Hol’s der Geier
In den Bergregionen Tibet ist der Boden so hart, so fest gefroren, dass sich
die Sitte des Luftbegräbnises entwickelt hat: Der Körper des Verstorbenen
wird in einem Ritual zerhackt und die Fleischstücke den Geiern zum Fraß
überlassen.
Eine harte, erbarmungslose Landschaft: Kekexili, eine Bergwüste. Nominell
geht es in Lu Chuans Film KEKEXILI: MOUNTAIN PATROL um eine wahre
Geschichte, um eine Art Bürgerwehr, die sich dort Mitte der ‘90er gebildet
hat, um Wilderer am Abschlachten der vom Aussterben bedrohten tibetischen
Bergantilopen zu hindern.
Aber das ist nicht wirklich ein Film über militante Tierschützer, und was
immer an historischem Hintergrund drinsteckt, ist letztlich ziemlich
unerheblich. Die Vergleichspunkte wären eher Monte Hellmans
existentialistische Western, oder Gus van Sants GERRY: Filme über von einer
rätselhaften Kraft getriebene Wüstenwanderungen, die zunehmend eine
mythische Dimension kriegen. Filme über Männer auf einem Schicksalsweg, die
von der Landschaft geschluckt zu werden drohen.
Die blinde Kompromisslosigkeit, mit der der Anführer der Patrouille den Boss
der Wilderer verfolgt, hört spätestens in der Mitte des Films auf, noch
rational begründbar zu sein. Er und seine Männer sind Getriebene. Zunächst
sind ihre Opfer noch nachvollziehbar, manchmal auch durchaus komisch: Wenn
sie sich beispielsweise ihrer Beinkleider entledigen, um die Wilderer durch
Eiswasser zu verfolgen.
Man mag vielleicht auch verstehen, dass ihnen ihre Aufgabe, dass ihnen das
Überleben der seltenen Tiere so viel bedeutet, dass sie dafür Einsamkeit in
Kauf nehmen, dass sie nicht aufgeben, nur weil sie schon ein paar Monate
keine Bezahlung mehr bekomme haben, dass sie mit des Pelzschmuggels
Verdächtigten erschreckend brutal umgehen.
Und dass Männer, die mit Gewehren bewaffnet sind genau wie ihre Feinde, ein
gewisses Maß an Lebensgefahr in Kauf nehmen, auch das mag man noch
akzeptieren. Aber es gibt diesen Punkt, da scheint sich so etwas wie
Todessehnsucht einzuschleichen: Da lassen sie immer mehr zurück, was sie
noch an schützender Zivilisation mit sich führen – im materiellen wie im
sozialen Sinn. Da bleibt ihnen ein Auto nach dem anderen auf der Strecke,
wird der Treibstoff knapp, geht das Essen aus, inmitten von 40.000
Quadratkilometern eisigem Nichts, und da lassen sie Kameraden zurück,
setzten eine Gruppe gefangener Wilderer aus, beides im Wissen, dass das
erste Einsetzen von Schnee deren Tod bedeuten wird.
Die Landschaft, von KEKEXILI in beeindruckenden Breitwand-Bildern
eingefangen, ist der Feind der Patrouillengänger wie der Wilderer. Der Film
führt einen an einen Ort, der nicht für Menschen gemacht ist. Ein riesiger
Fleck Erde, der tödlich gleichgültig ist gegenüber diesen seltsamen
zweibeinigen Kreaturen und ihren Bedürfnissen. Und er gibt einem das Gefühl,
nicht nur einer spezifischen Geschichte beizuwohnen, sondern eines
universellen Dramas.
Die Luftbestattung, so grausam sie als Ritual scheinen mag, ist in dieser
Landschaft noch ein respektvolles Ende. In KEKEXILI kann sich auch gleichsam
die Erde auftun, kann eine Treibsandgrube einen Mann verschlucken und nichts
von ihm übriglassen, dass an seine Existenz erinnert.
Und was ist mit Teil I-III?
Gerne würden wir an dieser Stelle etwas berichten zu David Mckenzies
Wettbewerbsbetrag ASYLUM – der, soviel lässt sich sagen, zweiten äußerst
gelungenen Patrick McGrath-Verfilmung innerhalb eines Jahrs nach Cronenbergs
SPIDER. Aber wir waren so abgelenkt während des Films. Weil uns der
großartige Ian McKellen so fatal an wen erinnert hat. Aber wir erstmal
partout nicht drauf gekommen sind an wen. Und sowas kann einen ja ganz
wahnsinnig machen. Da denkt man ja bald kaum noch an was anderes. Und es ist
in diesem Fall auch kein Wunder, dass der Funke der Erkenntnis ein bisserl
auf sich hat warten lassen. Weil die Verbindung erstmal nicht sehr
naheliegend scheint. Aber als dann der Groschen gefallen war, da gab es
keinen Zweifel mehr. Da wussten wir: Wir haben DIE Traumrolle gefunden für
Herrn McKellen – die Ähnlichkeit ist zu verblüffend. Klar, Richard III hat
er auch ganz gut gemacht. Aber das war nur eine Vorübung! Den Ian McKellen
MUSS ihn einfach spielen. Das wird der Hit überhaupt. Da sehen wir jetzt
schon die Plakate, Trailer, Oscar-Dankesreden vor uns. Wenn es heißt: Ian
McKellen ist Wolfgang Clement in HARTZ IV – DER FILM!
Thomas Willmann
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