Tango, Blues, Metal, Country: Musikfilme ziehen sich wie ein roter Faden durch die Themenreihen
des diesjährigen Festivals. Besonders viel Spaß - und zwar bei weitem nicht nur Rockfans -
macht die grandiose Musikdokumentation METALLICA: SOME KIND OF MONSTER.
Heavy Rocker haben es schon schwer: Jeden Morgen hockt ihnen ein dicker Kater auf dem
Schädel, neben ihnen liegt eine fremde Person und immerzu müssen sie teuflisch harte
Burschen markieren. Nach ein paar Jahren kann einem da schon die Puste ausgehen - auch
den harten Jungs von Metallica, die mit 90 Millionen verkauften Alben und diversen Hits
Metal gesellschaftsfähig gerockt haben.
Rund zweieinhalb Jahre hat das fabelhafte Dokumentarfilmduo Joe Berlinger und Bruce
Sinofsky die schwere Geburt des neuen Albums von Metallica begleitet. Dabei gelingen
Ihnen erstaunliche Einblicke in die Gruppenchemie. Wie der kulleräugige Drummer Lars
Ulrich sagt: "Dies ist kein Film über Metallica - dies ist ein Film über Beziehungen."
Und so fällt das Dokufilmprojekt von Joe Berlinger und Bruce Sinofsky in eine Zeit der
Krise, sowohl gruppendynamisch, als auch individuell und künstlerisch. Bassist Jason
Newsted steigt aus und gründet seine eigene Band: "Wer Jahre lang in so einer Band
gespielt hat, kriegt irgendwann einen Schaden," so sein Kommentar. Seine früheren
Gefährten oder "Familienmitglieder" wie sie einander gern titulieren, geht es auch
nicht eben glänzend. Frontmann James Hetfield hat derbe Alkoholprobleme, zwischen
den Jungs schwelen Konflikte. Und so heuert die Band, um der völligen Zersetzung zu
entgehen, einen "Shrink" an: Kaum zu glauben, die Oberrocker von Metallica auf der
Psychocouch...
Spätestens jetzt merken die Filmemacher, dass der Film weit mehr als ein Making-of des
neuen Albums "St. Anger" werden könnte. Allerhand tritt zu Tage: Der aufbrechende Konflikt
zwischen den Alphamännchen Hetfield und Ulrich, dazwischen Leadgitarrist Kirk Hammett als
immerwährender Schlichter. Persönliche Verletzungen werden sichtbar und die tiefe
Unsicherheit hinter der Macho-Pose. Seit zwei Jahrzehnten arbeiten die Männer schon
zusammen, nun wird ihnen plötzlich klar, dass sie einander kaum kennen. Irgendwann
stürmt Hetfield nach einer weiteren Auseinandersetzung mit Ulrich aus der Tür - und
klinkt sich fortan monatelang aus. Das endgültige Aus für die Band scheint nur noch
eine Frage der Zeit. Eine Szene zeigt Hammett auf dem Surfbord: "Da gibt es diesen
Moment, an dem Du ganz auf Dich allein gestellt bist", sagt er und meint den
Wellenritt - doch der Satz passt genauso gut an viele andere Stellen dieses Films.
Spannend zu beobachten ist auch das zähe Ringen um den Sound, der Kampf mit dem
Monster Metal. Jede Probe wird zum heiklen Balanceakt, denn die Aggressivität,
die der Sound braucht, droht die Beziehungen zwischen den Bandmitgliedern zu
torpedieren. Hetfield tut sich zudem schwer damit, die Herrschaft über die Lyrics
fortan mit den Bandmitgliedern zu teilen. Eine neue demokratischere Arbeitsweise,
die aus den Gruppensitzungen resultiert. Und dann doch, plötzliche Momente des Glücks,
wenn nach monatelangem, frustrierendem Herumwursteln plötzlich etwas entsteht. Kunst,
so sieht man hier gilt auch für Rocker, ist nur ein Quäntchen Talent - und 99 Prozent
harte Arbeit.
Daneben hält der Film ganz köstliche Szenen bereit, die die berüchtigten Partyanimals
als inzwischen dann doch latent gesattelte 40-Somethings zeigen: Hetfield als Kuschelpapa,
sein Töchterchen im rosa Tutu knuddelnd. Oder wie er auf dem Sofa lümmelnd ins Mikro röhrt,
seinen davon völlig unbeeindruckten kleinen Sohn auf dem Schoß. Ulrich gefällt sich derweil
in seiner Rolle als Kunstkenner und nippt Champagner. Hammett poliert sich mit einem
elektrischen Maniküregerät hingebungsvoll die Nägel.
Was diese Dokumentation zu etwas ganz Besonderem macht, ist jedoch die Courage und
Großzügigkeit der Protagonisten, die hier ihr Image als harte Rocker aufs Spiel setzten.
Dass die Filmemacher so viel Vertrauen erwerben konnten und bei aller Intimität der
Bilder nicht verrieten, beweist deren Feingefühl und Integrität, menschliche
Qualitäten, die auch unter Dokumentarfilmern nicht immer selbstverständlich sind.
"Glaubt Ihr, Ihr habt nach so vielen Jahren noch genügend Power für Metal?" will eine
Journalistin zum Start von St. Anger wissen. Offenbar haben sie. Nach mehr als drei
Jahren Pause steht die Band schließlich wieder auf der Bühne, gemeinsam mit dem
neuen vierten Mann, Bassist Robert Trujillo. Das Scheinwerferlicht verschmilzt sie
zu einer kraftvollen, wütenden, atemberaubenden Einheit. In diesem Moment spielen
die Probleme und Quereelen der vergangenen Monate keine Rolle mehr: Das Monster
Metallica ist auferstanden - jedenfalls fürs Erste.
Mittwoch, 30.6.04, 22.00 Uhr, Maxx 2
Samstag, 3.7.04, 17.30 Uhr, Forum am Deutschen Museum
Nani Fux
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