DIE RÜCKKEHR DES ÖFFENTLICH-RECHTLICHEN
Es war eine insgesamt eher unspektakuläre Berlinale.
Aber das ist noch lange nichts Schlechtes. Viel wurde geschimpft
über die Auswahl der Filme, die Zusammensetzung der Jury,
die Preisentscheidungen. Doch dabei wurde man das Gefühl
nicht los, dass die Presse schon vorab beschlossen hatte,
dass die Flitterwochen für Koslick jetzt vorbei sein
müssten und man alles möglichst durch die schwarze
Brille sehen wollte.
Einen Moment gab es, wo sich die Berlinale, wo sich Koslick
tatsächlich höchst unsouverän, undiplomatisch,
töricht verhalten haben: Als sie HEIGHTS nach Programmdrucklegung
wieder aus dem Wettbewerb ausluden (wo er ohnehin außer
Konkurrenz gelaufen wäre), weil Hauptdarstellerin Glenn
Close ihr Kommen abgesagt hatte.
Aber selbst hierbei wurde doch nur offiziell, was längst
kein Geheimnis mehr ist, und was tiefer an einem Problem rührt,
das alle Filmfestivals, ja, dass das heutige Kino überhaupt
betrifft: Es
gibt Filme, die gezeigt werden, weil sie in irgendeiner Weise
für preiswürdig gehalten werden, und es gibt Filme,
die nur gezeigt werden, um Stars anzulocken, weil deren Auftreten
allein das Interesse einer breiten Öffentlichkeit garantiert.
Und beide Kategorien werden als etwas ziemlich getrenntes
voneinander betrachtet.
Es entwickelt sich in den letzten Jahren in aller Herren
Länder immer mehr so etwas wie ein Genre des Festival-Films:
Das sind Filme, die man kaum außerhalb von Festivals
zu sehen bekommt, dort aber zuhauf und in immer ähnlicherer
Gestalt. Filme, die genau einen Erwartungskatalog erfüllen,
der von Jurys, Presse und Publikum offenbar an das jeweilige
Herkunftsland gestellt wird. So sehr ich prinzipiell, um nur
ein Beispiel zu nennen, das asiatische Kino schätze -
aber ich kann langsam keine leicht impressionistischen, leicht
verschrobenen, in langen Einstellungen gefilmten Filme über
abhängende japanische Mittzwanziger mehr sehen.
Filme, die solche Schemata (von denen es insgesamt nicht
mehr als ein Dutzend gibt) erfüllen, haben offenbar ein
gewisses Midnestmaß an Festivalteilnahmen und damit
Auslandsverkäufen so gut wie gebucht, dass sie für
Finanziers ein relativ sicheres Geschäft sind.
Was ihnen abgeht sind Überraschungsmomente, ist künstlerische
Lebendigkeit, ein Dialog, den sie mit Kinospielarten außerhalb
ihrer eingefahrenen Traditionslinie oder mit der Welt selbst
führten. Das Kino wird immer mehr zur Angelegenheit für
Spezialisten. Wir Cineasten müssen uns langsam wohl damit
abfinden, dass es als Kunstform im 21. Jahrhundert einen Weg
gehen könnte wie die Oper im 20.: Vom Zentrum der Gesellschaft,
vom komplettesten, relevantesten Medium für Erfassung
und Verständnis seiner Zeit und Kultur hin zur Randerscheinung.
Immer weniger Filmen gelingt es, aus inhaltlichen, künstlerischen
Gründen allgemeines Aufsehen zu erregen. Was die große
Öffentlichkeit vom Kino mitbekommt, das steht meist in
direkt proportionalem Verhältnis zum jeweiligen Werbebudget,
und was sie interessiert, das ist hauptsächlich Klatsch
und Tratsch um Stars. Wir leben derzeit in einer Kultur, die
Ruhm als etwas von ziemlich allen anderen Faktoren losgelöstes
Phänomen produziert, in der Prominenz ein arbiträrer
Selbstwert und Selbstzweck ist.
Daran kann inzwischen kein Festival-Preis mehr etwas ändern,
ob er nun aus Berlin kommt oder Venedig - oder inzwischen
auch aus annes. Für die Rezeption durch ein großes
Publikum, für eine Diskussion außerhalb des Kreises
der Filmverrückten, für eine Weichenstellung in
der ästhetischen Entwicklung des Kinos werden diese Auszeichnungen
zunehmend bedeutungslos. Und das nicht ganz zu Unrecht.
