KINO MÜNCHEN FILM AKTUELL ARCHIV FORUM LINKS SITEMAP
09.11.2006
 
 
     

Hof 2006
Das Erkalten im Rausch


  AUFTAUCHEN von Felicitas Korn  
 
 
 
 

Zuchtbullenschau des deutschen Kinos: Die Hofer Filmtage zeigen Exzessphantasien im Krisengrau

Die Hofer Filmtage werden zwar nie so wichtig wie die gleichzeitig stattfindende Viennale, aber fast so wichtig, wie Cannes sind sie schon lange. So wirkt es jedenfalls, wenn man dem Gerede vor dem Bratwurststand Glauben schenkt. Um diese, das dazugehörig Gerede und die unvergleichlichen Lokalprodukte, kommt man allerdings nicht herum. Genauso wenig wie um das Fußballspiel. 40 Jahre Hofer Filmtage zu rekapitulieren, heißt nicht zuletzt diese zwei Konstanten zu würdigen. Denn in Hof ist das Atmosphärische, "der Rahmen" und die ewige Wiederkehr des Gleichen mindestens so wichtig, wie die Filme, die hier laufen und die wie der jährliche Wein mal besser und mal schlechter sind. Aber auch wenn das deutsche Filmschaffen wieder einmal überhaupt keine Leidenschaften entfesseln sollte, kommt diese spätestens am Samstagmorgen, wenn so verkaterte wie ehrgeizige deutsche Regisseure zum traditionellen Kick gegen ein Team aus Einheimischen antreten und dabei manchmal sogar gewinnen. Und mag sich in 40 Jahren auch alles Übrige verändert haben - sogar das traditionelle "Central-Kino" in der Hofer Fußgängerzone wich vor ein paar Jahren einem Multiplex - so steht doch der Freilichtbratwurstgrill vor dem Kino so fest wie eh und je.

+++

Am Bratwurststrand von Hof hat sich jedenfalls so manches Schicksal des deutschen Films entschieden. Seit seinen Anfängen ist Hof ein Antifestival und Ort der Integrierten zugleich. Ein Filmmärchen, ein Ort ohne Glamour - und darum eines der wichtigsten Filmfestivals im Lande - ungeachtet der Qualität der Filme. Dass gerade in und an der Provinz das deutsche Kino zu sich selbst und seinen Stärken finden könnte, war schon zu seinen Anfängen vor 40 Jahr das Credo der Macher rund um den gebürtigen Hofer Heinz Badewitz. Er rief das Festival ins Leben und leitet es bis heute mit freundlicher Konsequenz. "Es begann wie ein Märchen, als Eigenkreation der Regisseure", erinnert sich Badewitz, damals ausgebildeter Kameramann und Regisseur von Kurzfilmen. "Mehrere Freunde von mir und ich selbst hatten keine Vorführmöglichkeiten. Ich kannte in Hof den Kinobesitzer, und wir sind hochgefahren, und haben die Filme einen Sonntagvormittag gezeigt – 12 Kurzfilme in einer gemeinsamen Vorstellung. Danach haben wir Jazz gespielt. Geworben haben wir nur mit einer Anzeige im Lokalblättchen. Es war ein Erfolg, aber keiner hatte gedacht, dass es weitergehen könnte."

+++

1968 kam es dann beim Festival in Oberhausen um Helmuth Costards BESONDERS WERTVOLL zu einem Skandal, man suchte einen Ausweichspielort und erinnerte sich an diesen Sonntag in Hof. "Plötzlich hieß es 'Auf nach Hof!', seitdem ein geflügeltes Wort. Das dauerte dann schon drei Tage." Der alte rebellische Geist, davon ist Badewitz überzeugt, ist weiterhin spürbar: "Hof bleibt Hof!"

+++

Inzwischen liegen die Heldensagen des deutschen Autorenfilms bereits eine Generation zurück, und wenn man auf das diesjährige Programm schaut, wo einige Filme, die von der fränkischen Kleinstadt aus tatsächlich die Welt eroberten, in einer Jubiläumsschau noch einmal laufen, kann man schon wehmütig werden angesichts des Kontrasts zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Straubs ANNA MAGDALENA BACH, Kluges KRIEG UND FRIEDEN, Herzogs JEDER FÜR SICH UND GOTT GEGEN ALLE, Wenders PARIS, TEXAS - er lief hier erstmals in der heute bekannten, gegenüber der Cannes-Premiere stark veränderten Schnittfassung -, DEUTSCHLAND IM HERBST und Schlingensiefs TERROR 2000 - Filme von solcher Radikalität und Spannbreite gibt es im Gegenwartskino kaum.

