KINO MÜNCHEN FILM AKTUELL ARCHIV FORUM LINKS SITEMAP
jahresrückblick 2005 28.12.2005
 
 
Rückblickend
Das große Klagen, der Einfluss den Spielkonsolen haben oder auch nicht, eine würdige Serienwiederbelebung und die Frage nach dem Film zum Soundtrack
Cannes 2005
Chamäleonesque: GARDEN STATE
von Zach Braff
 
 
 
 

2005 ist das Jahr, in dem Microsoft seine neue Konsole, die XBOX 360, dem Markt präsentiert. Es ist davon auszugehen, dass auch die Konkurrenz spätestens nächstes Jahr in Form von neuen technischen Wunderwaffen elektronischer Unterhaltung - namentlich seien genannt: Sony und Nintendo - antworten wird. Ein filmischen Jahresrückblick mit Sätzen über die Marktsituation und Videospielkonsolen zu beginnen, scheint auf den ersten Blick nicht einzuleuchten und bedarf einer Erklärung. Verfolgt man die Berichterstattung in der Fachpresse ist vielerorts von einer Zukunftsvision der Verschmelzung von Spiel und Film zu lesen. Egal, wie man zu dieser Frage stehen mag (Exemplarisch zu dieser Diskussion in etwa: Tobias Moorstedt: Aus Computerspielen werden niemals Filme. SZ-Online, 13.11.2005 VS. Wolfgang Zehentmeier: Kino und Konsole: Zwei Genres wachsen zusammen. BR-Online, 07.09.2005), scheint es doch für ungeheueren zitatwürdigen Wirbel zu sorgen, dass die Umsätze der Video- und Computerspielindustrie die, der Filmbranche mittlerweile überholt haben. Wohlgemerkt, und das wird dabei oft unter den Tisch der Euphorie (oder des Schreckens, je nach Perspektive) fallen gelassen, handelt es sich um Zahlen der Erstauswertung. Das bedeutet, TV- und DVD-Vermarktung sind in dieser Rechung noch nicht beinhaltet.

2005 - das war auch ein Jahr des kunstvoll arrangierten und komponierten Dauerklagens. Egal ob Tobias Kniebe in der SZ, Georg Seeßlen in der ZEIT oder Jörg Taszman für Deutschlandradio: man war sich über den Niedergang des Kinos einig; die zurück gehenden Zuschauerzahlen ließen einen erschaudern. Nun soll es nicht Aufgabe und Leistung dieses Artikels sein, diese Diskussion in ihrer vollen Komplexität nachzuzeichnen - aber der Vergleich zwischen Spielindustrie und Filmindustrie könnte vielleicht einen nützlichen Gedanken evozieren. Einer der fundamentalsten Grundsätze der Elektronikgiganten lautet: "Software sells hardware." Das bedeutet, dass der Gewinn nicht mit den verkauften Konsolen erzielt wird (tatsächlich zahlen Unternehmen oft auf jede verkaufte Hardware-Einheit einen stattlichen Betrag drauf), sondern mit der Software, den Spielen. Für die Filmbranche könnte es Zeit sein, sich dieses Erfolgsrezept einmal näher anzusehen. Natürlich sind es auch hier die ewigen Neuauflagen (zum Beispiel Sportspielreihen wie "FIFA" oder "John Madden Football"), welche sich verkaufen, aber oftmals handelt es sich um innovative, kleine Spielprodukte (momentaner Liebling "Ico"). Analog bin ich davon überzeugt, dass sich "X3" im nächsten Sommer ebenfalls glänzend verkaufen wird, aber die "Nische" kann die entscheidende Qualität bringen. Filme, wie "11:14", über welche dann erbost zu lesen ist, dass sie in so kleinen Stückzahlen in die Kinos kommen. Die Heterogenität von Filmprodukten ist die Antwort auf eine Krise, die zu großen Teilen durch Monokultur selbst verschuldet und postwendend auf DVD - Automaten und Raubkopierer - Industrie geschoben wurde.