Das Problem an einem Jury-Präsidenten Emmerich - wenn
es da überhaupt eins gibt - ist nicht, dass der Mann
selbst teure Filme mit Special effects-Fetisch macht. Grade
davon könnte man sich ja mal eine ganz andere Perspektive
erwarten. Das Problem ist, dass er ziemlich sicher nicht einfach
seinem Instinkt vertraut, sondern ein Bild davon hat, welche
Art Filme bei einer solchen Art Festival für Preise in
Frage kommen dürfen.
Zum Goldenen Bären an U-CARMEN eKHAYELITSHA kann ich
nicht viel sagen, ich habe den Film nicht gesehen. (Überhaupt
ein Naturgesetz: Es gewinnt immer ein Film, den ich nicht
gesehen habe.) Aber, sind wir ehrlich, soviel ist gewiss:
Egal an welchen Wettbewerbs-Film der Preis gegangen wäre,
gemeckert hätte die Presse auf jeden Fall. Es gab nichts
im Angebot, auf das man sich einfach hätte einigen können.
Und das betrifft insbesondere den einen Film, der in einer
gerechten Welt haushoher Favorit hätte sein müssen,
weil er der mit Abstand schönste, originellste, aufregendste
Film des Festival war (und vielleicht der schönste des
Kinojahres wird, obwohl da bis jetzt auch 2046 und UN LONG
DIMANCHE DE FIANÇAILLES ein entscheidendes Wörtchen
mitzureden haben): Wes Andersons THE LIFE AQUATIC WITH STEVE
ZISSOU.
Aber Festivalpreise gehen ja nicht einfach nur an tolle Filme
- die müssen immer ein Zeichen sein, müssen symbolisch
gelesen werden können. Und paradoxerweise hat vermutlich
gerade die Wahl Emmerichs zum Vorsitzenden von vornherein
garantiert, dass nichts, was aus Hollywood kommt, eine Chance
hatte. Weil Emmerich auf keinen Fall hätte das Bild erfüllen
wollen, das viele Kritiker von ihm haben.
Solche Preisentscheidungen sind eine Angelegenheit von Proporz,
wie auch die Zusammenstellung des Wettbewerbs: Da wird viel
Rücksicht genommen auf Länderinteressen, auf das
richtige Parteibuch, wird Bildungsanspruch großgeschrieben,
aber dann auch wieder ums Massenpublikum gebuhlt. Deshalb
ist es mehr als passend, dass einer der Haupt-Sponsoren und
Medienpartner der Berlinale inzwischen nicht mehr ein Privatsender
ist, sondern das ZDF.
Da kann man eine nicht geringe Geistesverwandschaft ausmachen
- und das nicht nur im negativen Sinne. (Der eigentliche,
größte Skandal der jüngeren Berlinale-Geschichte
ist die Abschaffung der Mitternachtsreihe im Delphi, der einzigen
Nische für Genre-, sprich das wahre Kino.) Alles ist
ein bisschen weniger marktschreierisch geworden als zu Hochzeiten
des New Economy-Booms. Und abseits
des Hauptprogramms (und manchmal auch dort) gab es etliche
wunderbare Filme zu sehen: Viele - auch das wirkt "öffentlich-rechtlich"
- starke Dokus wie INSIDE DEEP THROAT, BASED ON A TRUE STORY,
PROFILS PAYSANS: LE QUOTIDIEN. Und zwar nicht revolutionäre,
neue Kino-Welten eröffnende, aber auf ihre Weise doch
begeisternde Werke wie THE HIDDEN BLADE, ADAM & PAUL,
KEKEXILI - MOUNTAIN PATROL und (mein persönlicher Top-Favorit)
CRUSTACÉS ET COQUILLAGE. (Von der exzellenten Retro
inklusive der Gelegenheit, mal wieder den kompletten Kubrick
im Kino zu ehen, ganz zu schweigen.)
Dass diese Filme auf dem Festival, gleich in welchen Reihen,
zu ntdecken waren, das ist doch letztlich das Wichtigste.
Man sollte es vielleicht mal anfangen, als Chance zu sehen,
dass auch ein A-Festival heutzutage keine im eigentlichen
Sinne weltbewegende Angelegenheit mehr ist. Dass der Mainstream,
die Gesellschaft ziemlich unberührt bleibt von was immer
dort an eigentlich filmischen Dingen stattfindet. Das ganze
Heulen, Kreischen, Zähneklappern um den Wettbewerb und
die Jury dreht sich ja letztlich viel weniger um Filme als
um Filmpolitik. Und wenn der diesjährige Berlinale-Wettbewerb
mal wieder was bewiesen hat, wann immer er Betroffenheits-Kino,
Parteibuch-Filme, Leinwand-Thesenpapiere präsentierte,
dann, dass nichts unwichtiger ist als mit großem Gutmenschengewissen
beabsichtigte Film-Politik.
Thomas Willmann
|