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Berlinale 2005 18.02.2005
 
 

Tagebuchnotizen: 18.02.2005

PARADISE NOW
 
 
 
 

Nachgelegt: Bits&Pieces

Montag 14.02.

Der von den Niederlanden, Frankreich und Deutschland produzierte Wettbewerbsfilm PARADISE NOW ist die Geschichte zweier palästinensischer Selbstmordattentäter. Der Film ist pädagogisch wertvoll, denn Regisseur Hany Abu-Assad erzählt ihn aus der Sicht der "Gotteskrieger", und jeder, der verstehen will, wird dazu eingeladen, die beiden auf ihrer Reise zu begleiten. Diese Perspektive ist zunächst einmal klar. Der Standpunkt des Films übertritt allerdings an zwei Stellen die dünne Linie der Objektivität: Die letzte Zusammenkunft der beiden Männer im Kreis der Organisatoren ist als Abendmahl inszeniert. Und dem letzten Bild des Films, einer nahen Einstellung der Augen des einen Attentäters, der mitten in einem Bus sitzt und fest entschlossen ist, gleich die Kordel an seiner Sprengstoffweste zu ziehen, folgt eine Weißblende. Erst danach kommt der Abspann. Standpunkt und Perspektive vermengen sich hier, und die Frage steht im Raum, ob man das so inszenieren sollte. Ein wichtiger, guter, kontroverser Film.

SILENTIUM (Wolfgang Murnberger) heißt "Halt die Klappe" auf Lateinisch. Was hätte ein nobler Tatort werden können, was ja auch nicht schlecht gewesen wäre, entpuppt sich als lakonisch-lapidarer österreichischer Philip Marlowe. Krass, abstrus, wild und sehr witzig. Unglaubliche Plotverstrickungen zwischen den Salzburger Festspielen, einem katholischen Bubenkloster und einem Ring von Mädchenhändlern. Ein großer Spaß, wie das alles zusammenhängt. Und ein bitterböser Spiegel an die katholische Kirche. Klar, dass da irgendwann auch der Herr Jesus vom Kreuz gebohrt wird.

Kevin Spacey erfüllt sich einen Traum, verfilmt das Leben von Showman Bobby Darin und widmet den Film seiner Mutter. Weil das alles irgendwie rührend ist, kann man nicht viel dagegen sagen. Es gibt tolle Tanzszenen in BEYOND THE SEA. Hauptdarsteller Spacey entpuppt sich als echtes Stimmtalent, tritt heute sogar live im Friedrichstadtpalast auf. Trotzdem war hier der Wunsch allzu offensichtlich Vater des Gedankens. Kevin Spacey ist in der Tat zu alt, um als junger Bobby Darin durchzugehen, da hilft es auch nicht, den kleinen Jungen (ein Schauspieler, der Spacey im Film, der im Film gerade gedreht wird, spielen soll) einzuführen. Dramaturgisch wirkt das, wie auch manches andere, ein wenig uninspiriert. Als Film eher kraftlos.

Warum PATHS OF GLORY im intellektuell funktionstüchtigen Frankreich fast zwei Jahrzehnte lang verboten war, ist heute schwer nachzuvollziehen. Stanley Kubrick erzählt in diesem Film weder gegen die Franzosen, noch für die Deutschen. Er erzählt davon, wie inmitten des Ersten Weltkrieges drei unschuldige Frontsoldaten hingerichtet werden, weil die Generalsebene ein Exempel statuieren will. Conditione humaine also. Ganz ähnliches Terrain: Wettbewerbsbeitrag SOPHIE SCHOLL.

"There are always people who don't have any", sagte Ken Loach, als er im Anschluss an den Film auf der Bühne stand. TICKETS ist ein europäischer Episodenfilm, der drei Geschichten in einem Zug von Osten nach Westen erzählt, allerdings ohne sie dabei inhaltlich miteinander zu verweben. Jeder der drei Regisseure (Ermanno Olmi, Abbas Kiarostami, Ken Loach) drehte eine Episode. Was TICKETS jenseits von Setting und thematischem Schwerpunkt von ONE DAY IN EUROPE unterscheidet, ist der moralisierende Unterton von TICKETS. Zumal er mit der Loach-Episode endet.

Diensttag 15.02.

Überraschend gut, im Panorama: KEINE LIEDER ÜBER LIEBE. Unter der Regie von Lars Kraume geben die drei Hauptdarsteller Jürgen Vogel, Florian Lukas und Heike Makatsch dem Film das Flair eines aus dem Ärmel geschüttelten Improvisierstücks. Eine Art Mockumentary, bei der sich Live-Auftritte der - bislang - Filmband "Hansen" (ein rockender Jürgen Vogel am Mikro!) mit Psycho-Gesprächen der drei Protagonisten abwechseln. Alles 100% authentisch.

ONO (Malgosia Szumowska). Stilsicher und mit Blick fürs Detail erzählte Geschichte einer 22-Jährigen irgendwo im urbanen Polen, die sich entscheidet, ihr Kind zu bekommen. Moralisch-symbolistisch angehauchte Meditation nach dem Motto "habt Mut zum Leben". Hauptdarsteller Artur Barcis aus dem wunderbaren Kurzfilm KONTROLER ist hier Statist. Das hat eigentlich überhaupt nichts mit dem Film zu tun, aber mir kam es so vor, dass da eben bis in die Nebenrollen irgendwie alles seinen Platz hatte.

Irgendwie macht Alain Resnais' MURIEL mit seinem Raum das, was die vielen Berlinale-Filme mit dem Kurzzeitgedächtnis machen. "Under Construction".

Petzolds GESPENSTER. Die Sehnsucht, französisch zu sein? It's a very JuliaHummer-JuliaHummer. Für Heimkind Nina wäre es ein Lichtblick zu glauben, dass diese Frau, die vorgibt ihre Mutter zu sein, das auch wirklich ist. Irgendwie hätte er länger sein können.

FATELESS (von Lajos Koltai nach der Romanvorlage von Imre Kertész). Armer Film. Erst muss er'n Loch stopfen (für den im Nachhinein wieder ausgeladenen Film HEIGHTS mit Glenn Close), dann muss er sich bei seiner offiziellen Premiere im Berlinale-Palast auch noch den Auftritt mit den im selben Zug und mit vielen kleinen Präsentations-Pannen verliehenen Kurzfilm-Bären teilen.

Anja Marquardt

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