+++

"Anti-akademisch, das ist das ganze Prinzip." - wie leicht das Kino wird, wenn Alexander Kluge es erklärt. Der Vordenker des deutschen Autorenfilms ist auch ein Veteran der Hofer Filmtage seit deren Anfängen 1967, und so war es eine ganz folgerichtige Entscheidung, gerade ihm als Kopf des Autorenfilms und einem der letzten Mohikaner der Gründergeneration zum 40-jährigen Jubiläumsfestival den städtischen Filmpreis zu geben. So wurde aufs wunderbarste der Kreis geschlossen zwischen den älteren Generationen, und den neuen Gesichtern, die sich mit ihren ersten Filmen in Hof präsentieren.
"Die Zeiten haben sich verändert, die Politik ist verschwunden." Badewitz färbt die Dinge nicht schön. "Aber Aufgabe eines Festivals ist es nicht, den Regisseuren Vorschriften zu machen. Wir bieten ein Forum, und als solches spiegelt Hof sehr gut das Auf und Ab des deutschen Films." Kein Widerspruch. Auch nicht, wenn Badewitz von den Werken der neuen jungen Regisseure schwärmt, darauf hinweist, das die Spannbreite der Filme noch nie so groß war, wie derzeit. Und auf Badewitz' Gespür und Erfahrung ist im Großen Ganzen noch immer Verlaß. Und wenn man mal im Kino schlechte Laune bekommt, geht man eben raus, und isst eine Bratwurst. Denn wenn sie nicht gestorben sind, dann grillen sie auch heute.

+++

An einer Art Methusalem-Komplex leidet allerdings auch Hof, daran nämlich, dass die Alten oft weiterhin die Allerjüngsten sind. Das gilt nicht nur für Heinz Badewitz, den ewig jungen Festivalchef mit der immer mal wieder modernen, sich dem endgültigen Ergrauen hartnäckig widersetzenden Prinz-Eisenherz-Frisur. Es gilt ebenso für Kluge selbst, der nicht nur in der Retrospektive präsent war, sondern in seiner Preisrede und mehreren Publikumsgesprächen gelassen optimistisch einforderte, was Kino alles sein kann, und zum Beispiel daran erinnerte, dass es in den Sechzigern noch Filmhochschulen gab, an denen ein Student jede Woche einen Film drehen musste - der war dann zwar nur eine Minute lang, aber "länger wird es dann schon von selber." Das Reizvollste an Hof ist der von Kluge beschworene Antiakademismus: Hier wird alles und jeder, vom Kurzfilm bis zum 3-Stunden-Epos, vom Filmhochschüler bis zum Altmeister, gleich und fair behandelt; ohne Schmu und die Hierarchie von Reihen oder Wettbewerben, die sofort selektieren, geht es um Filme und das Reden darüber. Zum Problem wird dann aber, dass in dieser Offenheit auch leicht eine unkritische Gemütlichkeit aufkommt, in der noch schwächste Filme freundlich durchgewunken werden, und das Interessanteste auch mal untergeht - darin spiegelt Hof dann allerdings recht gut die spätere Reaktion des Publikums. Auch viele jüngere Regisseure sehen sich erkennbar nach der Wärme von Institutionen, buhlen mehr um die Gunst der finanzierenden TV-Redakteure und Filmförderer, als um die der Filmgeschichte.

+++

Den Jubiläumsjahrgang prägte trotzdem überraschende Vielfalt in Bildern und Stilen. Ein Film wie den 60-Minüter NIMMERMEER von Toke Constantin Hebbeln, hätte es vor ein paar Jahren noch nicht gegeben. NIMMERMEER, der gleich zwei der am Rand der Filmtage vergebenen Sponsorenpreise bekam, ist das überaus mutige Experiment einer Kreuzung aus Motiven von Bergman und Fellini. Die märchenhafte Story über einen armen Knaben, der nach dem Tod des Vaters zuerst bei einem fiesen Pastor das Fürchten, dann in einem Zirkus das Lachen lernt, ist zwar platt und kitschig. Aber Kamera und Ausstattung entschädigen dafür über längere Strecken, ebenso wie der Respekt für die Produzenten, denen mit 50.000 Euro ein Film gelang, der aussieht, als hätte er das Zehnfache gekostet. Billig produziert, aber filmisch kraftvoll war auch LIEBEN von Rouven Blankenfeld. Ein Serienkillerfilm aus der Sicht des Täters, den das Fernsehen nie finanzieren würde - der aber in Hof sein Publikum aufwühlte und gefangennahm.

