KINO MÜNCHEN FILM AKTUELL ARCHIV FORUM LINKS SITEMAP
Berlinale 2005 03.03.2005
 
 

Eine kleine Typologie der Pressekonferenz-Fragesteller (Fortsetzung und Schluss)

Der Lieblingsfilm unseres Autors:
THE LIFE AQUATIC WITH STEVE ZISSOU
 
 
 
 

Folge 3: Der Checker

Zeit für ein Geständnis: Die beiden bisherigen Lieferungen dieser kleinen Typologie enthielten schon ein gewisses Maß an satirischer Übertreibung. Weniger, als mancher glauben wird, aber immerhin.
Zur Abwechslung drum mal reale Fälle, eiskalt dargeboten so nackt wie Gott sie schuf, bzw. Zeitzeugen der Geschichte sie erleben konnten. Wobei: Ein bisschen Schummeln muss sein, weshalb folgendes Exempel nicht auf einer Pressekonferenz aufgespielt wurde, sondern bei einem Publikumsgespräch. Es sei aber versichert, dass ähnliche Vorkommnisse auch mit Journalisten in der Literatur belegt sind.

Ereignet hat sich die folgende investigative Meisterleistung nach einer Vorführung von Raymond Depardons PROFILS PAYSANS: LE QUOTIDIEN. Ein sehr schöner Film übrigens, eine still bewegende, von einer großen, unausgesprochenen Traurigkeit getragene Doku über französische Kleinbauern und ihre im Verschwinden begriffene Welt. Es geht um Dörfer, in denen nur noch eine Familie wohnt. Es geht um 80-jährige Schäfer, die keine Nachfolger haben. Um Bauern, die ihre Höfe verkaufen und sich in der Vorstadt zu Ruhe setzen.
Und was es war, wird wohl ein Geheimnis bleiben: War es ein grundlegendes Misstrauen gegen das Medium Film, ein Bedürfnis nach expliziter Versprachlichung? Eine Unzufriedenheit, dass sich in dem Film nicht endlich mal jemand hinstellt und in die Kamera sagt, dass keine Nummergirls durchtanzen und Schilder hochhalten auf denen steht: "Der französische Kleinbauer ist am Aussterben"? Waren es die Folgen eines ausgedehnten Kino-Nickerchens? Oder war es doch ein besonders feines Gespür für den Kern eines Films, dass so eine vage Ahnung ins Bewusstsein telegrafierte für eine schon sehr gewagte Lesart des eben Gesehenen?

Irgend etwas davon jedenfalls muss einen jungen Herrn dazu getrieben haben, folgende Frage zu stellen, die Raymond Depardon wahrscheinlich heute noch an seinen Fähigkeiten zweifeln lässt, als Regisseur die wesentlichsten Punkte so klar rüberzubringen, dass man nicht mehr drüber sprechen muss: "Würden Sie," und dies durchaus im Ton der Ungewissheit gefragt, "sagen, dass die Welt der Kleinbauern eine sterbende Welt ist?"

Folge 4: Die Ich-glaub-ich-bin-im-falschen-Film-Frau

Weil's so schön war, gleich noch eine Folge "nach einer wahren Begebenheit", und diesmal sogar original aus einer Pressekonferenz. Und zwar aus der zum Eröffnungsfilm, MAN TO MAN.
Dass es sich ausgerechnet um eine Frau, und ausgerechnet eine Dame aus Indien handelte, tut für den Typus, den sie vertritt, nicht viel zur Sache. Typisch ist eher, dass sich bei ihr offenbar eine gewisse Unerfahren-, Uninformiertheit mit einer merklichen Beflissenheit paarte - eine Kombination, die man bei, beispielsweise, jungen deutschen Männern genauso antreffen kann, die aber jedenfalls gern zu einer Frage wie der folgenden führt: "Können Sie etwas sagen dazu, welche Änderungen sie beim Prozess der Verfilmung an dem Roman vorgenommen haben?"

Ist jetzt an sich keine schlechte Frage, kann man schon mal bringen. Ist halt nur meistens etwas angebrachter bei Filmen, die auch wirklich auf einem Roman basieren - das ist dann oft sehr hilfreich.
So ist das Ergebnis dann nicht ganz so informativ, außer eben für die Journalistin, die danach bestimmt ihren Lebtag nicht vergessen wird, dass MAN TO MAN keine Romanverfilmung ist. Wobei Regisseur Régis Wargnier der Situation sehr charmant ihre Peinlichkeit nahm: Nachdem das Missverständnis ausgeräumt war, meinte er, wenn sein Film sich anfühle, als wäre er ein Roman, dann nähme er das als Kompliment.


