Filmsplitter
Der diesjährige Filmfest-Trailer ist der beste seit Menschengedenken. Ein Meisterwerk
der Effizienz. In kompakter Form bietet er alles, was von einem Festivaltrailer erhofft wird,
ohne zu nüchtern zu sein. Sicher, die Grafik hätte noch etwas schöner sein können, häßlich ist
sie aber auch nicht. Anders als mancher seiner Vorgänger löst der diesjährige Vorspann auch nach
häufigem Sehen garantiert keine allergischen Reaktionen hervor. In zwei Punkten könnte der
praktische Nutzen aber noch gestärkt werden: Der Trailer ist in der ersten Hälfte sehr dunkel.
Zuspätkommer stolpern deshalb durch den tiefschwarzen Saal. Und er bietet nur gegen Ende kurz
die Möglichkeit den Film scharf zu stellen. Hat der Vorführer diese Gelegenheit verpaßt,
startet der Hauptfilm unscharf.
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Der Preis für die beste Titelsequenz geht bislang an PAS SUR LA BOUCHE von
Alain Resnais. Zu sehen sind nur Scherenschnitte von Darstellern und Requisiten, während
ein Sprecher das Publikum begrüßt und Titel und Credits ansagt. Die perfekte Einstimmung
für eine Operette aus den 20er Jahren.
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John Sayles bleibt sich treu. Wieder liefert er einen Ensemblefilm ab, in dem ein
sozialer Mikrokosmos mit all seinen Konflikten durch die sorgfältig verflochtenen Beziehungen
von gut einem Dutzend Personen dargestellt wird. Wieder spielt die Handlung an einem Ort
auf einer kulturellen Grenzlinie. In CASA DE LOS BABYS ist es der Adoptionstourismus
in Acapulco, wo reiche US-Amerikaner arme mexikanische Babys haben wollen. Der Film ist -
wie von Sayles nicht anders zu erwarten - sehr gut geschrieben und sorgfältig inszeniert,
reicht aber nicht ganz an seine Meisterwerke CITY OF HOPE und LONE STAR heran. Das mag
daran liegen, daß das Beziehungsgeflecht für Sayles'sche Verhältnisse recht einfach
strukturiert ist: Auf der einen Seite fünf US-Amerikanerinnen mit ihren individuellen
Problemen und Konflikten, die in einer Hotelanlage auf die Zuteilung "ihrer" Babys warten.
Auf der anderen Seite die Mexikaner, die sich wiederum in zwei Gruppen aufteilen lassen:
Solche, die vom Adoptionstourismus leben und denen es umso besser geht, je stärker sie involviert
sind, und solche, die nichts davon abbekommen und deshalb von der Hand in den Mund leben.
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Anfangs scheint BHALO THEKO (Forever Yours) alle Vorurteile zu bestätigen, die ich
gegenüber indischem Kunstkino habe: Ein Autor aus Bengalen oder Kerala erzählt in
unglaublich langsamen Bildern eine Geschichte, wo ich weder den grundlegenden Konflikt noch
die Beziehungen aller Protagonisten zueinander verstehe. Doch nach ca. 20 Minuten gerate ich
in den Sog des Films. Ich fange an, mich für die Protagonisten zu interessieren, mit ihnen
mitzufiebern, und plötzlich bin ich von der Handlung gefesselt, bin im Film "drin".
Natürlich verstehe ich nicht jedes Detail, insbesondere die häufig zitierte Lyrik ist
mir zu fremd, aber ich kann der Geschichte folgen. Die Langsamkeit des Erzählrythmus
wird nicht als Langweile sondern als Poesie empfunden.
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»Gott ist Brasilianer« postuliert ein Filmtitel aus dem diesjährigen Programm. Da könnte
etwas dran sein, denn die beiden unterhaltsamsten Filme meines Tages kommen aus Brasilien.
Zuerst SEPARAÇÕES (Breaking Up) von Domingos de Oliveira, bei dem das Trennungs- und
Wiedervereinigungsgehabe geschlechtsreifer Großstädter unter die Lupe genommen wird.
Ihr Motto: »Nicht mit Dir und nicht ohne Dich«. Humorvoll wird von Seitensprüngen und
den individuellen Träumen vom Glück in der oberen Mittelklasse Rio de Janeiros berichtet.
Die Hauptprotagonisten arbeiten beim Theater, deshalb werden die Gefühle manchmal etwas arg
theatralisch ausgelebt, aber ansonsten bleibt der Film erfreulich klischeefrei.
In DEUS É BRASILEIRO (God Is Brazilian) von Carlos Diegues hat Gott von den ständigen
Forderungen der Menschen die Schnauze voll und will Urlaub machen. Als Urlaubsvertretung hat er
sich einen Heiligen in spe aus den armen Nordosten Brasiliens ausgeguckt. Doch den muß er erst
einmal finden. So reist Gott den Spuren des Heiligen hinterher, in seinem Schlepptau den
Taugenichts Taoca und die schöne Mada, die sich von dem angeblichen Professor aus Sao Paulo
die Fahrkarte in ein anderes Leben verspricht. Wie Gott inkognito mit den Eigenheiten seiner
Schöpfung klar kommt und versucht Wunder zu vermeiden, ist herzerfrischend.
Aber vielleicht ist Gott doch kein Brasilianer, denn bei beiden "Filmen" wird die Bildqualität
durch digitale Artefakte und Farbsäume reduziert. Insbesondere bei DEUS É BRASILEIRO tut dies in
der Seele weh. Wie schön würden die fantastischen Landschaften Brasiliens auf richtigem Film
aussehen!
Claus Schotten
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