+++

Ein Stadt, genau 24 Stunden, fünf Geschichten. Man kennt das Prinzip, eine urbane Metropole als Mosaik ihrer Storys und Schicksale zu erzählen, schon aus Klassikern wie NAKED CITY oder SHORT CUTS; und immer wieder mal scheitert ein deutscher Regisseur mehr oder weniger deutlich beim Versuch, "einen deutschen SHORT CUTS" zu drehen - es ist ähnlich, wie mit dem "großen Wenderoman", den Literaturkritiker regelmäßig einfordern, und der doch nicht auftauchen will.
Jetzt haben fünf Filmhochschüler der Kölner Hochschule für Medien einen neuen Versuch unternommen. DIE ÖSTERREICHISCHE METHODE, der jetzt bei den Hofer Filmtagen Premiere hatte, ist besser geglückt, als vieles, was dort sonst zu sehen war: Die fünf Geschichten haben zwar mit Köln nichts weiter zu tun, doch verweben sie sich zu einem gut funktionierenden, angenehm unprätentiösen, unterhaltsamen Film, zugleich einem inspirierenden Portrait der deutschen Gesellschaft, freilich einem keineswegs schmeichelhaften. Denn alle hier sind irgendwie krank, alle verlogen, alle betäuben oder besaufen sich, und alle fünf Geschichten spielen in unterschiedlicher Form mit der Selbstmordthematik. Auch der Titel zitiert ein Verfahren, sich gehörig zu betrinken, und dann in den Schnee zu legen, um auf sanfteste Weise zu entschlafen - solches Erkalten im Rausch ist hier durchaus auch als zeitdiagnostischer Befund zu verstehen.

+++

Über weite Strecken überdurchschnittlich war auch Felicitas Korns Spielfilm AUFTAUCHEN. Formal wagemutig, in ihrer Story zwischen ungewöhnlichem Gegenwartsportrait und Klischees lavierend, ist dies ein Lichtblicke in einem Programm aus lauter Ausbruchsversuchen, denen oft die klare Richtung ebenso fehlte, wie erkennbare Motivation.

+++

Hof ist die alljährliche Zuchtbullenschau und Erntedankfeier des deutschen Kinos, ein etwas grobes bukkolisches Volksfest, und wie beim gern zitierten rituellen Bratwurstverzehr geht es auch bei den Filmen meist nicht um feine Genüsse, sondern ums Sattwerden bis zur Übersättigung. In der Zusammenschau und jenseits aller Qualitätsunterschiede enthüllen die Filme dabei manches, was im Einzelfall unter der jeweiligen Oberfläche verborgen liegt. Die Koffer voller Geld, die Paare, die im Cabrio gen Morgen düsen, sind verschwunden aus den deutschen Filmen. Stattdessen gibt es bei den Machern eine neue Sehnsucht nach Exzess, die die biederen Yuppieträume der letzen Jahre abgelöst hat, eine Lust am Tabubruch, von der man sich im bleiernen Krisendeutschland offenbar Entspannung verspricht - sozusagen die Film gewordene Fanmeile. Mit einher geht dabei aber auch ein neuer Ernst, ein Interesse daran, die negativen Seiten des Lebens zu thematisieren. Lange nicht sah man soviel Selbstmordversuch, Abtreibung, Krankheit und Sado-Maso in deutschen Filmen - Exzessphantasien im Krisengrau. Allerdings verhindert auch das schlimmste Unglück nicht, dass alles am Ende fast immer doch in ein trostspendendes und zuschauereinschläferndes Happy-End mündet - vielleicht auch dem Einfluss des Fernsehens mit seinem Hang zu Seelen-Wellness geschuldet.

+++

Ein zweiter Trend: Kurzfilme und episodische Kompilationen wie DIE ÖSTERREICHISCHE METHODE waren oft interessanter als die meisten Spielfilme. Es passte perfekt, dass Alexander Kluge zu Beginn den "Kurzfilm als Elementarform des Kinos" beschworen und das Episodische zur "angemessenen Form unserer Zeit" erklärt hatte.

