|
Folge 3: Der Checker
Zeit für ein Geständnis: Die beiden bisherigen
Lieferungen dieser kleinen Typologie enthielten schon ein
gewisses Maß an satirischer Übertreibung. Weniger,
als mancher glauben wird, aber immerhin.
Zur Abwechslung drum mal reale Fälle, eiskalt dargeboten
so nackt wie Gott sie schuf, bzw. Zeitzeugen der Geschichte
sie erleben konnten. Wobei: Ein bisschen Schummeln muss sein,
weshalb folgendes Exempel nicht auf einer Pressekonferenz
aufgespielt wurde, sondern bei einem Publikumsgespräch.
Es sei aber versichert, dass ähnliche Vorkommnisse auch
mit Journalisten in der Literatur belegt sind.
Ereignet hat sich die folgende investigative Meisterleistung
nach einer Vorführung von Raymond Depardons PROFILS PAYSANS:
LE QUOTIDIEN. Ein sehr schöner Film übrigens, eine
still bewegende, von einer großen, unausgesprochenen
Traurigkeit getragene Doku über französische Kleinbauern
und ihre im Verschwinden begriffene Welt. Es geht um Dörfer,
in denen nur noch eine Familie wohnt. Es geht um 80-jährige
Schäfer, die keine Nachfolger haben. Um Bauern, die ihre
Höfe verkaufen und sich in der Vorstadt zu Ruhe setzen.
Und was es war, wird wohl ein Geheimnis bleiben: War es ein
grundlegendes Misstrauen gegen das Medium Film, ein Bedürfnis
nach expliziter Versprachlichung? Eine Unzufriedenheit, dass
sich in dem Film nicht endlich mal jemand hinstellt und in
die Kamera sagt, dass keine Nummergirls durchtanzen und Schilder
hochhalten auf denen steht: "Der französische Kleinbauer
ist am Aussterben"? Waren es die Folgen eines ausgedehnten
Kino-Nickerchens? Oder war es doch ein besonders feines Gespür
für den Kern eines Films, dass so eine vage Ahnung ins
Bewusstsein telegrafierte für eine schon sehr gewagte
Lesart des eben Gesehenen?
Irgend etwas davon jedenfalls muss einen jungen Herrn dazu
getrieben haben, folgende Frage zu stellen, die Raymond Depardon
wahrscheinlich heute noch an seinen Fähigkeiten zweifeln
lässt, als Regisseur die wesentlichsten Punkte so klar
rüberzubringen, dass man nicht mehr drüber sprechen
muss: "Würden Sie," und dies durchaus im Ton
der Ungewissheit gefragt, "sagen, dass die Welt der Kleinbauern
eine sterbende Welt ist?"
Folge 4: Die Ich-glaub-ich-bin-im-falschen-Film-Frau
Weil's so schön war, gleich noch eine Folge "nach
einer wahren Begebenheit", und diesmal sogar original
aus einer Pressekonferenz. Und zwar aus der zum Eröffnungsfilm,
MAN TO MAN.
Dass es sich ausgerechnet um eine Frau, und ausgerechnet eine
Dame aus Indien handelte, tut für den Typus, den sie
vertritt, nicht viel zur Sache. Typisch ist eher, dass sich
bei ihr offenbar eine gewisse Unerfahren-, Uninformiertheit
mit einer merklichen Beflissenheit paarte - eine Kombination,
die man bei, beispielsweise, jungen deutschen Männern
genauso antreffen kann, die aber jedenfalls gern zu einer
Frage wie der folgenden führt: "Können Sie
etwas sagen dazu, welche Änderungen sie beim Prozess
der Verfilmung an dem Roman vorgenommen haben?"
Ist jetzt an sich keine schlechte Frage, kann man schon mal
bringen. Ist halt nur meistens etwas angebrachter bei Filmen,
die auch wirklich auf einem Roman basieren - das ist dann
oft sehr hilfreich.
So ist das Ergebnis dann nicht ganz so informativ, außer
eben für die Journalistin, die danach bestimmt ihren
Lebtag nicht vergessen wird, dass MAN TO MAN keine Romanverfilmung
ist. Wobei Regisseur Régis Wargnier der Situation sehr
charmant ihre Peinlichkeit nahm: Nachdem das Missverständnis
ausgeräumt war, meinte er, wenn sein Film sich anfühle,
als wäre er ein Roman, dann nähme er das als Kompliment.
Mit Schirm, Scham und Melone
Wir hatten in einem unserer früheren Beiträge versprochen,
weiterhin ein Auge zu haben auf das große Leitmotiv
der diesjährigen Berlinale: Tischfußball-Spiele.
