2005 ist das Jahr, in dem Microsoft seine neue Konsole, die
XBOX 360, dem Markt präsentiert. Es ist davon auszugehen,
dass auch die Konkurrenz spätestens nächstes Jahr
in Form von neuen technischen Wunderwaffen elektronischer
Unterhaltung - namentlich seien genannt: Sony und Nintendo
- antworten wird. Ein filmischen Jahresrückblick mit
Sätzen über die Marktsituation und Videospielkonsolen
zu beginnen, scheint auf den ersten Blick nicht einzuleuchten
und bedarf einer Erklärung. Verfolgt man die Berichterstattung
in der Fachpresse ist vielerorts von einer Zukunftsvision
der Verschmelzung von Spiel und Film zu lesen. Egal, wie man
zu dieser Frage stehen mag (Exemplarisch zu dieser Diskussion
in etwa: Tobias Moorstedt: Aus Computerspielen werden niemals
Filme. SZ-Online, 13.11.2005 VS. Wolfgang Zehentmeier: Kino
und Konsole: Zwei Genres wachsen zusammen. BR-Online, 07.09.2005),
scheint es doch für ungeheueren zitatwürdigen Wirbel
zu sorgen, dass die Umsätze der Video- und Computerspielindustrie
die, der Filmbranche mittlerweile überholt haben. Wohlgemerkt,
und das wird dabei oft unter den Tisch der Euphorie (oder
des Schreckens, je nach Perspektive) fallen gelassen, handelt
es sich um Zahlen der Erstauswertung. Das bedeutet, TV- und
DVD-Vermarktung sind in dieser Rechung noch nicht beinhaltet.
2005 - das war auch ein Jahr des kunstvoll arrangierten
und komponierten Dauerklagens. Egal ob Tobias Kniebe in der
SZ, Georg Seeßlen in der ZEIT oder Jörg Taszman
für Deutschlandradio: man war sich über den Niedergang
des Kinos einig; die zurück gehenden Zuschauerzahlen
ließen einen erschaudern. Nun soll es nicht Aufgabe
und Leistung dieses Artikels sein, diese Diskussion in ihrer
vollen Komplexität nachzuzeichnen - aber der Vergleich
zwischen Spielindustrie und Filmindustrie könnte vielleicht
einen nützlichen Gedanken evozieren. Einer der fundamentalsten
Grundsätze der Elektronikgiganten lautet: "Software
sells hardware." Das bedeutet, dass der Gewinn nicht
mit den verkauften Konsolen erzielt wird (tatsächlich
zahlen Unternehmen oft auf jede verkaufte Hardware-Einheit
einen stattlichen Betrag drauf), sondern mit der Software,
den Spielen. Für die Filmbranche könnte es Zeit
sein, sich dieses Erfolgsrezept einmal näher anzusehen.
Natürlich sind es auch hier die ewigen Neuauflagen (zum
Beispiel Sportspielreihen wie "FIFA" oder "John
Madden Football"), welche sich verkaufen, aber oftmals
handelt es sich um innovative, kleine Spielprodukte (momentaner
Liebling "Ico"). Analog bin ich davon überzeugt,
dass sich "X3" im nächsten Sommer ebenfalls
glänzend verkaufen wird, aber die "Nische"
kann die entscheidende Qualität bringen. Filme, wie "11:14",
über welche dann erbost zu lesen ist, dass sie in so
kleinen Stückzahlen in die Kinos kommen. Die Heterogenität
von Filmprodukten ist die Antwort auf eine Krise, die zu großen
Teilen durch Monokultur selbst verschuldet und postwendend
auf DVD - Automaten und Raubkopierer - Industrie geschoben
wurde.
Doch nun soll es um Filme gehen. Michael Winterbottoms CODE
46 war einer der frühen Jahreshöhepunkte für
mich. Visuell ebenso wie inhaltlich interessante Science Fiction
Ware, die dem brach liegenden Genre etwas Leben einhaucht.
