein paar Sekunden ganz
dicht zusammen sind, im gemeinsamen Staunen über das Wunder dieser Kino-urahn-Apparatur. Oder die
Szene, in der wir mit Vermeer einfach nur lange, ruhig und genau das Gesicht des Mädchens studieren
dürfen.
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Jetzt hat es das diesjährige Filmfest auf sich genommen, ausgerechnet am ersten unzweifelhaft
sommerwetterigen Samstag dieses Jahres zu beginnen. Uns Münchner scheint es ja schon, als wären
ganze Generationen zur Welt gekommen, herangewachsen, großgeworden, hätten Familien gegründet,
Häuser gebaut und sich dann wohlverdient auf die letzte Lagerstatt gebettet, ohne je Sonne, Hitze,
geöffnete Biergärten anders kennengelernt zu haben denn aus mythisch raunenden Erzählungen der
Alten. Und nun also das erste Sommerwochenende seit den Napoleonischen Feldzügen, und da hat der
Mensch an sich freilich anderes zu tun, als sich gleich wieder in rundum abgedunkelte Räume zu
setzen.
Nur wir Cineasten lassen ja gerne mal andere für uns leben, und statt also am Eisbach zu hocken,
gehen wir zum Surfen ins Kino, in Stacy Peraltas RIDING GIANTS, der mehr Zuschauer verdient gehabt
hätte, als die Handvoll, die sich am Samstag nachmittag ins Maxx 2 verirrte.
Peraltas Film ist eine Doku über die Geschichte des "Big Wave"-Surfens, des seltsamen "Sports" (der
mehr von einer Religion hat), bei dem sich Menschen auf mehr oder minder langen und breiten Brettern
Wellenberge hinunterstürzen, die durchaus Hochhaus-Dimensionen haben können. Zu Beginn scheint
RIDING GIANTS noch mehr an der Subkultur der Surfer interessiert zu sein, daran, warum und mit
welchen Folgen sie sich in den USA der 1950er Jahre etablieren konnte. Aber dann wird das Ganze mehr
und mehr zu einem Epos über große Helden, über Halbgötter des Surfens. (Der Titel läßt sich nicht
zufällig auf zwei verschiedene Arten lesen - "Giants" kann sich auf die Wellen genauso beziehen wie
auf die Männer, die sie reiten...)
Voller Ehrfurcht werden ihre Namen geraunt, von Greg Noll bis Laird Hamilton, werden die Orte ihrer
monumentalen Taten beschrieben, all die legendären Strände in Hawaii und Nord-Kalifornien. Und dann
bekommt man sie - so denn Fotografien oder Filme existieren von den historischen "Rides" - zu sehen,
diese Taten, von denen jede Generation welche vollbringt, von denen die vorherige Generation nicht
einmal zu träumen wagte.
Und der Film schafft es tatsächlich, einem zumindest eine Ahnung zu geben von der Transzendenz, zu
der sich diese eigentlich hochgradig sinnfreie und unvernünftige Tätigkeit des Big Wave-Surfens
aufschwingen kann. Von dem existenziellen High, dass diese Menschen erfahren, wenn sie da an den
schäumenden Lippen des Todes entlangsausen. Und man lernt zumindest im Ansatz zu verstehen, warum
sie oft ihr ganzes Leben strukturieren um die wenigen Sekunden herum, die so ein perfekter Ride dann
dauert.
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Obwohl das Programm insgesamt dieses Jahr so viel interessante Filme bietet wie schon lange nicht
mehr, ist trotzdem (zumindest für mich) die Retro mal wieder das Herzstück des Festivals. Weil aber
doch ungewohnt viel anderes geguckt werden will, trifft es sich ganz gut, dass die Retro quasi
zweigeteilt ist und sich einerseits einem meiner absoluten Lieblingsregiesseure widmet, andererseits
einem Filmemacher, dem ich (zumindest bisher) mit großer Wurschtigkeit gegenüberstehe und dessen
Werke mir bis dato bestenfalls ein "Ganz nett" entlocken konnten: Die Gebrüder Aki und Mika
Kaurismäki.
Weil man aber
a) das wenige Wahre, Gute und Schöne, dass es auf dieser Welt gibt, bei jeder sich bietenden
Gelegenheit hinreichend genießen und würdigen soll;
b) jedoch stets versucht sein soll, seinen Horizont zu erweitern, seine bisherige Sicht der Dinge
auf die Probe stellen soll;
habe ich mir für die Retro folgendes vorgenommen:
MISSION STATEMENT
1. Soweit irgend möglich, ALLES von Aki anschauen. Das wenige, was ich noch nicht kenne, ist sowieso
absolute Pflicht. Und die Filme, die ich schon drei, vier Mal gesehen habe sollen ein viertes,
fünftes Mal der Gemüthsergötzung dienen.
2. Die Vorurteile gegenüber Mika (dass er nämlich ein bestenfalls mittelmäßig talentierter, braver
Langweiler sei) abbauen durch den zumindest selektiven Besuch auch möglichst vieler seiner Werke.
Offenen Auges und Ohres sein dabei, und immer hoffen, dass das Genie bei einem Brüderpaar doch nicht
ganz nur an den einen von beiden verteilt worden sein kann.
3. Versuchen, im Laufe des Filmfests wenigsten einen Wodka (oder allermindestens ein Bier) mit Aki
Kaurismäki zu trinken. Mika nur im äußersten Notfall als Ersatz akzeptieren, und dann darauf achten,
dass der Alkoholpegel unter jener Grenze bleibt, wo die Zunge so gelöst sein würde, dass ich ihm
meine bisherige Meinung über sein Werk unvorsichtiger- und unhöflicherweise kundtäte...
Über den Erfolg dieser Mission wird in den kommenden Tagen zu berichten sein.
Thomas Willmann
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