KINO MÜNCHEN FILM AKTUELL ARCHIV FORUM LINKS SITEMAP
Berlinale 2005 15.02.2005
 
 

Tagebuchnotizen: 15.02.2005

ADAM & PAUL
 
 
 
 

Waiting for What’s-his-name

Dies weinerliche Gesicht, wenn wieder mal was schiefgelaufen ist – und es läuft eigentlich dauernd alles schief. Diese treu-naïve Unterwürfigkeit gegenüber seinem stets latent von der Dummheit seines Partners genervten Freund, der alles besser zu wissen meint – und der eigentlich noch viel weniger Ahnung hat. Diese Fähigkeit, immer das falsche Wort zum falschen Zeitpunkt parat zu haben, das Schlamassel immer noch größer zu machen. Und diese Augen unter den hochgezogenen Brauen, die alles an der Welt staunenswert zu finden scheinen und aus den trotz allem ein unerschütterliches Vertrauen spricht: Es dauert nicht allzu lang, bis der Groschen fällt, an wen einen das alles erinnert. ADAM & PAUL könnte auch heißen STAN & OLLIE – und Regisseur Lenny Abrahamson nannte das geniale Stummfilm-Komikerpaar im anschließenden Publikumsgespräch auch gleich als seine Inspirationsquelle.
Man muss sich nur vorstellen, was aus Mr. Laurel & Mr. Hardy geworden wäre, wenn das Schicksal sie in Dubliner Junkies verwandelt hätte. Zwei Kackspechte im Kampf gegen das Dasein, hier nicht auf der ewigen Jagd nach dem Traum von ein klein bisschen Erfolg sondern nach dem nächsten Schuss, immer auf Ausweichkurs gegenüber den Autoritäten, immer zielstrebig von einer kleinen Katastrophe zur nächsten tappend. Und wo das Schicksal grade mal nicht zur Hand ist, ihnen ein Bein zu stellen, da schafft es ihre eigene Dummheit bestimmt gerade dann, wenn sie sich besonders clever wähnen. ADAM & PAUL ist quasi eine Komödie, so wie Aki Kaurismäkis Filme meist “Komödien” sind. Das Lachen hat was Existenzielles – Drehbuchautor und Hauptdarsteller Mark O’Halloran liebt Beckett so sehr wie sein Regisseur Laurel & Hardy. Was anfangs noch wie eine dieser standardmäßigen, nur etwas ins Extrem getriebenen Filme über zwei Slacker wirken mag, kriegt relativ bald Tiefe, zeigt eine ziemlich bittere Seite. Der Tod ist in ADAM & PAUL nie fern.
Komik hat immer was mit Verletzung zu tun, lustig ist immer das Elend anderer, so lange es in eine sichere Distanz gerückt wird. Wie der Stan Laurel-Vertreter (Tom Murphy) der beiden – welcher nun Adam und welcher Paul ist, lässt sich den ganzen Film über nicht ausmachen – im Verlauf des Films zunehmend ramponiert wird, sich erst das Bein, dann die Hand, dann die Nase schrottet, das ist ein Slapstick-Running-Gag. Aber grade im Emotionalen gibt es Verletzungen in diesem Film, die tuen wirklich weh. Wenn man am wenigsten damit rechnet, dann wird der Film plötzlich ganz zärtlich, zaubert ein paar Sekunden Utopie hin mit Adam, Paul, der Witwe eines Kumpels und ihrem Baby. Dann stellt er gleich danach unser Mitgefühl mit den beiden, das wir ihnen bei einem heillos unbeholfenen Ladendiebstahl-Versuch gerne entgegenbringen, auf eine harte Probe: Geld muss her, egal wie, von Stärkeren schaffen es Adam und Paul nicht, es sich zu holen, und Schwächere gibt es nicht viele – sie versuchen, einen Jungen mit Down-Syndrom auszurauben, der an der Bushaltestelle wartet. Freilich klappt nicht mal das, der Bub hat kein Geld dabei.
Nicht jeder Ton in ADAM & PAUL sitzt perfekt, während Tom Murphy ziemlich brillant ist, merkt man Mark O’Halloran manchmal in mikrospkopischen Details doch noch an, dass alles bloß Schauspiel ist. Manchen Episoden, gerade zu Beginn, haftet ein Rest der Gewolltheit, des Gags um des Gags willen an. Aber wann immer es wirklich heikel wird, wie in der Szene mit dem behinderten Jungen, dann leistet der Film sich keinen Fehltritt. Dieser gelungene Balanceakt auf rasiermesserscharfen Klingen ist es, der ADAM & PAUL letztlich groß macht. Er schafft es, über den Weg des Humors eine zögerliche Liebe zu entwickeln für Charaktere, die man unter anderem Blickwinkel nur widerlich fände. Ihm gelingt Mitgefühl – nicht Mitleid. Er hält sich fern von “Problemfilm”-Klischees wie von der Coolness eines TRAINSPOTTING. Und er kriegt das hin, ohne romantisch zu verharmlosen. Am Ende wird ADAM & PAUL verdammt bitter. Ohne zuviel zu verraten: Da macht er sich keine Illusionen drüber, dass für einen Junkie im Endstadium irgendwas, und sei es langjährige Freundschaft, mehr zählen könnte als der begehrte Stoff.

Thomas Willmann

  top
   
 
 
[KINO MÜNCHEN] [FILM AKTUELL] [ARCHIV] [FORUM] [LINKS] [SITEMAP] [HOME]