Mit Schirm, Scham und Melone

Wir hatten in einem unserer früheren Beiträge versprochen, weiterhin ein Auge zu haben auf das große Leitmotiv der diesjährigen Berlinale: Tischfußball-Spiele.
Und siehe da, drei sind tatsächlich noch dazugekommen. Eine sehr prominente Rolle spielt ein Kicker-Tisch in der großartigen Wolf Haas-Verfilmung SILENTIUM, aber das ist so grauslig, das trauen wir uns hier gar nicht erzählen, das schauen Sie sich gefälligst selber an, husch!

Die anderen beiden kamen eher am Rande vor. Das eine in unserem Liebling THE LIFE AQUATIC WITH STEVE ZISSOU, wo es als kleines, aber unverzichtbares Ausstattungs-Detail zur Tauchfahrt in die '70er-Jahre beiträgt. Das zweite, auch nur ein paar Sekunden zu sehen, gab's in VIOLENT DAYS von Lucile Chaufour - ein spannender Film über die Langeweile. Und damit ein instruktiver Kontrast zu Tsai Ming Liangs THE WAYWARD CLOUD (TIAN BIAN YI DUO YUN) im Wettbewerb.

VIOLENT DAYS zeigt, halbdokumentarisch, eine Handvoll französischer Rockabilly-Fanatiker auf dem Weg zu einem Konzert - die ewig lange Anfahrt, das Rumlungern vor dem Abend, das Konzert selbst. Man braucht eine Weile, das Prinzip zu kapieren und zu akzeptieren, aber dann ist es grade das Interessante, Radikale an dem Film: Die vier (drei Typen, eine Frau) langweilen sich, egal, was sie machen. Nominell ist das Konzert DAS große Ding für sie, ihr Lebensinhalt, das, worauf sie sich die ganze Woche freuen, aber letztlich wirken sie dort nicht glücklicher als in ihren stupiden Jobs, die man am Anfang kurz kennenlernt. Ohne viel Aufhebens, Handlung oder Dialog zeichnet VIOLENT DAYS dabei schön wiedererkennbar die verschiedenen Charaktere, die innere Dynamik der Gruppe: Der Anführer, der Mitläufer, der Spack. Und beweist nebenbei mal wieder: Die tollsten Frauen hängen immer total an den größten Arschlöchern.
Das muss am Sex liegen, aber THE WAYWARD CLOUD lehrt uns, dass Sex eigentlich auch eine ziemlich stupide und langweilige Angelegenheit sei. Selbst wenn man auf eher ausgefallene Ideen kommt, wie die, halbe Wassermelonen der Frau vor die Scham zu klemmen oder dem Mann auf den Kopf zu setzen.

Jetzt haben wir zuletzt GOODBYE, DRAGON GATE INN von Tsai Ming Liang ja wirklich heiß und innig geliebt. Aber mit THE WAYWARD CLOUD hat der Gute sich echt vergaloppiert. Es gibt eine Szene, da wird einem plötzlich klar, was dem Rest des Films abgeht: Da entkommen in der engen Küche die zum Kochen vorgesehenen Krebse und müssen wieder eingefangen werden. Wie praktisch jede Szene in dem Film geschieht dies in einer einzigen, statischen, laaaaaangen Einstellung. Aber weil Krebse nunmal wenig Ahnung von Filmkunst haben und auf Regieanweisungen sehr gleichgültig reagieren, muss die Kamera hier ein unvorhersehbares Geschehen wirklich beobachten. Während es sonst keine Neugier gibt, nur verkopftes Konzept. Dass man auch konstruierte, völlig inszenierte und ziemlich handlungsfreie Momente durchaus selbst in äußerst unaufgeregtem Tempo und mit gehöriger Dauer so bringen kann, dass es begeistert, hat Tsai Ming Liang selbst bestens bewiesen, siehe GOODBYE, DRAGON GATE INN. Aber was THE WAYWARD CLOUD dazu fehlt, ist schlicht und einfach Gespür für Rhythmus. Und das ist für einen Film mit Musical-Einlagen (und viel Sex) tödlich. THE WAYWARD CLOUD ist lähmend unmusikalisch - und das selbst in Szenen, wo Dutzende Statisten mit (als Wassermelonen bemalten) Schirmen herumtanzen.
Da hilft alles, was der Film über Sex, Geschlechterbeziehungen und Macht meint zu sagen zu haben, da helfen alle netten Leitmotive wie die Melonen oder die große, Taiwan lähmende Dürre nichts: Es bleibt ein einziges trockenes Gerubbel.

Thomas Willmann

  top
   
 
 
[KINO MÜNCHEN] [FILM AKTUELL] [ARCHIV] [FORUM] [LINKS] [SITEMAP] [HOME]