Der Episodenfilm "11:14" von Greg Marcks bereicherte
2005 mit deftigem schwarzen Humor und einer leichtfüßigen
Inszenierung. Es ist schwierig, nicht in Klischeedenken zu
verfallen, wenn man liest, amerikanische Verleiher hätten
an 11:14 kein Interesse, wie er zu "kompliziert strukturiert"
sei. Darüber hinaus ist I HEART HUCKABEES als sehenswerte
Filmerfahrung hängen geblieben. Das stimmige Ensemble
an Schauspielern ergänzt sich mit der ungewöhnlichen
Geschichte, die an manchen Stellen an allzu plattem Humor
krankt, aber (erfolgreich) vorgibt, sich mit existenziellen
Fragen des Lebens zu beschäftigen. Auch, wenn ich mich
in die Gefahr des Schmierens von Honig um den Maul begebe,
soll an dieser Stelle konstatiert werden, wie recht der Kollege
Suchsland mit seiner Replik zu SIN CITY doch hat. Statt Worte
über den Film selbst zu verlieren, bitte ich, noch einmal
den Artechock-Eintrag zu lesen. Er enthält alles, was
mich an SIN CITY begeisterte. Müsste ich jedoch einen
Titel ganz besonders hervorheben, so wäre es dieses Jahr
ganz klar GARDEN STATE. Selten war ich von einer Symbiose
von Film und Soundtrack so angetan - zeitweise keimte in mir
immer wieder die Frage, ob es sich um den Film zum Soundtrack
handelt. Es passt einfach alles so wunderbar zusammen, dass
es schon fast unmöglich zu sein scheint, dass es sich
um Zach Braffs Debüt als Regisseur handelt. Hürden
gibt es für diesen jungen Mann wohl nicht. Und wenn man
ihm eines zurufen möchte, dann dies: "Mach keinen
zweiten Film mehr. Lass diesen einen ewig stehen." Nicht
an der persönlichen Spitze stehend, aber dennoch einen
positiven Eindruck hinterlassend: BATMAN BEGINS als würdige
Wiederbelebung der Serie, THE GRUDGE als maßvolles Remake-Programm
(das gilt auch für DARK WATERS) und HOUSE OF FLYING DAGGERS
als bildgewaltige Schwertphantasie voller Liebe, APPLESEED
als digitaler Endtraum sowie "The Descent" für
Freunde von Höllentouren.
Wo Licht ist, muss auch Schatten sein. Enttäuschungen
blieben bei Besuchen in den Lichtspielhäusern natürlich
nicht aus; allen voran der so sehr gehypte NOCHNOJ DOZOR aka
WÄCHTER DER NACHT. Reinhard Prosch schrieb in seiner
Besprechung: "Während der Regisseur die visuellen
Möglichkeiten seiner Zwischenwelt abfeiert, verlässt
er sich zu sehr darauf, dass das Publikum die hastig aufgestellten
Gesetzmäßigkeiten des sich im Verborgenen abspielenden
Konflikts nicht zu hinterfragen beginnt." Dem bleibt
nicht viel hinzuzufügen; die verworrene Kopie von Bruckheimer-Krawallkino,
angereichert mit Schweiß und Dreck, um das Ganze irgendwie
osteuropäisch-glaubwürdig verorten zu können,
bleibt eine "Russendisko ohne Sexappeal" (um sich
der Bildsprache des Machwerks zu bedienen). Auch Wim Wenders
legte mich mit DON'T COME KNOCKING' kräftig rein. Die
angebliche Demysthifizierung des Westernhelden wird keinesfalls
geleistet - viel eher erhärten Verlauf der Geschichte
und visuelle Naturkompositionen den Drang, an den einsamen
Mann auf dem Pferd zu glauben. Charaktere, die sich selbst
aufdringlich wichtig nehmen runden den schalen Geschmack ab.
Als ärgerlich erwiesen sich weiterhin: NARNIA als inbrünstig-spirituelle
Waffe der religiösen Rechten der USA, RING 2, welcher
Grusel und Soap zu verwechseln schien und SERENETY, den Presseheft
und Fans der Serie FIREFLY zwanghaft zu mehr machen wollten
als er ist.
Zum Abschluss lassen sich vielleicht noch ein paar Randnotizen
festhalten. Wie immer genoss ich den Gang auf das Fantasy
Film Fest, auch wenn der kleine Ableger DIE NACHT DER TAUSEND
SCHREIE, der mittlerweile in FF NIGHTS umbenannt wurde, dieses
Jahr ein wenig enttäuschte. Vor allem der unpersönliche
Umgang mit der zahlenden Kundschaft war in meinen Augen ein
Manko. Sehr erfreulich war die Woo-Retrospektive des diesjährigen
Asia Filmfests. Mich beschleicht das gute Gefühl, dass
sich in diese Richtung noch einiges entwickeln könnte,
kleine "Kurzfestivals" zu verschiedenen Themen scheinen
einen positiven Anklang beim Publikum zu finden. Der Tiefpunkt
für die Münchner Kinolandschaft war natürlich
die Schließung der Lupe 2 am 11. Mai dieses Jahres.
Nomen est omen - die letzte Vorstellung war "Der Krieg
ist vorbei" von Alain Resnais. Das Filmcasino in Gauting
möchte die Lupe-Tradition jedoch, so weit irgend möglich,
fortsetzen - voller Dankbarkeit und Hoffnung blicke ich demnach
hinüber zu 2006. Zwischen mir und dem Jahreswechsel liegt
jedoch noch EIN Großereignis: Es handelt sich um den
Riesenaffen von Peter Jackson. Davon mehr im nächsten
Jahr.
Rudolf Inderst
|