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Berlinale 2005 11.02.2005
 
 

Tagebuchnotiz vom 11.02.2005

Kekexili: Mauntain Patrol
 
 
 
 

Hol’s der Geier

In den Bergregionen Tibet ist der Boden so hart, so fest gefroren, dass sich die Sitte des Luftbegräbnises entwickelt hat: Der Körper des Verstorbenen wird in einem Ritual zerhackt und die Fleischstücke den Geiern zum Fraß überlassen.
Eine harte, erbarmungslose Landschaft: Kekexili, eine Bergwüste. Nominell geht es in Lu Chuans Film KEKEXILI: MOUNTAIN PATROL um eine wahre Geschichte, um eine Art Bürgerwehr, die sich dort Mitte der ‘90er gebildet hat, um Wilderer am Abschlachten der vom Aussterben bedrohten tibetischen Bergantilopen zu hindern.
Aber das ist nicht wirklich ein Film über militante Tierschützer, und was immer an historischem Hintergrund drinsteckt, ist letztlich ziemlich unerheblich. Die Vergleichspunkte wären eher Monte Hellmans existentialistische Western, oder Gus van Sants GERRY: Filme über von einer rätselhaften Kraft getriebene Wüstenwanderungen, die zunehmend eine mythische Dimension kriegen. Filme über Männer auf einem Schicksalsweg, die von der Landschaft geschluckt zu werden drohen.
Die blinde Kompromisslosigkeit, mit der der Anführer der Patrouille den Boss der Wilderer verfolgt, hört spätestens in der Mitte des Films auf, noch rational begründbar zu sein. Er und seine Männer sind Getriebene. Zunächst sind ihre Opfer noch nachvollziehbar, manchmal auch durchaus komisch: Wenn sie sich beispielsweise ihrer Beinkleider entledigen, um die Wilderer durch Eiswasser zu verfolgen.
Man mag vielleicht auch verstehen, dass ihnen ihre Aufgabe, dass ihnen das Überleben der seltenen Tiere so viel bedeutet, dass sie dafür Einsamkeit in Kauf nehmen, dass sie nicht aufgeben, nur weil sie schon ein paar Monate keine Bezahlung mehr bekomme haben, dass sie mit des Pelzschmuggels Verdächtigten erschreckend brutal umgehen.
Und dass Männer, die mit Gewehren bewaffnet sind genau wie ihre Feinde, ein gewisses Maß an Lebensgefahr in Kauf nehmen, auch das mag man noch akzeptieren. Aber es gibt diesen Punkt, da scheint sich so etwas wie Todessehnsucht einzuschleichen: Da lassen sie immer mehr zurück, was sie noch an schützender Zivilisation mit sich führen – im materiellen wie im sozialen Sinn. Da bleibt ihnen ein Auto nach dem anderen auf der Strecke, wird der Treibstoff knapp, geht das Essen aus, inmitten von 40.000 Quadratkilometern eisigem Nichts, und da lassen sie Kameraden zurück, setzten eine Gruppe gefangener Wilderer aus, beides im Wissen, dass das erste Einsetzen von Schnee deren Tod bedeuten wird.
Die Landschaft, von KEKEXILI in beeindruckenden Breitwand-Bildern eingefangen, ist der Feind der Patrouillengänger wie der Wilderer. Der Film führt einen an einen Ort, der nicht für Menschen gemacht ist. Ein riesiger Fleck Erde, der tödlich gleichgültig ist gegenüber diesen seltsamen zweibeinigen Kreaturen und ihren Bedürfnissen. Und er gibt einem das Gefühl, nicht nur einer spezifischen Geschichte beizuwohnen, sondern eines universellen Dramas.
Die Luftbestattung, so grausam sie als Ritual scheinen mag, ist in dieser Landschaft noch ein respektvolles Ende. In KEKEXILI kann sich auch gleichsam die Erde auftun, kann eine Treibsandgrube einen Mann verschlucken und nichts von ihm übriglassen, dass an seine Existenz erinnert.

Und was ist mit Teil I-III?

Gerne würden wir an dieser Stelle etwas berichten zu David Mckenzies Wettbewerbsbetrag ASYLUM – der, soviel lässt sich sagen, zweiten äußerst gelungenen Patrick McGrath-Verfilmung innerhalb eines Jahrs nach Cronenbergs SPIDER. Aber wir waren so abgelenkt während des Films. Weil uns der großartige Ian McKellen so fatal an wen erinnert hat. Aber wir erstmal partout nicht drauf gekommen sind an wen. Und sowas kann einen ja ganz wahnsinnig machen. Da denkt man ja bald kaum noch an was anderes. Und es ist in diesem Fall auch kein Wunder, dass der Funke der Erkenntnis ein bisserl auf sich hat warten lassen. Weil die Verbindung erstmal nicht sehr naheliegend scheint. Aber als dann der Groschen gefallen war, da gab es keinen Zweifel mehr. Da wussten wir: Wir haben DIE Traumrolle gefunden für Herrn McKellen – die Ähnlichkeit ist zu verblüffend. Klar, Richard III hat er auch ganz gut gemacht. Aber das war nur eine Vorübung! Den Ian McKellen MUSS ihn einfach spielen. Das wird der Hit überhaupt. Da sehen wir jetzt schon die Plakate, Trailer, Oscar-Dankesreden vor uns. Wenn es heißt: Ian McKellen ist Wolfgang Clement in HARTZ IV – DER FILM!

Thomas Willmann

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