Tischfussball in Zeiten des Bögloka
Es kommt im Kino nicht drauf an, ob etwas gelogen ist oder wahr. Es kommt
nur drauf an, wie schön es gelogen ist. Das konnte man in Paul Weisz’
(AMERICAN PIE) wunderbarem IN GOOD COMPANY mal wieder bewiesen sehen. Man
kann sich den Film ungefähr so vorstellen, als hätte Frank Capra sich über
das Thema Globalkapitalismus hergemacht: Dennis Quaid ist der James
Stewart-Ersatz, der den Triumph des einfachen, kleinen Mannes mit seinen
einfachen, erprobten Werten gegen die böse neue Welt erkämpft. Der fiese
Globalkapitalismus hingegen wird in einem Gastauftritt von Malcom McDowell
gespielt.
Freilich könnte man den Film dekonstruieren als genau ein Produkt des
Systems, das er (vergleichsweise sanft) anprangert. Freilich basiert er auf
einem Fundament von Lügen: Dass es reicht, den gesunden Menschenverstand ein
paar naive, also grundlegende Fragen stellen zu lassen, und schon zieht der
Bögloka (wie wir im Zuge einer Schreib-Rationalisierungsmaßnahme den Bösen
Globalkapitalismus jetzt nennen wollen) den Schwanz ein. Dass sich im
Bögloka irgendwie schon zumindest in Nischen Gerechtigkeit und
Menschlichkeit durchsetzen werden. Dass auch im Bögloka noch die guten,
alten Methoden, Geschäfte zu machen, am Ende die besten bleiben werden. Und,
eine besonders dreiste Lüge, dass Jungmanager im Grunde auch Menschen seien.
Aber was soll’s, wenn diese Lügen – die man ja auch zu gerne glauben würde –
mit solch einem Charme aufgetischt werden, und wenn dieser Charme auf so
herrlich altmodischen Tugenden basiert, dass er selbst zum besten Plädoyer
für „old school, old economy“-Methoden wird.
In einem kleinen Detail von IN GOOD COMPANY zeigt sich übrigens, wie
fortgeschritten auch im Kino die Globalisierung schon ist: Da wird ein
Tischfußballspiel zum Startschuss einer Liebe. Und schon nach wenigen Tagen
Berlinale scheint sich abzuzeichnen: Tischfußball ist DER große Trend im
Weltkino, weiträumig länder- und genreübergreifend. Der Kicker-Tisch wird
zum Feld der Entscheidung, der Dreh an den Metallstangen führt zur
Schicksals-Wendung. Manchmal ist das eher harmlos, wie in dem auch sonst
wenig spektakulären französischen Film LES MAUVAIS JOUEURS, wo ein illegal
in Frankreich lebender chinesischer Junge mit seinem arabischen Mentor darum
spielt, ob er eine Woche lang arbeiten muss.
Aber in Wolfgang Murnbergers großartiger zweiter Wolf Haas-Verfilmung
SILENTIUM ist der Einsatz höher: Da wird um Antworten auf gefährliche Fragen
gespielt und damit, weil das hier das selbe ist, um Leben und Tod. Da wird
Kommisar Brenner (Josef Hader) in einem Alptraum selbst zur hilflos
rotierenden Kickerfigur. Und warum nachher die Bälle nicht mehr aus der
dafür vorgesehenen Ball-Ausgabe-Rinne kullern wollen, das ist zu grauslig,
als dass wir es hier erzählen mögen...
Wir werden auf weiteres Auftauchen von Kicker-Szenen im Weltkino unserer
Zeit achten und gegebenenfalls eine Doktorarbeit zum Thema nachreichen.
Eine kleine Typologie der Pressekonferenz-Fragesteller
Folge 2: Der Second-Hand-Investigator
Diese drollige Unterart des investigativen Filmjournalisten - nicht
signifikant häufiger in einer besonderen Altersgruppe oder Geschlecht
anzutreffen – sucht die Kontroverse. Er oder sie scheut sich nicht, die
Filmemacher auch mal hart anzugehen. Schonungslos den Finger in die Wunden
ihrer Werke zu legen. Auch die ganz toughen Themen anzusprechen. Etwa so:
„Finden Sie nicht, dass Ihr Film grob antisemitisch ist?“
Öha! Der Regisseur geht sicherheitshalber in die Defensive:
„Eigentlich nicht. Weshalb sollte er antisemitisch sein?“
Gleich wird knallhart nachgelegt:
„Na, die Figur des Jean-Jacques wird doch sehr unsympathisch gezeichnet –
und hat eine Hakennase!“
„Äh, es ist eher eine krumme Nase.“
„Das ist das selbe!“
„Nicht wirklich. Außerdem ist Jean-Jacques ein Schwarzer, und es wird
dreimal erwähnt, dass die Nase krumm ist, weil er Boxer war.“
Jetzt wird der Frager gern beharrlich:
„Trotzdem – kann man ihren Film nicht als antisemitisch sehen?“
Wenn der befragte Regisseur klug ist, versucht er jetzt, konkret zu werden:
„Finden Sie ihn denn selbst antisemitisch?“
„Das tut nichts zur Sache.“
„Doch, das finde ich schon. Ich wüsste gern, wie Sie auf diese Lesart
kommen.“
„Also im Internet gibt es einige Kommentare von Leuten, die fanden den Film
antisemitisch.“
„Okay, aber was ist Ihre persönliche Meinung.“
Und jetzt muss unser possierlicher Freund dann doch zugeben, dass es eine
Sache gab, die er auf der Jagd nach der großen Kontroverse noch nicht Zeit
hatte, zu tun:
„Ich habe den Film nicht gesehen“ – und man braucht nicht zu glauben, dass
dies bei allen Vertretern dieser Gattung angemessen kleinlaut klingt.
Thomas Willmann
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