+++

Prägnant tauchte etwa Dirk Lütters DIE UNSICHTBARE HAND in die alltägliche Depression deutscher Suburbs, Shopping Malls, und Supermärkte ein. Eine hervorragend inszenierte, präzis beobachtete und vielschichtige Detektivgeschichte anderer Art, eine Erzählung von Ödnis und Verrat - die ganz en passant noch stärker das Läppische und Manierierte des nachfolgenden Langfilms KAHLSCHLAG von Patrick Tauss sichtbar machte. Nicht minder glänzend war auch FAIR TRADE von Michel Dreher. Judith Engel spielt in dieser marokkanisch-deutschen Begegnung voller Missverständnisse eine Frau, die in Tanger ein Baby kaufen will. Ein intelligentes, nüchtern beobachtetes Drama über Leben als Handelsgut, Tauschverhältnisse und emotionalen Mehrwert.

+++

Für so etwas interessiert sich Oliver Rihs offenbar gar nicht. Wie auf ganz andere Weise DIE ÖSTERREICHISCHE METHODE zeichnet auch sein Episoden-Film SCHWARZE SCHAFE ein Sittengemälde unserer Zeit - im doppelten Sinn. Hier ist alles schrill, grob, vulgär; es wird gekotzt und geschissen, eine komatöse Oma wird von ihrem Satanistenenkel vergewaltigt, und auch sonst sind fast alle Figuren halbdebile Unsympathen. Mag das auch einiges mit der Trash-Kultur der deutschen Jetztzeit zu tun haben, so belegt der Film in seinem Zynismus, in der von ihm zelebrierten Haltungs- und Folgenlosigkeit vor allem, dass die Macher selbst deren erstes Opfer sind. Ein paar tolle Schauspielleistungen, wie die von Jule Böwe, und ein glänzend sarkastischer Berlin-München-Vergleich halten einen zwar bis zum Schluß im Kino. Doch reizvoll ist SCHWARZE SCHAFE nur, weil er treffend das völlige Scheitern aller Ansätze illustriert, die glauben, Ausbruchsversuche wären ohne erkennbare Motivation und in Minimum an politischer Kritik zu haben wären. Der Satz dass das Ästhetische und das Politische zusammenhängen, gilt in beide Richtungen.

+++

Wie man es besser machen kann, zeigten Dominik Graf und Alain Gsponer. Gsponers BUMMM! ist eine bittere Farce, die die Krise dorthin zurückführt, wo sie herkommt: In die Familie. Der Film dreht sich um zwei Nachbarfamilien in unterschiedlichen Krisen: Eine Farce über die Entmachtung eines Mannes und die Hilflosigkeit der Familie im postbürgerlichen Zeitalter - allem Gerede von "neuen Werten" zum Trotz. Gsponer entfaltet ein humorvolles Panorama alltäglicher Entfremdung, das in seinen besten Momenten Erinnerungen an "American Beauty" und "Eissturm" aufkommen lässt. Man würde gerne länger zuschauen bei diesem Film, der größtenteils subtil auf dem schmalen Grat zwischen Komödie und Bitterkeit wandert, und mit tollen Schauspielleistungen aufwarten kann, allen voran die junge Hannah Herzsprung, die sich mit diesem Film und einem ähnlich unvergesslichen Auftritt in Chris Kraus' VIER MINUTEN in die erste Liga der deutschen Darstellerinnen katapultiert.

+++

Grafs EINE STADT WIRD ERPRESST ist eine Klasse für sich. Ein richtiger rasanter Thriller in der Tradition eines "Polar" der 70er, die nicht nur im Kino, sondern auch im Fernsehen vergessen ist, präzis eingefügt in die Region von Leipzig - das hier aussieht wie Paris oder Turin im französischen bzw. italienischen Kino. Es beginnt so rasant und neo-noir wie "24", und mündet in eine Western-artige Szenerie: Depressive Realität und Verfall an der deutschen Frontier jenseits der Propaganda von "blühenden Landschaften", und Anarchie pur - Graf ringt dem Land Bilder ab, die man in 16 Jahren seit dem Mauerfall noch nie gesehen hat.

Rüdiger Suchsland

 

 
  top
   
 
 
[KINO MÜNCHEN] [FILM AKTUELL] [ARCHIV] [FORUM] [LINKS] [SITEMAP] [HOME]