Und siehe da, drei sind tatsächlich noch dazugekommen.
Eine sehr prominente Rolle spielt ein Kicker-Tisch in der
großartigen Wolf Haas-Verfilmung SILENTIUM, aber das
ist so grauslig, das trauen wir uns hier gar nicht erzählen,
das schauen Sie sich gefälligst selber an, husch!
Die anderen beiden kamen eher am Rande vor. Das eine in unserem
Liebling THE LIFE AQUATIC WITH STEVE ZISSOU, wo es als kleines,
aber unverzichtbares Ausstattungs-Detail zur Tauchfahrt in
die '70er-Jahre beiträgt. Das zweite, auch nur ein paar
Sekunden zu sehen, gab's in VIOLENT DAYS von Lucile Chaufour
- ein spannender Film über die Langeweile. Und damit
ein instruktiver Kontrast zu Tsai Ming Liangs THE WAYWARD
CLOUD (TIAN BIAN YI DUO YUN) im Wettbewerb.
VIOLENT DAYS zeigt, halbdokumentarisch, eine Handvoll französischer
Rockabilly-Fanatiker auf dem Weg zu einem Konzert - die ewig
lange Anfahrt, das Rumlungern vor dem Abend, das Konzert selbst.
Man braucht eine Weile, das Prinzip zu kapieren und zu akzeptieren,
aber dann ist es grade das Interessante, Radikale an dem Film:
Die vier (drei Typen, eine Frau) langweilen sich, egal, was
sie machen. Nominell ist das Konzert DAS große Ding
für sie, ihr Lebensinhalt, das, worauf sie sich die ganze
Woche freuen, aber letztlich wirken sie dort nicht glücklicher
als in ihren stupiden Jobs, die man am Anfang kurz kennenlernt.
Ohne viel Aufhebens, Handlung oder Dialog zeichnet VIOLENT
DAYS dabei schön wiedererkennbar die verschiedenen Charaktere,
die innere Dynamik der Gruppe: Der Anführer, der Mitläufer,
der Spack. Und beweist nebenbei mal wieder: Die tollsten Frauen
hängen immer total an den größten Arschlöchern.
Das muss am Sex liegen, aber THE WAYWARD CLOUD lehrt uns,
dass Sex eigentlich auch eine ziemlich stupide und langweilige
Angelegenheit sei. Selbst wenn man auf eher ausgefallene Ideen
kommt, wie die, halbe Wassermelonen der Frau vor die Scham
zu klemmen oder dem Mann auf den Kopf zu setzen.
Jetzt haben wir zuletzt GOODBYE, DRAGON GATE INN von Tsai
Ming Liang ja wirklich heiß und innig geliebt. Aber
mit THE WAYWARD CLOUD hat der Gute sich echt vergaloppiert.
Es gibt eine Szene, da wird einem plötzlich klar, was
dem Rest des Films abgeht: Da entkommen in der engen Küche
die zum Kochen vorgesehenen Krebse und müssen wieder
eingefangen werden. Wie praktisch jede Szene in dem Film geschieht
dies in einer einzigen, statischen, laaaaaangen Einstellung.
Aber weil Krebse nunmal wenig Ahnung von Filmkunst haben und
auf Regieanweisungen sehr gleichgültig reagieren, muss
die Kamera hier ein unvorhersehbares Geschehen wirklich beobachten.
Während es sonst keine Neugier gibt, nur verkopftes Konzept.
Dass man auch konstruierte, völlig inszenierte und ziemlich
handlungsfreie Momente durchaus selbst in äußerst
unaufgeregtem Tempo und mit gehöriger Dauer so bringen
kann, dass es begeistert, hat Tsai Ming Liang selbst bestens
bewiesen, siehe GOODBYE, DRAGON GATE INN. Aber was THE WAYWARD
CLOUD dazu fehlt, ist schlicht und einfach Gespür für
Rhythmus. Und das ist für einen Film mit Musical-Einlagen
(und viel Sex) tödlich. THE WAYWARD CLOUD ist lähmend
unmusikalisch - und das selbst in Szenen, wo Dutzende Statisten
mit (als Wassermelonen bemalten) Schirmen herumtanzen.
Da hilft alles, was der Film über Sex, Geschlechterbeziehungen
und Macht meint zu sagen zu haben, da helfen alle netten Leitmotive
wie die Melonen oder die große, Taiwan lähmende
Dürre nichts: Es bleibt ein einziges trockenes Gerubbel.
Thomas Willmann
|