Doch nun soll es um Filme gehen. Michael Winterbottoms CODE 46 war einer der frühen Jahreshöhepunkte für mich. Visuell ebenso wie inhaltlich interessante Science Fiction Ware, die dem brach liegenden Genre etwas Leben einhaucht. Der Episodenfilm "11:14" von Greg Marcks bereicherte 2005 mit deftigem schwarzen Humor und einer leichtfüßigen Inszenierung. Es ist schwierig, nicht in Klischeedenken zu verfallen, wenn man liest, amerikanische Verleiher hätten an 11:14 kein Interesse, wie er zu "kompliziert strukturiert" sei. Darüber hinaus ist I HEART HUCKABEES als sehenswerte Filmerfahrung hängen geblieben. Das stimmige Ensemble an Schauspielern ergänzt sich mit der ungewöhnlichen Geschichte, die an manchen Stellen an allzu plattem Humor krankt, aber (erfolgreich) vorgibt, sich mit existenziellen Fragen des Lebens zu beschäftigen. Auch, wenn ich mich in die Gefahr des Schmierens von Honig um den Maul begebe, soll an dieser Stelle konstatiert werden, wie recht der Kollege Suchsland mit seiner Replik zu SIN CITY doch hat. Statt Worte über den Film selbst zu verlieren, bitte ich, noch einmal den Artechock-Eintrag zu lesen. Er enthält alles, was mich an SIN CITY begeisterte. Müsste ich jedoch einen Titel ganz besonders hervorheben, so wäre es dieses Jahr ganz klar GARDEN STATE. Selten war ich von einer Symbiose von Film und Soundtrack so angetan - zeitweise keimte in mir immer wieder die Frage, ob es sich um den Film zum Soundtrack handelt. Es passt einfach alles so wunderbar zusammen, dass es schon fast unmöglich zu sein scheint, dass es sich um Zach Braffs Debüt als Regisseur handelt. Hürden gibt es für diesen jungen Mann wohl nicht. Und wenn man ihm eines zurufen möchte, dann dies: "Mach keinen zweiten Film mehr. Lass diesen einen ewig stehen." Nicht an der persönlichen Spitze stehend, aber dennoch einen positiven Eindruck hinterlassend: BATMAN BEGINS als würdige Wiederbelebung der Serie, THE GRUDGE als maßvolles Remake-Programm (das gilt auch für DARK WATERS) und HOUSE OF FLYING DAGGERS als bildgewaltige Schwertphantasie voller Liebe, APPLESEED als digitaler Endtraum sowie "The Descent" für Freunde von Höllentouren.

Wo Licht ist, muss auch Schatten sein. Enttäuschungen blieben bei Besuchen in den Lichtspielhäusern natürlich nicht aus; allen voran der so sehr gehypte NOCHNOJ DOZOR aka WÄCHTER DER NACHT. Reinhard Prosch schrieb in seiner Besprechung: "Während der Regisseur die visuellen Möglichkeiten seiner Zwischenwelt abfeiert, verlässt er sich zu sehr darauf, dass das Publikum die hastig aufgestellten Gesetzmäßigkeiten des sich im Verborgenen abspielenden Konflikts nicht zu hinterfragen beginnt." Dem bleibt nicht viel hinzuzufügen; die verworrene Kopie von Bruckheimer-Krawallkino, angereichert mit Schweiß und Dreck, um das Ganze irgendwie osteuropäisch-glaubwürdig verorten zu können, bleibt eine "Russendisko ohne Sexappeal" (um sich der Bildsprache des Machwerks zu bedienen). Auch Wim Wenders legte mich mit DON'T COME KNOCKING' kräftig rein. Die angebliche Demysthifizierung des Westernhelden wird keinesfalls geleistet - viel eher erhärten Verlauf der Geschichte und visuelle Naturkompositionen den Drang, an den einsamen Mann auf dem Pferd zu glauben. Charaktere, die sich selbst aufdringlich wichtig nehmen runden den schalen Geschmack ab. Als ärgerlich erwiesen sich weiterhin: NARNIA als inbrünstig-spirituelle Waffe der religiösen Rechten der USA, RING 2, welcher Grusel und Soap zu verwechseln schien und SERENETY, den Presseheft und Fans der Serie FIREFLY zwanghaft zu mehr machen wollten als er ist.

Zum Abschluss lassen sich vielleicht noch ein paar Randnotizen festhalten. Wie immer genoss ich den Gang auf das Fantasy Film Fest, auch wenn der kleine Ableger DIE NACHT DER TAUSEND SCHREIE, der mittlerweile in FF NIGHTS umbenannt wurde, dieses Jahr ein wenig enttäuschte. Vor allem der unpersönliche Umgang mit der zahlenden Kundschaft war in meinen Augen ein Manko. Sehr erfreulich war die Woo-Retrospektive des diesjährigen Asia Filmfests. Mich beschleicht das gute Gefühl, dass sich in diese Richtung noch einiges entwickeln könnte, kleine "Kurzfestivals" zu verschiedenen Themen scheinen einen positiven Anklang beim Publikum zu finden. Der Tiefpunkt für die Münchner Kinolandschaft war natürlich die Schließung der Lupe 2 am 11. Mai dieses Jahres. Nomen est omen - die letzte Vorstellung war "Der Krieg ist vorbei" von Alain Resnais. Das Filmcasino in Gauting möchte die Lupe-Tradition jedoch, so weit irgend möglich, fortsetzen - voller Dankbarkeit und Hoffnung blicke ich demnach hinüber zu 2006. Zwischen mir und dem Jahreswechsel liegt jedoch noch EIN Großereignis: Es handelt sich um den Riesenaffen von Peter Jackson. Davon mehr im nächsten Jahr.

Rudolf Inderst

  top
   
 
 
[KINO MÜNCHEN] [FILM AKTUELL] [ARCHIV] [FORUM] [LINKS] [SITEMAP] [HOME]